Nalpke

Nordwestecke des Kirchturms von Nalpke, 2021

Nalpke war eine städtische Ansiedlung (Kleinstadt) in der Magdeburger Börde, die vermutlich bis Mitte des 14. Jahrhunderts bewohnt war und heute nur noch als Wüstung existiert.

Die Wüstung Nalpke befindet sich südöstlich von Borne und Bisdorf, nördlich von Atzendorf im heutigen Sachsen-Anhalt. Oberirdisch sichtbar von Nalpke ist lediglich ein Teil der Nordwestecke des einstigen Kirchturms, der als Bodendenkmal geführt wird.[1]

Entstehung und Wachstum

Die erste urkundliche Erwähnung findet sich für das Jahr 1259, als Rudolf von Dingelstädt, der Erzbischof von Magdeburg, dem Domkapitel die Vogtei von 15 Hufen in Nalpke („villa Navelbeke“) schenkt.[2] Verglichen mit den benachbarten Dörfern Borne und Bisdorf, für die erste urkundliche Erwähnungen bereits aus dem Jahr 946 sowie zahlreiche weitere Einträge über die Jahrhunderte vorliegen, finden sich für Nalpke nur wenige historische Quellen. Dabei sind für Borne und Bisdorf ausschließlich Belehnungsurkunden von Flächen für ca. 1–3 Hufen dokumentiert. Insofern wäre die enorme Größe von 15 Hufen, was einer Fläche des Ortes Nalpke (inklusive der Ackerflächen) von ca. 1,5 km² entspricht[3], für eine Ersterwähnung als Gründungsbeleg auffällig groß. Daraus lässt sich folgern, dass Nalpke zu diesem Zeitpunkt schon deutlich länger existiert haben muss. Die Gründung Nalpkes kann nicht exakt datiert werden, jedoch liegt es nahe, dass sich die beiden kleineren Siedlungen Borne und Bisdorf um eine so große Ortschaft eher später entwickelten, Nalpke mithin mindestens vor 946 entstanden sein muss.[4]

Drei weitere Einträge aus den Jahren 1699 bis 1710 stützen die Annahme, dass Nalpke ein für die Region besonders großer Ort gewesen sein muss. So berichtete u. a. der kurfürstliche Kommissar H. F. Hampe damals an die Regierung, dass Nalpke eine kleine Stadt gewesen zu sein scheint. Zu diesem Zeitpunkt ist Nalpke vermutlich schon seit 300 Jahren eine Wüstung und obwohl in Nalpke Häuser massiv abgerissen wurden, um Steine sowie Baumaterial für die umliegenden Orte, wie Borne, Bisdorf oder die Wassermühle in Rothenförde zu verwenden,[5] waren noch immer 80–90 Häuser sichtbar erhalten. Es wird weiter explizit als „Städtgen“ und als „Flecken“ bezeichnet.[6] Letzteres meint eine größere Ansiedelung mit zentralörtlichen Funktionen für die umliegenden Gemeinden, die teilweise mit städtischen Privilegien wie Marktrecht ausgestattet waren, auch teilweise als Minderstadt bezeichnet. Ausgehend von 5,2 Personen in einem durchschnittlichen Haushalt des ländlichen Raumes im Spätmittelalter, ist bei min. 80–90 (noch erhaltenen) Feuerstellen/Häusern schätzungsweise von einer Bevölkerungszahl von mind. 500 Personen, eher deutlich mehr auszugehen.[7] Zudem führte eine enge städtische Besiedelung auch zu einer höheren Bevölkerungsdichte und damit verbundenem Ansteckungsrisiko bei Infektionskrankheiten, was den relativ plötzlichen Untergang im Zuge der seinerzeitigen Pestepidemien plausibel erklären kann.

Wüst-Werdung

Wüstungskarte mit weiteren Orten, die im Laufe der Zeit in der Region untergegangen sind.

Wann Nalpke wüst wurde, kann nicht exakt datiert werden. In den ersten Visitationsprotokollen der Reformationszeit aus den Jahren 1562 bis 1564 wird es bereits nicht mehr erwähnt.[8] Insofern kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass es erst im Zuge des Dreißigjährigen Krieges zerstört wurde.[9]

Nordwestecke des Kirchturms von Nalpke, 1898

Gemäß heute noch kursierenden Erzählungen der örtlichen Bevölkerung seien die Bewohner des Ortes Nalpke einst der Pest zum Opfer gefallen und im Grabhügel „Langes Hoch“ (auch als Hünengrab bezeichnet) (51°56′41.42″ N, 11°33′52.37″ E) bestattet worden. Dies ist jedoch nicht belegt und zudem wenig plausibel. In der Liste der Bodendenkmale wird das Hünengrab zwar als Grabhügel geführt, allerdings als slawische Nachbestattung. 1905 wurden dort Grabungen vorgenommen, bei denen das Skelett eines ca. 10-jährigen Mädchens mit Perlen, jedoch keine weiteren menschlichen Knochen gefunden wurden.[10] Zudem erscheint es wenig nachvollziehbar, weshalb die Pesttoten 1,5 km weit entfernt von Nalpke so nah am Dorfrand von Borne (damals ca. 300–400 m) bestattet worden sein sollen.

Ein Indiz dafür, dass der Ort bereits einer der zahlreichen Pestepidemien des 14. Jahrhunderts zum Opfer fiel, findet sich schließlich in einem Urkundenbucheintrag aus dem Jahr 1370. Dort ist bereits von „campo Nelebeke up der wusten marke“ die Rede, also von einem zu Nalpke gehörenden Feld/Acker auf der wüsten Fläche/Gemarkung.[11] 1348–50 wurde die nahe gelegene Stadt Magdeburg Opfer einer besonders verheerenden, mehrere Monate andauernden Pestwelle.[12] Vor diesem Hintergrund ist nach derzeitigem Forschungsstand spätestens von einer Wüstwerdung zwischen den 1340er und den 1350er Jahren auszugehen.

Geschichtsforschung und Denkmalpflege

Postkarte mit Hünengrab bei Borne
Standort Nalpkes mit Steinbruch sowie des Hünengrabes kurz vor Borne, 1902

Der alte Kirchturm wie auch das Hügelgrab „Langes Hoch“ nahe Nalpke wurden seit dem späten 19. Jahrhundert zunehmend Gegenstand des Interesses regionaler Geschichtsforschung aus Magdeburg und der näheren Umgebung. So kritisierte der Historiker Franz Winter bereits im Jahr 1874, dass im Hügelgrab Steine aus den Grabkammern gesprengt und entwendet sowie Erde abgetragen wurde, um diese anderweitig zu nutzen. 1882 wurde das Hügelgrab archäologisch untersucht, damals aber keine Ergebnisse publiziert.[13]

Im 20. Jahrhundert engagierte sich dann Wolfgang Wanckel, Direktor der Speditions- und Elbschifffahrtskontors AG zu Schönebeck, mit mehreren Briefen an regionale Entscheider für den Erhalt und die Sicherung des Nalpkschen Turmes, der schließlich im Oktober 1931 instand gesetzt wurde. Im Magdeburger Generalanzeiger von 1931 ist dazu zu lesen:

Im Zusammenhang mit der kommenden Jahrtausendfeier der Dörfer Borne und Bisdorf ist auch die Turmruine des vor etwa 600 Jahren wüst gewordenen Dorfes Nalbke (Navelbeke) Gegenstand lebhaften Interesses in den Gemeinden geworden. Die Ruine soll vor weiterem Verfall geschützt werden. Grabungen unter Leitung von cand. theol. Paul Bichtemann förderten bisher das nördliche Fundament der Kirche sowie einen Fußbodenbelag aus Steinplatten zutage. Die Grabungen werden fortgesetzt. Unsere Arbeitslosen haben dankenswerterweise ihre Kraft in den Dienst der Schaffung einer würdigen, mit Buschwerk umpflanzten Grünanlage auf der ehemaligen Kirchhofstätte gestellt.“[14]

Blick aus Richtung des Kirchturms nach Norden, 2020

Der partiell freigelegte Fußbodenbelag der Kirche bestand aus rohen Kalksteinplatten. Da seitdem jedoch keine weiteren Grabungen stattfanden, blieb der Befund bisher fragmentarisch und bedarf weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen bezüglich des Originalzustandes der Kirche.[15]

Mittels Drohnentechnologie wurden inzwischen auch Luftaufnahmen von der näheren Umgebung des Kirchturms gemacht, deren genauere Auswertung jedoch noch aussteht.

Namensbedeutung

Die Schreibweise änderte sich im Laufe der Zeit von Navelbeke, Navelboke, Nalbecke, Nallbecke, Nelebeke, Nalbeke, Nalbeck, Nalbke bis Nalpke sowie Alpke (Volksmund).[16]

Über die Wortbedeutung kann nur spekuliert werden. Im Mittelniederdeutschen kann „navel“ beispielsweise Nabel oder (Rad-)Narbe bedeuten. Das Wort „nalen“ dagegen kann sich „annähern“ oder auch „sich aneignen“ und „sich etwas zu eigen machen“ meinen.

Mit dem Begriff „beck“ kann Schnabel oder Maul gemeint sein. Mit „becken“ dagegen kann wie im Deutschen das Becken gemeint sein.

Die regionale Verbreitung von Steinbrüchen, welche auch für den Ort Nalpke belegt ist, könnte insofern auf die Aneignung oder Nähe eines Steinbruch(beckens) für die Namensgebung hindeuten.[17]

Trivia

Nachtaufnahme des einstigen Kirchturms von Nalpke, 2011

1708 berichtet Pfarrer Prielmeyer von Borne an das Konsistorium in Magdeburg, dass das Kloster Unser Lieben Frauen auch das Patronat über Nalpke, als eines Filials von Borne, gehabt hat:

„Das Domkapitel habe aber vor 100 Jahren Nalpke eingenommen und da Steine zur Rothenföhrischen Wassermühle gebraucht wurden, wovon verschiedene Traditiones herumgehen, was bei Tage von diesen Steinen gebaut, des Nachts wieder eingefallen, deswegen sei der Turm zum Wahrzeichen noch stehen lassen.“[18]

Siehe auch

Weblinks

Commons: Nalpke – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Jochen Roessle: Die Romanischen Dorfkirchen des Magdeburger Landes. Untersuchungen einer Bauform des 12. und 13. Jahrhunderts. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, 2006, S. 88f.
  2. Gustav Hertel: Die Wüstungen im Nordthüringgau. Herausgegeben von der Historischen Commission der Provinz Sachsen. Halle, 1899. Seite: 275. Abgerufen am 12. August 2021 unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:urmel-d1210dc5-1165-4113-816a-01ad7cae88c0.
  3. Berechnung: 1 magdeburger Hufe = 7,65963 Hektar (ha), Quelle: https://preussische-masse.de/alte_masse/alte_masse_feldmasse.html (abgerufen am 14. August 2021).
  4. Den Urkundeneintragungen ist zu entnehmen, dass zu Nalpke gehörende Ackerflächen sich bis vor Bisdorf im Nord-Westen zogen (Vgl. Hertel, Wüstungen im Nordthüringgau, 1899), was darauf schließen lässt, dass diese zuerst da waren und sich Bisdorf erst später an deren Grenzen entwickelt hat. Wären umgekehrt Borne und Bisdorf die älteren Siedlungen gewesen, hätte sich Nalpke sicher eher nach Osten weg entwickelt.
  5. Heinrich Jürgens: Ortsgeschichte von Borne und Bisdorf (Handschrift im Landeshauptarchiv Magdeburg), S. 15.
  6. Hertel: Die Wüstungen im Nordthüringgau,S. 275f. Abgerufen am 12. August 2021 unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:urmel-d1210dc5-1165-4113-816a-01ad7cae88c0.
  7. Sichere Erhebungen zur durchschnittlichen Haushaltsgröße im Mittelalter gibt es nicht. Einige geschichtswissenschaftliche Studien gehen jedoch von min. 3,2 und bis zu 5,6 Personen pro Haushalt aus. Bei Nalpke, das offensichtlich eher eine Kleinstadt war, kann also eher von 5 und mehr Personen ausgegangen werden. Vgl. Werner Rösener: Die bäuerliche Familie des Spätmittelalters. Familienstruktur, Haushalt und Wirtschaftsverhältnisse. In: Vorträge und Forschungen Bd. 71 (2009): Die Familie in der Gesellschaft des Mittelalters, Herausgegeben vom Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, S. 159f. Abgerufen am 12. August 2021 unter: https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/vuf/article/download/18123/11925 sowie Herbsttagung des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte e.V.: Alexander Sembdner, Sabine Zinsmeyer: Beitrag des Historischen Seminars am Lehrstuhl für Sächsische Landesgeschichte der Universität Leipzig: „Landwirtschaft und Dorfgesellschaft im ausgehenden Mittelalter“, Reichenau 30.09.2014 - 03.10.2014. Abgerufen am 12. August 2021 unter: https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5893.
  8. Visitationsprotokolle, Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg, A 12 Gen. Ältere Konsistorialbehörden im späteren Regierungsbezirk Magdeburg (Kultusarchiv). Generalia, Nr.LASA, A 12 Gen., Nr. 2435, abgerufen am 12. August 2021 unter: https://staatsarchive.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/stat_derivate_00000170/LHASA_MD_A_12_Gen_Nr_2435_0005.tif.
  9. So auch Hertel in seinem Vorwort zu Wüstungen im Nordthüringgau, demnach sämtliche Orte, die zu Beginn des Dreißigjährigen Kriegs bestanden, auch danach sämtlich fortexistierten. Hertel: Die Wüstungen im Nordthüringgau, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:urmel-d1210dc5-1165-4113-816a-01ad7cae88c0.
  10. Archivmaterial im Archiv der Bau- und Kunstdenkmalpflege/ Archive des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie, Halle (Saale).
  11. Hertel: Die Wüstungen im Nordthüringgau, S. 275 f. Abgerufen am 12. August 2021 unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:urmel-d1210dc5-1165-4113-816a-01ad7cae88c0.
  12. Judith Mader: Untersuchungen zur Bedeutung der Pest und anderer Katastrophen des 14. Jahrhunderts für das Ende des mittelalterlichen Landesausbaus 2010. Hier insbesondere S. 7–12. Abgerufen am 12. August 2021 unter: https://www.bkge.de/Downloads/Publikationen/Qualifikationsarbeiten/Mader_-_Pest_und_Landesausbau_2.pdfQualitfikationsarbeit.pdf sowie Covid-19 oder Pest und Cholera: Pandemie-Geschichte in Magdeburg. Abgerufen am 14. August 2021 unter: https://www.magdeburg.de/index.php?ModID=7&FID=37.22853.1&object=tx%7C37.22853.1 .
  13. Franz Winter: Die Volkssprache in der Landschaft am Zusammenfluß von Bode, Saale und Elbe. In: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde des Herzogtums und Erzstifts Magdeburg / 9. 1874, Magdeburg, 1874, S. 99.
  14. Magdeburger Generalanzeiger vom 4. April 1931.
  15. Brief von Wolfgang Wanckel an den Landeskonservator Herrn Dr. Giesau vom 9. April 1931, im Archiv der Bau- und Kunstdenkmalpflege/ Archive des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie, Halle (Saale).
  16. So nachzulesen in den Urkundeneintragungen zu Nalpke. Hertel: Die Wüstungen im Nordthüringgau, abgerufen am 12. August 2021 unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:urmel-d1210dc5-1165-4113-816a-01ad7cae88c0.
  17. Karl Schiller Mittelniederdeutsches Wörterbuch. Bremen 1875. Abgerufen am 13. August 2021 unter https://www.archive.org .
  18. Heinrich Jürgens: Ortsgeschichte von Borne und Bisdorf (Handschrift im Landeshauptarchiv Magdeburg), S. 15.

Koordinaten: 51° 56′ 42,8″ N, 11° 34′ 55,7″ O

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