Mordechai Vanunu
Mordechai Vanunu (hebräisch מרדכי ואנונו, * 13. Oktober 1954 in Marrakesch) ist ein israelischer Nukleartechniker.
Er enthüllte im Jahre 1986 die Existenz des bis dahin geheimgehaltenen Nuklearforschungsprogrammes Israels und bestätigte damit Indizien für die atomare Bewaffnung des Landes.
Leben
Vanunu wuchs als eines von zwölf Kindern einer frommen jüdisch-marokkanischen Familie auf, die 1963 von Marokko nach Israel auswanderte.[1] Sein Vater war Rabbiner in Be’er Scheva. Nach dem Militärdienst studierte Vanunu zunächst ein Jahr lang Physik, bevor er das Studium aus finanziellen Gründen abbrechen musste. Er arbeitete von 1976 an als Kontrolleur der Nachtschicht im von der israelischen Regierung lange geheim gehaltenen Dimona Nuclear Research Center im Negev, 90 km südlich von Jerusalem.
Daneben besuchte er an der Universität von Beerscheba Philosophiekurse und wechselte dabei vom politischen rechten ins extreme linke Lager: Er nahm an politischen Kursen der israelischen Kommunisten teil und trat schließlich deren Partei bei. Als Einzelgänger fand er dort jedoch keine Freunde, auch eine Liebesbeziehung scheiterte. Im Dezember 1985 wurde er in Dimona mit 180 anderen Arbeitern entlassen und beschloss, eine Weltreise zu machen.[2] Er besuchte dabei mehrere asiatische Länder. Während einer Australienreise 1986 trat er zum Christentum über.[3]
Enthüllungen über Israels Atomprogramm, Entführung und Haft
Bald darauf ging er mit der Behauptung, dass Israel Atommacht geworden sei, an die Öffentlichkeit. Er kontaktierte zunächst den Daily Mirror, dessen Verleger Robert Maxwell die Fotografien an Israel weiterleitete.
Noch bevor die Londoner Sunday Times Vanunus Hinweise mit seinen Fotos nach gründlicher Prüfung durch den britischen Atomexperten Frank Barnaby in einem Artikel am 5. Oktober 1986 veröffentlichte, wurde Vanunu am 30. September 1986 von der israelischen Agentin Cheryl Ben Tov („Cindy“) nach Rom gelockt, dort vom Mossad entführt, mit einer Injektion ohnmächtig gemacht und dann per Schiff in Diplomatengepäck nach Israel gebracht.[4] Die Entführung erfolgte ohne Einverständnis des Gastlandes Italien.
Sechs Wochen lang bestritt die israelische Regierung, etwas über Vanunus Verbleib zu wissen, bis es diesem gelang, aus einem Polizeibus heraus Journalisten eine Nachricht zukommen zu lassen, indem er eine heimlich auf seine Handinnenfläche geschriebene Nachricht – „Vanunu M – was hijacked – in Rome ITL – 30. 9. 86 – came to Rome – by BA Fly 504“ – an die Fensterscheibe hielt. Wegen Landesverrats und Spionage wurde er am 24. März 1988 zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er rund 11 Jahre in Isolationshaft im Schikma-Gefängnis in Aschkelon verbrachte.
Seit seiner Haftentlassung
Am 21. April 2004 wurde Vanunu unter strengen Auflagen freigelassen. Unter anderem darf er Israel nicht verlassen, darf sich keiner ausländischen Botschaft nähern und muss über geplante Ortswechsel Rechenschaft ablegen. Außerdem darf er weder das Internet noch Handys benutzen, und jeder Kontakt mit ausländischen Journalisten ist ihm verboten. Trotz der Auflagen hat er bereits über 100 Interviews gegeben, weswegen er mehrmals inhaftiert wurde. Zurzeit lebt er im Gästehaus der St.-Georgs-Basilika in Jerusalem.
Am 11. November 2004 meldete Haaretz die Festnahme von Vanunu. Er habe geheime Informationen weitergegeben. Er wurde jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt, die strengen Auflagen wurden allerdings für ein weiteres Jahr verlängert. Zusätzlich wurde gegen ihn im Zusammenhang mit der erneuten Festnahme Anklage in 21 Punkten erhoben.
Am 2. Juli 2007 entschied ein israelisches Gericht, dass Vanunu wieder für sechs Monate ins Gefängnis muss. Es hatte ihn schon im April schuldig befunden, Kontakt zu Ausländern gehabt und damit gegen Auflagen der Justiz verstoßen zu haben. Er legte Berufung ein, seine Strafe wurde auf drei Monate gesenkt.
Am 28. Dezember 2009 wurde Mordechai Vanunu erneut in Haft genommen[5][6] und am nächsten Tag in einen Hausarrest entlassen.[7]
Wegen der Verurteilung aus dem Jahre 2007 musste er am 23. Mai 2010 eine dreimonatige Haftstrafe antreten. Er hatte die Wahl, drei Monate ins Gefängnis zu gehen oder gemeinnützige Arbeit zu verrichten. Vanunu wollte die gemeinnützige Arbeit im arabischen Ostteil von Jerusalem verrichten, da er sich im jüdisch-bevölkerten Westteil Jerusalems durch Attacken von wütenden Israelis bedroht fühlte. Dies wurde ihm untersagt, sodass er am 23. Mai 2010 eine dreimonatige Haftstrafe antreten musste.[8][9][10]
Im Mai 2015 heiratete er in der Erlöserkirche in Jerusalem seine langjährige Partnerin Kristin Joachimsen, eine norwegische Theologie-Professorin.[11] Bereits 2007 und 2010 war er aufgrund seines Kontakts zu ihr verhaftet worden, da die Behörden darin einen Verstoß gegen seine Bewährungsauflagen sahen. 2005 hatte Norwegens Regierung seinen Antrag auf politisches Asyl unter Hinweis auf außenpolitische Interessen abgelehnt, wie 2004 bereits Schweden.[12][11] Im Frühjahr 2015 wurde Vanunus Antrag auf Ausreise aus Israel, um an der Seite seiner in Oslo arbeitenden Ehefrau leben zu können, von den israelischen Behörden nach einer Verlängerung seiner Auflagen um ein weiteres Jahr abgelehnt.[13] Ein Interview mit dem israelischen Fernsehsender Kanal 2, in dem er auf seine Situation aufmerksam machte – nachdem er die israelischen Medien bisher gemieden hatte – führte im September 2015 auf Betreiben des Geheimdienstes Schin Bet zu polizeilichen Ermittlungen[14] und schließlich zu einer erneuten gerichtlichen Bestrafung mit einer Woche Hausarrest.[15]
Auszeichnungen
1987 wurde er mit dem Right Livelihood Award ausgezeichnet, 2001 verlieh ihm die Universität Tromsø in Norwegen einen Ehrendoktortitel und im Jahr 2002 erhielt er den Nuclear-Free Future Award in der Kategorie „Widerstand“. Im Dezember 2004 wurde er zum Rektor der Universität Glasgow (Schottland) gewählt. Er wurde mehrfach für den Friedensnobelpreis nominiert.
Im Dezember 2010 sollte Vanunu die Carl-von-Ossietzky-Medaille von der Internationalen Liga für Menschenrechte verliehen werden. Da er aber nicht aus Israel ausreisen durfte, gab es statt des Festaktes in Berlin eine Protestveranstaltung, die gleichzeitig Auftakt der Kampagne für atomare Abrüstung (atomwaffenfreie Zonen) war.[16] Hierfür komponierte Joachim Johow ein Musikstück,[17] welches am 12. Dezember 2010 Uraufführung[18] hatte. Zuvor hatten sich mehrere Nobelpreisträger (u. a. Mairead Corrigan-Maguire, Günter Grass) und Nina Hagen mit der dringenden Bitte, Vanunu ausreisen zu lassen, an die israelische Regierung gewandt.[19]
Vanunu-Gesetz
1998 wurde in Israel das „Vanunu-Gesetz“ verabschiedet, welches den Strafvollzugsbehörden erlaubt, auch Briefe zu öffnen, die an Parlaments-Abgeordnete gerichtet sind. Dies war zuvor wegen deren Immunität verboten.
Literatur
- Cohen, Yoel: Die Vanunu-Affäre: Israels geheimes Atompotential. Palmyra, Heidelberg 1995, ISBN 3-930378-03-5
- Cohen, Yoel: The Whistleblower of Dimona: Israel, Dimona & the Bomb. Holmes & Meier, New York 2003, ISBN 0-8419-1432-X
- Hounam, Peter: The Woman from Mossad: The Torment of Mordechai Vanunu. Frog, 2000, ISBN 1-58394-005-7
Weblinks
- Literatur von und über Mordechai Vanunu im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Held der Atomwaffengegner, Deutschlandradio Kultur, Kalenderblatt vom 30. September 2011
- Joseph Croitoru: Die Angst vor Vanunu., Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. April 2004
- Darstellung Vanunus bei Amnesty International.
Einzelnachweise
- ↑ The Guardian profile: Mordechai Vanunu. In: The Guardian vom 16. April 2004, abgerufen am 17. September 2018 (englisch)
- ↑ Erich Follath: Das Phantom von Dimona. In: Der Spiegel, Heft 5 vom 26. Januar 2004, S. 110 ff.
- ↑ Annabel Wahba: Stolzer Staatsfeind. In: Der Tagesspiegel, 24. April 2004.
- ↑ Kahana, Historical of Dictionary Israeli Intelligence, Scarecrow Press 2006, S. XXXV
- ↑ Atomexperte Vanunu erneut festgenommen, Der Standard, 29. Dezember 2009
- ↑ Israeli Police Arrest Nuclear Whistleblower Vanunu ( vom 17. Oktober 2012 im Internet Archive), Reuters, 29. Dezember 2009
- ↑ Vanunu arrested for meeting foreigner. In: Jewish Telegraphic Agency.
- ↑ SonntagsZeitung: Israelischer Atom-Forscher Vanunu tritt dreimonatige Haftstrafe an, 24. Mai 2010
- ↑ Haaretz: ‘Shame on you, democracy,’ Vanunu yells as he returns to prison (englisch), 24. Mai 2010
- ↑ Amnesty International:Israeli government urged not to jail nuclear whistleblower again ( vom 6. Februar 2015 im Internet Archive) Presseerklärung vom 12. Mai 2010
- ↑ a b Israeli nuke activist marries Norwegian love. In: The Local (Norwegen) vom 20. Mai 2015, abgerufen am 26. November 2015 (englisch)
- ↑ Norway rejects Vanunu’s asylum request. In: Ynet news vom 15. April 2005, abgerufen am 26. November 2015 (englisch)
- ↑ Mordechai Vanunu, who spent 18 years in prison, will not be granted exit visa under unique release conditions. ( vom 30. September 2015 im Internet Archive) In: i24news vom 23. Mai 2015, abgerufen am 26. November 2015 (englisch)
- ↑ Police probe nuclear spy Vanunu over Israeli TV interview. In: Times of Israel vom 9. September 2015, abgerufen am 26. November 2015 (englisch)
- ↑ Mordechai Vanunu placed under house arrest after giving TV interview. In: The Guardian vom 10. September 2015, abgerufen am 26. November 2015 (englisch)
- ↑ Seit 49 Jahren erstmalige NICHT-Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille. Mordechai Vanunu darf nicht nach Berlin reisen (PDF; 32 kB), Internationale Liga für Menschenrechte, Presseerklärung vom 8. Dezember 2010
- ↑ http://www.ilmr.de/wp-content/uploads/2010/12/The_Dove.pdf
- ↑ "The Dove for Mordechai Vanunu" (Wolfram Beyer & I felici) ( vom 7. Juli 2012 im Webarchiv archive.today). Abgerufen am 19. Dezember 2010
- ↑ Nobel laureates urge Israel to let Vanunu receive int’l rights award, Haaretz, 20. November 2010
Personendaten | |
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NAME | Vanunu, Mordechai |
KURZBESCHREIBUNG | israelischer Nukleartechniker |
GEBURTSDATUM | 13. Oktober 1954 |
GEBURTSORT | Marrakesch |
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Mordechai Vanunu (Hebrew: מרדכי ואנונו, born in Marrakech, Morocco on 14 October 1954) is an Israeli former nuclear technician who revealed details of Israel's nuclear weapons program to the British press in 1986.