Neolithisierung Europas

Neolithisierung Europas

Als Neolithisierung Europas (von altgriechisch νέος neos „neu, jung“ und λίθος lithos „Stein“) wird der kulturelle Wandel von mittelsteinzeitlichen Wildbeutergesellschaften zu Kulturen jungsteinzeitlicher (neolithischer) Nahrungsmittelproduzenten innerhalb Europas bezeichnet. Neben Pflanzenbau und/oder Tierhaltung sind damit (insbesondere beim Ackerbau) längere Zeiträume einer sesshaften Lebensweise – die zahlreiche Veränderungen der sozialen Bedingungen (etwa Arbeitsteilung, Soziale Rollen, Institutionsbildung, Herrschaftsstrukturen u. ä.) –, die Entwicklung neuer Technologien (Werkzeuge, Baustoffe, Gebäude, Keramik, Vorratshaltung, Konservierung u. ä.) und die Entstehung neuer Ideen und Weltanschauungen (langfristige Planung, veränderte Zeitrechnung, Kult, Religion u. ä.) verbunden. In der Folge war meist ein deutlicher Anstieg des Bevölkerungswachstums zu verzeichnen – aber später ebenso drastische Einbrüche und Hungersnöte.

Nach derzeitigem Kenntnisstand kam es unabhängig voneinander in 15 bis 20 Regionen der Erde zwischen 9500 v. Chr. (Vorderasien erstmals) und 2000 v. Chr. (Ohio-Becken letztmals) zur Entstehung landwirtschaftlicher Subsistenzweisen. In Europa liegt keines dieser Entstehungszentren, obwohl es im Alpenvorland Funde gibt, die darauf hindeuten könnten.

Die neue Lebensweise wurde in Europa ab 7300 v. Chr. von Migranten aus dem fruchtbaren Halbmond Vorderasiens importiert, wo sie sich erstmals auf der Erde innerhalb von rund 1500 Jahren als sogenannte „Neolithische Revolution“ etablierte. In annähernd 4000 Jahren breitete sie sich in Schüben und auf unterschiedliche Art und Weise über die gesamte kühlgemäßigte Zone Europas aus[1] (Ackerbau und Viehzucht in der Ökumene, in der Subökumene Fernweidewirtschaft).

Ursachen der Neolithischen Revolution

Viele Autoren sehen die drastischen Klimaveränderungen am Ende der letzten Eiszeit als Auslöser für den Beginn von Ackerbau und Viehzucht im Vorderen Orient (Fruchtbarer Halbmond). Demnach kam es dort während des milden Alleröd-Interstadials zu Umweltbedingungen, die die weitere Ausbreitung der menschlichen Spezies erheblich begünstigten: die Gazellenherden vermehrten sich stark in den üppig gedeihenden Graslandschaften und in der Folge auch die menschliche Bevölkerung. Aufgrund des permanent ausreichenden Nahrungsangebotes waren die Jäger und Sammler nicht mehr gezwungen, regelmäßig ihren Wohnsitz zu wechseln, sodass einige Gruppen zur Sesshaftigkeit wechselten. Dies führte im Laufe der Zeit zur Überjagung der Wildbestände. Das reichliche Vorkommen wilder Getreidearten bot jedoch die Möglichkeit, die sesshafte Lebensweise nicht wieder aufgeben zu müssen, sodass sie sich über Generationen festigen konnte.[2] Dieser Schritt ist noch keine Landwirtschaft, sondern bedingt vom Anlegen großer Vorräte an Wildgetreide zur Überbrückung der kalten Jahreszeiten.

Höhlenzeichnung von Les Dogues, etwa 6100–5600 v. Chr. Eine 11 (?) Mann starke Gruppe von Kämpfern (links) im Konflikt mit einer anderen Partei (rechts), die 18 Kämpfer umfasst.

Ursprung und Ausbreitung nach Europa

Die Wurzeln der Neolithisierung Europas liegen im Fruchtbaren Halbmond und werden heute auf die Migration anatolischer Bauern zurückgeführt, die ihre domestizierten Nutztiere (Rind, Schaf, Ziege, Schwein) und -pflanzen (Einkorn, Emmer, Gerste) sowie das entsprechende Know-how mitbrachten.[3]

Über die Motive der Auswanderer kann nur spekuliert werden. Fest steht, dass es sich nicht – wie lange Zeit angenommen – um Bevölkerungsdruck aufgrund der zunehmenden Besiedlungsdichte handelte.[4] Die Ursachen können sehr vielseitig sein: „Ernährungsprobleme, Raub, Gier, religiöse Motive“ kämen in Frage[5]. Auch klimatische Gründe sind denkbar.[4]

Graeber und Wengrow gehen davon aus, dass die arbeitsaufwändige Landwirtschaft in ihren Ursprungsformen nicht existentiell, d.h hauptsächlich betrieben wurde, sondern dass für lange Zeit und in vielen Gesellschaften „spielerische Landwirtschaft“ als eine Option neben anderen verstanden wurde. Vielmehr war das primär bäuerliche Dasein zu Anfang eine Überlebensstrategie für entlegene und unzugängliche Regionen, die für Jäger, Sammler und Fischer zu unattraktiv waren. Diese Jäger und Sammler hätten zuvor schon eine Art „Landschaftspflege“ betrieben, indem sie erwünschten fruchttragenden Pflanzen wie Nussbäumen günstige Bedingungen schufen. Ihre Aktivitäten trugen dazu bei, „weltweit etwa zwei Drittel der Großfauna zu vernichten“, ihre Jagd verschob sich dann auf kleinere Säugetiere wie Elche, Schweine, Rotwild etc. in begrenzten Habitaten.[6] Die folgende Neolithisierung beruhte auf der Migration von „neolithischen Pionieren“ sowohl auf Land- wie auf Seerouten, die in vielfältige Austauschbeziehungen mit Jägern und Sammlern traten und dabei Innovationen wie die „vier Haustierarten, also Rind, Schaf, Ziege, Schwein“ und technologische Kenntnisse „etwa zur Herstellung von Steingeräten“ mitbrachten[3] und die gut belegte Ausbreitung auf dem europäischen Kontinent beweist, dass sich die bäuerliche Nahrungsmittelproduktion trotz Aufwand und Risiken im Laufe von Generationen durchsetzte. Dies allerdings nicht kontinuierlich, tatsächlich verschwand die Landwirtschaft zeitweise regional auch wieder, archäologischen Erkenntnissen zufolge unter Anzeichen eines demographischen Zusammenbruches der Kultur der Bandkeramiker und exzessiver Gewalt, die sich in regelrechten Massakern (z.B Massaker von Kilianstädten) ausdrückte; der Zusammenbruch führte für etwa tausend Jahre zu einem Abbruch des „extensiven Getreideanbau(s)“ in Mittel- und Nordeuropa[7]. Zwei wichtige Umstände wurden früher vernachlässigt: Über Jahrhunderte diente die Landwirtschaft wie erwähnt lediglich als weiteres „Standbein“ für den Lebensunterhalt[6] und Bauern und Jäger lebten über längere Zeiträume nebeneinander[4]. Als Motiv für den Aufbruch neolithischer Gruppen schließt Wolfram Schier Bevölkerungswachstum aus, klimatische Veränderungen hingegen könnten eine Rolle gespielt haben. Als wichtigen Faktor vermutet er jedoch menschliche Neugier, migriert seien Gruppen mit Vorkenntnissen über die Gegenden, in die sie einwanderten, es müsse einen „Informationsfluss in beide Richtungen“ gegeben haben. Möglicherweise seien junge Männer vorausgegangen und ihre Schilderungen hätten dann andere Migranten nachgezogen.[4]

Die Ausbreitung innerhalb Europas erfolgte nach derzeitigem Wissensstand in raschen Schüben, die von jahrhundertelangen Pausen unterbrochen wurden. Die erste Welle von Anatolien über die Balkanroute bis etwa zum Plattensee verlief sehr schnell.[4] Danach kam es zu einer deutlichen Verlangsamung zwischen 6100 v. Chr. und 4500 v. Chr. In diesem Zeitraum wurde um 5700 v. Chr. die Mitte Deutschlands erreicht und 4500 v. Chr. die Ostseeküste. Naturgemäß verlangsamte sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit nach Norden aufgrund der kürzeren Wachstumsperioden. Dies spiegelt sich auch in einer nach Norden zunehmenden genetischen Vermischung von Alt-Europäern und Migranten wieder, die für eine größere Bedeutung von Jagd und Sammelwirtschaft bzw. eine verstärkte Zusammenarbeit spricht.[1][8]

Folgende Hauptrouten der Migration nach Europa wurden lokalisiert:

Merkmale der Neolithisierung

Entwicklung von Keramik ist eines der Merkmale der Neolithisierung

Kennzeichen des Neolithikums ist eine verstärkte Sesshaftwerdung, die Vorratshaltung mit dem Gebrauch von Keramik sowie die Bildung dauerhafter politischer Organisationen (die vorher nur saisonal existierten), die Errichtung erster steinerner Bauwerke (Megalith-Anlagen: Großsteingräber und Ritualanlagen wie Göbekli Tepe oder Stonehenge sowie erster Großsiedlungen wie Çatalhöyük), der Anbau geeigneter Pflanzen und die Nutztierhaltung. Auch die seit Jahrhunderttausenden beherrschte Technik der Herstellung von Steinwerkzeugen erreichte während des Neolithikums einen neuen Höhepunkt. Alle genannten Merkmale müssen nicht gleichzeitig entstanden sein, bedingten sich jedoch im Zeitverlauf gegenseitig.

Im Wesentlichen wurde Europa auf zwei Routen neolithisiert: die Donau aufwärts und über das westliche Mittelmeer. Für Mitteleuropa gilt schon lange die Kolonisation durch einwandernde Bandkeramiker als gesichert. Bandkeramik ist von der Ukraine bis ins Pariser Becken verbreitet, vor allem fruchtbare Lössböden wurden von dieser Agrarkultur besiedelt. In einem ersten Schritt breitet sie sich etwa 5600 bis 5400 v. Chr. von Westungarn bis ins Rhein-Main-Gebiet aus, in einem zweiten bis ins Pariser Becken, aber auch weit nach Osten.

Mit der landwirtschaftlichen Erschließung geeigneter Flächen wuchs die Bevölkerung und es traten Verteilungskämpfe auf, kriegerische Auseinandersetzungen wurden üblich. Die neolithischen Bauern gingen dazu über, ihre Dörfer zu befestigen. Archäologisch lassen sich Tötungen ganzer Gruppen oder Familien nachweisen (Massaker von Talheim). Dabei kämpften Bauern gegen Bauern. Jäger und Sammler bestanden vermutlich aus zu kleinen Gruppen und waren territorial zu ungebunden, um sich auf verlustreiche Kämpfe einzulassen. Es ist allerdings denkbar, dass die Bauern sich gegen sie als Räuber absicherten.[9] Funde zeigen einen Fortschritt in der Waffentechnik: Kämpfte man am Anfang des europäischen Neolithikums noch mit Alltagswerkzeugen wie Beilen und Dechseln, die man als Behelfswaffen verwendete, hatten Kämpfer des Spätneolithikums „aufwendig gearbeitete Streitäxte, Dolche, sowie den Reflexbogen mit den verschiedensten Pfeiltypen.“[10]

Ob sich die ausbreitenden, auf bäuerlicher Arbeit beruhenden Kulturen nach und nach aus denen einheimischer Jäger und Sammler entwickelten (sog. Akkulturation) oder nur durch einwandernde Kolonisten entstanden, ist archäologisch nur in seltenen Fällen auszumachen. Marek Zvelebil etwa entwickelte zu diesem Zweck sieben unterschiedliche Modelle, die von einer klaren Verdrängung einheimischer Jäger und Sammler durch Zuwanderer bis hin zur kulturellen Anpassung der ursprünglichen Bevölkerung reichen.[11] Untersuchungen an genetischem Material neolithischer Herkunft durch Martin Richards ergaben 2003, dass nach Richards ein reines Diffusionsmodell ausgeschlossen werden konnte, ebenso wie das Modell eines vollständigen Bevölkerungsaustausches durch Einwanderer oder die Vorstellung einer eigenständigen Entwicklung aus lokalen Populationen. Unwahrscheinlich erschien ihm auch ein Modell, das auf der kulturellen Dominanz einer neuen Herrschaftselite beruht hätte. Die genetischen Marker ließen ihn allerdings vermuten, dass gezielte Migration kleinerer Gruppen in für Ackerbau besonders günstige Gegenden in Südost- und Zentraleuropa mit folgender Akkulturation seine Ergebnisse erklären könnten. Gemischte Modelle, die auf einer Verbindung von Migration und der Diffusion von Kenntnissen hin zu Angehörigen von älteren Populationen von Jägern und Sammlern beruhen, blieben für ihn als mögliche Erklärung übrig.[12]

Barbara Bramanti entdeckte 2009 nach Untersuchungen mitochondrialer DNA von Skeletten von neolithischen Bauern und von Jägern und Sammlern jedoch keine Hinweise darauf, dass beide Gruppen eng miteinander oder mit modernen Europäern verwandt waren. Vielmehr seien die Unterschiede beträchtlich, 82 % der Jäger und Sammler hätten DNA-Typen besessen, die im heutigen Europa kaum vorkämen. Die neolithischen Bauern seien die Nachfahren von Einwanderern gewesen, nicht von Wildbeutern[13]. Ein unerwartetes Ergebnis ihrer Untersuchung war, dass heutige Europäer nur geringfügig Nachfahren von neolithischen Einwanderern oder auch von den ursprünglichen Wildbeuter-Populationen sind, sondern hauptsächlich von einer dritten, bis dato unbekannten Gruppe abstammen müssen.[14]

Johannes Krause geht nach einer im Jahre 2015 erfolgten Auswertung von 69 Skeletten, die in der Region von mittlerer Elbe und Saale gefunden worden waren, davon aus, dass Angehörige einer Hirtenpopulation – die sogenannte Jamnaja-Kultur – aus dem Süden Russlands mit Rinderherden und Pferden in jene Gebiete Europas vordrang, die zuvor von den neolithischen Bauern besiedelt worden waren[15]. Er vermutet, dass diese Gebiete bei ihrem Eintreffen weitgehend menschenleer gewesen sein müssten, denn Skelettfunde seien erstaunlicherweise rar und wiesen nicht auf umfangreiche Auseinandersetzungen hin, wie eine überwiegend kriegerische Landnahme sie hätte erwarten lassen[16]. Krause nimmt an, dass eine frühe, steinzeitliche Form der Pest zum Massensterben der neolithischen Bauern geführt hat, in diese Lücke stießen dann Angehörige der Steppennomaden vor. Die Pest – oder auch eine andere, unbekannte Krankheit – könnte den Einwanderern durch Händler vorausgegangen sein, oder mit der Einwanderungswelle selbst gekommen sein, genetische Spuren des Pesterregers hätten sich in Skeletten in der Herkunftsregion der Steppennomaden gefunden. Für die Neolithiker Europas könnte der Erreger der Pest völlig neu und ungewohnt gewesen sein, eine Übertragung von Mensch zu Mensch könnte die schnelle Entvölkerung zuvor bewohnter Siedlungen erklären. Auch andere Ursachen wie klimatische Veränderungen oder Missernten und folgende kriegerische Auseinandersetzungen können ihm zufolge für den Zusammenbruch neolithischer Gesellschaften der Jungsteinzeit verantwortlich sein, eine klare Ursache ist nicht beweisbar. Er hält das Szenario eines krankheitsbedingten Massensterbens dennoch für plausibel, der Mangel an Grabfunden aus der Zeit könnte damit zusammen hängen, dass Opfer nicht mehr begraben werden konnten und an der Erdoberfläche verrotteten[17]. Auffallend ist, dass offenbar nur wenige Frauen mit den Steppennomaden kamen, genetisch nachweisbar sei, dass einwandernde Männer sich stattdessen mit bereits ansässigen Frauen aus den vorherigen Populationen vermischt hätten[18]. Am geringsten ist der genetische Anteil jener Steppenpopulationen in Südeuropa, insbesondere in Spanien haben sich hinter der Pyrenäengrenze ältere genetische Muster gehalten, Völker wie Sarden oder Basken weisen unter Europäern am wenigsten die Gene der Einwanderer auf[19]. Generell lässt sich eine grobe Unterscheidung treffen: in Südeuropa (Südfrankreich, Spanien, Italien und auf dem südlichen Balkan) überwiegen die Gene der neolithischen Ackerbauern, im Norden jedoch die der Steppennomaden.[20] Kulturell wandelten sich die Nomaden und übernahmen die vorwiegend sesshafte landwirtschaftliche Lebensweise ihrer Vorgänger, deren Männer sie genetisch überwiegend verdrängt hatten. Allerdings hielten sie in weitaus größerem Umfang Rinder: Milchwirtschaft wurde ein wichtiger Bestandteil der Nahrungsproduktion[21]. Die Kultur der Schnurkeramiker geht auf die einwandernden Nomaden zurück, die sich an eine neue Umgebung und Lebensweise anpassten. Die in ihren Gräbern gefundenen Streitäxte deuten darauf hin, dass sie kriegerisch auftraten.[22]

Seit 5900/5800 v. Chr., wurden die Küsten des westlichen Mittelmeers von Bauern besiedelt. Von hier aus erreichten bestimmte Kulturpflanzen und -merkmale auch die Gebiete nördlich der Alpen.

Im Raum von Nordsee, Ostsee und Südskandinavien lebten Bauern neben Jägern und Sammlern; die für Landwirtschaft klimatisch schwierigen, aber für Wildbeuter und Fischer günstigen Küsten- und Waldgebiete verhinderten ihre Verdrängung. Das ermöglichte die Herausbildung der Trichterbecherkultur, deren Angehörige in relativ hohem Maße Nachfahren der lokalen Wildbeuter waren, deren DNA bis heute in Nordeuropa verhältnismäßig stark vertreten ist. Sie übernahmen Kenntnisse der Bauern, mit denen sie sich vermischten und entwickelten eigene Techniken, wie die Verwendung des Rades und von Ochsen als Zugtiere für Pflüge. Dies erst ermöglichte die Urbarmachung weiter und vorher als ungeeignet angesehener Gebiete für die Landwirtschaft, denn nun konnten Wurzeln gefällter Bäume aus dem Boden gezogen und große Äcker bestellt werden.[23]

In der nordeuropäischen Tiefebene, in Skandinavien und auf den Britischen Inseln begann sich die Neolithisierung erst nach 4500 v. Chr. durchzusetzen; ihr Höhepunkt um 1300 v. Chr. wurde mit der letzten und beeindruckendsten der ungefähr sieben Bauversionen des Megalithmonuments von Stonehenge erreicht (wahrscheinlich durch Gruppen, die Viehhaltung, Jagd- und Sammelwirtschaft betrieben). Unter Umständen entwickelte diese Kultur während dieser Zeit eigenständig die Herstellung von Bronze (s. die naheliegende Zinnmine Cornwalls), trug insofern also ggf. selbst zum Ausklang des Neolithikums in Europa bei.

Die einwandernden Träger der Gene der Jamnaja-Kultur ersetzten die Erbauer von Stonehenge, nutzten die Bauten aber weiterhin. Ihr Anteil an der britischen Bevölkerung ist sogar besonders stark: während in Deutschland etwa 70 % der „genetischen Struktur“ durch Steppengene verändert wurden, waren es auf den britischen Inseln über 90 %.[24] Während bei den Schnurkeramikern die Kultur eng mit identifizierbaren Genen der einwandernden Steppennomaden und damit mit untereinander verwandten Populationen verbunden ist, gilt dies für die Glockenbecherkultur erstaunlicherweise nicht: Diese breitete sich sowohl auf den von Steppengenen geprägten britischen Inseln aus, wie auch im von den älteren, anatolischen Neolithikern besiedelten und von den Steppengenen kaum berührten Spanien aus,- ein Hinweis, dass Kultur nicht allein von genetisch verwandten Populationen verbreitet wurde, sondern auch durch Lernprozesse zwischen nicht eng verwandten Populationen.[25]

Isoliertes Entstehungszentrum im Alpenvorland?

Wie frühe Ackerbauspuren im Alpenvorland zu bewerten sind, die bereits auf ca. 6900 v. Chr. datiert werden, ist für nicht wenige Archäologen rätselhaft, da die sicher fassbaren neolithischen Kulturen damals noch auf den Orient und das östliche Mittelmeer beschränkt waren. Läge von dieser Seite her kein Einfluss vor, ließe sich demnach ein weiterer Fall einer unabhängigen Entstehung von Sesshaftigkeit, großvolumiger Vorratshaltung und Pflanzenanbau durch einheimische Europäer konstatieren. Gleiches ist annehmbar für die nachgewiesene Neolithisierungen weit entfernter Weltgegegenden, so in bestimmten Gebieten Chinas sowie Mittelamerikas.

Nordafrika

Archäologische Belege deuten darauf, dass der Übergang vom Jagen und Sammeln zur Landwirtschaft im Nordwesten Afrikas vor etwa 7.400 Jahren stattfand. Die Landwirtschaft wurde durch neolithische Einwanderer aus Europa (Spanien) eingeführt. Als Forscher Genome menschlicher Überreste, die in Marokko und im Nordwesten Afrikas geborgen wurden, analysierten, stellten sie fest, dass die lokale Jäger- und Sammlerpopulation seit mindestens 8.000 Jahren isoliert war. Die Forscher entdeckten eine genetische Abstammung im Zusammenhang mit europäischen Bauern, die auf etwa 5500 v. Chr. datiert wird. Die beiden Gruppen lebten mindestens ein Jahrtausend Seite an Seite. 4300 v. Chr. kamen dann Nomaden aus der Levante in die Region.[26]

Literatur

  • Pablo Arias: The origins of the Neolithic along the Atlantic coast of continental Europe: a survey In: Journal of World Prehistory. Band 13, Nr. 4, 1999, S. 403–464 (PDF).
  • Detlef Gronenborn, Jörg Petrasch (Hrsg.): Die Neolithisierung Mitteleuropas. Verlag Schnell + Steiner, Regensburg 2010, ISBN 978-3-7954-2424-4.
  • Eszter Bánffy: The 6th Millennium BC boundary in western Transdanubia and its role in the Central European Neolithic transition (the Szentgyörgyvölgy-Pityerdomb settlement). Varia Arch. Hungarica. Band 15. Budapest 2004, ISBN 963-7391-85-1.
  • Marion Benz: Die Neolithisierung im Vorderen Orient. Ex oriente, Berlin 2000, ISBN 3-9804241-6-2.
  • Detlef Gronenborn: Überlegungen zur Ausbreitung der bäuerlichen Wirtschaft in Mitteleuropa – Versuch einer kulturhistorischen Interpretation ältestbandkeramischer Silexinventare. In: Praehistorische Zeitschrift 69. Berlin 1994, ISSN 0079-4848, S. 135–151.
  • Ian Hodder: The Domestication of Europe. Blackwell, Oxford 1990, ISBN 0-631-17769-8.
  • Silviane Scharl: Die Neolithisierung Europas. Ausgewählte Modelle und Hypothesen. Marie Leidorf, Rahden Westf 2004, ISBN 3-89646-072-2.
  • Wolf-Dieter Steinmetz: Die Bedeutung Südosteuropas für die Neolithisierung in Mitteleuropa In: Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte Bd. 52/1983 Lax Hildesheim
  • Andreas Tillmann: Kontinuität oder Diskontinuität? Zur Frage einer bandkeramischen Landnahme im südlichen Mitteleuropa. In: Archäologische Informationen 16. Bonn 1993, ISSN 0341-2873, S. 157–187.
  • Brigitte Volkhausen: Ethnographische Parallelen und Vergleiche zum Prozess der Neolithisierung. P. Lang, Frankfurt/M. 1994, ISBN 3-631-47112-2.
  • Hans-Peter Uerpmann: Von Wildbeutern zu Ackerbauern – Die Neolithische Revolution der menschlichen Subsistenz. (PDF; 1,3 MB) In: Mitteilungen der Gesellschaft für Urgeschichte 16. 2007, S. 55–74, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 19. September 2011;.

Einzelnachweise

  1. a b c d e f Archaeologie online: Klima war der Schlüsselfaktor bei der Ausbreitung der ersten Bauern in Europa. University of Roehampton / AB, 20. Juli 2020, online abgerufen am 23. August 2024.
  2. Marion Benz: Die Neolithisierung im Vorderen Orient. Ex oriente, Zweite, kaum veränderte Auflage, Berlin 2008, ISBN 3-9804241-6-2. pdf-Version, S. 13, 25–27, 63, 105–110, 136, 146.
  3. a b Österreichische Akademie der Wissenschaften: Auf den Spuren der Sesshaftwerdung des Menschen. Online Lecture zu einem Vortrag von Barbara Horejs vom 8. März 2021, online abgerufen am 23. August 2024.
  4. a b c d e Nina Diezemann: Auf der Balkanroute des Neolithikums: Wolfram Schier über die Verbreitung von Ackerbau und Viehzucht. Artikel vom 26. Mai 2016 in migration.hypotheses.org. online abgerufen am 23. August 2024.
  5. Hans Jürgen Beier: „Wandern oder nicht Wandern – das ist hier die Frage“ Einige theoretische Überlegungen zur Möglichkeit des Nachweises eines archäologischen Wunschtraumes, in: AG Neolithikum: Mobilität und Migration im europäischen Neolithikum. 78. Jahrestagung des West- und Süddeutschen Verbandes für Altertumsforschung e. V. vom 8.–9. Juni 2006 in Xanten, PDF abgerufen am 23. August 2024, S. 1–2.
  6. a b David Graeber, David Wengrow: Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit. Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm, Henning Dedekind und Andreas Thomsen, 4. Auflage, Klett-Cotta, Stuttgart 2022, ISBN 978-3-608-98508-5, S. 285–287.
  7. David Graeber, David Wengrow: Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit. Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm, Henning Dedekind und Andreas Thomsen, 4. Auflage, Klett-Cotta, Stuttgart 2022, ISBN 978-3-608-98508-5, S. 286–288
  8. Lia Betti, Robert M. Beyer, Eppie R. Jones, Anders Eriksson, Francesca Tassi, Veronika Siska, Michela Leonardi, Pierpaolo Maisano Delser, Lily K. Bentley, Philip R. Nigst, Jay T. Stock, Ron Pinhasi, Andrea Manica: Climate shaped how Neolithic farmers and European hunter-gatherers interacted after a major slowdown from 6,100 bce to 4,500 bce. In: Nature Human Behaviour. Band 4, Nr. 10, 6. Juli 2020, ISSN 2397-3374, S. 1004–1010, doi:10.1038/s41562-020-0897-7 (nature.com [abgerufen am 10. Dezember 2024]).
  9. Johannes Krause: Die Reise unserer Gene: eine Geschichte über uns und unsere Vorfahren. 7. Auflage. Propyläen, Berlin 2019, ISBN 978-3-549-10002-8, S. 101 f.
  10. Harald Meller: Krieg im europäischen Neolithikum. In: Harald Meller (Hrsg.): Krieg - eine archäologische Spurensuche: Begleitband zur Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale); 6. November 2015 bis 22. Mai 2016. Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle (Saale) 2015, ISBN 978-3-8062-3172-4, S. 115.
  11. M. Zvelebil: The social context of the agricultural transition in Europe. In: C. Renfrew, K. Boyle (Hrsg.): Archaeogenetics: DNA and the population prehistory of Europe. 2000. S. 57–59.
  12. Martin Richards: The Neolithic transition in Europe: archaeological models and genetic evidence. In: Documenta Praehistorica. Band 30, 1. Januar 2003, ISSN 1854-2492, S. 159–167, doi:10.4312/dp.30.10 (uni-lj.si [abgerufen am 11. Dezember 2024]).
  13. B. Bramanti u. a.: Genetic Discontinuity Between Local Hunter-Gatherers and Central Europe’s First Farmers. In: Science. Band 326, Nr. 5949, 2. Oktober 2009, S. 137–140, doi:10.1126/science.1176869, PMID 19729620.
  14. Johannes Gutenberg University Mainz: Central Europe was repopulated 7,500 years ago | Press and Public Relations. 3. September 2009, abgerufen am 11. Dezember 2024 (amerikanisches Englisch).
  15. Johannes Krause: Die Reise unserer Gene. 7. Auflage. Propyläen, Berlin 2019, ISBN 978-3-549-10002-8, S. 114 ff.
  16. Johannes Krause: Die Reise unserer Gene. 7. Auflage. Propyläen, Berlin 2019, ISBN 978-3-549-10002-8, S. 120
  17. Johannes Krause: Die Reise unserer Gene. 7. Auflage. Propyläen, Berlin 2019, ISBN 978-3-549-10002-8, S. 183 ff.
  18. Johannes Krause: Die Reise unserer Gene. 7. Auflage. Propyläen, Berlin 2019, ISBN 978-3-549-10002-8, S. 128 ff.
  19. Johannes Krause: Die Reise unserer Gene. 7. Auflage. Propyläen, Berlin 2019, ISBN 978-3-549-10002-8, S. 121
  20. Johannes Krause: Die Reise unserer Gene. 7. Auflage. Propyläen, Berlin 2019, ISBN 978-3-549-10002-8, S. 122
  21. Johannes Krause: Die Reise unserer Gene. 7. Auflage. Propyläen, Berlin 2019, ISBN 978-3-549-10002-8, S. 153 f.,156 ff., 128 ff.
  22. Johannes Krause: Die Reise unserer Gene. 7. Auflage. Propyläen, Berlin 2019, ISBN 978-3-549-10002-8, S. 122
  23. Johannes Krause: Die Reise unserer Gene: eine Geschichte über uns und unsere Vorfahren. 7. Auflage. Propyläen, Berlin 2019, ISBN 978-3-549-10002-8, S. 102 ff.
  24. Johannes Krause: Die Reise unserer Gene. 7. Auflage. Propyläen, Berlin 2019, ISBN 978-3-549-10002-8, S. 121
  25. Johannes Krause: Die Reise unserer Gene. 7. Auflage. Propyläen, Berlin 2019, ISBN 978-3-549-10002-8, S. 124
  26. Simões, L.G., Günther, T., Martínez-Sánchez, R.M. et al.: Northwest African Neolithic initiated by migrants from Iberia and Levant. In: Nature. Nr. 618, 2023, S. 550–556, doi:10.1038/s41586-023-06166-6.

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Eine 11 Mann starke Gruppe von Kämpfern (links) im Konflikt mit einer fremden Partei (rechts), die von der Menge her ungefähr doppelt so stark ist, vermutlich aber nicht den sich in dieser Höhlenzeichnung selbst verewigt habenden Sieger der neolithischen Auseinandersetzung darstellt.
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