Morganellaceae

Morganellaceae

Morganella morganii (sekundärelektronenmikroskopisches Bild)

Systematik
Domäne:Bakterien (Bacteria)
Abteilung:Proteobacteria
Klasse:Gammaproteobacteria
Ordnung:Enterobakterien (Enterobacterales)
Familie:Morganellaceae
Wissenschaftlicher Name
Morganellaceae
Adeolu et al. 2016

Die Morganellaceae sind eine Familie gramnegativer Bakterien. Nach dem phylogenetischen System gehören sie zur Ordnung der Enterobacterales in der Klasse der Gammaproteobacteria in der Abteilung (Divisio, bei den Prokaryoten auch als Phylum bezeichnet) Proteobacteria. Der Name der Familie leitet sich von der Typusgattung Morganella her.

Bis 2016 waren die Vertreter der Morganellaceae der Familie Enterobacteriaceae in der Ordnung „Enterobacteriales“ zugeordnet, jedoch war der Name dieser Ordnung nach den Regeln des Bakteriologischen Codes (ICBN) nicht gültig. 2016 führten phylogenetische Methoden zur Etablierung der Ordnung Enterobacterales (Enterobakterien), verbunden mit einer Aufteilung der bisher bekannten Taxa auf mehrere neue Familien. Zu der Familie Morganellaceae gehören acht Gattungen (Stand 2019), von denen viele Vertreter Teil der gesunden Darmflora von Menschen und Tieren sind.

Merkmale

Die Etablierung der Ordnung EnterobacteralesAdeolu et al. 2016 führte zu einer Aufteilung der bisher bekannten Taxa auf mehrere neue Familien.[1] Das bedeutet, dass Aussagen über Enterobacteriaceae oder Enterobakterien in der Literatur vor diesem Zeitpunkt zumindest teilweise auf Angehörige der Familie Morganellaceae übertragbar sind. Weitere spezifische Merkmale sind in der Erstbeschreibung von Adeolu et al. enthalten.

Erscheinungsbild

Die Zellen sind stäbchenförmig, es werden keine Endosporen gebildet. Die meisten Vertreter der Familie können sich mit Flagellen aktiv bewegen, sie sind motil,[2] es kommen jedoch auch Gattungen vor, die sich nicht aktiv bewegen können, z. B. Arsenophonus[3] und Moellerella[4]. Da die Zellwand aus wenigen Mureinschichten und einer zweiten, äußeren Membran aus Phospholipiden und Lipopolysacchariden besteht, sind die Morganellaceae gramnegativ.

Wachstum und Stoffwechsel

Cosenzaea myxofaciens im SIM-Agar mit positivem Ergebnis für die H2S-Bildung, mit negativem Ergebnis im Indol-Test und mit positivem Ergebnis für Motilität

Ihr Stoffwechsel ist fakultativ anaerob, daher können sie sowohl über Oxidation unter Anwesenheit von Sauerstoff Stoffe abbauen als auch unter anoxischen Bedingungen (kein Sauerstoff) Gärung betreiben. Bei den Morganellaceae verläuft der Oxidase-Test negativ. Sie nutzen nicht die 2,3-Butandiol-Gärung, folglich ist der Voges-Proskauer-Test zum Nachweis des Zwischenproduktes Acetoin in der 2,3-Butandiol-Gärung negativ. Ein weiteres Merkmal der Familie ist, dass bei den Vertretern das Enzym Arginindihydrolase (ADH) nicht vorkommt.[1] Weitere biochemische Eigenschaften, die in Diagnosetests genutzt werden, um die Morganellaceae-Gattungen zu unterscheiden, finden sich im Abschnitt Nachweise. Typisch für die Vertreter der Gattung Proteus ist ein deutliches Schwärmverhalten auf feuchten Nährböden.[2][5]

Phylogenetik

Siehe auch: Abschnitt Systematik und Taxonomie im Artikel der Ordnung Enterobacterales

Durch Verwendung phylogenetischer Methoden können die Stammesgeschichte und die verwandtschaftlichen Beziehungen der Bakterien untereinander geklärt werden. In der Beschreibung der Ordnung EnterobacteralesAdeolu et al. 2016 und der dazugehörigen Familien bilden die Morganellaceae in einem phylogenetischen Baum (basierend auf Genom- und Genanalysen) eine monophyletische Gruppe. Weiterhin werden sieben ‚konservierte charakteristische Indels‘ (engl. conserved signature inserts and deletions, CSI) festgelegt, die typisch für die Vertreter der Familie sind, aber nicht bei den anderen Bakterien der Ordnung vorkommen.[1]

Nachweise

Biochemische Merkmale, wie beispielsweise die vorhandenen Enzyme und die daraus resultierenden Stoffwechseleigenschaften, können in einer Bunten Reihe zur Unterscheidung der einzelnen Gattungen und Arten der Morganellaceae und damit zu ihrer Identifizierung genutzt werden. Ebenso ist dadurch die Unterscheidung von anderen Vertretern der Enterobakterien möglich. Die einzelnen Vertreter der Familie unterscheiden sich darin, ob sie Schwefelwasserstoff (H2S) bilden, die Hydrolyse von Gelatine durchführen, Citrat (mit Simmons Citrat-Agar) verwerten können, über das Enzym Urease verfügen, um Harnstoff abbauen zu können bzw. das Enzym β-Galactosidase besitzen, mit dem das Disaccharid Lactose (Milchzucker) hydrolytisch in die Monosaccharide Glucose und Galactose gespalten wird, um sie im Stoffwechsel zu nutzen. Üblicherweise wird auch die Verwertung weiterer Kohlenhydrate in Diagnosetests überprüft.[2][5]

Die Gattungen Proteus, Providencia und Morganella ähneln sich in ihren Stoffwechseleigenschaften. Alle drei Gattungen produzieren Phenylalanin-Desaminase, aber keine Arginindihydrolase (ADH), können kein Malonat verstoffwechseln und bilden keine Säure bei Dulcitol, D-Sorbitol und L-Arabinose-Verstoffwechselung.[5] Eine systematische Übersicht aus dem Jahr 2000 von Vertretern der drei Gattungen ist im Abschnitt Biochemische Nachweise im Artikel über die Gattung Proteus zu finden.

Diese Untersuchungen können für miniaturisierte Testsysteme verwendet werden. Typische Ergebnisse für die Vertreter der Morganellaceae sind in der frei zugänglichen Datenbank BacDive der DSMZ (Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen) einsehbar, z. B. für Proteus vulgaris.[6]

Systematik und Taxonomie

Äußere Systematik

Zu der 2016 etablierten Ordnung der Enterobacterales gehören acht Familien (unter anderem die Budviciaceae, Enterobacteriaceae und Hafniaceae) mit insgesamt etwa 60 Gattungen. Die neu festgelegte und damit den Regeln des Bakteriologischen Codes (ICBN) entsprechende Typusgattung der Ordnung ist die Gattung Enterobacter.[1][7]

Innere Systematik

Kolonien von Morganella morganii auf Blutagar
Schwärmen von Proteus auf Blutagar
Sekundärelektronenmikroskopisches Bild von Providencia alcalifaciens

Bereits in den 1960er Jahren wurde die nahe Verwandtschaft der zu dem Zeitpunkt bekannten Gattungen Proteus, Morganella und Providencia anhand phänotypischer Merkmale aufgezeigt. Sie wurden im Tribus Proteeae geführt. Die bekannten Arten waren zunächst der Gattung Proteus zugeordnet, aus der die beiden anderen Gattungen durch Reklassifizierung einzelner Arten etabliert wurden.[2] Bei später beschriebenen Gattungen, die in die Familie Enterobacteriaceae als einzige Familie in der Ordnung „Enterobacteriales“ gestellt wurden, wurde gelegentlich die Ähnlichkeit zu Proteus betont.[3] Die Stellung in eine gemeinsame Familie ist eine logische Konsequenz, die durch phylogenetische Methoden belegt wurde. In der Beschreibung der Ordnung Enterobacterales wird die monophyletische Gruppe im Kladogramm als Proteus-Xenorhabdus-Klade bezeichnet und als Familie Morganellaceae fam. nov. definiert.[1][8]

Die Typusgattung der Familie MorganellaceaeAdeolu et al. 2016 ist die Gattung Morganella, zu der Familie gehören die folgenden Gattungen (Stand 2019):[7][9]

  • ArsenophonusGherna et al. 1991
  • CosenzaeaGiammanco et al. 2011
  • MoellerellaHickman-Brenner et al. 1984
  • MorganellaFulton 1943, Typusgattung der Familie
  • PhotorhabdusBoemare et al. 1993
  • ProteusHauser 1885
  • ProvidenciaEwing 1962
  • Xenorhabdus Thomas andPoinar 1979

Synonyme

Die Klassifizierung im Tribus Proteeae in den 1960er Jahren zeigt die anfängliche Schwierigkeit, bestimmte Taxa sicher einer Gattung zuzuordnen. Dementsprechend ergeben sich zahlreiche Synonyme für bestimmte Bakterienarten und -gattungen in der Familie der Morganellaceae. Bei Morganella morganii (Winslow et al. 1919)Fulton 1943 und Proteus morganii (Winslow et al. 1919)Yale 1939, bei Providencia rettgeri (Hadley et al. 1918)Brenner et al. 1978 und Proteus rettgeri (Hadley et al. 1918)Rustigian andStuart 1943 sowie bei Providencia alcalifaciens (de Salles Gomes 1944)Ewing 1962 und Proteus inconstans (Ornstein 1920)Shaw andClarke 1955 handelt es sich jeweils um homotypische Synonyme, da beide Arten den gleichen Typusstamm aufweisen.[10]

Proteus myxofaciens wurde als Cosenzaea myxofaciens (Cosenza andPodgwaite 1966)Giammanco et al. 2011 reklassifiziert und somit gleichzeitig die Ordnung Cosenzaea etabliert. Analog dazu wurde Xenorhabdus luminescens als Photorhabdus luminescens (Thomas andPoinar 1979)Boemare et al. 1993 in die neue Gattung Photorhabdus gestellt.[10]

Vorkommen

Viele Arten der Morganellaceae sind Teil der gesunden Darmflora von Menschen und Tieren.[4][5] Sie werden – anders als manche anderen Vertreter der Enterobakterien wie beispielsweise Salmonella – nicht als unbedingt pathogen (krankheitserregend) angesehen, auch wenn sie in medizinischen Proben (z. B. Fäzes) nachgewiesen wurden, es sind eher opportunistische Erreger.[5] Auch auf oder in Insekten sind Morganellaceae zu finden, insbesondere Vertreter der Gattungen Arsenophonus, Xenorhabdus und Photorhabdus, die als pathogen für spezielle Insektenarten gelten.[3][11]

Bedeutung

Ökologische Bedeutung

Photorhabdus luminescens wurde aus Nematoden isoliert, mit denen das Bakterium eine Symbiose bildet, Vertreter der Gattungen Xenorhabdus und Photorhabdus werden als ‚entomopathogene nematophile Bakterien‘ bezeichnet, also Bakterien, die „gerne“ (symbiotisch) in Nematoden leben, die ihrerseits Insekten als Parasit besiedeln und diese schädigen. Bei den Nematoden handelt es sich um Vertreter der Familien Steinernematidae und Heterorhabditidae.[11] Die Nematoden mit ihren bakteriellen Symbionten werden für die biologische Schädlingsbekämpfung verwendet.

Medizinische Bedeutung

Einige Vertreter der Morganellaceae kommen als Erreger von nosokomialen Infektionen („Krankenhauskeime“) vor und infizieren Menschen mit schwachem Immunsystem. Insbesondere Proteus mirabilis, Proteus penneri und Morganella morganii sind klinisch bedeutsam als Erreger von beispielsweise Bakteriämie und Meningoenzephalitis bei frühgeborenen Säuglingen.[5]

Proteus mirabilis und P. penneri werden häufiger aus den Fäzes von Patienten mit Durchfall-Erkrankungen isoliert, ohne dass sie die eigentliche Ursache der Erkrankung sind. Hingegen können Harnwegsinfekte beispielsweise durch P. penneri oder Providencia stuartii verursacht werden, da diese Bakterien über das Enzym Urease verfügen und Harnstoff verwerten können. Die Infektionen treten oftmals bei Verwendung von Blasenkathetern auf.[5]

Quellen

Literatur

  • Volume 6: Proteobacteria: Gamma Subclass. In: Martin Dworkin, Stanley Falkow, Eugene Rosenberg, Karl-Heinz Schleifer, Erko Stackebrandt (Hrsg.): The Prokaryotes. A Handbook on the Biology of Bacteria. 3. Auflage. Springer-Verlag, New York 2006, ISBN 978-0-387-25496-8, doi:10.1007/0-387-30746-X_9.
  • Don J. Brenner, J. J. Farmer III: Family I. Enterobacteriaceae. In: George M. Garrity, Don J. Brenner, Noel R. Krieg, James T. Staley (Hrsg.): Bergey’s Manual of Systematic Bacteriology: Volume 2: The Proteobacteria, Part B: The Gammaproteobacteria. 2. Auflage. Springer-Verlag, New York 2005, ISBN 978-0-387-95040-2, S. 587–607.

Einzelnachweise

  1. a b c d e M. Adeolu, S. Alnajar, S. Naushad, R. S. Gupta: Genome-based phylogeny and taxonomy of the ‘Enterobacteriales’: proposal for Enterobacterales ord. nov. divided into the families Enterobacteriaceae, Erwiniaceae fam. nov., Pectobacteriaceae fam. nov., Yersiniaceae fam. nov., Hafniaceae fam. nov., Morganellaceae fam. nov., and Budviciaceae fam. nov. In: International Journal of Systematic and Evolutionary Microbiology. Nr. 66, Dezember 2016, S. 5575–5599, doi:10.1099/ijsem.0.001485.
  2. a b c d W. H. Ewing: The tribe Proteeae: Its Nomenclature And Taxonomy. In: International Bulletin of Bacteriological Nomenclature and Taxonomy. Band 12, Nr. 3, Juli 1962, S. 93–102, doi:10.1099/0096266X-12-3-93.
  3. a b c R. L. Gherna, J. H. Werren, W. Weisburg, R. Cote, C. R. Woese, L. Mandelco, D. J. Brenner: NOTES: Arsenophonus nasoniae gen. nov., sp. nov., the Causative Agent of the Son-Killer Trait in the Parasitic Wasp Nasonia vitripennis. In: International Journal of Systematic Bacteriology. Band 41, Nr. 4, Oktober 1991, doi:10.1099/00207713-41-4-563.
  4. a b F. W. Hickman-Brenner, G. P. Huntley-Carter, Y. Saitoh, A. G. Steigerwalt, J. J. Farmer, D. J. Brenner: Moellerella wisconsensis, a new genus and species of Enterobacteriaceae found in human stool specimens. In: Journal of clinical microbiology. Band 19, Nummer 4, April 1984, S. 460–463, PMID 6715516, PMC 271095 (freier Volltext).
  5. a b c d e f g C. M. O’Hara, F. W. Brenner, J. M. Miller: Classification, identification, and clinical significance of Proteus, Providencia, and Morganella. In: Clinical Microbiology Reviews. Band 13, Nummer 4, Oktober 2000, S. 534–546, doi:10.1128/cmr.13.4.534-546.2000, PMID 11023955, PMC 88947 (freier Volltext) (Review).
  6. Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ): Proteus vulgaris, Type Strain. In: Webseite BacDive. Abgerufen am 23. Dezember 2019.
  7. a b Jean Euzéby, Aidan C. Parte: Classification of domains and phyla - Hierarchical classification of prokaryotes (bacteria). In: List of Prokaryotic names with Standing in Nomenclature (LPSN). Abgerufen am 23. Dezember 2019.
  8. Jean Euzéby, Aidan C. Parte: Familiy Morganellaceae. In: List of Prokaryotic names with Standing in Nomenclature (LPSN). Abgerufen am 23. Dezember 2019.
  9. Taxonomy Browser Morganellaceae. In: Website National Center for Biotechnology Information (NCBI). Abgerufen am 23. Dezember 2019.
  10. a b Jean Euzéby, Aidan C. Parte: Genus Proteus. In: List of Prokaryotic names with Standing in Nomenclature (LPSN). Abgerufen am 23. Dezember 2019.
  11. a b N. E. Boemare, R. J. Akhurst, R. G. Mourant: DNA Relatedness between Xenorhabdus spp. (Enterobacteriaceae), Symbiotic Bacteria of Entomopathogenic Nematodes, and a Proposal To Transfer Xenorhabdus luminescens to a New Genus, Photorhabdus gen. nov. In: International Journal of Systematic Bacteriology. Band 43, Nr. 2, April 1993, S. 249–255, doi:10.1099/00207713-43-2-249.

Weblinks

Commons: Morganellaceae – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikispecies: Morganellaceae – Artenverzeichnis

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Cosenzaea myxofaciens (vorher als Proteus myxofaciens klassifizert) im SIM Agar, mit positivem Ergebnis für die H2S-Bildung, mit negativem Ergebnis im Indol-Test (nachdem Kovacs Indol-Reagenz hinzugefügt wurde), und mit positivem Ergebnis für Motilität.