Mithuna

Mithuna im Eingangsbereich des buddhistischen Höhlentempels von Karli (2./3. Jh.)
Mithuna der Gupta-Zeit (4./5. Jh.)
Liebespaar in Khajuraho (11. Jh.)
Erotische Szene in Khajuraho
(11. Jh.)
Erotische Szene in Khajuraho
(11. Jh.)
Liebespaar aus Orissa (13. Jh.)

Als Mithuna oder Maithuna (Sanskrit: मैथुन „Vereinigung“, „Paar“, „Hochzeit“, „Geschlechtsverkehr“) wird in der indischen Kunst ein „Himmlisches Liebespaar“ bezeichnet, das an buddhistischen, jainistischen oder hinduistischen (Höhlen-)Tempeln oder Toranas angebracht ist. Mithuna-Skulpturen sind über ganz Indien verbreitet; in Nordindien sind sie jedoch häufiger anzutreffen als im Süden des Landes.

Geschichte

Seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. finden sich Darstellungen von nebeneinanderstehenden oder -sitzenden Liebespaaren (z. T. auch auf Elefanten oder Stieren bzw. Büffeln reitend) als Reliefs oder auf Pfeilern bzw. Säulen der buddhistischen Stupas oder Höhlentempel (z. B. Bharhut, Amaravati, Bedsa, Karli u. a.). Etwas später tauchen sie zärtlich umschlungen an Portalfassaden auf (z. B. Karli). Jainismus und Hinduismus übernahmen sowohl die Motivik als auch die Art der Darstellung, die sich in den folgenden Jahrhunderten vor allem an hinduistischen Tempeln zu eindeutig erotischen Darstellungen fortentwickelten (z. B. Kalika-Mata-Tempel in Chittorgarh, Lakshmana-, Vishvanatha- und Kandariya-Mahadeva-Tempel in Khajuraho, Sas-Bahu-Tempel in Nagda u. v. a.).

Im Zuge der islamischen Eroberung Nordindiens wurden eine Vielzahl erotischer und anderer Bildwerke zerstört; neue Tempel wurden danach so gut wie nicht mehr gebaut. Erst in der Zeit der Mogul-Herrschaft entspannte sich die Situation ein wenig – für den Hof fertigten Maler und Zeichner eine Fülle erotischer Miniaturen an, denen jedoch jegliche religiös-philosophische Ebene fehlt.

Kunst

Malerei

Obwohl sich dergleichen nur selten erhalten hat, kann man davon ausgehen, dass auch viele gemalte Mithunas existiert haben. Die besterhaltenen finden sich in Ajanta (Höhle XVII), wobei jedoch festzustellen ist, dass diesen frühen Malereien jegliche erotische Komponente fehlt – stattdessen findet sich ein liebevolles Beieinandersitzen.

Skulptur

Die erotischen Figuren Indiens entwickeln sich – wie die gesamte indische Bildhauerkunst – von frühen reliefartigen zu den nahezu vollplastischen Skulpturen der Blütezeit. Ob die in formaler Hinsicht realistischere Darstellungsweise auch auf den Inhalt übertragbar ist, ist eine vieldiskutierte aber nicht abschließend geklärte Frage.

Interpretation

Eine Deutung der Mithunas kann im Wesentlichen auf drei Ebenen erfolgen[1]:

Liebe und Religion

Bei vielen Kulturen und kulturellen Praktiken liegen die Sphären von (Gottes-)Liebe, Ekstase, Trance, Sexualität und Religion nahe beieinander; im Rauschzustand können sexuelles und religiöses Empfinden gleichermaßen gesteigert werden. Doch nur in Indien hat dieses Denken bzw. Empfinden einen breiten künstlerischen Ausdruck gefunden (vgl. auch Kamasutra, Tantra, Bhakti).

Mithuna-Ritual

Maithuna-Ritual bedeutet die sexuelle Vereinigung in einem rituellen Kontext (spirituelle oder sakrale Sexualität). Ein Maithuna-Ritual wurde in Indien in den tantrischen Schulen der Kaulas (einer shivaitischen Schule des hinduistischen Tantra) und Shaktas (einer Schule des hinduistischen Tantras, die Shakti in den Vordergrund stellen und verehren) zelebriert und fand in der Gruppe statt.

Vereinigung von Gegensätzen

Ein weiterer in den Mithunas angesprochener Themenkomplex ist die Suche nach der (Wieder-)Vereinigung von gegensätzlichen Prinzipien wie beispielsweise dem von Mann und Frau. Durch deren Vereinigung kann und soll ein Zustand überirdischer Harmonie erreicht werden, in welchem alle – vermeintlichen oder tatsächlichen – Gegensätze aufgehoben sind. Die Mithunas können somit als bildhafte Verwirklichung dieses Gedankens bzw. als Aufforderung oder Anregung zu dessen Nachahmung aufgefasst werden.

Abwehr von Übel

Die meisten Mithuna-Paare sind an den Portalgewänden oder an den Außenwänden der Tempel angebracht; im Innern der Tempelbauten sind sie nur selten anzutreffen. Diese Platzierung macht eine unheilabwehrende (apotropäische) Funktion dieser Figuren wahrscheinlich – in Anwesenheit von Liebe und Erotik finden unheilvolle, d. h. dämonische oder zerstörerische Kräfte keinen Entfaltungsspielraum mehr.

Siehe auch

Literatur

  • V. V. Sudha Piratti: Mithuna in Buddhist art – with special reference to Amaravati & Nagarjunakonda. Bharatiya Kala Prakashan, 2002, ISBN 81-86050-88-4.
  • Prithvi Kumar Agrawala: Mithuna. The Male-Female Symbol in Indian Art and Thought. Munshiram Manoharlal Publishers, New Delhi 1983, ISBN 81-215-0142-3.
  • Kamala Devi: The Eastern Way of Love. Simon & Schuster, 1985, ISBN 0-671-60432-5.
  • Omar V. Garrison: Tantra: the Yoga of Sex. Harmony Books, New York, 1983, ISBN 0-517-54948-4.
  • Bernard Soulié: Erotische Kunst Indiens. Gondrom, Bayreuth 1982, ISBN 3-8112-0300-2.

Weblinks

Commons: Mithuna – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Erotische Skulpturen in Nepal – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Gavin Frost, Yvonne Frost: Tantric Yoga: The Royal Path to Raising Kundalini Power. Motilal Banarsidass Publ., 1996, ISBN 978-8-1208-1231-4, S. 125–126 ([1] auf books.google.de)

Auf dieser Seite verwendete Medien

Khajurahosculpture.jpg
Sculpture from a temple at Khajuraho
WLA metmuseum Loving Couple Mithuna Eastern Ganga 3.jpg
Autor/Urheber: Wikipedia Loves Art participant "futons_of_rock", Lizenz: CC BY 2.5

Loving Couple (Mithuna), Eastern Ganga dynasty, 13th century
India (Orissa)
Ferruginous stone; H. 72 in. (182.9 cm)
The Metropolitan Museum of Art, New York, Purchase, Florance Waterbury Bequest, 1970 (1970.44)

View at the Metropolitan Museum of Art website

Wikipedia Loves Art at the Metropolitan Museum of Art

This photo of item # 1970.44 at the Metropolitan Museum of Art was contributed under the team name "futons_of_rock" as part of the Wikipedia Loves Art project in February 2009.
Metropolitan Museum of Art

The original photograph on Flickr was taken by AlkaliSoapsplease add a comment to the original Flickr page whenever a use has been made on Wikipedia or another project.
Project galleries on Flickr: this institution, this team
Ajanta Caves, Painting 1.JPG
Autor/Urheber: Vu2sga, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Dieses Bild zeigt das ASI-Denkmal mit der Nummer
Ajanta Caves, Painting 3.JPG
Autor/Urheber: Vu2sga, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Dieses Bild zeigt das ASI-Denkmal mit der Nummer
Kamasutra 106.jpg
Autor/Urheber: Sankara Subramanian, Lizenz: CC BY 2.0
One of the famed Erotica sculptures at the World Heritage Temple of Khajuraho, Madhya Pradesh, India
KarlaCavesStatue5.JPG
Autor/Urheber: Pradeep717, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Karla Caves, Maharashtra
WLA haa Gupta Mithuna.jpg
Autor/Urheber: Wikipedia Loves Art participant "Department_of_Trife", Lizenz: CC BY-SA 2.5

Mithuna
India, Gupta period, 5th century A.D.
Terra cotta
Honolulu Museum of Art
Purchase, 2003
(accession 12,476.1)

Wikipedia Loves Art at the Honolulu Academy of Arts

This photo of item # 12476.1 at the Honolulu Academy of Arts was contributed under the team name "Department_of_Trife" as part of the Wikipedia Loves Art project in February 2009.
Honolulu Academy of Arts

The original photograph on Flickr was taken by mandleiciousplease add a comment to the original Flickr page whenever a use has been made on Wikipedia or another project.
Project galleries on Flickr: this institution, this team
Khajuraho10.jpg
Autor/Urheber: Die Autorenschaft wurde nicht in einer maschinell lesbaren Form angegeben. Es wird Airunp als Autor angenommen (basierend auf den Rechteinhaber-Angaben)., Lizenz: CC BY-SA 2.5

Khajuraho Temple, India Templo de Khajuraho, India.

Picture take by es:User:Airunp