Minimalpolynom

Unter einem Minimalpolynom versteht man allgemein ein Polynom minimalen Grades, das gerade noch eine Eigenschaft erfüllt, die von Faktoren kleineren Grades nicht mehr erfüllt wird. Insbesondere gibt in verschiedenen Teilgebieten der Mathematik das Minimalpolynom die minimale lineare Abhängigkeit zwischen den Potenzen einer Matrix bzw. einer linearen Abbildung oder allgemeiner eines Elementes einer Algebra an.

Definition

Es seien ein Körper und eine unitäre -Algebra. Dann ist das Minimalpolynom eines Elementes das normierte Polynom kleinsten Grades, das als Nullstelle hat.

Das Minimalpolynom kann auch als normierter Erzeuger des Kerns des Homomorphismus

,

des Einsetzungshomomorphismus von , beschrieben werden, wobei der Ring der Polynome mit Koeffizienten aus ist.

In einer endlichdimensionalen Algebra besitzt jedes Element ein eindeutiges Minimalpolynom, in einer unendlichdimensionalen muss das nicht zutreffen. Dort nennt man die Elemente, die ein Minimalpolynom haben, algebraische Elemente über dem Grundkörper; Elemente, auf die das nicht zutrifft, heißen transzendente Elemente.

Lineare Algebra

Das Minimalpolynom einer quadratischen -Matrix über einem Körper ist das normierte Polynom kleinsten Grades mit Koeffizienten in , so dass (die Nullmatrix) ist.

Folgende Aussagen für aus sind äquivalent:

  • ist Nullstelle von , d. h. ,
  • ist Nullstelle des charakteristischen Polynoms von ,
  • ist ein Eigenwert von .

Die Vielfachheit einer Nullstelle von bestimmt die Länge der längsten Hauptvektor-Kette zum Eigenwert , d. h., beträgt die Vielfachheit z. B. 4, dann existiert eine Kette von vier zueinander linear unabhängigen Hauptvektoren (der Stufen 1 bis 4) zum Eigenwert . Falls noch weitere Hauptvektorketten zum Eigenwert existieren, die von dieser Kette der Länge 4 linear unabhängig sind, dann sind sie auf keinen Fall länger. Somit ist die Größe des größten zu gehörenden Jordanblocks der jordanschen Normalform von identisch mit der Vielfachheit von im Minimalpolynom .

Unter der geometrischen Vielfachheit des Eigenwerts von versteht man dagegen die Anzahl linear unabhängiger Eigenvektoren zu diesem Eigenwert. Anders ausgedrückt: Die geometrische Vielfachheit eines Eigenwerts der quadratischen Matrix ist die Dimension des Lösungsraums von mit der -Einheitsmatrix .

Etwas allgemeiner kann man (auch ohne Festlegung auf eine bestimmte Basis) zu einem Endomorphismus eines Vektorraums den Kern des Einsetzungshomomorphismus von aus der Definition untersuchen, dies führt dann auch bei unendlichdimensionalen Vektorräumen zu einem Minimalpolynom, wenn dieser Kern nicht der Nullvektorraum ist. Ein einfaches Beispiel sind die Projektionsabbildungen , die definitionsgemäß idempotent sind, also die Relation erfüllen. Jede Projektion hat also eines der Polynome , oder als Minimalpolynom.

Körpertheorie

In der Körpertheorie ist das Minimalpolynom ein Begriff, der bei einer Körpererweiterung auftritt.

Sei eine Körpererweiterung, der Polynomring zu mit der Unbestimmten und sei algebraisch, das heißt, es existiert mit . Dann existiert ein Polynom (genannt das Minimalpolynom) mit den Eigenschaften

  1. ist normiert
  2. hat minimalen Grad, d. h. gilt
  3. ist eindeutig (durch bestimmt), d. h. für jedes weitere , welches die Eigenschaften 1–3 erfüllt, gilt schon

Betrachtet man den Erweiterungskörper als Vektorraum über und ein bestimmtes Element als Endomorphismus auf (durch die Abbildung ), so kommt man bei einem algebraischen Element zum selben Minimalpolynom (im Sinn der linearen Algebra) wie in der Körpertheorie.

Eigenschaften

  • Minimalpolynome sind irreduzibel über dem Grundkörper.
  • Jedes Polynom mit Koeffizienten im Grundkörper, das ein algebraisches Element als Nullstelle hat, ist ein (Polynom-)Vielfaches des Minimalpolynoms von .
  • Der Grad des Minimalpolynoms von ist gleich dem Grad der einfachen Erweiterung .

Siehe auch: Zerfällungskörper, Satz von Cayley-Hamilton

Beispiele

  • Betrachte die Körpererweiterung mit der imaginären Einheit :
    Das Minimalpolynom von ist , denn es hat als Nullstelle, ist normiert, und jedes Polynom kleineren Grades wäre linear und hätte nur eine Nullstelle in .
  • Das Polynom ist kein Minimalpolynom irgendeines Elementes irgendeiner Erweiterung, da es sich als darstellen lässt und für keine seiner Nullstellen ein Polynom kleinsten Grades ist.

Beispiele für Minimalpolynome eines algebraischen Elements

  • Minimalpolynome über von , wobei irgendeine komplexe Quadratwurzel ist :
    ist schon mal eine Nullstelle von . Dieses Polynom ist aber irreduzibel über , wenn .
    Wenn , dann ist das minimale Polynom
  • Minimalpolynome über von : Es gilt . Also ist Nullstelle von . Dieses Polynom ist aber nicht irreduzibel, denn es hat die Faktorisierung .
    Offensichtlich ist keine Nullstelle von . Also muss Nullstelle von sein. Und dieses Polynom ist irreduzibel (z. B. durch Reduktion modulo 2)
  • Minimalpolynom über von : Hier ist es hilfreich, eine normale Körpererweiterung zu betrachten, mit . Dies ist z. B. für gegeben, dem Zerfällungskörper des Polynoms . In zerfällt das Minimalpolynom von in Linearfaktoren. Die Nullstellen sind Konjugierte von , also von der Form für ein aus der Galoisgruppe von .
Da , genügt es, die möglichen Werte (also die Konjugierten von ) zu bestimmen. Das Minimalpolynom über von ist , was sich über zu faktorisieren lässt. Damit sind die Konjugierten von genau
,
,
und
.
Das Minimalpolynom von ist damit

Literatur

  • Thomas W. Hungerford: Algebra (= Graduate Texts in Mathematics. Bd. 73). 5th printing. Springer, New York NY u. a. 1989, ISBN 0-387-90518-9.
  • Uwe Storch, Hartmut Wiebe: Lehrbuch der Mathematik. Für Mathematiker, Informatiker und Physiker. Band 2: Lineare Algebra. BI-Wissenschafts-Verlag, Mannheim u. a. 1990, ISBN 3-411-14101-8.