Mittelpommersch

Das Mittelpommersche ist ein ostniederdeutscher Dialekt, dessen geographische Verbreitung zwischen dem nordwestlich benachbarten Mecklenburgisch-Vorpommerschen und dem vormals östlich benachbarten Ostpommerschen liegt. Es unterscheidet sich von beiden u. a. durch das Ausbleiben der Diphthongierung mittelniederdeutscher Langvokale, daher mp. Kooken, he statt mvp. Kauken „Kuchen“, hei „er“.[1] Darin stimmt es mit dem südlich benachbarten Nordmärkischen überein und gehört daher dialektgeografisch zum Märkischen.

Lautkarte „Ohren“
Grenzen des Mittelpommerschen anhand der Wenkerkarte „Ohren“ (um 1880). Vorpommersch, Mecklenburgisch und nördliches Nordmärkisch haben Uhren (rosa umrandet), Ostpommersch hat Ohre (rot umrandet) bzw. Ohra (blau umrandet) Mittelpommersch hat Ohrn’ /o:rņ/ bzw. Ohrn /o:ɐn/.

Westlich des Mittelpommerschen befindet sich ein Übergangsbereich zum Vorpommerschen (Strelitzisch, nordöstlich, östlich und südlich von Neubrandenburg), der dadurch charakterisiert ist, dass er (wie das Mittelpommersche) die Langvokale ê und ô nicht diphthongiert, aber (wie das Vorpommersche und Teile des Märkischen) ê und ô vor r zu ie und uh hebt (Kooken, he „er“ aber ierst „erst“, Uhr „Ohr“).[2]

Beschreibung

Die Bezeichnung „mittelpommersch“ bezeichnete nach Pfaff (1898, S. 1), mit Bezug auf das Brockhaus Conversations-Lexicon, 5. Auflage 1819-1822 / 1826, S. 27ff.) ursprünglich „den dialect, der in der Stettiner Gegend, d. h. in den kreisen Randow und dem westlichen teile des kreises Greifenhagen (Regierungsbezirk Stettin) gesprochen wird“.[1] Diese rein geographische Definition wurde in der Folgezeit durch eine Definition nach linguistischen Merkmalen ersetzt, aus denen sich eine über dieses Kerngebiet hinausgehende Verbreitung ergibt.

Definierende Merkmale

Merkmale, die das Mittelpommersche von anderen märkischen Dialekten unterscheidet (jedoch mit der Uckermark teilt), beinhalten

  • Velarisierung des mnd. Hiats (buggen /bugŋ̩~buŋŋ̩/ „bauen“, FruggenFrauen“, dröch „trocken“, teggen [neben tein] „zehn“, schniggen „schneien“). Im Märkischen dagegen eher Vokalisierung, Assimilation oder Diphthongierung des Hiats (mmk. draie „trocken“[3], nmk. buun „bauen“, schnien „schneien“ [Wenkersätze Fahrenwalde]). Das Mittelpommersche entspricht hierin dem Ostfälischen.
  • Ausbleiben der Palatalisierung in dat „das“, anner „andere“, Ganter „Ganter“ gegenüber nmk. det, änner, Genter.[3]

In seinen spezifischen Merkmalen entspricht es ansonsten dem Nordmärkischen:

  • typische Leitworte oftmals niederländischer Herkunft, z. B. leech, leeg „niedrig“, Molle „kleiner Trog“ (bln. „Glas Bier“), Kossät „Bauer“, Kumm „Gefäß“, Spind „Schrank“, Tiene „Holzgefäß, Waschfaß“,[4] Padde „Frosch“, Bäsinge „Heidelbeere“, böömig „stumpf (von Zähnen)“, Pütten „Ziehbrunnen“, Pieråtz „Regenwurm“, Mier „Ameise“.[5] Wichtiges sprachliches Abgrenzungsmerkmal gegenüber dem westlich benachbarten Vorpommerschen und dem (historisch) östlich benachbarten Ostpommerschen.
  • Ausbleiben der Diphthongierung von mnd. ô und ê (nmk. leef, mvp. leif „lieb“[6]; nmk. Book, mvp. Bauk „Buch“[7]; nmk. sööt „süß“, mvp. säut[6]). Wichtiges sprachliches Abgrenzungsmerkmal gegenüber dem westlich benachbarten Vorpommerschen und dem (historisch) östlich benachbarten Ostpommerschen.
  • kein Schwund des auslautenden -n (nåhmen „genommen“) in Abgrenzung vom Ostpommerschen (naume).[5]
  • Bewahrung von mittelniederdeutsch -nd- als -nn-, z. B. in hinnen „hinten“.[6]
  • Partizip Präteritum wird (wie im nmk. und vp.) nicht durch ein Präfix markiert (mp. loopen).[4]
  • Artikulation des langen mnd. â als /ɔː/ (langes, dumpfes o), z. B. in måken „machen“.[6]
  • Verlust des auslautenden -e (mpomm.nmk. Jäns, Gäns „Gänse“, mmk. Jänse, op. Gööse; dien Schwester, op. diene Schwester).[6][5]
  • Die für das Mecklenburg-Vorpommersche (z. T. aber auch im Märkischen verbreitete) charakteristische Hebung von langem e und o vor r unterbleibt, daher mp. Peerd und Ohr statt mvp. Pier(d) „Pferd“ und Uhr „Ohr“.
  • Ersetzung des Dativs durch den Akkusativ (wie im Märkischen), up dat Feld „auf dem Felde“, op. dem.[5]

Als typisch gilt u. a. eine weitreichende Reduktion unbetonter (auch ursprünglich langer) Vokale, daher treten Pronomina oftmals klitisch auf, daher 'k heff't „ich habe es“, wull'f „wollten wir“, 't blifft „es bleibt“, ka'k „kann ich“, oder hemm'ch „habt ihr“. Das ist allerdings nicht auf Pronomen beschränkt, sondern tritt auch bei Komposita auf, z. B. Hantschen /hɑntʃn̩/ „Handschuhe“ (< *hant-schô-(e)n), Schosten /ʃɔstn̩/ „Schornstein“ (< *-steen), barft /bɑ:ft/ „barfuß“ (< *bar-fôt), Käsper /kɜspɐ/ „Kirsche“ (< *kerse-bêre). Bei klitischen Pronomina oder intransparenten Komposita werden assimilierte Vokale meist nicht geschrieben, bei morphologisch transparenten Fügungen meist als e (e.g., -en für /-n̩/, -el für /-ɭ̩/, -(gg)en für /-(ŋ)ŋ̩/, -(k)en für /-(k)ŋ̩/).[8] Gelegentlich begegnet auch eine Schreibung mit Apostroph. Häufiger wird diese für -ben- genutzt, das zu /m/ oder // assimiliert und dementsprechend als -m-, -mm' und nur historisierend als -bben geschrieben wird (Åmd „Abend“; hemm' oder hebben „haben“).[8]

Das Mittelpommersche ist nicht völlig einheitlich. Ein Unterschied zwischen westlichem und östlichen Mittelpommerschen (historische Mundart östlich der Oder) ist die Ersetzung von -ol- durch -ul- vor (mnd.) Dental (west-mp. koll „kalt“, oll „alt“; ost-mp. kull, ull).[9] Das östliche Mittelpommersch ist allerdings kaum belegt, wurde kaum untersucht und ist seit dem Zweiten Weltkrieg ausgestorben, weshalb das westliche Mittelpommersch als Standardvarietät anzusehen ist.[10] Ein Unterschied zwischen südlichem und nördlichem Mittelpommersch ist die Aussprache von anlautendem g- als j- (süd-mp./uckermärkisch Joarn „Garten“, nord-mp. Goarn).

Sprachwissenschaftliche Klassifikation

Die sprachliche Nähe des Mittelpommerschen zum Märkischen ist allgemeiner Konsens, ebenso wie dass es einen Interferenzraum zwischen Märkisch und Vorpommersch gibt, innerhalb dessen das Mittelpommersche den Maximalpunkt märkischen Einflusses in Vorpommern darstellt. Die sprachwissenschaftliche Klassifikation des Mittelpommerschen in Abgrenzung zum Vorpommerschen und Nordmärkischen wird jedoch unterschiedlich beurteilt:

  • Mittelpommersch als Varietät des Nordmärkischen: Mittelpommersch und Nordmärkisch stehen einander sehr nahe und insbesondere fällt die Nordgrenze Brandenburgs nicht mit sprachlichen Unterschieden zusammen.[11] Eine mögliche Sichtweise ist daher, das Mittelpommersche als Varietät des Nordmärkischen anzusehen (so Mitzka/Schwarz).[12]
  • Mittelpommersch als eigenständige Varietät des Märkischen: Die Abgrenzung zwischen Mittelpommersch und Nordmärkisch und die Einordnung des Uckermärkischen werden unterschiedlich beurteilt und die Grenze zwischen ihnen unterschiedlich verortet. Um überhaupt sprachliche Trennungskriterien zu finden, rechnet z. B. Schönfeld (1981, S. 154 f.)[13] das östliche Uckermärkische vollständig zum Mittelpommerschen, so dass seine Südgrenze nördlich von Eberswalde verortet wird und es damit direkt nördlich an das Mittelmärkische anschließt. Die Sprecher der Uckermark empfinden dagegen ihren Dialekt („uckermärkisch“) als weitgehend einheitlich, weshalb eine solche Trennung innerhalb der Uckermark von den Sprechern selbst eher abgelehnt wird.[14]
  • Mittelpommersch als Nordostniederdeutsch: In der jüngeren Literatur findet sich auch der Vorschlag, das Mittelpommersche vom Märkischen abzusetzen und gemeinsam mit dem Mecklenburg-Vorpommerschen zu einem „nordostniederdeutschen“ Dialektraum zusammenzufassen (Ehlers 2019, S. 591), der sich vom „brandenburgischen Sondergebiet“ dadurch unterscheidet, dass dieses zunehmend mitteldeutsche Züge angenommen hat.[15] Das definierende Merkmal dieser Sichtweise ist allerdings nicht historisch-linguistisch, sondern eher der Grad des Dialektverfalls, der in Brandenburg stärker fortgeschritten ist als in Vorpommern und der Uckermark.

Entgegen der traditionellen Gliederung des Märkischen nach lautlichen Merkmalen (evtl. auch aufgrund der Schwierigkeit, solche zu benennen) greift Stellmacher (1980, S. 465) zur Abgrenzung von Mittelpommersch und Nordmärkisch auf ein morphologisches Merkmal, die Bildung des Diminuitivs auf -ing (mvp. und, nach Stellmacher, nmk.) bzw. -ke (mpomm.) zurück, wodurch die Westgrenze des Mittelpommerschen östlich von Prenzlau verläuft, die Südgrenze sich hingegen bis zur Grenze des Mittelmärkischen ausdehnt.[16] Diese Klassifikation hat sich allerdings nicht durchgesetzt, was durchaus auch daran liegen mag, dass das Mittelpommersche nach Zeugnis der Wenkerbögen Diminuitivbildungen eher zu vermeiden scheint (Äpfelchen wird regelmäßig durch „[kleine] Äpfel“ umschrieben),[17] dass die zur Illustration gewählte Isoglosse Madding/Mädke „Regenwurm“ ein Wort beinhaltet, das Mittelpommersch eigentlich nicht vorkommt (stattdessen wird Pieråtz verwendet), daran, dass das nordmärkische Suffix eigentlich nicht -ing wie im Mecklenburgischen ist, sondern -ink (vgl. dazu Blume 1933),[18] oder daran, dass diese Diminuitiv-Grenze nicht trennscharf ist, sondern für unterschiedliche phonologische und semantische Kontexte unterschiedlich verläuft (für nmk.mp. Müürken „Mäuerchen“ existiert keine mvp. Entsprechung *Müüring, stattdessen gilt Müürken bis weit hinein nach Mecklenburg, vgl. Wenkeratlas, WA 490[19]; gleichzeitig sind Mudding „Mutti“ und Öming „Oma“ bis hinein in das Märkische und Mittelpommersche verbreitet).

Sprachwissenschaftlich falsch ist es, das Mittelpommersche zum Vorpommerschen zu stellen. Die Verwendung des Adjektivs „vorpommersch“, die für mittelpommersche Varietäten außerhalb Brandenburgs vereinzelt auftritt, ist daher nur als geographische oder administrative, nicht als sprachwissenschaftliche Zuordnung zu verstehen.

Phonologie

Das mittelpommersche Vokalsystem ist beschrieben bei Pfaff (1898; für den Ort Stöven).[1] Mit der Beschreibung der Phonologie des uckermärkischen Warthe hat Teuchert (1907) eine Ortsgrammatik für einen Ort im Übergangsbereich zwischen Nordmärkisch und Mittelpommersch vorgelegt, die sich ebenfalls auf Vokalismus konzentriert, für das Mittelpommersche allerdings nur für die Beschreibung des Konsonantismus herangezogen werden kann.[20] Im Vokalismus zeigt Warthe mittelpommersche Züge wie das Ausbleiben der Palatalisierung (dat statt det „das“), gleichzeitig aber Hebung von ô und ê vor r (wie im Mecklenburgisch-Vorpommerschen und Teilen des Märkischen, in diesem Fall als nordmärkisches Merkmal zu bewerten).

Ausgewählte Merkmale beinhalten:

  • Vokalisierung von r nach Langvokalen (außer nach a, wo es erhalten bleibt oder ganz schwindet): hier /hi:ɛ/ „hier“, Muur /mu:ɛ/ „Mauer“; jedoch darn /dɑ:rn ~ dɑ:n/ „dürfen“, Nar /nɑ:r/ „Narr“, ebenso nach unbetonten Kurzvokalen: Kinner /'kɪ.nɛ/ „Kinder“, verjeeten /fɛ'je:tņ/ „vergessen“; aber öwwerrall /'œvɛ.ral/ „überall“ (Pfaff 1898, S. 10; für Stöven). In der Uckermark ist die Vokalisierung von -r bzw. -er eher /ɐ/ (so auch im hochdeutschen Regiolekt), historisch vereinzelt als a geschrieben und so auch im Wenkeratlas ausgewiesen. Der besseren Verständlichkeit empfiehlt sich eine Schreibung mit r bzw. er nach hochdeutschem Vorbild.
  • Palatalisierung von mnd. s- vor Konsonanten (stief „steif“, schmalitzich „schmächtig“, schwart „schwarz“, Pfaff 1898, S. 4, 8, 9). In Teilen des Nordmärkischen war die ursprüngliche Lautung bis ins 20. Jh. bewahrt, im Mecklenburgischen z. T. bis in die Gegenwart.

Vokale

Pfaff (1898) postuliert für Stöven folgendes Vokalinventar (originale Schreibung, Approximation in IPA, mögliche Schreibung):[1]

überkurzkurzlangDiphthongeKommentar
Hoch
[ɪ̯]⟨i⟩ì (ï)/ɪ/ [ɨ]⟨i⟩

(auch ⟨ü⟩)

î

(i)

/i:/

[i]

⟨ie⟩, auch ⟨i⟩, ⟨ih⟩[ɨ]: Allophon von /ɪ/ neben /ſ/

[i]: Allophon von /i:/ vor stimmlosen Konsonanten (Pfaff 1898, S.28f)

[ʊ̯]⟨u⟩ù/ʊ/⟨u⟩û

(u)

/u:/

[u]

⟨uu⟩, auch ⟨u⟩, ⟨uh⟩[u]: Allophon von /u:/ vor stimmlosen Konsonanten (Pfaff 1898, S.28f)
n̤̖[ʏ̯]⟨ü⟩ǜ/ʏ/⟨ü⟩ü̂

(ü)

/y:/

[y]

⟨üü⟩, auch ⟨ü⟩, ⟨üh⟩Umlaut

[y]: Allphon von /y:/ vor stimmlosen Konsonanten (Pfaff 1898, S. 28f)

Mittel, gespannt (= mnd. lang, „altlang“)Diphthong
ê/e:/⟨ee⟩, auch ⟨eh⟩äi/ɛɪ̯/ (modern /aɪ̯/)⟨ei⟩
ô/o:/⟨oo⟩, auch ⟨oh⟩ou/ɔʊ̯/ (modern /aʊ̯/)⟨ou⟩, ⟨ow⟩*; modern ⟨au⟩* -ow in Ortsnamen modern z. T. bewahrt
ö̂/ø:/⟨öö⟩, auch ⟨öh⟩öü/œʏ̯/ (modern /ɔɪ̯/)⟨öi⟩, ⟨öj⟩; modern ⟨eu⟩, ⟨äu⟩Umlaut
Mittel, ungespannt (= mnd. kurz, „tonlang“)
ɐ̤[ɛ̯]⟨er⟩ä/ɛ/⟨e⟩, z. T. ⟨ä⟩ē,ǟ/ɛ:/⟨ää⟩, auch ⟨ä⟩, ⟨e⟩, ⟨äh⟩, ⟨eh⟩, ⟨ae⟩ɐ̤ [ɛ̯] bei Pfaff stets für mnd. e + r
ə/ɘ/ [ɘ~ɪ̯]⟨e⟩,⟨i⟩Schreibung i in -ich (-ig) und ji-, sonst meist e
o[ɔ̯]⟨o⟩o/ɔ/⟨o⟩ō/ɔ:/⟨å⟩, auch ⟨åå⟩, ⟨åh⟩, z. T. ⟨oh⟩, ⟨o⟩
[œ̯]⟨ö⟩ö/œ/⟨ö⟩ȫ/œ:/⟨œ⟩, auch ⟨œh⟩, ⟨ö⟩, z. T. ⟨öh⟩Umlaut
Tief
ɐ[a̯]⟨a⟩a/a/⟨a⟩ā[ɑ:]⟨ar⟩, auch ⟨ahr⟩[ɑ:]: Allophon von /a/ vor mnd. r auf

Anm.:

  • Pfaff unterscheidet Phoneme und ihre allophonischen Varianten nicht, bemerkt aber, dass die Trennung von kurzen und überkurzen Vokalen schwierig sei. Die überkurzen Vokale sind jeweils Allophon des zugehörigen Kurzvokals in unbetonter Umgebung. /ɑ:/ ist ein Allophon von /a/ vor r, weshalb die Länge im Schriftbild unbezeichnet bleiben kann. Der von ihm postulierte Unterschied von „ē“ und „ǟ“ bezeichnet allophonische Variation vor r, ist aber in den Details der Lautung nicht nachvollziehbar. Der Laut /ɨ/ ist allophonische Variante von /ɪ/ z. B. in Schipp „Schiff“; meist (nach hochdeutschem Vorbild) i geschrieben, vereinzelt (in Annäherung der Lautung) ü. Es gibt keine Minimalpaare von überkurzen und kurzen Vokalen, insofern sind die überkurzen Vokale nur als kontextuelle Varianten der Kurzvokale anzusehen und werden dementsprechend in der Schreibung nicht besonders vermerkt.
  • Pfaff beschreibt die Aussprache von seinem „ə“ als Hochvokal nahe /ɪ̯/ (trennt ihn aber von überkurzem i, seinem „ᴉ“) und führt ihn auf unbetontes mnd. e und i zurück, die im Wesentlichen hochdeutsch e und i entsprechen. Im modernen Schriftgebrauch wird für ersteres e, für letzteres i geschrieben, auch die moderne Aussprache scheint sich (im Gegensatz zu den Beobachtungen von Pfaff) nicht vom Hochdeutschen zu unterscheiden.
  • Die hier verwendete Schreibung folgt Krienke (1999),[7] insbesondere hinsichtlich des Gebrauchs von å und œ. Im freien Schriftgebrauch werden diese meist durch o, oh, oa, ao bzw. ö, öh, oe ersetzt. Vereinzelt werden å und œ auch hyperkorrekt für die entsprechenden Kurzvokale geschrieben, darauf sollte im Sinne der Eindeutigkeit verzichtet werden.
  • Die Alternation von e und ä zur Bezeichnung von kurzem /ɛ/ besitzt keine phonologische Grundlage. Schriftgewohnheit ist Schreibung mit ä, wenn eine Entsprechung mit hochdeutsch a (ä) existiert oder eine transparente Ableitung von einer Form mit a vorliegt (Äppel „Äpfel“ zum sg. Appel); sonst Schreibung mit e.
  • Postvokalisches -r wird vokalisiert oder beeinflusst die Vokalqualität (Dehnung), vereinzelt dringt das in die Schreibung vor (z. B. im Wenkeratlas, Oan „Ohren“). Für die Sprecher leichter lesbar und daher meist bevorzugt ist aber eine Schreibung als -r bzw. -er (Ohrn „Ohren“).
  • Die Schreibung der Vokallänge orientiert sich am Hochdeutschen und erfolgt durch Vokalverdopplung (ee, ie, oo, uu, öö, üü, selten åå, aa), Anfügung von h (ah, åh, eh, ih, oh, uh, öh, œh, üh) bzw. unterbleibt in offenen Silben oder Dehnungskontexten (z. B. von a vor r; a, å¸ e, i, o, u, ö, œ, ü). Schreibung mit -h wird meist in Anlehnung an hochdeutsche Entsprechungen verwendet (Ohr „Ohr“, aber Kooken „Kuchen“; Båhn „Bahn“, aber Åål „Aal“, Ådbeer „Storch“) oder dient zur Trennung gespannter (meist oo, öö geschrieben) und ungespannter Langvokale (meist å, œ geschrieben, in ASCII auch oh, öh). Nach hochdeutschem Vorbild findet sich gelegentlich die Schreibung von gespanntem /e:/, /o:/ und /ø:/ mit einfachem Vokal (e, o, ö), sollte aber aus Gründen der Eindeutigkeit vermieden werden, da die reguläre Tondehnung in den entsprechenden Kontexten ungespanntes /ɛ:/, /ɔ:/ und /œ:/ ergibt.
  • Die Schreibung der Vokalkürze orientiert sich am Hochdeutschen und erfolgt durch Verdopplung des nachfolgenden Konsonanten (in offenen Silben) oder bleibt unbezeichnet (in geschlossenen Silben).
  • In Funktionsworten bleibt Vokallänge meist unbezeichnet (he „er“, eigentlich hee zu schreiben) oder folgt dem hochdeutschen Vorbild (ehr „ihr“).
  • Der Lautstand der Vokale entspricht weitgehend dem Nordmärkischen, wobei die dort regional verbreitete Hebung vor r stets unterbleibt.

Morphologie

Die mittelpommersche Morphologie ist unerforscht, scheint sich nach Zeugnis der Wenkerbögen[21] aber nicht wesentlich vom Nordmärkischen zu unterscheiden. Charakteristisch ist Verlust des auslautenden -e (wie Nordmärkisch und Mecklenburgisch-Vorpommersch: mpomm.nmk. Jäns, Gäns „Gänse“),[6][5] die Bewahrung von auslautendem -n (nåhmen „genommen“; wie Nordmärkisch und Mecklenburgisch-Vorpommersch, im Gegensatz zum Ostpommerschen naume),[5] und das Ausbleiben des Präfix ge- in der Verbalflexion (mp. loopen; wie Nordmärkisch und Mecklenburgisch-Vorpommersch).[4]

Die Kasusmorphologie ist gegenüber dem Mittelniederdeutschen stark vereinfacht. Wie im Nordmärkischen und Mecklenburgisch-Vorpommerschen ist der Genitiv geschwunden und Akkusativ und Dativ sind zusammengefallen.

Verbalmorphologie

Aus den handgezeichneten Wenkerbögen sind die Paradigmen der Verbalflexion teilweise rekonstruierbar (eingeklammerte Formen sind, sofern sie keine regionale Varianten bezeichnen, erschlossen):[21]

starke Flexion (Belege)schwache Flexion (Belege)hebben haben“wesen „sein“dohn „tun“Modalverben
Indikativ Präsens
1.sgschloa „schlage“, verstoa „verstehe“glöw „glaube“heff (sw: hebb)bin (nw: bün)will „will“
2.sg-stvgl. bist „bist“-stvgl. hest „hast“hestbist (nw: büst)müsst (o: musst) „mußt“
3.sg-tfängt „fängt“, versteit (o: versteht) „versteht“, hört „hört“-tett „ißt“hettisdeit (o: det)will „will“, mütt (o: mutt) „muß“, wad „wird“
pl-(e)nflegen „fliegen“, bieten „beißen“, stoahn „stehen“, goahn „gehen“, sitten „sitzen“ (alle 3.pl)-(e)nmägen „mähen“ (3.pl)hebben (2./3.pl)sind (3.pl)dohn (3.pl)willn „wollt“, mötn (w: mütten) „müßt“, könn „könnt“, darm „dürft“ (alle 2.pl)
Indikativ Präteritum
1.sg(-Ø)(vgl. Präsens und 3.sg)(-r)(vgl. Präsens und 3.sg)
2.sg(-st)(-[r]st)
3.sgkeem „kam“-rvgl. deer „tat“, wull „wollte“wea (o: was)deerwull „wollte“
pl-(e)nkeemen „kamen“ (1.pl.), legen „lagen“ (3.pl)(-[r]n)wullen „wollten“ (3.pl)
Imperativ
sggoa „geh“, blief „bleib“segg „sag“wesdo
plk.a.k.a.
Infinite Formen
part.(prt.)-enbroaken „gebrochen“, falln „gefallen“, storben (so: storwen) „gestorben“, koamen „gekommen“, stoalen „gestohlen“, bläben (o: bläwen) „geblieben“, funnen „gefunden“-tbrennt „gebrannt“, seggt „gesagt“, leert (sw: leat) „gelernt“, kennt „gekannt“, bestellt „bestellt“, vertellt „erzählt“, bröcht (sw: brocht) „gebracht“, föet [föhrt] „gefahren“westdoan
inf.-engoahn „gehen“, stoahn „stehen“, wassen „wachsen“, driewen (w: drieben) „treiben“, spräken „sprechen“-enseggen „sagen“, nägen „nähen“, moaken „machen“, schriggen (w: schrien) „schreien“, buggen (sw: buen) „bauen“, verköpen „verkaufen“hebbendohnwarn „werden“

Anm.:

  • Die Orthographie der Tabelle folgt Georg Wenker. Er schreibt oa für å (aber auch für den mittelmärkischen Diphthong) und bezeichnet auch die Vokalisierung des r nach Vokal (daher föet für föhrt „fährt“, wea für weer „war“, leat für lehrt „gelernt“). Das in der Schreibung z. T. auftretende -en (Wenker schreibt meist -n) bezeichnet keinen Vokal, sondern den nachfolgenden Nasal als silbisch. Der Nasal selbst ist nach Velar assimiliert zu ŋ, nach Plosiv m, nach l l. Oftmals wird auch der vorangehende Konsonant assimiliert, die Wenkerschen Gegensatzpaare bläben - bläwen usw. sind daher rein orthographisch, da hier sowohl w als auch b zu m assimiliert werden (dies gilt nicht für den analogen Unterschied zwischen heff und hebb, dieser hat vermutlich die Schreibung beeinflusst).
  • Das Mittelpommersche verwendet wie Nordmärkisch und Mecklenburgisch-Vorpommersch einen Einheitsplural. Der Konjunktiv scheint nach Wenker mit dem Indikativ zusammengefallen zu sein.
  • Die wenig einheitlichen Präteritumsformen der schwachen Flexion gehen auf kontextuell unterschiedliche Assimilation von mnd. -(e)de zurück: wull (richtiger/älter wull‘) < *wullde, deer < *dede. Im Wenkeratlas nicht erfasst sind harr, harrst, harr, harren aus hadde, haddest, hadde, hadden „hatte, hattest, hatte, hatten“, allerdings enthalten die Wenkerbögen selbst die Entsprechung von „hatten“ 3.pl.ind.prt., meist geschrieben als harrn (o. ä.), z. T. auch als hadden. Bei Wenker nicht belegt ist -(e)de nach Frikativen oder stimmlosen Konsonanten. Die Assimilationsform ist dann nicht -r oder -l, sondern -t, etwa in seggten (1.2.3.pl.ind.prt, nicht bei Wenker).

Pronomina

Pronomen treten in vollen und reduzierten (klitischen) Formen auf. Diese gehen vereinzelt auf unterschiedliche Grundformen zurück. So gibt Pfaff (1898, S.3) das Personalpronomen der 3.sg.m. („er“) mit hee an, jedoch seine klitische Form mit -er (-e, bei Pfaff ɐ̤, sonst stets aus mnd -er): woorer henjeit „wo er hingeht“ (Pfaff 1898, S.4).

Syntax

Die mittelpommersche Syntax wurde nicht gezielt wissenschaftlich untersucht.

Umstellungen im Verbalkomplex

In einer Untersuchung des Verbalkomplexes aller brandenburgischen Dialekte und Regiolekte beobachtete Weber (2014), dass neben der Standardvariante auch Umstellungen zulässig sind:[22]

  • wenn wi Kinner denn rutjahn sind „wenn wir Kinder dann rausgegangen sind“ (wie Schriftdeutsch)
  • as ick Murer bin west „als ich Maurer gewesen bin“ (wörtlich: „... bin gewesen“)

Das Phänomen existiert auch im Mittelpommerschen in Vorpommern, bedauerlicherweise sind in Webers Studie (und dem zugrundeliegenden Korpus) die jeweiligen Dialekte nicht ausgewiesen, die o. g. Beispiele sind aufgrund ihrer Lautung entweder nordmärkisch oder (in der Uckermark gesprochenes) mittelpommersch, können aber sprachlich nicht eindeutig zugeordnet werden.

do-Periphrase

Zum Beispiel belegt bei Pfaff (1898):

  • wenn't nu brenn' deit „wenn es nun brennt“ (Pfaff 1898, S.4)

Klitisierung

Pronomen und Funktionswörter treten oft klitisiert auf:

  • Dat's wo bäter! „Das ist wohl besser!“ (Pfaff 1898, S.5)
  • wenn't nu brenn' deit „wenn es nun brennt“ (Pfaff 1898, S.4)
  • 't brennt    „es brennt“ (Pfaff 1898, S.4)
  • hee hett't „er hat es“ (Pfaff 1898, S.6)
  • 'n nie Huus „ein neues Haus“ (Pfaff 1898, S.4)

Bei Klitisierung unterbleibt die Auslautverhärtung:

  • glööwik    „glaub' ich“ (Pfaff 1898, S.4)
  • waser (wase)     „war er“ (Pfaff 1898, S.4)

Bei Klitisierung unterbleibt der Hiat:

  • woorer henjeit     „wo er hingeht“ (Pfaff 1898, S.4)
  • Wenner nuu doot is „Wenn er nun tot ist“ (Pfaff 1898, S.6)

Lexik

Ausgewählte Lehnworte beinhalten:

  • Kallöör „Farbe“, frz. couleur (Pfaff 1898, S.5)

Sprachgeschichte

Das Pommern der Vor- und Zwischenkriegszeit wurde kulturräumlich seit Robert Holstens sprachgeographischen Arbeiten (beginnend 1913) in West-, Mittel- und Ostpommern unterteilt. Westpommern umfasst dabei den größten Teil Vorpommerns bis etwa zur Zarow im Süden und schließt sich dialektal eng an Mecklenburg an. Mittelpommern umfasst vor- wie hinterpommersches Gebiet auf beiden Ufern der Oder. Mundartliche Merkmale weisen bzw. wiesen hier eher Ähnlichkeiten zur Mark Brandenburg im Süden auf, weswegen auch vom „mittelpommerschen Keil“ gesprochen wird, der sich als Ergebnis mittelalterlicher niederfränkisch-märkischer Kolonisation entlang der Oder von Süden her zwischen die eher niedersächsisch geprägten Küstengebiete geschoben habe. Weiter östlich folgte (mit einem breiten Übergangsgebiet zwischen Ihna und Rega) Ostpommern, d. h. in etwa das mittlere und östliche Hinterpommern, das wiederum eher auf niedersächsische Besiedlung zurückgeführt wurde, das Ostpommersche.[23]

Im 12. und 13. Jahrhundert erfuhr das Reichslehen Pommern im Zuge der Eingliederung in die kirchlichen und weltlichen Strukturen des Reiches und die massive Ansiedlung von Deutschen und Flamen im Zuge der Ostsiedlung eine sowohl demographische als auch eine wirtschaftliche und kulturelle Zäsur. Es wurde Teil des niederdeutschen Sprachraums. Förderer dieser Entwicklung waren die Herzöge aus dem slawischen Haus der Greifen, die Einwohnerzahl und Steuerkraft ihres Lehens steigern wollten. Zahlreiche Klöster, Städte und Dörfer wurden neu gegründet oder erweitert und damit in etwa die heutige Besiedlungsstruktur geschaffen. Die Herkunft der jeweiligen Siedler ist teilweise an der Wahl des jeweiligen Stadtrechtes zu erkennen. Stärker niedersächsisch geprägte Kolonisation geht mit Lübischem Recht (1234 Stralsund, 1250 Greifswald, 1255 Kolberg (Kołobrzeg), 1259 Wolgast, 1262 Greifenberg (Gryfice)), stärker märkisch-westfälisch geprägte Kolonisation mit Magdeburger Recht (1243 Stettin (Szczecin), 1243/53 Stargard, 1260 Pölitz (Police)). Mit der 1295 erfolgten Teilung des Herrschaftsgebietes der Greifen in die Fürstentümer Stettin (binnenländischer Teil beiderseits der Oder und südlich des Stettiner Haffs) und Wolgast (Küstengebiete, in Vorpommern nördlich der Peene einschließlich Demmin und Anklam) erfolgte die politische Abtrennung des mittelpommerschen Gebietes von Vorpommern. Parallel dazu erhoben die Markgrafen von Brandenburg nach dem Ende der dänischen Lehnshoheit über Vorpommern 1227 Ansprüche auf die Lehnshoheit über Pommern, und stießen insbesondere mit dem Ziel, die Oder zu kontrollieren, nach Norden vor.[24] Diese politische Gesamtkonstellation schlägt sich in der Lage und den Merkmalen des Mittelpommerschen als einem Nordvorstoß des Märkischen nieder.

Nach massiver Entvölkerung im Zuge des Dreißigjährigen Krieges kam Hinterpommern 1648 an Brandenburg. Der nachfolgende Wiederaufbau und die Ansiedlung von v. a. französischen Glaubensflüchtlingen erfolgte analog zur Entwicklung in der Uckermark, wodurch sich die Anbindung des Mittelpommerschen an das Märkische weiter festigte. Über das Märkische gelangten auch mitteldeutsche Formen in das Mittelpommersche. Dementsprechend nutzte das Mittelpommersche (wie das Nordmärkische) im 20. Jh. mitteldeutsch geprägte Formen wie sich, uns, und sall anstelle von älterem sick, oos (uus) und schall („sich“, „uns“, „soll“).[5]

Im Zuge der sozioökonomischen Veränderungen, der Aufhebung der Leibeigenschaft und der Industrialisierung, befindet sich der Dialekt iseit dem 19. Jh. auf dem Rückzug und wurde zunehmend durch die hoch- bzw. mitteldeutschen Stadtvarietäten von zunächst Stettin, später Berlin, ersetzt. Um 1900 wurde das „[r]ein[e] ... mp. heute nur noch von der landbevölkerung gesprochen. In Stettin und den kleineren städten der gegend spricht auszer den gebildeten auch der mittelstand ein mehr oder weniger dialectfreies hd. Selbst in den unteren ständen der älteren stadtteile Stettins ist das nd. fast ganz geschwunden, auszer bei den schiffern.“ (Pfaff 1898, S. 1)[1]

Diese Tendenzen haben sich nach dem Ersten Weltkrieg intensiviert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Sprachgebiet des Mittelpommerschen auf ein schmales Restgebiet westlich der Oder reduziert, der Zuzug von (dialektal anders geprägten) Neubauern und die Aufgabe der Hofwirtschaft im Zuge der Kollektivierung der Landwirtschaft haben die öffentliche Nutzung des Dialektes als allgemeines Kommunikationsmittel stark eingeschränkt. Die seit der Wende einsetzende Landflucht hat die Situation weiter verschärft.

Das Lautbild hat im Zuge dieser Veränderungen deutliche Wandlungen erfahren. Insbesondere ist der um 1900 noch beobachtete Diphthonge ou /ɔu̯/[1] (z. B. in Aust „Ernte“) durch au ersetzt worden, das wie im Standarddeutschen gesprochen wird. Eine Ausnahme stellen hier Ortsnamen auf -ow dar, da deren Schreibung noch während des 19. Jh. standardisiert wurde und die damalige Lautung (auch im Hochdeutschen) bewahrt.

Außerhalb seines historischen Sprachgebiets hat das Mittelpommersche wahrscheinlich das in den USA gesprochene Wisconsin Pomeranian beeinflusst, das auf Auswanderer aus dem 19. Jh. zurückgeht. Insbesondere gilt das für die Varietät von Stettin in Wisconsin (Marathon County), in der ebenfalls die Diphthongierung von mnd. ê und ô unterbleibt (twee „zwei“, Knee „Knie“, Eeke „Eiche“, Koh „Kuh“, Stool „Stuhl“).[25]

Sprachdokumentation und drohender Sprachtod

Der mittelpommersche Wortschatz ist im pommerschen Wörterbuch berücksichtigt, sowie (sofern Teile der Uckermark als Mittelpommersch angesehen werden) im Brandenburg-Berlinischen Wörterbuch.

Die Grammatik des Mittelpommerschen ist weitgehend unerforscht, mit Pfaff (1898) liegt lediglich eine Arbeit zur (historischen) Vokalphonologie des Mittelpommerschen vor,[1] sowie eine Reihe volkskundlicher Schriften aus der ersten Hälfte des 20. Jh. Daneben hat sich eine Dialektliteratur entwickelt, allerdings v. a. in der Uckermark.[26]

Die heutige Situation ist weitgehend analog der (sprachlich z. T. zum mittelpommerschen gehörigen) Uckermark, wo der Dialekt gegen Ende der DDR-Zeit als relativ gut bewahrt galt (Bock & Langner 1989, S. 238),[27] und auch heute noch gesprochen wird, jedoch fast ausschließlich von Personen, die vor 1975 geboren wurden.[28] In der Uckermark wurde gemäß einer Erhebung Mitte der 1990er Jahre „von 5-15% der Bevölkerung regelmäßig oder gelegentlich platt gesprochen ... [, jedoch u]nter Jugendlichen ist die Beherrschung des Plattdeutschen eine seltene, kaum auffindbare Ausnahme.“[28] Allerdings galt das Mittelpommersche schon in den 1960er Jahren als weitgehend unrettbar, denn von den „fünf große[n] Mundartgebiete[n] (des Ostniederdeutschen) ... können wir das Mittelpommersche teilweise und das Ostpommersche sowie das Niederpreußische ganz ausscheiden, da sie durch die Schuld des deutschen Imperialismus nur noch historische Bedeutung besitzen.“[29]

In Mecklenburg-Vorpommern wird das Plattdeutsche zwar gezielt gefördert, etwa im Rahmen der Schulbildung,[30] allerdings konzentriert sich diese Förderung auf das Mecklenburg-Vorpommersche, das den Mehrheitsdialekt des Bundeslandes darstellt, sich vom Mittelpommerschen aber sprachlich stark unterscheidet. Selbst auf Ebene der Landkreise ist das Mittelpommersche nirgends Mehrheitsdialekt. In der Vergangenheit führte die Übermacht des Mecklenburg-Vorpommerschen dazu, das mittelpommersche und andere märkische Texte vor Drucklegung „zwangsmecklenburgisiert“ wurden, so z. B. sind Emil Sydow's (1922), Schnickschnack - Lütte Vertellsels in'n Uckermarkschen Platt. Upschreiwen von Emil Sydow,[31] herausgegeben in Parchim, gerade nicht im Uckermärker Platt (bzw. zumindest nicht darin gedruckt), wie schon im Titel erkennbar wird (lütt statt klein, Diphthong in upschreiwen). Aktuell sind im „Atlas Niederdeutsch“ des Heimatverbands Mecklenburg-Vorpommern keine Plattdeutschakteure aus dem mittelpommerschen Raum erfasst.[32]

Sprachproben

De Affscheit

(Mundart in der Umgegend von Stettin auf dem linken Oderufer, 1854)[33]

De König het oos roopen, / 'K heff't hört in oosen Kroog.

Dat wart een grooten Hoopen, / 'T blifft Keener nich bie'm Ploog.

Atje, atje, Marieken! / 'K blief keene Stunn mehr hier,

Kannst öwer'n Tuun man kieken, / Wenn ick dörch't Dörp marschier.

De König het oos schräben / Ut Breslau eenen Breef:

„He künnt nich mehr beleben, /“Wiel em sien Volk so leef;

„He künnt nich länger stoppen /“Mit all oos Haab un Good,

"He wull den Fiend drum kloppen / "Fär sienen Öwermood."


Nu will'n wi't em gedenken, / Wat he oos het gequält,

Un will'n em ees inschenken / Un dato upgespält!

Wi will'n em lehren danzen / Noch bäter as kosaksch,

Ut Land en 'rut kuranzen, / Dat wart glatt all to schnaksch.


So het de König sprooken: / "Nu kummt man All to Hoop!

„Wem het noch goode Knooken,“De bring se mit in'n Koop!

„De leewe Gott im Himmel /“Gift oos gewiß den Sieg;

"Oll Blüchert up den Schimmel / "Treckt ook mit in den Krieg."


Nich tweemol lätt sich seggen / Een braaven Keerl dit Woort;

Drum loat mi willig trecken / To mienen König foort!

Is de Franzos betwungen, / Wat jo nich fehlen kann,

Un oos dat Wark gelungen, / Dann war ick ook dien Mann.

Man beachte, dass hier noch oos statt jüngerem uns „uns“ benutzt wird. Die Verwendung von ge- in upgespält [nicht aber in roopen, hört, schräben, sprooken] entspricht den Anforderungen der Melodie;[34] gequält, gedenken und gelungen sind hochdeutsch.

Audiolinks

Wenkersätze auf Regionalsprache.de:

  • Sprecherin aus Gryfino (dt. Greifenhagen), Aufgezeichnet 1956.[35]

Literatur

  • Robert Holsten: Sprachgrenzen im pommerschen Plattdeutsch. (= Form und Geist. Arbeiten zur Germanischen Philologie. Heft 8). Leipzig 1928.
  • Hans Joachim Gernentz: Niederdeutsch – gestern und heute. Beiträge zur Sprachsituation in den Nordbezirken der DDR in Geschichte und Gegenwart. Hinstorff-Verlag, Rostock 1980.

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g Pfaff, H.: Die Vocale des mittelpommerschen Dialects. A. Straube, 1898.
  2. Peter Wiesinger (1983), Die Einteilung der deutschen Dialekte. In: Werner Besch, Ulrich Knoop, Wolfgang Putschke, Herbert Ernst Wiegand (Hgg.), Dialektologie. Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Dialektforschung, Zweiter Halbband (= Dialektologie, HSK (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft) 1.2), Walter de Gruyter, Berlin, S. 885f.
  3. a b Brandenburgische Sprachlandschaft - brandenburgikon.de. Abgerufen am 17. Juni 2022.
  4. a b c Bock, Rolf / Langner, Helmut: Zur Geschichte, Gliederung und zu wichtigen Merkmalen der märkischen Dialekte. In: WZ PH Potsdam. H. 2. Potsdam 1989, S. 236
  5. a b c d e f g Foerste, W. (1957). Geschichte der niederdeutschen Mundarten. Erich Schmidt Verlag, S. 2050f
  6. a b c d e f Bock, Rolf / Langner, Helmut: Zur Geschichte, Gliederung und zu wichtigen Merkmalen der märkischen Dialekte. In: WZ PH Potsdam. H. 2. Potsdam 1989, S. 238
  7. a b Eberhard Krienke: Uns Uckermark. Sprache und mundartliche Literatur einer Region. Schibri-Verlag, Milow 1999, S. 43–59.
  8. a b Die Vokale bei der Schreibung wegzulassen, wird von den Sprechern selbst kritisiert: "In de Zeitung stünn "(...) Nudl für Kartoffeln ..." Un so hitt uns' goode olle Nudel nu Nudl, ohn' "e". ... Wi seggen (...) Nudel to de Kartoffel, mit "e". Dat "e" ward bie't Reden meistendeels "verschluckt", so as wi dat mit manche annern Bookstaben ook mooken. Unse Heimatdichter Max Lindow un Erna Taege-Röhnisch hemm' öwrigens ook "Nudel" mit "e" schräben!" (Inge Wolff (2010), Touristiker, Touristen un Nudeln, In: Dat Allerbest. 10 Jahre Plattdeutscher Literaturwettbewerb des Nordkurier, Schibri-Verlag, Milow, S. 50)"
  9. Peter Wiesinger (1983), Die Einteilung der deutschen Dialekte. In: Werner Besch, Ulrich Knoop, Wolfgang Putschke, Herbert Ernst Wiegand (Hgg.), Dialektologie. Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Dialektforschung, Zweiter Halbband (= Dialektologie, HSK (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft) 1.2), Walter de Gruyter, Berlin, S. 882f.
  10. In diesem Sinne schließt Wiesinger das -ul--Gebiet aus dem Mittelpommerschen aus und rechnet es einem Übergangsgebiet zum Ostpommerschen zu. Vgl. die ihm zugeschriebene Gliederung der deutschen Dialekte im Atlas Alltagssprache (2012), https://www.atlas-alltagssprache.de/dialekt-karte_neu/.
  11. Diskussion z. B. bei Eginhard Dräger (1995), Rezension: Eberhard Krienke, Zum Gebrauch des Niederdeutschen in der Uckermark – Symposium des Prenzlauer Kulturvereins e. V. mit dem Projekt Sprache und Literatur in der Uckermark am 10.9.1994 in Prenzlau. Sonderheft des Kulturvereins 1995, 346–348
  12. G. Bergemann: Mundarten und Mundartforschung. VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1964, S. Karte S. 67, nach Mitzka und Schwarz.
  13. W. Hartung, H. Schönfeld (Hrsg.): Kommunikation und Sprachvariation (Vol. 17). Akademie-Verlag, Berlin 1981, S. 154 f. Zitiert nach Rolf Bock, Helmut Langner: Zur Geschichte, Gliederung und zu wichtigen Merkmalen der märkischen Dialekte. In: WZ PH Potsdam. H. 2. Potsdam 1989, S. 234. Dort wird eine Karte reproduziert.
  14. So z. B. Eberhard Krienke (1996), Uns Uckermark. Sprache und mundartliche Literatur einer Region. Schibri-Verlag. Milow, S. 32.
  15. Klaas-Hinrich Ehlers: 18. Mecklenburgisch-Vorpommersch, Mittelpommersch, Brandenburgisch. De Gruyter Mouton, 2019, ISBN 978-3-11-026129-5, doi:10.1515/9783110261295-018/html (degruyter.com [abgerufen am 19. Juli 2022]).
  16. Dieter Stellmacher (1980), Ostniederdeutsch, In: Hans Peter Althaus, Helmut Henne and Herbert Ernst Wiegand, (Hg.), Lexikon der Germanistischen Linguistik, Max Niemeyer Verlag, S. 464–468.
  17. Wenker-Transliterations-App. Abgerufen am 20. Oktober 2022.
  18. Blume, Rudolf. "Wortgeographie des Landes Stargard." Teuthonista H. 1 (1933): 1-33.
  19. Georg Wenker: Wenkeratlas. In: Digitaler Wenkeratlas. Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas, abgerufen am 21. Oktober 2022.
  20. Hermann Teuchert: Die Mundart von Warthe (Uckermark). In: Jahrbuch des Vereins für Niederdeutsche Sprachforschung, Band 33, 1907, Seite 27–44.
  21. a b Digitaler Wenkeratlas. Abgerufen am 20. Oktober 2022.
  22. Thilo Weber (2014), Zum Verbalkomplex im Märkisch-Brandenburgischen, in: Schönenberger, Manuela/Engerer, Volkmar/Öhl, Peter/Brogyanyi, Bela (Hrsg.): Dialekte, Konzepte, Kontakte. Ergebnisse des Arbeitstreffens der Gesellschaft für Sprache und Sprachen, GeSuS e.V., 31. Mai-1. Juni 2013 in Freiburg/Breisgau (Sonderheft Sprache & Sprachen 2014). - Wuppertal: GeSuS e.V., 2014. S. 1–17.
  23. Kurt Dröge: Der „mittelpommersche Keil“. Genese eines kulturwissenschaftlichen Stereotyps. In: Land am Meer. Pommern im Spiegel seiner Geschichte. Roderich Schmidt zum 70. Geburtstag. Hg. v. Werner Buchholz u. Günter Mangelsdorf. Köln/Weimar/Wien 1995, S. 759–785, passim.
  24. Martin Wehrmann: Geschichte von Pommern. Erster Band: Bis zur Reformation (1523). Waidlich Reprints, Frankfurt am Main 1982, S. 99. (unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1904/06)
  25. Sound Comparisons... Abgerufen am 19. Februar 2020 (englisch).
  26. Für die (teilweise mittelpommersche) Uckermark vgl. den Überblick in Eberhard Krienke: Uns Uckermark. Sprache und mundartliche Literatur einer Region. Schibri-Verlag, Milow 1999
  27. Bock, Rolf / Langner, Helmut: Zur Geschichte, Gliederung und zu wichtigen Merkmalen der märkischen Dialekte. In: WZ PH Potsdam. H. 2. Potsdam 1989, S. 238
  28. a b Eberhard Krienke (1996), Uns Uckermark. Sprache und mundartliche Literatur einer Region. Schibri-Verlag. Milow, S. 41
  29. Hans Joachim Gernentz: Niederdeutsch, gestern und heute: Beiträge zur Sprachsituation in den Nordbezirken der Deutschen Demokratischen Republik in Geschichte und Gegenwart. De Gruyter, 1964, ISBN 978-3-11-254100-5, S. 29, doi:10.1515/9783112541005 (degruyter.com [abgerufen am 20. Juni 2022]).
  30. Heimatverband Mecklenburg-Vorpommern e.V. - Niederdeutsche Sprache. Abgerufen am 18. Juni 2022.
  31. Emil von Sydow: Schnickschnack: Lütte Vertellsels in'n ukermarkschen Platt upschreiwen. H. Wehdemann's Buchhandlung, 1922 (google.de [abgerufen am 19. Juni 2022]).
  32. Heimatverband Mecklenburg-Vorpommern e.V. - Atlas Niederdeutsch. Abgerufen am 18. Juni 2022.
  33. Mundart in der Umgegend von Stettin auf dem linken Oderufer. In: Johannes Matthias Firmenich (Hrsg.): Germaniens Völkerstimmen. Sammlung der deutschen Mundarten in Dichtungen, Sagen, Mährchen, Volksliedern u. s. w. Band 3. Schlesinger'sche Buch- und Musikhandlung, Berlin 1854, S. 88.
  34. Auf, auf zum fröhlichen Jagen — Liederlexikon. Abgerufen am 18. Juni 2022.
  35. Aufnahmekennung ODGC12g. In: Regionalsprache.de. Abgerufen am 19. Juni 2022 (Suche nach "Gryfino", Aufnahmekennung ODGC12g).

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