Mu (Kontinent)

Die hypothetischen Kontinente Mu und Atlantis nach James Churchward

Mu ist ein sagenhafter Kontinent, der je nach Autor meist im Pazifik, aber auch im Atlantik verortet wird. Ähnlich wie Atlantis soll dieser Kontinent während einer rezenten Periode der Erdgeschichte in den Meeresfluten verschwunden sein.

Zur Ausdehnung dieser vermeintlichen Landmasse existieren unterschiedliche Vorstellungen. Allgemein wurde von Anhängern dieser Hypothese vorausgesetzt, Mu habe sich zur Zeit seiner größten Ausdehnung im Westen von den Gewässern, die an das heutige Ostchinesische Meer grenzen, bis in den östlichen Pazifik hinein erstreckt, und im Süden bis zur Osterinsel.

Ideengeschichte

Die Vorstellung, es habe einen versunkenen Kontinent namens Mu gegeben, geht zurück auf die Arbeiten des französischen Historikers, Ethnologen und Archäologen Charles Étienne Brasseur de Bourbourg[1] im 19. Jahrhundert, der sich allerdings auf Platons Atlantis bezog, das er im westlichen Atlantik verortete. Da er die alten Texte der Quiché und Maya nur mit Hilfe des unzureichenden Landa-Alphabets entzifferte, meinte er irrigerweise, in ihnen den Begriff Mu entnehmen zu können.[2] Ein katastrophistisches Szenario zum Untergang des putativen Kontinents lieferte Brasseur erst in seiner letzten Veröffentlichung, einem Papier mit dem Titel Chronologie historique des Mexicains (1872). Darin identifizierte er unter Bezugnahme auf den aztekischen Codex Chimalpopoca vier Perioden weltweiter Kataklysmen, die um etwa 10.500 v. Chr. begonnen haben sollen, und die er auf Verschiebungen der Erdachse zurückführte.

Wenig später griff auch der Fotograf, Schriftsteller und Selfmade-Archäologe Augustus Le Plongeon die Vorstellung eines im Atlantik versunkenen Mu auf. Le Plongeon, der die Maya-Ruinen von Yucatán untersuchte und ab 1875 gemeinsam mit seiner Gattin Alice Dixon Le Plongeon die ersten systematischen Ausgrabungen der Relikte von Chichén Itzá vornahm,[3] meinte auf Grundlage der – äußerst zweifelhaften[4] – Sprachforschungen von Diego de Landa sowie mit Hilfe der ebenfalls auf Landas Fehldeutungen basierenden Arbeiten Brasseurs, alte Maya-Aufzeichnungen (einen Teil des Codex Tro-Cortesianus) entschlüsselt zu haben, in denen vom versunkenen Land Mu die Rede sei.[5] Diese Aufzeichnungen wiesen angeblich darauf hin, dass die Maya-Zivilisation ein weitaus höheres Alter aufweise als jene der Ägypter. Gegründet worden sei sie durch Überlebende des Untergangs des von ihm vermuteten Kontinents.[6]

James Churchward (1851–1936)

Der britische Erfinder, Bauingenieur, Schriftsteller und Weltenbummler James Churchward, ein jüngerer Zeitgenosse und Bekannter Le Plongeons,[7] war schließlich der erste Autor, der in diversen Abhandlungen und Büchern (siehe: Literatur) die Idee eines pazifischen Mu präsentierte und populär machte. Angeblich hatte ein indischer Priester uralte Täfelchen gezeigt, die darauf hindeuteten.[8] Hawaii sowie alle heutigen Pazifik-Inseln seien, so Churchward, vormalige Berggipfel und Überreste dieses versunkenen Kontinents, der vor etwa 50.000 bis 25.000 Jahren[9] im Verlauf wiederholter kataklysmischer, u. a. durch den Einsturz gewaltiger unterirdischer Höhlen verursachter Erdbeben zerbrochen und versunken sei. Bei der größten dieser Katastrophen sollen ca. 64 Millionen Menschen ums Leben gekommen sein.[10] Auf diese angebliche, von Churchward als 'Naacal' bezeichnete[11] Urkultur hatte sich vor ihm bereits Le Plongeon bezogen.[12] Wie jener behauptete auch Churchward (1926), die Zivilisation des Alten Ägyptens stamme letztlich von den Naacal ab. So erläuterte er, der Name des ägyptischen Sonnengottes Ra sei ein Begriff aus der vermeintlichen Nacaal-Sprache, in welcher 'Rah’ sowohl eine Bezeichnung für die Sonne als auch für ihren Gott und Herrscher gewesen sei.

Auch wenn Churchwards Veröffentlichungen und Vorstellungen zum Thema 'Mu' – wie schon zuvor die Le Plongeons[13] – in wissenschaftlichen Kreisen auf Ablehnung[14] oder Desinteresse stießen und lediglich bei esoterischen Autoren völlig kritiklose Zustimmung fanden, blieb die Vorstellung einer im Pazifik versunkener Landmasse und einer darauf beheimateten Urkultur weiterhin populär. Bereits 1924 hatte der schottisch-neuseeländische Universitätsprofessor John Macmillan Brown,[15] ein Philologe, vermutet, die megalithischen Strukturen auf vielen Inseln des Pazifikraums stellten einen deutlichen Hinweis auf die vormalige Existenz einer uralten Hochkultur sowie auf eine sehr spät versunkene Landmasse dar, auf welcher diese Kultur beheimatet gewesen sei.[16] In den späten 1930er-Jahren ließ dann Mustafa Kemal Atatürk, der Begründer der heutigen Türkei, intensiv nach Mu forschen, wie in einigen türkischen Publikationen[17] veröffentlicht wurde. Ziel von Atatürk war es, die Hintergründe für die vermeintlichen Parallelen der Ursprungskultur der Turkvölker mit den zahllosen indianischen Kulturen, wie den Azteken und Mayas, auf dem amerikanischen Kontinent zu ermitteln.[18]

Von späteren Anhängern der Mu-Hypothese – der Annahme einer großen, versunkenen Landmasse im Pazifik und darauf beheimateter Urkultur – wird darauf hingewiesen, dass auch das Book of the Hopi aussage, es habe im Pazifik einst ein solcher Kontinent gelegen, den die nordamerikanischen Hopi Kásskara nennen.[19] Nikolai Zhirov[20] erwähnt unter Bezugnahme auf Thor Heyerdahl eine Legende der Osterinsel-Bewohner, der zufolge ein Riese namens Uwoke in einem Wutausbruch den Untergang eines großen Kontinents verursacht habe, dessen Überrest die Osterinseln seien.[21] Neben solchen mythologischen Indizien werden zur Stützung dieser Hypothese aber auch – wie bereits von Macmillan Brown[22] – linguistische Argumente vorgebracht[23], und es wird zudem auf die Entdeckung ca. 9.000 bis 7.000 Jahre alter Spuren z. T. intensiver Landwirtschaft mit ausgedehnten Kanalsystemen im Hochland von Neuguinea verwiesen.[24] Auftrieb bekam die Mu-Hypothese zu Beginn der 1990er Jahre auch durch die Veröffentlichungen des Meeresgeologen Masaaki Kimura zum so genannten Yonaguni-Monument, einer seit Jahrtausenden überfluteten – vermutlich natürlich entstandenen, aber vormals von Menschen bearbeiteten und genutzten – Felsstruktur vor der heutigen Küste der japanischen Insel Yonaguni.[25]

Literarische und filmische Adaptionen

Das Thema des untergegangenen Kontinents Mu wird aufgegriffen in dem japanischen Science-Fiction-Film U 2000 – Tauchfahrt des Grauens von Honda Ishirō, in dem die immer noch auf dem Meeresboden wohnenden Bewohner von Mu versuchen, die Überwasser-Welt zu erobern. Auch in James Rollins Roman Im Dreieck des Drachens tauchen Mu und seine Bewohner auf, dort allerdings ist der Kontinent bereits vor langer Zeit im Meer versunken.

Im Cthulhu-Mythos spielt Mu eine gewisse Rolle als eine der ersten Zivilisationen, über die verschiedene kosmische „Gottheiten“ herrschten. Dies wird in unterschiedlichen Geschichten von H. P. Lovecraft und Robert E. Howard geschildert.

In der Popkultur spielt der Name des sagenhaften Kontinents ebenfalls gelegentlich eine Rolle: Etwa in Illuminatus! von Robert Anton Wilson und Robert Shea, in Videospielen, wie den Super-Nintendo-Spielen Terranigma, in dem es als Insel auftaucht, und Illusion of Time, sowie den Texten der englischen Musiker The KLF oder der Schweden Therion.

Der Disney-Zeichner Massimo DeVita verfasste die 63-seitige Geschichte Der geheimnisvolle Kontinent Mu, veröffentlicht im Lustigen Taschenbuch Nr. 141 (Buchtitel: Der Tiger von Masalia).

Hugo Pratt verarbeitete den Mythos Mu in seiner Comic-Serie Corto Maltese unter dem Titel Das Reich Mu (Carlsen Comic 1997, vergriffen; farbige Neuauflage Kult Editionen, 2008).

In dem Anime Rahxephon gibt es ebenfalls das Volk von Mu.

Im Jahr 2006 erscheint der Spirou-und-Fantasio-Sonderband Les géants pétrifiés (Yoann/Vehlmann, 58 Seiten, dt. Die steinernen Riesen), in dem die Suche nach Mu als Wettrennen zwischen zwei verfeindeten Archäologengruppen geschildert wird. Die Bewohner von Mu sind an den Mosasaurus camperi erinnernde Fischechsen, Mu selbst ein gigantischer heiliger Friedhof dieser Geschöpfe.

Die Figur Tao aus der französisch-japanischen TV-Serie „Die geheimnisvollen Städte des Goldes“ ist der letzte Nachfahre des Volkes von Mu.

In der Apocalypsis-Trilogie (Teil 2) des deutschen Autors Mario Giordano spielt das Volk der Mu ebenfalls eine zentrale Rolle. Der Titelfigur Peter Adam wird durch Methoden der Mu das Leben gerettet.

Literatur

  • James Churchward: Mu, der versunkene Kontinent. Windpferd Verlagsges. Mbh, 1990, ISBN 3-89385-068-6.
  • James Churchward: Lost Continent of Mu: The Motherland of Men. Kessinger Publishing, 2003, ISBN 0-7661-4680-4 (englisch).
  • James Churchward: The Children of Mu. Kessinger Publishing, 2005, ISBN 0-7661-9260-1 (englisch).
  • James Churchward: The Sacred Symbols of Mu. Kessinger Publishing, 2005, ISBN 0-7661-9258-X (englisch).
  • Christine Hayes: Red tree: insight into lost continents, Mu and Atlantis. Naylor Co, 1972, ISBN 0-8111-0465-6 (englisch).
Commons: Mu (lost continent) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Siehe zum Thema Atlantis/Mu von ihm vor allem: Charles Étienne Brasseur de Bourbourg: Grammaire de la langue quichée, Paris, 1862; Ders.: Monuments anciens du Mexique (Palenque, et autres ruines de l’ancienne civilisation du Mexique), Paris, 1866; sowie Ders.: Quatre Lettres sur le Méxique, Paris, 1868
  2. Umberto Eco: Die Geschichte der legendären Länder und Städte. Hanser, München 2013, S. 198.
  3. Siehe dazu z. B.: Lawrence G. Desmond:Exavation Of The Platform Of Venus, Chichén Itzá, Yucatán, México: The Pioneering Field Work Of Alice Dixon Le Plongeon And Augustus Le Plongeon. (Memento vom 10. August 2014 im Internet Archive) abgerufen: 11. Juli 2012
  4. Siehe: Robert B. Stacy-Judd: Atlantis: Mother of Empires. Santa Monica, CA. (USA), 1939, S. 85
  5. Siehe: Augustus le Plongeon: Queen M’oo and the Egyptian sphinx. New York 1896; archive.org(Online-Version abgerufen: 11. Juli 2012) Dort (Kap. VI, S. 66) heißt es: “In our journey westward across the Atlantic we shall pass in sight of that spot where once existed the pride and life of the ocean, the Land of Mu, which, at the epoch that we have been considering, had not yet been visited by the wrath of Humen, that lord of volcanic fires to whose fury it afterward fell a victim. The description of that land given to Solon by Sonchis, priest at Sais; its destruction by earthquakes, and submergence, recorded by Plato in his Timaeus, have been told and retold so many times that it is useless to encumber these pages with a repetition of it.”
  6. Siehe dazu z. B.: Lyon Sprague de Camp: Versunkene Kontinente – Von Atlantis, Lemuria und anderen untergegangenen Zivilisationen, München, 1975, S. 55
  7. Siehe: Percy Tate Griffith: My Friend Churchey and His Sunken Island of Mu: Biography of Colonel James Churchward, Dick Lowdermilk, 2004 (verfasst 1937/1938); sowie: Jack E. Churchward: My-Mu.com abgerufen: 11. Juli 2012
  8. Umberto Eco: Die Geschichte der legendären Länder und Städte. Hanser, München 2013, S. 198.
  9. L. Sprague de Camp erklärte (1975, S. 57, 58), laut Churchward sei die finale Katastrophe vor 13.000 Jahren erfolgt, leider ohne exakte Quellenangabe. Möglicherweise hat Churchward hierzu divergierende Daten genannt.
  10. Siehe dazu z. B.: Lyon Sprague de Camp: 'Mu' – James Churchward und das Atlantis des Pazifik abgerufen: 11. Juli 2012; sowie: Books of Col. James Churchward – Summary, bei: Biblioteca Pleyades; abgerufen: 10. Juli 2012
  11. Siehe: James Churchward: The Lost Continent of Mu, Motherland of Man, 1926
  12. Siehe: Augustus Le Plongeon: Queen Moo and the Egyptian Sphinx, 1896
  13. Siehe dazu: Lyon Sprague de Camp: Versunkene Kontinente (1975), S. 54–55
  14. Zu einer frühen Zurückweisung der von auch Churchward vertretenen Annahme, die Osterinsel sei der Überrest eines versunkenen Kontinents, siehe die 1940 – mehrere Jahre nach seinen dortigen Feldstudien – erschienene Monographie des Schweizer Anthropologen Alfred Métraux:Mysteries Of Easter Island. (Memento vom 6. April 2008 im Internet Archive; PDF; 129,2 kB) abgerufen: 11. Juli 2012
  15. Siehe über ihn: Cherry Hankin, 'Brown, John Macmillan – Biography'; aus: Dictionary of New Zealand Biography / Te Ara – the Encyclopedia of New Zealand; abgerufen: 11. Juli 2012
  16. Siehe: John Macmillan Brown: The Riddle of the Pacific, London 1924
  17. Siehe z. B.: Sinan Meydan: Atatürk Ve Kayip Kita Mu. İnkılap Kitabevi, 2008 (türkisch)
  18. Michael Knüppel: Hasan Reşit Tankut und der türkische Ursprung der Mayas. In: Materialia Turcica. Band 22, 2001.
  19. Siehe: J. F. Blumrich: Kasskara und die sieben Welten. München 1985; sowie online: Roland M. Horn: Kásskara und Taláwaitíchqua. und Ders.: Erinnerungen der Hopi an Atlantis. abgerufen: 10. Juli 2012
  20. Siehe zu ihm: Bernhard Beier: Dr. Nikolai Zhirov – Nikolai Zhirov und die autonome Entwicklung der Atlantologie in der UdSSR. abgerufen: 11. Juli 2012
  21. Quelle: N. Zhirov: Atlantis – Atlantology: Basic Problems. Honolulu / Hawaii, 2001, S. 155 (Reprint von 1970, Moskau)
  22. Siehe: J. Macmillan Brown: The languages of the Pacific, Honolulu (Bishop museum press), 1920
  23. Siehe dazu etwa: Frank Joseph:„Mu“ gefunden? - Im Pazifik versunkene Hochkultur zwischen Japan und Taiwan entdeckt! (Memento vom 18. Juli 2012 im Internet Archive); aus: Efodon-Synesis, Nr. 22/1997; sowie: Bernhard Beier: Mythologische Grundlagen für die Pazifika-Hypothese? Abschnitt: Churchwards 'Mu' – in australischen und japanischen Mythen? beide abgerufen: 11. Juli 2011
  24. Siehe dazu: William R. Corliss: Where Did Agriculture Really Begin? In: Science Frontiers, Nr. 86, März / April 1993 (Corliss verweist dazu als Referenz auf Leigh Dayton: Pacific Islanders Were World’s First Farmers, New Scientist, S. 14, 12. Dezember 1992); sowie: Peter Marsh: Polynesian Pathways. unter: Lapita pottery. (Marsh nimmt dort Bezug auf Ergebnisse der Untersuchungen von Tim Denham von der University of Adelaide im Kuk Swamp, Wahgi Valley im Hochland von Neuguinea, zwischen 1998 und 1999.) Beide Links abgerufen am: 11. Juli 2012
  25. Siehe dazu etwa: Masaaki Kimura: Mu tairiku wa Ryukyu ni atta (The Continent of Mu was in Ryukyu), Tokuma Shoten, 1991; Ders.: Sunken Citadel off Yonaguni Island. In: Ancient American, Vol. 6, S. 39; sowie: Robert M. Schoch: Ancient underwater pyramid structure off the coast of Yonaguni-jima. abgerufen: 11. Juli 2012

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A map from the book, "The Lost Continent of Mu", 1926. By James Churchward
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