Nachwahlen in Myanmar 2012

Myanmars Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi

Am 1. April 2012 wurden bei Nachwahlen in Myanmar 45 der insgesamt 664 Sitze umfassenden Volksversammlung Myanmars neu vergeben. Auch wenn der Ausgang der Nachwahlen keinen Einfluss auf die Machtverteilung im Parlament hatte, galten sie als bedeutsamer Schritt im Reformkurs von Staatspräsident Thein Sein, da erstmals seit 1990 die oppositionelle Nationale Liga für Demokratie (NLD) wieder an Wahlen teilnahm. Vor allem die Kandidatur der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi fand internationale Beachtung.

Offizielle Wahlergebnisse sollten erst eine Woche nach dem Wahlgang veröffentlicht werden, die NLD erklärte aber unmittelbar nach der Beendigung des Wahlganges, dass Suu Kyi ihren Wahlkreis mit deutlicher Stimmenmehrheit gewonnen habe. Die neu gewählten Abgeordneten rücken für Parlamentarier nach, die seit den Parlamentswahlen vom 7. November 2010 in die Regierung gewechselt sind.

Ausgangslage

Myanmar, das ehemalige Birma, wurde seit 1962 von einer Militärjunta kontrolliert. Unruhen im August 1988 führten zum Sturz des langjährigen Machthabers Ne Win, der durch den vom Militär kontrollierten „Staatsrat für die Wiederherstellung von Recht und Ordnung“ abgelöst wurde. Der Staatsrat ließ 1990 freie Parlamentswahlen durchführte, erkannte dann aber den Wahlsieg der oppositionellen Nationalen Liga für Demokratie (NLD) nicht an. In den folgenden Jahren wurde die Oppositionsbewegung unterdrückt, der Junta wurden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.

Nach jahrelanger Isolation beschloss der Staatsrat 2003 einen Sieben-Punkte-Plan zur schrittweisen Wiedereinführung der Demokratie.[1] Im Mai 2008 wurde eine neue Verfassung verabschiedet, am 7. November 2010 fanden erstmals seit 1990 wieder Parlamentswahlen in Myanmar statt. Diese Wahlen waren allerdings weder frei noch fair, ein Teil der Parlamentssitze blieb Vertretern des Militärs vorbehalten.[2] Oppositionelle wie die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die zuvor unter Hausarrest standen oder inhaftiert waren, wurden von den Wahlen ausgeschlossen, weshalb die demokratische Opposition die Parlamentswahlen teilweise boykottierte.[3]

Am 4. Februar 2011 wählte die Volksversammlung Myanmars den ehemaligen General und Ministerpräsidenten Thein Sein zum neuen Staatspräsidenten.[4] Mit ihm stand erstmals seit 1962 wieder ein Zivilist dem Staat vor. Unter Thein Sein beschleunigte die myanmarische Regierung ihren Reformkurs. Zahlreiche politische Gefangenen wurden freigelassen, die Staatsführung suchte den Dialog mit der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi.[5] Verbunden mit den Reformen innerhalb des Landes waren Bestrebungen zur Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Ausland.[6] Vor allem die Vereinigten Staaten unterstützen Thein Seins Reformkurs, so besuchte Außenministerin Hillary Clinton im Dezember 2011 Myanmar.[7]

Nachwahlen

Die politischen Reformen in Myanmar führten dazu, dass die 2010 verbotene NLD im November 2011 ihre Wiederzulassung erhielt. Damit konnte die führende Oppositionskraft an Nachwahlen teilnehmen, die dazu dienen sollten, 48 vakante Sitze in den drei Kammern der Volksversammlung neu zu besetzen. Die bisherigen Mandatsträger waren aus dem Parlament ausgeschieden, nachdem sie Regierungsposten übernommen hatten; laut Verfassung dürfen Regierungsmitglieder nicht gleichzeitig Mitglied des Parlaments sein.[8] Als Wahltermin wurde der 1. April 2012 festgelegt.[9] Aung San Suu Kyi kündigte an, für diese Nachwahlen zu kandidieren.[10] Die Regierung stellte Suu Kyi daraufhin bei einem erfolgreichen Einzug ins Parlament ein Regierungsamt in Aussicht.[11]

Anders als bei den Parlamentswahlen von 2010 ließ die myanmarische Regierung für die Nachwahlen unabhängige Wahlbeobachter aus dem Ausland zu. Die Staatsführung reagierte mit diesem Zugeständnis auf Beschwerden der Opposition über Behinderungen ihres Wahlkampfes.[12] Unter anderem wurden Vertreter der Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und des Verbandes Südostasiatischer Nationen ASEAN als Wahlbeobachter eingeladen.[13]

Insgesamt 168 Kandidaten aus 17 Parteien sowie acht Parteilose bewarben sich um die 48 Mandate.[14] Eine Woche vor dem geplanten Wahltermin wurde allerdings die Stimmabgabe im Kachin-Staat im Norden Myanmars abgesagt, da angesichts anhaltender Konflikte mit Rebellen der Karen National Union eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahlen nicht gewährleistet werden konnte.[15] Somit wurde am 1. April 2012 nur noch über die Neuvergabe von 45 Parlamentssitzen entschieden.

Trotz der Wahlbeobachter wurden bereits im Vorfeld des Wahlganges Unregelmäßigkeiten beanstandet. Wählerverzeichnisse seien veraltet[16], die Arbeit der NLD wurde von den lokalen Behörden systematisch behindert und Wahlkämpfer wurden angegriffen.[17] Am Wahltag häuften sich Berichte über mit Wachs manipulierte Stimmzettel.[18] Der Generalsekretär der ASEAN erklärte aber, dass die Nachwahlen im Großen und Ganzen gut verlaufen seien. Auch der als Wahlbeobachter entsandte Menschenrechtsbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Markus Löning, sah den Verlauf der Wahlen als „sehr ordentlich“ an, es gebe keine Anzeichen für zentrale Manipulationen.[19]

Wahlergebnisse

Offizielle Wahlergebnisse werden erst einige Tage nach dem Wahlgang erwartet, die NLD hat aber bereits in der Nacht nach dem Wahltag Zwischenergebnisse veröffentlicht.[20] Erwartet wird ein deutlicher Sieg der führenden Oppositionspartei NLD, in einer erstmals zugelassenen Wählerbefragung in der letzten Woche vor dem Wahltag erklärten 60 % der Befragten, für die NLD zu stimmen. Die regimenahe Union Solidarity and Development Party, die in allen Kammern des Parlaments die stärkste Partei ist, wurde von 32 % der Befragten unterstützt.[21]

Nach Angaben der NLD hat Aung San Suu Kyi ihren Wahlkreis mit 82 % der Stimmen gewonnen.[22]

Internationale Reaktionen

Die Nachwahlen besitzen eine symbolische Wirkung für den Demokratisierungsprozess in Myanmar.[23] Mit 45 der 664 Sitze in den beiden Kammern der Volksversammlung wird nur ein geringer Anteil neu besetzt, daher können die Machthaber, die bislang 80 % aller Sitze kontrollieren, ihre Mehrheit durch diese Nachwahlen nicht verlieren. Allerdings ist die Normalisierung der Beziehungen Myanmars mit den westlichen Industrienationen mit dem Verlauf und dem Ausgang der Nachwahlen verbunden, so stellte die Europäische Union eine Lockerung ihrer Wirtschaftssanktionen nach den Wahlen in Aussicht.[24]

Vertreter der U.S. Campaign for Burma kritisierten, dass die Nachwahlen von der Regierung dazu ausgenutzt werden, eine schnellstmögliche Aufhebung von Sanktionen zu erreichen, ohne dass die Demokratie in Myanmar wirklich gestärkt werde.[25] Aung San Suu Kyi sei dabei eine „strategische Symbiose“ mit den Machthabern eingegangen. Ihre Wahl in die Volksversammlung werde mit zur nationalen Versöhnung beitragen, sie könne aber nach Ansicht des Exil-Birmanen Maung Zarni auch zur internationalen Anerkennung des Regimes führen.[26]

Einzelnachweise

  1. Htet Aung: Burma’s Rigged Road Map to Democracy. The Irrawaddy, Vol. 15, Nr. 8, August 2007.
  2. Ana Lehman: Eine Diktatur lässt wählen. Deutsche Welle, 3. November 2010.
  3. Mit dem Wahlzettel gegen das Regime in Burma. Neue Zürcher Zeitung, 7. November 2010.
  4. Parlament wählt neuen Präsidenten. Frankfurter Rundschau, 4. Februar 2011.
  5. Karl-Ludwig Günsche: Burmas Junta hofiert Regimegegnerin Suu Kyi. Spiegel Online, 28. August 2011.
  6. Karl-Ludwig Günsche: Ein bisschen Perestroika. Spiegel Online, 3. Oktober 2011.
  7. Hillary Clinton Burma visit: Suu Kyi hopeful on reforms. BBC News, 2. Dezember 2011.
  8. Rainer Einzenberger: Reformen in Myanmar: Führende Oppositionspartei auf dem Weg ins Parlament. Heinrich-Böll-Stiftung, 24. November 2011.
  9. Hla Hla Htay: Myanmar sets by-election date (Memento vom 4. Juni 2012 im Webarchiv archive.today). AFP, 30. Dezember 2011.
  10. Suu Kyi will bei Nachwahlen kandidieren. Spiegel Online, 21. November 2011.
  11. Burmas Führung stellt Suu Kyi Posten in Aussicht, 8. Januar 2012.
  12. Georg Fahrion: Myanmar will Wahlbeobachter ins Land lassen (Memento vom 22. Februar 2012 im Internet Archive). Financial Times Deutschland, 21. Februar 2012.
  13. Burma invites US and EU observers to April by-elections. BBC News, 21. März 2012.
  14. Factbox: Myanmar's parliament and elections (Memento des Originals vom 30. März 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/in.reuters.com. Reuters, 12. März 2012.
  15. Burma postpones by-elections in troubled Kachin state. BBC News, 23. März 2012.
  16. Serious Voter List Fraud Uncovered by Observer. The Irrawaddy, 31. März 2012.
  17. ‘Elections Neither Free Nor Fair,’ Says Suu Kyi. The Irrawaddy, 30. März 2012.
  18. Voters Complain of Wax on Ballot Papers. The Irrawaddy, 1. April 2012.
  19. Birmas Freiheitskämpferin auf dem Weg ins Parlament. Die Zeit, 1. April 2012.
  20. Udo Schmidt: Ein Schritt in Richtung Demokratie (Memento vom 3. April 2012 im Internet Archive). Tagesschau, 1. April 2012.
  21. 60 per cent say will vote for NLD: Mizzima poll (Memento vom 1. April 2012 im Internet Archive). Mizzima, 31. März 2012.
  22. Freiheitskämpferin Suu Kyi gewinnt Parlamentssitz in Burma. Der Standard, 1. April 2012.
  23. Oppositionsführerin Suu Kyi will ins Parlament von Birma einziehen (Memento vom 4. August 2012 im Webarchiv archive.today). Freie Presse, 1. April 2012.
  24. Burma's Aung San Suu Kyi takes part in key by-elections. BBC News, 1. April 2012.
  25. Spheng Cheang: Myanmar will allow US, EU monitors for April vote. Associated Press, 21. März 2012.
  26. Oppositionsführerin Suu Kyi will ins Parlament von Birma einziehen (Memento vom 19. April 2016 im Internet Archive). Der Westen, 1. April 2012.

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Autor/Urheber: Htoo Tay Zar, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Aung San Suu Kyi gives speech to supporters at Hlaing Thar Yar Township in Yangon, Myanmar on 17 November 2011.