Nachterstedt

Nachterstedt
Stadt Seeland
Wappen von Nachterstedt
Koordinaten:51° 48′ N, 11° 20′ O
Höhe: 130 m
Fläche:8,21 km²
Einwohner:2097 (31. Dez. 2007)
Bevölkerungsdichte:255 Einwohner/km²
Eingemeindung:15. Juli 2009
Postleitzahl:06469
Vorwahl:034741
Nachterstedt (Sachsen-Anhalt)

Lage in Sachsen-Anhalt

Nachterstedt ist ein Ortsteil der Stadt Seeland im Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt.

Geografie

Lage von Nachterstedt in der Stadt Seeland
Nachterstedt, Luftaufnahme (2015)

Der Ortsteil Nachterstedt liegt im nordöstlichen Harzvorland in unmittelbarer Nachbarschaft des Ortsteils Stadt Hoym zwischen Aschersleben und Quedlinburg. Südwestlich von Nachterstedt fließt die untere Selke, den Norden des Gebietes nimmt der Concordiasee ein, ein im Endstadium rund 600 Hektar großes ehemaliges Tagebaurestloch, das heute als Badesee innerhalb des Harzer Seelands der Naherholung dient.

Geschichte

(c) Bundesarchiv, Bild 183-2005-0721-525 / CC-BY-SA 3.0
Dorfumsiedelung 1949

Nachterstedt wurde 961 in einer Urkunde Ottos II. erstmals erwähnt. Der Ort Nachterstedt wurde dem Markgrafen Gero geschenkt. Es wird jedoch eine um etwa 500 Jahre frühere altsächsische Besiedelung des Gebietes vermutet.

Wie auf dem Wappen angedeutet (Schwan und Fisch), lebten die früheren Bewohner vom Fischfang, nach der Trockenlegung des Nachterstedter Sees teilweise vom Torfstechen und in der Folgezeit von der Landwirtschaft wegen der guten Böden auf in diesem Gebiet.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in Nachterstedt Braunkohle gefördert, anfangs untertage in der Grube Concordia und später im Tagebau. 1865 wurde Nachterstedt an das Eisenbahnnetz angeschlossen (Strecke HalberstadtAscherslebenKöthen, heute Bahnstrecke Halle–Halberstadt).

Das Kohlerevier Nachterstedt, zu dem auch die Ortsteile Frose, Schadeleben, Friedrichsaue und Neu Königsaue gehörten, war zeitweise das ergiebigste Fördergebiet im damaligen Oberbergamtsbezirk Halle (1870: 250.000 t), um die Jahrhundertwende gar die größte Braunkohlegrube Preußens. Eine Brikettfabrik wurde 1888 errichtet, 1914 ein Kraftwerk.

Während des Zweiten Weltkrieges mussten mehrere hundert sowjetische Kriegsgefangene sowie Zwangsarbeiter anderer Nationen in der zu den Riebeckschen Montan-Werken gehörenden Braunkohlegrube Concordia unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten; dabei kamen 130 bis 140 von ihnen ums Leben.

Das Dorf Nachterstedt musste der fortschreitenden Braunkohleförderung ab 1928 allmählich weichen und wurde in der Zeit bis 1951 rund 1,5 Kilometer weiter südlich neu aufgebaut. Auch die Bahnlinie Halberstadt–Aschersleben wurde nach Süden verlegt. In den 1960er Jahren arbeiteten im Braunkohlewerk Nachterstedt mehr als 6500 Beschäftigte. Mit der Schließung des Werkes im Jahr 1990 wegen der unrentabel gewordenen Kohleförderung endete eine 150-jährige Bergbautradition.

An der Stelle des devastierten Dorfes und Tagebaurestloches entstand inzwischen das Naherholungsgebiet Seeland mit dem Concordiasee.

Am 15. Juli 2009 wurde Nachterstedt in die neue Gemeinde Seeland eingegliedert.[1]

Unglücksfälle

Luftbild von der Unglücksstelle am Concordiasee 18. Juli 2009

Am 2. Februar 1959 kam es im Braunkohlenwerk Nachterstedt zu einer Kippenrutschung von 5,8 Millionen Kubikmetern Abraum. Bei dem Unglück durch Setzungsfließen wurde ein Bergarbeiter getötet sowie zwei Absetzer und ein Abraumzug zerstört.[2]

Am 18. Juli 2009 kam es im Ortsbereich Nachterstedt zum Abbruch eines etwa 350 Meter breiten Landstreifens in den südlichen Ausläufer des Concordiasees.[3] Dabei wurden ein zweistöckiges Doppelhaus, ein Teil eines weiteren Doppelhauses sowie ein Straßenabschnitt und eine Aussichtsplattform mitgerissen. Drei Menschen wurden verschüttet und für verschollen erklärt. Zur Ursache besagen vorläufige Berichte, dass Grundwasser die Böschung aufgeweicht habe. Geklärt ist bereits, dass ein Mikrobeben der Stärke 0,9 als Auslöser für das Rutschen des Erdreichs gesehen werden kann.[4][5] Die tatsächliche Unglücksursache gilt offiziell als nicht abschließend geklärt.

Im Dezember 2012 wurde damit begonnen, das betroffene Gebiet zu räumen.[6] Insgesamt wurden 12 Doppelhaushälften und 48 Nebengebäude abgerissen.[7] Der Abriss war 2013[8] beendet, als der offizielle Abschlussbericht vorgelegt wurde.[9] Im Frühjahr 2014 war auch das Hinterland des Rutschungskessels beräumt und es wurde mit weiteren Vorbereitungen zur Böschungsgestaltung und -verdichtung begonnen.[8]

Bei Sanierungsarbeiten kam es am 28. Juni 2016 erneut zu einer Rutschung.[10]

Politik

Gemeinderat

Bei den Gemeinderatswahlen am 7. Juni 2009 ergab sich folgende Sitzverteilung:

Unabhängige Wählergemeinschaft6 Sitze
CDU4 Sitze
SPD2 Sitze
Die Linke2 Sitze

Wappen

Wappen von Nachterstedt

Das Wappen wurde am 12. Januar 1938 durch den Oberpräsidenten der Provinz Sachsen verliehen.

Blasonierung: In Rot auf blauem Wasser schwimmend ein silberner golden bewehrter Schwan, unter ihm im Wasser ein silberner Fisch mit goldenen Flossen.

Das bisherige Siegel des Ortsteils zeigte ein von Purpur und Grün quadriertes Wappenschild, Feld 1 und 4: leer, Feld 2: ein Schwan, Feld 3: drei Fische übereinander. Aus den hier benutzten Symbolen, die an den ehemaligen Gatersleber See, an dem Nachterstedt liegt, erinnern, ist das Wappen neu geschaffen worden.

Das Wappen wurde von dem Magdeburger Staatsarchivrat Otto Korn gestaltet.

Ortspartnerschaften

Der Ortsteil Nachterstedt unterhält Partnerschaftsbeziehungen zur Samtgemeinde Boffzen (Niedersachsen).

Gedenkstätten

  • sowjetischer Ehrenhain mit Mahnmal des Bildhauers Rudolf Herbst zur Erinnerung an sowjetische Kriegsgefangene, die Opfer von Zwangsarbeit wurden
  • Gedenkstein von 1978 auf dem Stadtfriedhof für Personen, die während des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland verschleppt wurden und der Zwangsarbeit zum Opfer fielen

Wirtschaft

Zwischen Nachterstedt und Gatersleben befindet sich das weltgrößte Aluminium-Recyclingwerk der Firma Novelis, einer Tochter des indischen Konzerns Aditya Birla.[11] Auf dem Gelände befand sich früher der VEB Leichtmetallwerk Nachterstedt.

Verkehr

Der Bahnhof des Ortsteils Nachterstedt liegt an der Bahnstrecke Halle–Halberstadt. Nachterstedt ist durch Buslinien der Kreisverkehrsgesellschaft Salzland (Linie 145, 148) mit Aschersleben verbunden.

Kultur und Sehenswürdigkeiten

Regelmäßige Veranstaltungen

  • Seelandfest Mitte August

Sehenswürdigkeiten

  • Concordiasee
  • Kiesberg (Ruhestätte für Kriegsopfer der ehemaligen SU)

Persönlichkeiten

Weblinks

Commons: Nachterstedt – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. StBA: Gebietsänderungen vom 02. Januar bis 31. Dezember 2009
  2. Die Nachterstedter Kippenrutschung von 1959. In: Mitteldeutsche Zeitung. 23. Juli 2009, abgerufen am 7. Juli 2021.
  3. Florian Gathmann: Drama von Nachterstedt. In: Spiegel Online. 20. Juli 2009, abgerufen am 7. Februar 2013.
  4. Erdbeben löste Erdrutsch in Nachterstedt aus. In: Die Welt. 27. September 2009, abgerufen am 7. Februar 2013.
  5. Axel Bojanowski: Erdrutsch von Nachterstedt: Geheimnisvolles Grollen vor dem Grauen. In: Spiegel Online. 18. Juli 2010, abgerufen am 7. Februar 2013.
  6. Abriss von Nachterstedter Unglückssiedlung begonnen. 10. Dezember 2012, archiviert vom Original am 6. Februar 2013; abgerufen am 7. April 2016.
  7. LMBV-Information zum Abriss der Häuser in der Nachterstedter Siedlung „Am Ring“. 31. Januar 2013, abgerufen am 7. Februar 2013.
  8. a b LMBV-Antworten auf häufig gestellte Fragen zu Nachterstedt. 12. Februar 2015, archiviert vom Original am 17. Juli 2015; abgerufen am 7. April 2016.
  9. Ursachenbericht Nachterstedt. Abgerufen am 17. Juli 2015.
  10. Wieder Erdrutsch am Concordiasee In: Mitteldeutsche Zeitung vom 28. Juni 2016, abgerufen am 26. Juni 2021
  11. Nachterstadt Recycling Center (Memento desOriginals vom 22. Oktober 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.novelis.com

Auf dieser Seite verwendete Medien

Germany Saxony-Anhalt adm location map.svg
(c) Karte: NordNordWest, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de
Positionskarte von Sachsen-Anhalt, Deutschland
Unglück von Nachterstedt File 00017DA4.jpg
Autor/Urheber: euroluftbild.de/Grahn, Lizenz: CC BY-SA 3.0 de
Nachterstedt 18.07.2009 Blick auf die Unglückstelle der eingebrochenen Tagebauseeuferstelle am Concordiasee. Bei einem Erdrutsch ist ein Haus mit drei Bewohnern in dem einstigen Tagebausee versunken. Ein weiteres Mehrfamilienhaus, dessen Bewohner außer Haus waren, wurde ebenfalls zur Hälfte verschüttet.
Concordiasee.JPG
(c) Deirun, CC BY-SA 3.0
der Concordiasee bei Nachterstedt
Nachterstedt 001.JPG
Autor/Urheber: Wolkenkratzer, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Nachterstedt, Luftaufnahme (2015)
Tagebaurestloch.jpg
(c) MarianSz, CC BY-SA 3.0
Tagebaurestloch von Nachterstedt
Das Tagebaurestloch entstand, als zu DDR-Zeiten auch dieses relativ kleine Braunkohlflöz abgebaut wurde. Nach der Auskohlung wurde zuerst der nordwestliche Bereich in ein Naturschutzgebiet umgewandelt. Zur Zeit der Aufnahme wurde gerade der restliche Bereich für ein Naherholungsgebiet vorbereitet. Die Böschungen wurden abgeschrägt und die Flutung vorbereitet.
Bundesarchiv Bild 183-2005-0721-525, Dorfumsiedlung nach Kohlefund.jpg
(c) Bundesarchiv, Bild 183-2005-0721-525 / CC-BY-SA 3.0
Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein.
Dorfumsiedlung nach Kohlefund

Illus/Merker Ein Dorf wird "versetzt", 26.8.49. Bei Tiefbohrungen in der Umgebung des Braunkohle-Tagebaues Nachterstedt in der sowjetisch besetzten Zone wurde ein außerordentlich reiches Kohleflöz direkt unter dem Dorf erschlossen. Um die neuen Kohlevorkommen der Wirtschaft nutzbar machen zu können, mußte mit dem Abbau des ganzen Dorfes begonnen werden, das an anderer Stelle weiter östlich moderner und schöner wiederaufgebaut werden wird. Auch das Altwerk muß weiter westlich versetzt werden. Die Kohlegruben von Neu-Nachterstedt werden eine weitere wichtige Stütze der Wirtschaft der sowjetisch besetzten Zone sein. U.B.z. Nach modernen Gesichtspunkten entsteht die Siedlung Neu-Nachterstedt.

2781-49
UnglückNachterstedt.JPG
Autor/Urheber: Ingo Diron, Lizenz: CC BY-SA 3.0 de
Unglücksstelle Concordiasee. Am frühen Morgen des 18. Juli 2009 kam es im Ortsbereich Nachterstedt zum Abbruch eines etwa 350 x 120 Meter breiten Landstreifens in den südlichen Ausläufer des entstehenden Concordiasees. An dieser Stelle klafft nun ein viele Meter tiefes Erdloch. Dabei wurden ein zweistöckiges Einfamilienhaus, ein Teil eines Mehrfamilienhauses sowie ein Straßenabschnitt und eine Aussichtsplattform mitgerissen.