Mord von Potempa

Der als Mord von Potempa bezeichnete Mordfall war ein in der Nacht zum 10. August 1932 im oberschlesischen Dorf Potempa begangener brutaler tödlicher Angriff durch eine Gruppe von SA-Leuten auf einen Kommunisten in dessen Wohnhaus in Anwesenheit seiner Mutter und seines Bruders. Die Tat fand inmitten bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen vor und nach der Reichstagswahl im Juli 1932 statt und war eine von hunderten Gewalttaten. Aber er war der erste Mord, der begangen wurde, nachdem die Regierung Papen am Tag vorher für politisch motivierte tödliche Angriffe die Todesstrafe eingeführt hatte. Die Regierung Papen versuchte mit dieser Maßnahme die Autorität der Weimarer Republik zu retten. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) und ihr Vorsitzender Adolf Hitler bemühten sich dagegen diese Autorität vollends zu zerstören, indem sie sich mit den Tätern öffentlich solidarisierten, als diese, schnell gefasst, schon am 22. August zum Tode verurteilt worden waren.

SA-Gewalt nach den Reichstagswahlen

Hitler hatte 1930 eidlich versichert, die Macht auf rein legalem Wege erobern zu wollen, diese Strategie war aber in seiner Partei umstritten. Nachdem die NSDAP bei den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932 stärkste Partei geworden war, die absolute Mehrheit jedoch verfehlt hatte, versuchten Teile der SA durch offenen Terror einen Bürgerkrieg auszulösen. In der Nacht auf den 1. August 1932 verübte sie in Königsberg Bombenanschläge und andere massive Gewalttaten, denen unter anderem der Landtagsabgeordnete Gustav Sauf (KPD) und der durch den Preußenschlag kurz zuvor abgesetzte Regierungspräsident von Königsberg (DVP) zum Opfer fielen. In den folgenden Tagen breitete sich der Terror der SA über ganz Ostpreußen aus: Gegner des Nationalsozialismus wurden ermordet, jüdische Geschäfte angegriffen. Ab dem 2. August griff die SA auch in Schlesien mit Bomben und Schusswaffen Kommunisten, Sozialdemokraten, und Konsumgenossenschaften an. Der Mord von Potempa war der schreckliche Höhepunkt dieser Gewaltwelle.[1]

Mordfall und Nachwirkung

In der Nacht vom 9. auf den 10. August 1932 drangen in dem oberschlesischen Dorf Potempa (heute Teil der Landgemeinde Krupski Młyn in Polen) mehrere uniformierte SA-Leute in die Wohnung des Arbeiters und Gewerkschafters Konrad Pietrzuch (Pietzuch, Piecuch, Pietczuch)[2] ein und prügelten und traten in Anwesenheit seines Bruders und seiner Mutter auf ihn ein. Als er tödlich verletzt am Boden lag, erschossen sie ihn schließlich.[3]

Die um die Einhaltung von Recht und Ordnung bemühte Reichsregierung unter Reichskanzler Franz von Papen hatte nach mehreren mörderischen Auseinandersetzungen im Anschluss an die Aufhebung des SA-Verbotes vom Juni 1932 einige Stunden zuvor am 9. August die Notverordnung Verordnung des Reichspräsidenten gegen politischen Terror (RGBl. I, S. 403) erlassen, die für politisch motivierten Totschlag die Todesstrafe vorsah.[4]

Auch um die Autorität der Reichsregierung zu retten, wurden neun SA-Leute angeklagt und fünf der beteiligten SA-Leute in einem Schnellverfahren durch ein Sondergericht in Beuthen am 22. August 1932 wegen politischen Totschlags bzw. Anstiftung zum Mord zum Tode verurteilt.[5] Es handelte sich um

  • Paul Lachmann (* 20. Dezember 1893 in Erdmannsheim, Kreis Lublinitz, Polnisch Oberschlesien), Gastwirt aus Potempa, als Anstifter
  • Reinhold Kottisch (* 19. November 1906 in Eichenau, Polnisch Oberschlesien; † 1. Juli 1943 in Olschany bei Charkow, Ukraine, vermisst), Elektriker
  • Rufin Wolnitza (* 10. Mai 1907 in Mikulschütz; † 13. Dezember 1941 in Tschudowo), Grubenarbeiter
  • August Gräupner (* 16. August 1899 in Schwarzwald-Kolonie, Polnisch Oberschlesien), Häuer
  • Helmut Josef Müller (12. Mai 1898 in Sterkrade), Markenkontrolleur

Daraufhin überschlug sich die nationalsozialistische Propaganda. Hitler nannte von Papen daraufhin öffentlich einen „Bluthund“ und schickte den Tätern am 22. August ein im Völkischen Beobachter vom 24. August 1932 abgedrucktes Telegramm folgenden Inhalts: „Meine Kameraden! Angesichts dieses ungeheuerlichen Bluturteils fühle ich mich Euch in unbegrenzter Treue verbunden. Eure Freiheit ist von diesem Augenblick an eine Frage unserer Ehre. Der Kampf gegen eine Regierung, unter der dies möglich war, unsere Pflicht!“[6] Rosenberg führte im Völkischen Beobachter vom 26. August zu der Tat und dem nationalsozialistischen Rechtsverständnis aus: „Deshalb setzt der Nationalsozialismus auch w e l t a n s c h a u l i c h ein. Für ihn ist nicht Seele gleich Seele, nicht Mensch gleich Mensch; für ihn gibt es kein ‚Recht an sich‘, sondern sein Ziel ist der starke d e u t s c h e Mensch, sein Bekenntnis ist der S c h u t z dieses Deutschen, und a l l e s Recht und Gesellschaftsleben, Politik und Wirtschaft, hat sich nach d i e s e r Zwecksetzung einzustellen [. . .] die Aufhebung des Bluturteils die u n u m g ä n g l i c h e Voraussetzung zur Wiederherstellung einer volksschützenden Neuordnung der sozialen Werte.“ Am 8. September 1932 in München vertrat Hitler in einer Rede die Ansicht, „im nationalsozialistischen Reich würden niemals fünf deutsche Männer wegen eines Polen verurteilt werden.“[6]

Angesichts des zunehmenden Drucks der Nationalsozialisten auf die schwache Reichsregierung unter Papen wandelte Reichspräsident Hindenburg auf Empfehlung von Justizminister Franz Gürtner die Todesstrafe am 2. September 1932 in lebenslanges Zuchthaus um. Als Begründung wurde angegeben, dass die am Vortag der Mordnacht erlassene Notverordnung noch nicht öffentlich verkündet worden sei und den Tätern daher nicht bekannt gewesen sein könne.[7] Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verkündete die Regierung Hitler für die Mörder von Potempa und ähnlich gelagerte Fälle eine Amnestie nur für die „Vorkämpfer der nationalen Erhebung“ und ließ sämtliche an der Ermordung Konrad Pietrzuchs beteiligten Täter am 23. März 1933 frei.[8]

Literatur

  • Paul Kluke: Der Fall Potempa. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, München, 5 (1957), S. 279–296 (Digitalisat)
  • Richard Bessel: The Potempa Murder. In: Central European History 10 (1977), Heft 3, S. 241–254.
  • Heinrich Hannover, Elisabeth Hannover-Drück: Politische Justiz 1918–1933. Fischer, Frankfurt a. M. 1966. Mehrere Neuauflagen.
  • Klaus Rüffler: Vom Münchener Landfriedensbruch bis zum Mord von Potempa: Der „Legalitätskurs“ der NSDAP. Lang, Frankfurt/Berlin 1994. ISBN 3-631-47213-7 (Dissertation, Universität Mainz, 1993)
  • Daniel Siemens: Sturmabteilung: Die Geschichte der SA. Siedler, München 2019, ISBN 978-3-8275-0051-9.

Einzelnachweise

  1. Peter Longerich: Die braunen Bataillone. Geschichte der SA. Beck, München 1989, ISBN 3-406-33624-8, S. 156 ff.
  2. als „Pietrzuch“ bei Paul Kluke: Der Fall Potempa. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 5 (1957), S. 279. (Digitalisat)
  3. Peter Longerich: Die braunen Bataillone. Geschichte der SA. Beck, München 1989, S. 158.
  4. Ministerbesprechung vom 9. August 1932
  5. Paul Kluke: Der Fall Potempa. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 5 (1957), S. 282 (online).
  6. a b Paul Kluke: Der Fall Potempa. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, München, 5 (1957), S. 279ff, hier S. 285. (Digitalisat)
  7. Sitzung des Preußischen Staatsministeriums vom 2. September 1932
  8. Scared to Death (Zeitgenössische Berichterstattung aus der TIME, 27. März 1933)