Mietshäuser Syndikat

Mietshäuser Syndikat

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RechtsformGmbH
Gründung1999
SitzFreiburg
BrancheImmobilien
Websitesyndikat.org

Das Mietshäuser Syndikat (MHS) ist eine in Deutschland kooperativ und nicht-kommerziell organisierte Beteiligungsgesellschaft zum gemeinschaftlichen Erwerb von Häusern, die in Kollektiveigentum überführt werden, um langfristig bezahlbare Wohnungen und Raum für Initiativen zu schaffen. Bis Juni 2023 war es an 186 Hausprojekten in Deutschland beteiligt, 18 Projektinitiativen suchen noch eine geeignete Immobilie.[1]

Aufbau des Mietshäuser-Syndikats (Helfrich/Bollier 2019)[2]

Das Syndikat beteiligt sich finanziell an Projekten bzw. Immobilien, damit diese später nicht weiterverkauft werden können. Gleichzeitig fördert das Syndikat den Solidartransfer zwischen leistungsfähigeren und finanzschwächeren Projekten. Dieser setzt an dem Punkt an, dass in der Regel die Eigenkapitaldecke junger, heterogener Gruppen sehr dünn ist, dabei aber permanent und verlässlich Schulden sowie langsam zunehmend Solidarbeiträge über Mieten bezahlt werden können. Die Teilnahme an diesem solidarischen Verfahren ist Bedingung für eine Aufnahme im Syndikatsverbund.

Das Mietshäuser Syndikat unterstützt und berät die Projekte bei der Finanzierung und in rechtlichen Fragen, gibt selbst aber kein Kapital dazu. Das Syndikat versteht sich als basisdemokratisch arbeitendes Netzwerk mit Knotenpunkten in ganz Deutschland. Ein wichtiges Instrument ist ein gemeinschaftlich verwalteter „Solidarfonds“, der 220.000 Euro im Jahr 2015 umfasste.[3] Die in Frage stehenden Häuser, häufig Wohnprojekte, werden nicht Eigentum des Syndikats, sondern einer eigenen GmbH, in der der jeweilige Hausverein und das Mietshäuser Syndikat Gesellschafterinnen sind. Der Eigentumstitel der Immobilie liegt bei der GmbH. Die Stimmrechte sind im GmbH-Vertrag festgelegt und nicht wie üblich an die Höhe der Anteile gekoppelt. Über den Verein verwalten die Nutzer ihr Objekt eigenverantwortlich. Hausverein und Mietshäuser Syndikat haben in der GmbH Stimmenparität, so dass Verkauf oder Umwandlung nur einvernehmlich möglich sind und damit verhindert werden können. Entscheidungen wie Wohnungsvergabe, Gestaltung, Finanzierung und Miethöhe obliegen im Rahmen der Wirtschaftlichkeit ausschließlich dem Hausverein, also den dort lebenden Menschen. Die Mietshäuser Syndikat GmbH ist wiederum im Besitz der Gesamtheit der Hausvereine. Höchstes Organ ist die viermal jährlich stattfindende Mitgliederversammlung.

Das Syndikat hat seinen Ursprung im genossenschaftlichen und politisch linken Spektrum und versucht, Ziele der Hausbesetzer-Szene, soziologische und städtebauliche Erkenntnisse seit den 1960er Jahren sowie Ansätze zum sozialverträglichen und ökologischen Umgang mit Geld, Grund und Boden unabhängig von Großbanken und Staat in der Realität zu verankern. (Siehe auch Mutualismus (Ökonomie).)

Auf dem Freiburger „Grethergelände“, einem Komplex mit 100 Bewohnern, dem Strandcafé[4] und dem Radio Dreyeckland auf dem Gelände des ehemaligen Unternehmens Grether & Cie., befindet sich die zentrale Koordination.

Entwicklung

Das Syndikat wurde 1992 in Freiburg im Breisgau von ehemaligen Hausbesetzern gegründet. Bis 2020 konnte es sich an 159 Wohnprojekten[5] mit über 3.800 Bewohnerinnen und Bewohnern und insgesamt 150.000 m² Nutzfläche beteiligen und 15 Initiativen unterstützen.[6] Das kleinste Objekt ist ein Einfamilienhaus für sechs Personen, das größte das Wohnprojekt SUSI, vier Gebäude der ehemaligen Schlageter-Kaserne in Freiburg-Vauban mit 260 Bewohnern aller Altersstufen.[7] 2007 wurde die „Regionale Koordination Tübingen“ gegründet. Weitere regionale Koordinationen und Beratungen bestehen für die Regionen Bayern, Berlin-Brandenburg, Bremen, Dresden, Hamburg, Gießen, Leipzig, Marburg sowie Nordrhein-Westfalen.[8]

(c) Heiko Fähndrich, CC BY 1.0
Synapse-Titelblatt Nr. 7 2011

2011 erschien nach fünf Jahren Unterbrechung eine gedruckte Ausgabe der Synapse – die Zeitung des Mietshäuser Syndikats, deren erste Ausgabe 2001 an die Stelle der kopierten Mitglieds-Infos erschienen war.

2014 gründete sich nach Vorbild des Mietshäuser-Syndikats das österreichische Bündnis HabiTAT.[9][10] Weitere Adaptionen existieren in Frankreich, der Niederlande und der Tschechischen Republik.[11]

Am 15. November 2022 wurde die Syndikatstiftung von dem Regierungspräsidium Darmstadt anerkannt.[12] Ähnliche Stiftungen sind die Stiftung Edith Maryon und die Stiftung trias.

Rezeption

Nachhaltigkeit und Suffizienz

Silke Helfrich und David Bollier attestieren staatliche „Dysfunktionalitäten [...] in der Unfähigkeit, die Finanzkrise strukturell zu lösen oder der ökologischen Zerstörung wirksam zu begegnen“. Das Mietshäuser-Syndikat sei beispielhaft, „um kollektive Rechte zu verteidigen“.[13] Laut Weert Canzler ist es ein „wirksamer Schutz gegen renditegierige Investoren“.[14] Damit trage es nach Herbert Klemisch und Moritz Boddenberg zur „Behebung von Armut und sozialer Ungleichheit“ bei[15] und sorge laut einem Gutachten der BTU Cottbus „trotz des hohen Innovations- und Modellcharakters“ der Projekte für „deutlich unter dem Durchschnitt liegende Mieten“.[16]

Die Hausprojekte sind für Nir Barak Ausdruck eines breit angelegten bürgerschaftlichen Engagements.[17] Enrico Schönberg sieht im Syndikat-Konzept das Potenzial, gelungene Mechanismen auf gesellschaftliche Bereiche zu übertragen. Das Entscheidende sei ein „Prozess des Commoning, bei dem man sich über Ressourcen in einer gemeinschaftlichen Form verständigt“.[18]

Judith Vey attestierte dem Syndikat eine funktionierende Verbindung anarchistischer, direktdemokratischer und marxistischer Ansätze, das sich neben der dominierenden Wahrnehmung eines „uniformen Kapitalismus'“ behauptet habe.[19] Bettina Barthel bezeichnete die Funktionalisierung von Kapitalgesellschaften des Mietshäuser-Syndikats zur „Dekommodifizierung von Wohnraum“ als „Legal Hacking“.[20] Das Mietshäuser-Syndikat ist für Ivo Balmer und Tobias Bernet ein „Erfolgsmodell“.[21]

Kenton Card argumentiert für die Prüfung staatlicher Förderung bei der skalierten Verbreitung des Modells.[22] Die im Aufbau befindliche Stadtbodenstiftung Berlin, ein Community Land Trust (CLT), bezeichnet das Mietshäuser-Syndikat als „ideell sehr nahe“.[23]

Risiken für Direktkreditgeber

Es bestehen Risiken für etwaige Anleger: Zur Finanzierung der sozialverträglichen Wohn-Immobilienprojekte ist in der Regel Kapital notwendig, über das die jeweiligen Hausvereine und Haus-GmbHs meist nicht hinreichend verfügen. Banken verlangen dieses Kapital als zusätzliche Sicherheit, um ihrerseits Kredite zu gewähren. Die Haus-GmbHs werben die nötigen Gelder dabei als bewusst sehr niedrig verzinste Direktkredite von Privatpersonen ein, die ihr Kapital als nachrangiges Darlehen zur Verfügung stellen.[24] Im Falle einer Insolvenz der Haus-GmbH werden diese Kredite somit nachrangig bedient, das gesamte Geld steht also während der Laufzeit im Risiko. Das Mietshäuser Syndikat informiert auf seiner Homepage über diese Risiken, verweist auf eine Insolvenz aus dem Jahr 2010 und rät dazu, einen größeren Kredit auf mehrere Projekte zu verteilen, um das Risiko zu minimieren.[25] Die Stiftung Warentest empfiehlt in einer Beurteilung den Anlegern, nur überschaubare Summen zu investieren: „Die Investition eignet sich nicht als reine Geldanlage. Im Verhältnis zum Risiko sind die Renditeaussichten gering.“[26]

Anschläge auf das Projekt

Innerhalb eines halben Monats wurden 2021 zwei Brandanschläge auf ein mit dem Mietshäuser-Syndikat verbundenes Hausprojekt in der Jagowstraße 15 in Berlin-Spandau verübt. Aufgrund zuvor aufgefallener Schmierereien mit nationalsozialistischen Bezügen hat daraufhin der Staatsschutz des Landeskriminalamts Berlin die Ermittlungen aufgenommen.[27][28]

Video

Literatur

  • Corinna Hölzl: Translocal Mobilization of Housing Commons. The Example of the German Mietshäuser Syndikat. In: Frontiers in Sustainable Cities. Band 4, 3. März 2022, ISSN 2624-9634, doi:10.3389/frsc.2022.759332.
  • Stefan Rost: Das Mietshäuser Syndikat. In: Silke Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. 2. Auflage. Transcript, Bielefeld 2014. S. 285–287.
  • Corinna Hölzl und Henning Nuissl: Marktferne Eigentumsmodelle. Potenziale und Grenzen gemeinwohlorientierter Immobilienentwicklung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ). Band 72, Nr. 51/52, 19. Dezember 2022, bpb.de, ISSN 0479-611X, S. 36–42.

Weblinks

Eigene Auftritte

Berichterstattung

Einzelnachweise

  1. Projekte in Deutschland – Mietshäuser Syndikat. In: https://www.syndikat.org/projekte/. Abgerufen am 23. Juni 2023.
  2. Silke Helfrich, David Bollier: Frei, fair und lebendig - die Macht der Commons. 2., unveränderte Auflage. Transcript, Bielefeld 2020, ISBN 978-3-8376-5574-2, S. 239.
  3. syndikat.org Stand 30. April 2017
  4. Website des strandcafe.blogsport.eu, ein selbstverwalteter Ort der Kommunikation (Selbstdarstellung)
  5. Projekte | Mietshäuser Syndikat. Abgerufen am 21. Februar 2020 (deutsch).
  6. Initiativen | Mietshäuser Syndikat. Abgerufen am 21. Februar 2020 (deutsch).
  7. Patrick Kunkel: Das Mietshäuser-Syndikat – eine Freiburger Erfolgsgeschichte NZZ International vom 19. November 2007, Stand 23. Februar 2016
  8. Regionale Beratung und Regionale Koordination
  9. Home. In: habiTAT. habiTAT. Verein zur Förderung selbstverwalteter und solidarischer Lebens- und Wohnformen, abgerufen am 21. April 2021 (amerikanisches Englisch).
  10. Sophia Thoma: Spekulierst du noch oder wohnst du schon? Ein Denkmodell für eine alternative Wohnversorgung in Wien. Diplomarbeit. Hrsg.: Technische Universität Wien. Wien Juni 2019, S. 88 (tuwien.at [PDF]).
  11. Corinna Hölzl: Translocal Mobilization of Housing Commons. The Example of the German Mietshäuser Syndikat. In: Frontiers in Sustainable Cities. Band 4, 3. März 2022, ISSN 2624-9634, doi:10.3389/frsc.2022.759332 (frontiersin.org [abgerufen am 12. Juli 2023]).
  12. Syndikatstiftung | stiftet Räume. In: Syndikatstiftung. Rolf Weilert, F1-EDV GmbH, abgerufen am 23. Juni 2023.
  13. Silke Helfrich, David Bollier: Commons als transformative Kraft. Zur Einführung. In: Silke Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. 2. Auflage. Transcript, Bielefeld 2014, ISBN 978-3-8376-2835-7, S. 15–23.
  14. Weert Canzler: Pro und kontra Kiezblocks: Nichtstun ist keine Option. In: Klimareporter. 11. April 2023, abgerufen am 11. April 2023.
  15. Herbert Klemisch, Moritz Boddenberg: Selbstorganisation der Verbraucher*innen: Potenziale zur Vermeidung von sozialer Ungleichheit in Bedarfsfeldern des Konsums? In: Armutskonsum - Reichtumskonsum: Soziale Ungleichheit und Verbraucherpolitik. Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. Kompetenzzentrum Verbraucherforschung NRW, Düsseldorf 2020, ISBN 978-3-86336-927-9, S. 79–102 (ssoar.info [abgerufen am 21. April 2021]).
  16. Margarete Over, Patrick Zimmermann, Lars-Arvid Brischke: Wie muss man bauen, um suffizientes Wohnen zu ermöglichen? Hrsg.: Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg. Cottbus / Heidelberg, S. 3 (ifeu.de [PDF]).
  17. Nir Barak: Ecological city-zenship. In: Environmental Politics. Band 29, Nr. 3, 15. April 2020, ISSN 0964-4016, S. 479–499, doi:10.1080/09644016.2019.1660504 (tandfonline.com [abgerufen am 28. Mai 2021]).
  18. Raven Musialik: Die Häuser denen, die sie nutzen. In: Futurzwei. FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit, 24. März 2016, abgerufen am 14. Juni 2021.
  19. Judith Vey: Crisis protests in Germany, Occupy Wall Street, and Mietshäuser Syndikat: Antinomies of current Marxist- and anarchist-inspired movements and their convergence. In: Capital & Class. Band 40, Nr. 1, 1. Februar 2016, ISSN 0309-8168, S. 59–74, doi:10.1177/0309816815627389.
  20. Bettina Barthel: Legal hacking und seine praktischen Dimensionen am Beispiel des Mietshäuser Syndikats. In: Zeitschrift für kritik - recht - gesellschaft. Nr. 3, 2020, ISSN 1019-5394, S. 366, doi:10.33196/juridikum202003036601 (verlagoesterreich.at [abgerufen am 21. April 2021]).
  21. Ivo Balmer, Tobias Bernet: Selbstverwaltet bezahlbar wohnen ? Potentiale und Herausforderungen genossenschaftlicher Wohnprojekte. In: Wohnraum für alle?! transcript Verlag, 2017, ISBN 978-3-8394-3729-2, S. 256–280, doi:10.14361/9783839437292-017 (degruyter.com [abgerufen am 21. April 2021]).
  22. Kenton Card: Contradictions of Housing Commons. Between Middle-Class and Anarchist Models in Berlin. In: Derya Özkan, Güldem Baykal Büyüksarac (Hrsg.): Commoning the City. Empirical Perspectives on Urban Ecology, Economics and Ethics. Routledge, Abingdon, Oxon 2020, ISBN 978-0-429-02188-6, S. 159–176.
  23. Das kommunale Vorkaufsrecht stärken! Sieben Forderungen des Mietshäuser Syndikat. In: Stadtbodenstiftung Berlin. 16. Dezember 2020, abgerufen am 21. April 2021.
  24. Direktkredite | Mietshäuser Syndikat. Abgerufen am 12. Juni 2018 (deutsch).
  25. Ein Projekt scheitert | Mietshäuser Syndikat. Abgerufen am 12. Juni 2018 (deutsch).
  26. Stiftung Warentest: Mietshäuser Syndikat - Anlegergeld für selbstverwaltete Mietshäuser – sozial und riskant - Special - Stiftung Warentest. Abgerufen am 12. Juni 2018.
  27. Julius Geiler: Zweites Feuer in zwei Wochen in linkem Hausprojekt in Berlin-Spandau. In: Der Tagesspiegel. 19. April 2021, abgerufen am 21. April 2021.
  28. Nach schwerer Brandstiftung – Zeuginnen und Zeugen gesucht. In: berlin.de. 9. April 2021, abgerufen am 24. April 2021.

Koordinaten: 47° 59′ 35,8″ N, 7° 50′ 26,9″ O

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