Neobarock

Das neobarocke Burgtheater in Wien

Neobarock (von altgriechisch νέοςnéos, deutsch ‚neu‘) oder Neubarock ist die Bezeichnung einer künstlerischen Stilrichtung des 19. Jahrhunderts, die sich den Barock zum Vorbild nahm. Sie fand Einzug in die bildende und darstellende Kunst Europas und unterscheidet sich nach regional verschiedenen Ausprägungen.

Architektur

Der Neobarock ist dem Historismus zuzuordnen und verbreitete sich zunehmend in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In seinem Formenrepertoire basierte er auf regionsabhängigen Arten des Barock. Beispiele sind der hanseatische oder der französische Neobarock. Um 1860 verbreitete sich der seltener auch Zweiter Barock genannte Stil zunehmend in Europa und löste die grundsätzlich noch vorherrschende klassizistische Architektur ab. Als maßgebliche erste neobarocke Großbauten schuf Napoleon III. 1857 die Tuilerien und 1860 die Pariser Oper, die heute unter den Begriff der Beaux-Arts-Architektur fallen. Sie gaben den Anstoßpunkt für die Blütezeit des Neobarocks, die seinen Höhepunkt europaweit um 1890 erreichte. Die Verwendung neobarocker Architektur fand besonders bei Theatergebäuden und Opernhäusern Einzug, da der Barock als Hochblüte aller theatralischen Kunstgattungen galt. Unter dem Einfluss des Wilhelminismus wurde der repräsentative Neobarock im deutschen Kaiserreich zum vorherrschenden Stil für öffentliche Bauwerke, beispielsweise Regierungsgebäude, Justizpaläste oder Bibliotheken. Beispiele sind die Staatsbibliothek Unter den Linden, der Justizpalast in München oder das Reichsgerichtsgebäude. Auch die Wohnungsbauten und die Villenarchitektur um die Jahrhundertwende orientierten sich häufig am Neobarock. Allerdings kam es hierbei häufig zu eklektizistischen Überschneidungen mit anderen Stilrichtungen wie der Neorenaissance. Der Neoklassizismus und der Jugendstil lösten den Neobarock um 1905 zunehmend ab. 1910 bei Neubauten kaum noch in Verwendung, bereitete spätestens die nach dem Ersten Weltkrieg aufkommende Klassische Moderne dem Neobarock sein Ende.

In Österreich war seine Verwendung „patriotisch“ konnotiert, da er an die Kulturblüte und politische Expansion des frühen 18. Jahrhunderts anknüpfte. In seiner Spätphase koexistierte er mit dem Jugendstil, den er teilweise beeinflusste.

Bauwerke

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Laeisz-Halle Hamburg
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Bode-Museum Berlin
Ehemaliges Regierungsgebäude Potsdam
Ehemaliges Ministerialgebäude Dresden
Regierungsgebäude Düsseldorf
Justizpalast München (um 1900)
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Neue Burg Wien
Kriegsministerium Wien
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Stadttheater Zürich

Profanbau

Sakralbau

Bildhauerei

Zur selben Zeit wie in der Architektur treten in der Bildhauerei neobarocke Tendenzen auf. Als Hauptvertreter des Neobarock gelten der Berliner Bildhauer Reinhold Begas und der Wiener Viktor Tilgner.

Beispiele:

Musik

In der Musik ist der Neobarock Teil des Neoklassizismus. Diese sich im frühen 20. Jahrhundert entwickelnde Kompositionsrichtung griff neben klassischen und romantischen auch spätbarocke Formen und Stilmittel auf.

Orgelbau

Neobarocke Orgel (mit modernem Prospekt) der Kirche von Forbach (Haerpfer & Erman, 1964)

Im Orgelbau wird mit Neobarock eine Stilrichtung bezeichnet, bei der ausgehend von der Orgelbewegung der 1920er Jahre Instrumente mit vielen Obertonregistern disponiert wurden.[2] Vor allem nach 1945 wurden neue Orgeln an der neobarocken Klangästhetik ausgerichtet. Orgeln des 19. Jahrhunderts und der Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg wurden in dieser Zeit häufig klanglich aufgehellt, um dem neobarocken Klangideal zu entsprechen. Selbst Barockorgeln (z. B. die Schnitger-Orgel von 1688 in Hamburg-Neuenfelde) blieben nicht verschont, da sie nicht „barock“ genug erschienen. Technisch gesehen waren die neobarocken Orgeln Kind ihrer Zeit: Viele Instrumente waren mit elektrischen Kegelladen ausgestattet, und erst nach und nach setzte sich die mechanische Spieltraktur (bei elektrischer Registertraktur) durch.[3] Die Prospekte wurden oft ohne geschlossenes Gehäuse konzipiert. Erst ab etwa 1960 setzte sich das Werkprinzip norddeutscher Orgeln der Barockzeit durch. Ornamente, Vergoldungen und Farbfassungen wie bei vielen Barock-Orgeln wurden dabei jedoch vermieden.

Literatur und Film

Einige literarische Strömungen und Filmstile des 20. und 21. Jahrhunderts tragen neobarocke Züge. So spricht man insbesondere von einem lateinamerikanischen Neobarock.[4] Der Magische Realismus, aber auch viele Werke der Postmoderne tragen neobarocke Züge. Da alles bereits gesagt worden sei, können Bilder und Texte heute nur noch kombiniert, variiert, immer rascher gewechselt oder zitiert werden. Die Formenvielfalt und das Zitieren hätten ein Ausmaß angenommen, das vor wenigen Jahren noch unvorstellbar war, postuliert der italienische Sprachwissenschaftler und Semiotiker Omar Calabrese (1949–2012) und entwickelt eine Theorie der Poetik der Wiederholung.[5]

Commons: Neobarocke Architektur – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Neobarock – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Umbau und Sanierung ‚Alte Augenklinik‘ Würzburg. Abgerufen am 27. September 2020.
  2. Stephan Pollok: Orgelbewegung und Neobarock im Ruhrgebiet zwischen 1948 und 1965. Bochum 2007. pdf S. 23.
  3. Stephan Pollok: Orgelbewegung und Neobarock im Ruhrgebiet zwischen 1948 und 1965. Bochum 2007. pdf S. 21f.
  4. Nicolas Freund: Die härteste Faust in sueddeutsche.de, 5. März 2019.
  5. Omar Calabrese: Neo-Baroque: A Sign of the Times. Princeton UP 1992.

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Neue Burg, Hofburg, Vienna, Austria
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Laeisz-Halle in Hamburg-Neustadt.
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The Munich Justizpalast at Karlsplatz ("Stachus"), Postcard end of 19th century.
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Hauptfassade des Burgtheaters im 1. Wiener Gemeindebezirk Innere Stadt.
Das Theatergebäude wurde nach Plänen von Gottfried Semper und Carl von Hasenauer (Innengestaltung) errichtet. Der Spatenstich erfolgte am 16. Dezember 1874 und am 14. Oktober 1888 fand mit Franz Grillparzers „Esther“ und Friedrich Schillers „Wallensteins Lager“ die Eröffnung statt. Der Zuschauerraum musste wegen schlechter Akustik 1897 umgebaut werden.
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