Muhammad ibn al-Hanafīya

Muhammad ibn al-Hanafīya (arabisch محمد ابن الحنفية, DMG Muḥammad ibn al-Ḥanafīya ‚Muhammad, der Sohn der Hanafitin‘; geb. 637/638, gest. 700/701) war der Sohn von ʿAlī ibn Abī Tālib und Chaula bint Dschaʿfar, einer Frau aus dem Stamm der Banū Hanīfa, die deswegen „die Hanafitin“ genannt wurde. Sie war nach der Niederlage ihres Stammes während der Ridda-Kriege im Jahr 633 als Sklavin nach Medina gebracht worden und in ʿAlīs Besitz gelangt. Anders als seine Halbbrüder Hasan und Husain war Muhammad kein Enkelsohn des Propheten Mohammed. Er wurde während des Zweiten Bürgerkriegs (680–692) von den Schiiten als der legitime Imam betrachtet und spielte danach eine zentrale Rolle in den Lehren der Kaisānīya.

Rolle während des Zweiten Bürgerkrieges und danach

Nach dem Tod von al-Husain in der Schlacht von Kerbela (680) wurde Muhammad zum Gegenstand messianischer Erwartungen der Schia. Er selbst lebte zu dieser Zeit in Mekka unter der Herrschaft von ʿAbdallāh ibn az-Zubair. Er selbst stand den Ansichten der Opposition gegen die Umaiyaden eher ablehnend gegenüber, was sich daran erkennen lässt, dass er die von den Medinern gegen den Kalifen Yazīd I. erhobenen Anschuldigungen für falsch erklärte.[1] Auch huldigte er nicht.

Im Jahre 685 entfachte al-Muchtār ibn Abī ʿUbaid im Irak eine größere Aufstandsbewegung gegen die Umaiyaden und trug Muhammad den Mahdi-Titel an. Als einige Leute aus Kufa zu ihm kamen, um seine Haltung gegenüber al-Muchtār zu klären, gab er ihnen lediglich eine diplomatische Antwort, die unverbindlich war, jedoch von ihnen als eine Art Zustimmung interpretiert wurde, da er sich nicht eindeutig von ihnen lossagte. Als Ibn az-Zubairs Haltung ihm gegenüber immer feindseliger wurde und er ihn mit mehreren Verwandten, darunter auch ʿAbdallāh ibn ʿAbbās, in Mekka gefangen setzte, sah Muhammad keinen anderen Ausweg, als al-Muchtār um Hilfe zu bitten. Dieser schickte sofort eine Kavallerieeinheit nach Mekka und befreite Muhammad mit den anderen Gefangenen, vermied jedoch auf seinen ausdrücklichen Befehl einen Konflikt mit den Truppen Ibn az-Zubair, um nicht den Heiligen Bezirk durch Blutvergießen zu entweihen. Muhammad suchte dann mit seiner Familie Zuflucht in Minā und begab sich später nach at-Tā'if. Danach hatte er keinen Kontakt mehr mit al-Muchtār und wurde deswegen auch nicht kompromittiert, als der Aufstand in Kufa scheiterte und al-Muchtār 686/87 fiel.

Muhammad ibn al-Hanafīya soll sich an den Grundsatz gehalten haben, nur einen Herrscher anzuerkennen, auf den sich die gesamte muslimische Gemeinschaft einigen konnte. Deshalb leistete er während des Zweiten Bürgerkriegs weder ʿAbdallāh ibn az-Zubair, noch dem mit ihm rivalisierenden Umaiyaden ʿAbd al-Malik die Baiʿa. Er trat deswegen bei der denkwürdigen Wallfahrt des Jahres 688 neben den Zubairiden, Umaiyaden und Charidschiten als unabhängiges Parteihaupt auf. Erst als sich nach dem Sturz von Ibn az-Zubair im Jahre 692 ʿAbd al-Malik als das unangefochtene neue Haupt der muslimischen Gemeinschaft herausstellte, erkannte er diesen als legitimen Herrscher an und besuchte ihn 697-98 in Damaskus. Er kehrte danach nach Medina zurück, wo er 81/700-1 starb.[2]

Dass Muhammad ibn al-Hanafīya die guten Dinge dieser Welt mochte, geht aus den hohen Forderungen hervor, die er an ʿAbd al-Malik zur Begleichung seiner Schulden und jährlichen Renten für seine Kinder, Verwandten und Kunden richtete; Es gibt auch Hinweise darauf, dass er eine Vorliebe für feine Kleidung und Kosmetika hatte. Ein Traditionarier wird mit den Worten zitiert: „Ich sah, daß Muhammad ibn al-Hanafīya sich verschiedener Färbemittel bediente. Er gestand mir, dass sein Vater ʿAlī solche Schönheitsmittel nicht zu gebrauchen pflegte. Warum tust du es denn? … ‚Um den Frauen mit Erfolg den Hof zu machen‘, war die Antwort.“[3]

Rolle in den Glaubenslehren der Kaisānīya

Nach Muhammads Tod verbreiteten Schiiten in Kufa den Glauben, er sei nicht tot, sondern lebe in einer Art Feenkönigreich auf dem Hügel von Radwā westlich von Medina, von wo er als siegreicher Anführer einer Armee zurückkehren würde. Dies war eine Idee, die schon vorher ʿAbdallāh ibn Saba' bezüglich ʿAlī ibn Tālib verbreitet hatte. Die schiitische Gruppe, die diese Idee auf ihn übertrug, wird in der islamischen Doxographie Kaisānīya genannt. Sie ging davon aus, dass es insgesamt vier Imame gibt, nämlich ʿAlī ibn Abī Tālib und seine drei Söhne al-Hasan, al-Husain und Muhammad ibn al-Hanafīya. Eine Gruppe der Kaisāniten lehrte später, dass Muhammad das Imamat an seinen Sohn Abū Hāschim vererbt habe.[4]

Nachkommen

Neben seinem Sohn Abū Hāschim ʿAbdallāh ibn Muhammad (gest. 716) hatte Muhammad noch einen Sohn namens Hasan. Auf ihn wird ein „Buch der Aufschiebung“ (Kitāb al-Irǧāʾ) zurückgeführt, in dem die Lehre entwickelt wird, dass entsprechend Sure 9:106 das Urteil über die Menschen, die sich an der Fitna beteiligt hätten, also Talha, az-Zubair, ʿAlī und ʿUṯmān, aufgeschoben werden müsse. Mit dieser Schrift gilt Hasan als Begründer der religiös-politischen Bewegung der Murdschiʾa. Ob der Text wirklich von Hasan stammt, ist allerdings nicht gesichert.[5]

Literatur

  • Frants Buhl: “Muḥammad Ibn al-Ḥanafiyya” in Enzyklopaedie des Islam Bd. III, S. 722b–723b. Veröffentlicht 1936. Digitalisat

Belege

  1. Buhl: “Muḥammad Ibn al-Ḥanafiyya”. 1936, S. 722b.
  2. Buhl: “Muḥammad Ibn al-Ḥanafiyya”. 1936, S. 723.
  3. Zitiert nach Ignaz Goldziher, Vorlesungen über den Islam. Carl Winter, Heidelberg 1910. Bd. I, S. 148f. Digitalisat
  4. Abū Saʿīd Našwān al-Ḥimyarī: al-Ḥūr al-ʿīn ʿan kutub al-ʿilm aš-šarāʾif dūna n-nisāʾ al-ʿafāʾif. Dār Āzāl, Beirut, 1985. S. 213–215.
  5. Vgl. Josef van Ess: Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra. Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam. Band I. Berlin-New York 1991. S. 13f, 174–178. Eine Übersetzung des Textes findet sich im V. Band, S. 6–12.