Negermusik
Negermusik ist ein abwertender Ausdruck für die insbesondere von Afroamerikanern geprägten Musikstile wie Blues und Jazz. In Anlehnung daran wurde in den 1950er Jahren auch Rock ’n’ Roll noch so bezeichnet. Seltener wurde der Ausdruck auch für die einheimischen Musikstile der Schwarzafrikaner verwendet.
Nationalsozialismus
In Deutschland wurde zur Zeit der Weimarer Republik bereits 1927 Ernst Kreneks Oper Jonny spielt auf, die musikalische Anleihen aus dem Jazz enthielt, durch entsprechende Protestaktionen aus dem völkisch-nationalistischen Umfeld zum Skandalstück gemacht. Der amerikanische Musiker Henry Cowell interpretierte 1930 in der Zeitschrift Melos den Jazz als Mischung aus afroamerikanischen und jüdischen Elementen: „Die Grundlagen des Jazz sind die Synkopen und rhythmischen Akzente der Neger. Ihre Modernisierung ist das Werk von New Yorker Juden […] Jazz ist also Negermusik gesehen durch die Augen dieser Juden.“[1] Solche Sichtweisen wurden von den Nationalsozialisten aufgegriffen. Herbert Gerigk fasste 1938 zusammen, dass „der neue Rhythmus“ abgelehnt wurde, „die sinnlose Anwendung der Synkope und vor allem der jüdische industrialisierte Jahrmarktskram, der aufgepropft wurde“ und „schließlich alles, was einmal mit den typischen Kapellen negroider Haltung zusammenhing: das Saxophon, die gestopften Blasinstrumente, die Gliederverrenkungen der Spieler, der heisere, bellende Refraingesang usw.“[2] Max Merz behauptete 1940, im Jazz trete „die Sucht des Sprengens der Form als Versuch einer Zersetzung der sich auswirkenden rasse- und artgebundenen Kräfte zutage“. Zum „artbedingten Musizieren irgendeines europäischen Volkes der weißen Rasse“ habe der Jazz „nicht die geringste Beziehung“.[3] Für Carl Hannemann war der Jazz 1943 ein „politisches Kampfmittel des Judentums im Dienste der Internationale.“[4] Bereits 1930 veröffentlichte der thüringische Volksbildungs- und Innenminister, der Nationalsozialist Wilhelm Frick, einen Erlass wider die Negerkultur für deutsches Volkstum.[5]
1932 wurde von der Reichsregierung unter Franz von Papen ein Auftrittsverbot für schwarze Musiker veranlasst und 1935 vom Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky das „endgültige Verbot des Niggerjazz für den ganzen deutschen Rundfunk“ erlassen.[6]
Die 1938 von den Nationalsozialisten veranstaltete Ausstellung Entartete Musik setzte mit dem Titelblatt der zugehörigen Broschüre, das eine gehässige Karikatur eines saxophonspielenden Schwarzen zeigte, die pauschale rassistische Diffamierung der zeitgenössischen US-amerikanischen Musik als „Negermusik“ ins Bild.[7]
Nachkriegszeit
Seitdem die rassistisch abwertende und verletzende Dimension des Begriffs „Neger“ in den 1950er und 1960er Jahren herausgearbeitet wurde, stehen Bezeichnungen, die den Begriff enthalten, den Konventionen eines antidiskriminierenden Sprachgebrauchs entgegen.[8] Noch in den 1950er Jahren wurde vor allem von Kirchen, Schulbehörden und Politikern vor der „obszönen Negermusik“ gewarnt, als der Rock ’n’ Roll vor allem in der Jugend Popularität erlangte.[9] Bei dieser auch noch bis in die 1960er Jahre fortdauernden Verwendung des abwertenden Begriffs, der nun auf die zeitgenössische Blues-[10] und Rockmusik bezogen wurde, kamen nicht nur beibehaltene rassistische Ressentiments, sondern in der „aggressiven Abwehr der neuen Jugendkultur“ auch der zeitgenössische Generationenkonflikt zum Vorschein.[11]
Literatur
- Nanny Drechsler: Die Funktion der Musik im deutschen Rundfunk 1933–1945. Centaurus, Pfaffenweiler 1988, ISBN 3-89085-169-X (Dissertation an der Universität Freiburg).
- Bernd Polster: „Swing Heil“, Jazz im Nationalsozialismus. Transit, Berlin 1989, ISBN 3-88747-050-8.
- Heribert Schröder: Zur Kontinuität nationalsozialistischer Maßnahmen gegen Jazz und Swing in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. In: Ders. (Hrsg.): Colloquium: Festschrift Martin Vogel zum 65. Geburtstag. Schröder, Bad Honnef 1988, ISBN 3-926196-08-4.
- Robert Stevenson: The Afro-American Musical Legacy to 1800. In: The Musical Quarterly. Jg. 54, Nr. 4 (Oktober 1968), S. 475–502. JSTOR:741070
- Joseph Wulf: Musik im Dritten Reich: Eine Dokumentation. Mohn, Gütersloh 1963, ISBN 3-550-07059-4.
Weblinks
- Martin Lücke: Jazz in totalitären Diktaturen der 30er Jahre (PDF; 133 kB)
- Thomas Zippo Zimmermann: Jazz im Dritten Reich
- Pressemitteilung des Rundfunkmuseums Fürth „Jazz im Dritten Reich“ (PDF; 7 kB)
Einzelnachweise
- ↑ Zit. nach Bernd Polster: „Swing Heil“, Jazz im Nationalsozialismus. Berlin 1989, S. 9.
- ↑ Herbert Gerigk: Was ist Jazzmusik? In: Die Musik Juli 1938, S. 680, zit. nach Joseph Wulf: Musik im Dritten Reich – Eine Dokumentation. Sigbert Mohn, Gütersloh 1963, S. 350.
- ↑ Max Merz: Deutsches Volkstum und der Jazz. In: Musik in Jugend und Volk 1940, S. 56, zit. nach Joseph Wulf: Musik im Dritten Reich – Eine Dokumentation. Sigbert Mohn, Gütersloh 1963, S. 352, 353.
- ↑ Carl Hannemann: Der Jazz als politisches Kampfmittel des Judentums und des Amerikanismus. In: Musik in Jugend und Volk 1943, S. 57–59, zit. nach Joseph Wulf: Musik im Dritten Reich – Eine Dokumentation. Sigbert Mohn, Gütersloh 1963, S. 354.
- ↑ Heribert Schröder: Zur Kontinuität nationalsozialistischer Maßnahmen gegen Jazz und Swing in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Bad Honnef 1988, S. 176.
- ↑ Heribert Schröder: Zur Kontinuität nationalsozialistischer Maßnahmen gegen Jazz und Swing in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Bad Honnef 1988, S. 179.
- ↑ Marko Ikonic, Michael Boldhaus: Im Dritten Reich verboten – Entartete Musik, Folge 1. Auf cinemusic.de vom 18. April 2003.
- ↑ Grada Kilomba: Das N-Wort | bpb. Abgerufen am 19. September 2019.
- ↑ Martin Schäfer: Millionen von Elvis-Fans können sich nicht irren ( vom 24. Dezember 2012 im Internet Archive) (PDF; 26 kB). In: Gazette, Medienmagazin des SSM, ZDB-ID 2075992-7.
- ↑ Vgl. etwa Marc Spitz: Jagger. Rebel, Rock Star, Ramble, Rogue. 2011 (Gewidmet Brendan Mullen); deutsch: Mick Jagger. Rebell und Rockstar. Aus dem Amerikanischen von Sonja Kerkhoffs. Edel Germany, Hamburg 2012, ISBN 978-3-8419-0122-4, S. 61 und 90.
- ↑ Hubert Kleinert: Mythos 1968. Auf bbp vom 19. März 2008.