Mildred Harnack-Fish

Mildred Harnack-Fish

Mildred Harnack-Fish (Anhören) (* 16. September 1902 in Milwaukee, Wisconsin, als Mildred Elizabeth Fish; † 16. Februar 1943 in Berlin-Plötzensee) war eine amerikanisch-deutsche Literaturwissenschaftlerin, Übersetzerin und Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus.

Leben

40+10 Pfennig-Sondermarke der DDR-Post 1964 mit Mildred und Arvid Harnack

Mildred war das jüngste Kind von William Cook Fish und dessen Frau Georgina (geb. Hesketh). Ihre Geschwister waren Harriet, Marion Hesketh und Marbeau Davenport Fish. 1919 machte sie ihren Abschluss an der Western High School in Georgetown (Washington, D.C.) und studierte dann Literaturwissenschaften. 1926 arbeitete sie als Dozentin für deutsche Literatur an der University of Wisconsin–Madison, wo sie den Juristen und Rockefeller-Stipendiaten Arvid Harnack kennenlernte und heiratete. 1929 zog sie mit Arvid nach Berlin. Von 1932 bis 1936 war sie als Englischlehrerin am Berliner Abendgymnasium (heute: Peter-A.-Silbermann-Schule) tätig. Sie promovierte 1941 an der Ludwigs-Universität Gießen und arbeitete als Lehrbeauftragte und Übersetzerin an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Universität Berlin. Dort sammelte sich ab 1939/40 ein reger Kreis widerständiger Dozenten und Studenten, darunter auch Harro Schulze-Boysen und Horst Heilmann. Bis zu ihrer Verhaftung arbeitete sie auch als Dozentin am Heilschen Abendgymnasium in Berlin-Schöneberg.

Ab 1933 baute sie zusammen mit ihrem Mann sowie dem Schriftsteller Adam Kuckhoff und dessen Frau Greta Kuckhoff einen Diskussionszirkel auf, der politische Perspektiven nach dem erwarteten Sturz des Naziregimes erörterte.[1] 1939 entstand daraus das Widerstandsnetz Rote Kapelle. Bis zum Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg war sie Vorsitzende des Frauen-Clubs an der US-Botschaft in Berlin und eng befreundet mit Martha Dodd, der Tochter des Botschafters William Edward Dodd. Später waren die Harnacks eng mit Botschaftsrat Donald R. Heath und dessen Frau Louise befreundet.[2] Donald Heath jr. schrieb später : „Mildred war ein Typ wie Julie Christie in Doktor Schiwago, wirklich höchst interessant. Ich fühlte mich zu ihr hingezogen. Sie wirkte sehr nordisch und trug altmodische Kleidung. Sie zog die Blicke der Leute auf sich. Sie entging einem selbst in einem überfüllten Raum nicht. Sie wirkte auf Männer. Sehr auffallend. Eine totale Präsenz, ihre Stimme, ihr Anblick, ihr Denken.“

Sie unterstützte ihren Mann, der ab 1935 für den sowjetischen Nachrichtendienst arbeitete, und half ihm beim Zusammenstellen politischer, militärischer und wirtschaftlicher Informationen.[3] Bis Ende Juni 1941 hatte die Gruppe Kontakt mit Angehörigen der sowjetischen Botschaft und versuchte, vor dem bevorstehenden deutschen Überfall auf die Sowjetunion zu warnen. Im August 1942 wurde ein Funkverkehr der belgischen Gruppe mit den Adressen von Adam Kuckhoff, Harro Schulze-Boysen und Ilse Stöbe dechiffriert.

Am 7. September 1942 wurden Arvid und Mildred Harnack während eines Urlaubs auf der Kurischen Nehrung in Ostpreußen von der SS verhaftet.[4] Am 19. Dezember fällte das Reichskriegsgericht das Todesurteil über Arvid Harnack, das am 22. Dezember 1942 vollstreckt wurde. Mildred Harnack wurde zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Hitler ordnete jedoch eine neue Hauptverhandlung an, die am 16. Januar 1943 mit einem Todesurteil endete. Am 16. Februar 1943 wurde Mildred Harnack im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee mit der Guillotine hingerichtet.[5] Ihre letzten Worte waren: „Und ich habe Deutschland so geliebt.“ Harnack-Fish ist die einzige amerikanische Zivilperson, die wegen Widerstands gegen das Naziregime hingerichtet wurde.[6]

Arvids Bruder Falk Harnack, ebenfalls Widerstandskämpfer, konnte fliehen und überlebte den Zweiten Weltkrieg als Partisan der ELAS in Griechenland.

Als ihre Freundin und Studienkollegin Clara Leiser von der Enthauptung erfuhr, schrieb sie zum Gedenken das Gedicht To and From the Guillotine.[7]

Mildred Harnack ist die Urgroßtante der US-amerikanischen Autorin Rebecca Donner.[8]

Ehrungen

Übersetzungen

  • Irving Stone: Lust for Life. (Vincent van Gogh. Ein Leben in Leidenschaft.) Berlin 1936, Universitas.
  • Walter D. Edmonds: Drums along the Mohawk. (Pfauenfeder und Kokarde.) Berlin 1938, Universitas.

Schriften

  • Mildred Harnack: Die Entwicklung der amerikanischen Literatur der Gegenwart in einigen Hauptvertretern des Romans und der Kurzgeschichte. (Maschinenschriftliche Dissertation), Philosophische Fakultät der Ludwigs-Universität zu Gießen, Gießen 1941.
  • Mildred Harnack-Fish: Variationen über das Thema Amerika. Studien zur Literatur der USA. Herausgegeben von Eberhard Brüning. Aufbau-Verlag, Berlin u. a. 1988, ISBN 3-351-01022-2.

Literatur

  • Rebecca Donner: All the Frequent Troubles of Our Days: The True Story of the American Woman at the Heart of the German Resistance to Hitler. Little, Brown and Company, New York 2021, ISBN 978-0-316-56169-3.
    • Rebecca Donner: Mildred. Die Geschichte der Mildred Harnack und ihres leidenschaftlichen Widerstands gegen Hitler. Kanon, Berlin 2022, ISBN 978-3-98568-047-4.
  • Gert Rosiejka: Die Rote Kapelle. „Landesverrat“ als antifaschistischer Widerstand. Ergebnisse, Hamburg 1986, ISBN 3-925622-16-0.
  • Shareen Blair Brysac: Resisting Hitler. Mildred Harnack and the Red Orchestra. Oxford University Press, 2000, ISBN 0-19-515240-9. Auszüge
    • deutsch: Mildred Harnack und die „Rote Kapelle“. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Frau und einer Widerstandsbewegung. Übersetzt von Klaus Kochmann. Scherz, Bern 2003, ISBN 3-502-18090-3.[18]
  • Ingo Juchler (Hrsg.): Mildred Harnack und die Rote Kapelle in Berlin. Universitätsverlag Potsdam, 2017, ISBN 978-3-86956-407-4. (PDF; 12,1 MB).
  • Stefan Roloff: Die Rote Kapelle. Ullstein, 2002, ISBN 3-548-36669-4.
  • Sabine Friedrich: Wer wir sind : Roman. - München : Dt. Taschenbuchverl., 2012, ISBN 978-3-423-28003-7.
  • Martha Dodd: Meine Jahre in Deutschland 1933–1937. Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-8218-0762-1.

Weblinks

Commons: Mildred Harnack – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Stefan Heinz: Online-Biografie: Harnack, Arvid. Aus: Neue Deutsche Biographie; 4. November 2022.
  2. Johannes Tuchel: »Weihnachten müsst Ihr richtig feiern«. Aus: DIE ZEIT, 13. Dezember 2007 Nr. 51.
  3. Neues Deutschland, 23. Dezember 1969, S. 4. Online
  4. Kümmels Anzeiger Nr. 02/09, heimatmuseum-erkner.de; vgl. auch die Darstellung bei Egmont Zechlin, Erinnerungen an Arvid und Mildred Harnack, in: „Geschichte in Wissenschaft und Unterricht“, 33/1982, S. 395–404.
  5. Brigitte Oleschinski: Gedenkstätte Plötzensee, (PDF) S. 28.
  6. a b Mildred Fish Harnack Day.
  7. Clara Leiser: To and From the Guillotine (Memento vom 14. August 2011 im Internet Archive), 1943. (pdf)
  8. Rebecca Donner: Ich möchte, dass die Leser mit Mildred durch Berlin gehen, Berliner Zeitung, 4. Oktober 2022
  9. Peter Koblank: Harro Schulze-Boysen. Rote Kapelle: Widerstand gegen Hitler und Spionage für Stalin, Online-Edition Mythos Elser 2014. Abgerufen am 27. Januar 2014.
  10. http://www.ub.hu-berlin.de/literatur-suchen/sammlungen/kustodie/denkmaeler/mahnmal
  11. Gedenktafel in der Peter-A.-Silbermann-Schule.
  12. Dokumentation: Streik und Gegenunterricht an der Silbermannschule (Abendgymnasium). In: alternative, Jahrgang 13, Heft 74 (1970), S. 165.
  13. Was hinter dem neuen Namen für das ehemalige Otto-Eger-Heim steckt. In: giessener-allgemeine.de. 14. Dezember 2015, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 15. Dezember 2015; abgerufen am 14. Dezember 2015.
  14. Stolperstein-Zeremonie im Gedenken an Mildred Fish-Harnack und Arvid Harnack (Memento vom 11. Januar 2018 im Internet Archive)
  15. Bilder von der Zeremonie
  16. Art Heitzer: Milwaukee gedenkt Mildred Harnack in Unser Blatt Nr. 67 der Berliner VVN-BdA.
  17. Hans-Jürgen Mende: Lexikon Berliner Begräbnisstätten. Pharus-Plan, Berlin 2018, ISBN 978-3-86514-206-1, S. 674.
  18. Silke Kettelhake: Rezension in HaGalil, ursprünglich in Jungle World, 18. Februar 2004.

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