Nashornkäfer

Nashornkäfer

Nashornkäfer (Oryctes nasicornis), Männchen

Systematik
Ordnung:Käfer (Coleoptera)
Unterordnung:Polyphaga
Familie:Blatthornkäfer (Scarabaeidae)
Unterfamilie:Riesenkäfer (Dynastinae)
Gattung:Oryctes
Art:Nashornkäfer
Wissenschaftlicher Name
Oryctes nasicornis
(Linnaeus, 1758)

Der Nashornkäfer (Oryctes nasicornis) ist ein Käfer aus der Familie der Blatthornkäfer (Scarabaeidae).

Beschreibung

Der Käfer ist zwischen 20 und 40 Millimeter lang, walzenförmig und schwarz oder dunkelbraun gefärbt, oft mit kastanienbraunen Flügeldecken. Die Körperoberfläche, vor allem die der Flügeldecken, ist glatt und glänzend; die Flügeldecken tragen sehr feine Punktreihen. Während die Oberseite kahl ist, ist die Unterseite sehr auffallend abstehend fuchsrot behaart. Der Kopf trägt Fühler mit der für die Familie charakteristischen dreigliedrigen Fühlerkeule, die Oberkiefer (Mandibeln) sind blattartig verbreitert und von oben her gut sichtbar, der Kopf ist zwischen ihnen dreieckig verschmälert. Die Schienen (Tibia) aller drei Beinpaare sind zu Grabbeinen umgestaltet; sie sind etwas abgeflacht und verbreitert und außen grob gezähnt.

Das charakteristische Horn, dem die Art ihren Namen verdankt, sitzt auf der Oberseite des Kopfes. Es ist nur beim Männchen lang und gebogen; das Weibchen trägt an gleicher Stelle nur ein kurzes Horn oder einen Höcker. Auch der Halsschild ist zwischen den Geschlechtern sehr verschieden gebaut. Beim Männchen trägt er in der hinteren Hälfte eine leistenförmige Erhebung, die in der Mitte zu drei deutlichen Höckern aufgebogen ist. Beim Weibchen fehlen diese Höcker, der Halsschild trägt vorne einen undeutlich begrenzten Eindruck. Wie bei vielen hörnertragenden Käfern kommen nicht selten „weibchenförmige“ Männchen ohne Horn vor (meist kleine Tiere), diese sind von den Weibchen dadurch unterscheidbar, dass das Pygidium (das ist das oben liegende Sklerit des letzten Hinterleibssegments, das die Flügeldecken nach hinten überragt und nicht von diesen bedeckt ist), bei ihnen kahl ist, bei den Weibchen behaart.

Die Larven haben die typische Engerlingsgestalt der Blatthornkäferlarven, es sind sehr große weißlich gefärbte, walzenförmige Larven, die bauchwärts C-förmig eingekrümmt sind. Am Vorderende sind die hellbraune Kopfkapsel und drei relativ lange, braun gefärbte Beinpaare erkennbar. Die Körperoberfläche ist segmentiert und zusätzlich in abgesetzte Ringel (Plicae) gegliedert; sie trägt kleine, braun gefärbte Sklerite.

Lebensweise

Weibchen des Nashornkäfers – Seitenansicht
Unterseite
Nashornkäferlarven

Ursprünglicher Lebensraum der Art ist stark zersetzter, weicher Holz-Mulm, wie er sich im Inneren von abgestorbenen Baumstämmen oder dickeren Ästen alter Laubbäume ansammelt. In den Urwäldern Europas ohne menschlichen Einfluss war solcher Mulm weit verbreitet, eine Vielzahl von Käferarten sind darauf spezialisiert. Während aber zahlreiche Mulmkäfer heute als „Urwaldrelikte“ sehr selten, oft vom Aussterben bedroht sind, ist dem Nashornkäfer der Übergang auf neue, vom Menschen gemachte Substrate gelungen. Die Art ist deshalb in Mitteleuropa nicht mehr selten und fast überall zu finden, sie scheint sich sogar weiter auszubreiten. Im ursprünglichen Lebensraum Holzmulm ist der Nashornkäfer hingegen extrem selten zu finden, möglicherweise kam er hier in Mitteleuropa gar nicht ursprünglich vor, sondern ist erst von Süden her zugewandert.[1] Auch in Südeuropa sind Nachweise aus Baumhöhlen selten, z. B. wurde er hier in Alteichen in einem italienischen Park gefunden.[2]

Erstes menschengemachtes Substrat war offensichtlich Eichenlohe als Rückstand der Gerberei.[3] Heute wird die Art regelmäßig und auch in großen Mengen in Sägemehlhaufen an Sägewerken und anderen holzverarbeitenden Betrieben und in Haufen von Rindenmulch gefunden[4], aber auch in gewöhnlichen Komposthaufen in Gärten und Kleingärten, sofern in ihnen genug faseriges Material abgelagert wurde. Das muss nicht unbedingt Holz sein. Bei einer belgischen Untersuchung war das beste Wachstum in relativ frischem, aber mit Weißfäulepilzen besiedeltem Material zu beobachten[5], während stärker zersetztes Material weniger und kleinere Käfer lieferte.

Der Nashornkäfer hat, wie alle verwandten Arten, drei Larvenstadien. Danach verpuppen sich die Larven in hühnereigroßen Kokons aus Lehm und Sägemehl. Die Ernährung der adulten Tiere ist bisher nicht ganz geklärt. Wenn sie in ihrem kurzen Leben überhaupt Nahrung aufnehmen, ernähren sie sich vermutlich von Baumsäften.

Die adulten Käfermännchen nutzen das auffallende Kopfhorn tatsächlich Nashorn-artig bei Kämpfen gegeneinander um Weibchen. Wie bei verwandten Arten, ist davon auszugehen, dass kleine Männchen hornlos bleiben, um sich gegenüber überlegenen Männchen als Weibchen zu „tarnen“. Sie können sich dadurch unbemerkt in die Nähe der Weibchen schmuggeln.[6] Direkte Nachweise dafür beim Nashornkäfer selbst stehen allerdings noch aus.

Verdauung von Zellulosefasern durch die Larve

Larven des Nashornkäfers ernähren sich von Holz- und anderen Pflanzenfasern, die weit überwiegend aus Zellulose (und Hemicellulose) bestehen. Dieses Material ist bekanntlich von fast allen Tierarten nur schwer verdaulich. Bei Versuchen war es möglich, Nashornkäferlarven bei ausschließlicher Gabe von Filterpapier über Wochen am Leben zu halten. Die Tiere müssen also in der Lage sein, die Zellulosefasern tatsächlich zu verdauen. Im Darm von Nashornkäferlarven konnten allerdings überhaupt keine zellulose-abbauenden Enzyme (Cellulasen) gefunden werden. Die Zellulose wird erst im Enddarm abgebaut, der eine Gärkammer (ähnlich dem Pansen der Wiederkäuer) bildet.[7] Die chemischen Bindungen der Zellulosemoleküle werden letztlich hier durch symbiotische Bakterienarten aufgeschlossen. Das findet unter strikt anaeroben Bedingungen und in alkalischem Milieu statt. Dabei wird Methan als Abbauprodukt freigesetzt.[8] Wichtigste Proteinquelle der Käfer sind die Mikroorganismen selbst, die zum Teil verdaut werden.[9]

Verbreitung

Das Verbreitungsgebiet umfasst Mittel- und Südeuropa bis Südskandinavien und Baltikum, Nordafrika nördlich der Sahara, die Kanarischen Inseln und Teile Zentral- und Ostasiens, östlich bis zum indischen Himalaya.[10] Innerhalb des sehr großen Areals werden eine Reihe von Unterarten unterschieden. Insgesamt sind 19 Unterarten beschrieben worden, deren Definition und Abgrenzung gegeneinander aber in vielen Fällen fraglich ist. Meist wird die Unterart gar nicht angegeben. Die Unterart prolixus, ein Endemit der Kanarischen Inseln, wird gelegentlich als eigenständige Art aufgefasst. In Mitteleuropa ist die Typusunterart Oryctus nasicornis nasicornis verbreitet, im östlichen Mitteleuropa (Slowakei und Polen) kommen aber bereits die (umstrittenen) Unterarten holdhausi und polonicus vor. In Norditalien lebt die Unterart corniculatus (syn. laevigatus[11]). Weitere Unterarten sind für das Mittelmeergebiet angegeben.[12] Nach Nordeuropa, insbesondere Skandinavien, ist die Art erst in historischer Zeit eingewandert.[1] Sie fehlt bis heute in Großbritannien.

In Südostasien kommen andere Arten der Gattung vor, die teilweise als Schädlinge an genutzten Palmenarten erbittert bekämpft werden.[13] Gelegentlich in der Presse oder im Internet zu findende Falschmeldungen über ein Vorkommen im tropischen Ostasien, z. B. in Thailand, beziehen sich auf diese Arten. Der Nashornkäfer selbst ist ökonomisch bedeutungslos. Es wird sogar empfohlen, sein Vorkommen in Komposthaufen für eine bessere Rotte zu fördern oder ihn dort gezielt anzusiedeln.[14]

Feinde

Dolchwespen-Arten sind teilweise auf Nashornkäferlarven als Beute spezialisiert. Die Wespe legt ein Ei auf der Larve ab, die sich entwickelnde Wespenlarve frisst daran von außen, sie tötet dabei letztlich die Käferlarve ab (idiobionter Parasitoid). Als spezialisierter Parasitoid von Nashornkäferlarven bekannt geworden ist die Gelbköpfige Dolchwespe[15][16]

Gesetzlicher Schutz

Der Nashornkäfer ist in Deutschland durch Aufnahme in die Bundesartenschutzverordnung eine besonders geschützte Tierart (§ 1 Satz 1 i. V. m. Anlage 1 BArtSchV). Nach § 44 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) ist es danach verboten, „sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören“ (§ 44 Abs. 1 BNatSchG). Außerdem dürfen ihre „Fortpflanzungs- oder Ruhestätten“ nicht beschädigt oder zerstört werden; es ist außerdem verboten, sie zu kaufen, zu verkaufen oder in Besitz zu nehmen. Von den Vorschriften kann die Untere Naturschutzbehörde auf Antrag Ausnahmen zulassen (§ 45 BNatSchG). Ein besonderer Schutz der Tiere in Planungs- oder Zulassungsverfahren ist damit allerdings nicht verbunden.

In der Schweiz ist der Nashornkäfer geschützt nach Artikel 20 der Verordnung über den Natur- und Heimatschutz, er ist hier in die Liste der geschützten Tiere (Anhang 3) aufgenommen.[17]

Fossiler Nachweis

Subfossile Reste der Art wurden bei der archäologischen Erfassung des Stralsunder Rathauses gefunden. Hier wurde ca. 1390 Gerberlohe als Füllmaterial in Gewölbekappen eingebaut, die zahlreiche Käferreste enthielt.[18] Dies ist deshalb bedeutsam, weil das mittelalterliche Vorkommen der Art in Norddeutschland oft bezweifelt wurde, z. B., weil kein echter Volksname der auffallenden Art überliefert ist.[3]

Fossile Käfer, die der rezenten Art zugeordnet wurden, sind in Deutschland in pliozänen Sedimenten (Tongrube Willershausen, Südniedersachsen) gefunden worden[19]

Literatur

  • Johann W. Machatschke: Familienreihe Lamellicornia, Familie Scarabaeidae. In: Heinz Freude, Klaus Koch, Karl Wilhelm Harde, Gustav Adolf Lohse (Hrsg.): Die Käfer Mitteleuropas. Band 8: Teredilia, Heteromera, Lamellicornia. Goecke und Evers, Krefeld 1969, ISBN 3-87263-018-0.
  • Hans Henschel: Der Nashornkäfer. (= Die Neue Brehm-Bücherei. Band 301). 2. Auflage, Westarp Wissenschaft-Verlagsgesellschaft, Hohenwarsleben 2003, ISBN 3-89432-239-X (Nachdruck der Erstausgabe von 1962).
  • Bernhard Klausnitzer: Käfer. Nikol, Hamburg 2005, ISBN 3-937872-15-9.
  • Jiři Zahradník, Irmgard Jung, Dieter Jung et al.: Käfer Mittel- und Nordwesteuropas. Parey, Berlin 1985, ISBN 3-490-27118-1.

Einzelnachweise

  1. a b Hans Henschel: Der Nashornkäfer. (= Die Neue Brehm-Bücherei. Band 301). 2. Auflage, Westarp Wissenschaft-Verlagsgesellschaft, Hohenwarsleben 2003, ISBN 3-89432-239-X (Nachdruck der Erstausgabe von 1962).
  2. Giuseppe Maria Carpaneto, Adriano Mazziotta, Giorgia Coletti, Luca Luiselli, Paolo Audisio (2010): Conflict between insect conservation and public safety: the case study of a saproxylic beetle (Osmoderma eremita) in urban parks. Journal of Insect Conservation 14: 555–565. doi:10.1007/s10841-010-9283-5
  3. a b Paul Minck (1916): Der Einfluß der Kultur auf die Daseinsbedingungen des Nashornkäfers (Oryctes nasicornis L.) in Deutschland. Archiv für Naturgeschichte 82(5): 147-163.
  4. Peter Helmstetter: Nashornkäfer auf Reisen: Umsiedlungsaktion in Mittelfranken. LWF aktuell 47 (2004), S. 26. PDF
  5. Paul Hendriks (2007): Ontwikkeling van de neushoornkever, Oryctes nasicornis (Coleoptera: Scarabaeidae), in verschillende soorten organisch materiaal. Entomologische Berichten 67 (1-2): 53-57.
  6. William G. Eberhard (1982): Beetle horn dimorphism: making the best of a bad lot. American Naturalist 119(3): 420-426.
  7. Colette Bayon, Jocelyne Mathelin (1980): Carbohydrate fermentation and by-product absorption studied with labelled cellulose in Oryctes nasicornis larvae (Coleoptera: Scarabaeidae). Journal of Insect Physiology Volume 26, Issue 12: 833–840. doi:10.1016/0022-1910(80)90100-6
  8. Colette Bayon, P. Etiévant(1980): Methanic fermentation in the digestive tract of a xylophagous insect:Oryctes nasicornis L. larva (Coleoptera; Scarabaeidae). Cellular and Molecular Life Sciences Volume 36, Number 2: 154-155. doi:10.1007/BF01953702
  9. M.E. Rössler (1961): Ernährungsphysiologische Untersuchungen an Scarabaeidenlarven (Oryctes nasicornis L., Melolontha melolontha L.). Journal of Insect Physiology Volume 6, Issue 1: 62–74.
  10. K.Chandra & V.P. Uniyal (2007): On a collection of pleurostict Scarabaeidae (Coleoptera) from the Great Himalayan National Park, Himachal Pradesh, India. Zoos Print Journal 22(9): 2821-2823.
  11. Frank-Thorsten Krell (2002): On nomenclature and synonymy of Old World Dynastinae (Coleoptera, Scarabaeidae). Entomologische Blätter 98: 37-46.
  12. vgl. The scarabs of the Levant
  13. Geoffrey O. Bedford (1980): Biology, Ecology, and Control of Palm Rhinoceros Beetles. Annual Review of Entomology Vol. 25: 309-339 doi:10.1146/annurev.en.25.010180.001521
  14. Nashornkäfer - kapitale Helfer im Kompost
  15. G.E. Mach (1940): The Species Composition of the Hosts of the most important European Species of Scoliids. Bulletin of Plant Protection No. 4: 93-101.
  16. Wolfgang Schedl (2006): Die Dolchwespen Südtirols. Gredleriana 6: 343-350.
  17. Anhang 3: Liste der geschützten Tiere
  18. Jörg Ansorge & Peter Frenzel: Paläontologische Untersuchungen an Invertebraten aus archäologischen Grabungen in Mecklenburg-Vorpommern. In: Reitner, Joachim, Reich, Mike und Schmidt, Gabriele (Hrsg.): Geobiologie. 74. Jahrestagung der Paläontologischen Gesellschaft, Göttingen 2. bis 8. Oktober 2004. Kurzfassungen der Vorträge und Poster, S. 43–44.
  19. Frank-Thorsten Krell (2006): Fossil record and evolution of Scarabaeoidea (Coleoptera: Polyphaga). Coleopterists Society Monograph Number 5: 120–143.

Weblinks

Commons: Nashornkäfer – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

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Nashornkäfer; Oryctes nasicornis; Fundort: Italien, Lisanza
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male Oryctes nasicornis from Cologne, Germany. Squares have a length of 5 mm.
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European rhinoceros beetle (Oryctes nasicornis) underside
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Oryctes nasicornis. Genova, Italy