Michael Zürn (Politikwissenschaftler)

Michael Zürn (* 14. Februar 1959 in Esslingen am Neckar) ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Er ist seit 2004 Direktor der Abteilung „Global Governance“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professor für Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin sowie Sprecher des DFG-Exzellenzclusters „Contestations of the Liberal Script“.

Biografie

Zürn absolvierte 1984 an der University of Denver den Master in Internationalen Beziehungen. 1987 legte er sein erstes Staatsexamen in Politikwissenschaft und Germanistik an der Universität Tübingen ab. Im gleichen Jahr besuchte er die Essex Summer School in Social Science, Data Analysis and Collection. 1991 promovierte er an der Universität Tübingen über das Thema Spieltheorie, Funktionalismus und Internationale Politik.

Von 1989 bis 1991 war Zürn wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft in Tübingen, 1991 Gastprofessor an der University of Denver und von 1991 bis 1992 wissenschaftlicher Assistent in Tübingen. Seit 1993 war er als Professor der Politikwissenschaften an der Universität Bremen in verschiedenen Funktionen tätig: von 1995 bis 2004 leitete er das Institut für Interkulturelle und Internationale Studien. In der Zeit von 1997 bis 2000 war er Direktor des Zentrums für Europäische Rechtspolitik und von 2001 bis 2003 Direktor des Instituts für Politikwissenschaft; von 2001 bis 2003 war er Mitbegründer und Vorstandsmitglied der Graduate School of Social Sciences (BGSSS) der Universität Bremen und leitete von 2002 bis 2004 den Sonderforschungsbereich „Staatlichkeit im Wandel“. 2004 wechselte er nach Berlin ist an das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und an die Freie Universität Berlin. Parallel war er von 2004 bis 2009 Gründungsdirektor und Dekan der Hertie School of Governance in Berlin.

2008 begründete er die Berlin Graduate School for Transnational Studies (BTS) mit, ist dort Vorstandsmitglied und war von 2015 bis 2018 Direktor der BTS. Von 2016 bis 2018 war er Sprecher der DFG-Forschergruppe Overlapping Spheres of Authority and Interface Conflicts in the Global Order und ist seit 2019 gemeinsam mit Tanja Börzel Sprecher des Exzellenzclusters „Contestations of the Liberal Script“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird und an dem neben der Freien Universität Berlin, die Humboldt-Universität zu Berlin, das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sowie fünf weitere Berliner Wissenschaftseinrichtungen beteiligt sind.

Seit 2007 ist er Mitglied der Sozialwissenschaftlichen Klasse der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. 2014 wurde er in die Academia Europaea gewählt.

Darüber hinaus bekleidet Zürn eine Reihe von Ämtern in Beratungs- oder Aufsichtsgremien: Er ist seit 2018 Mitglied des Rates der Universität Konstanz, seit 2017 Mitglied des Aufsichtsrates der Heinrich-Böll-Stiftung, seit 2016 Mitglied des Stiftungsrates der Deutschen Stiftung für Friedensforschung (DSF), seit 2014 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg, seit 2012 Mitglied im Stiftungsrat des Hanse-Wissenschaftskollegs und Mitglied des International Academic Council (IAC) des Wissenschaftlichen Beirats und des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Weiterhin war er u. a. Mitglied des Präsidiums des Deutschen Kirchentages, des Senats der DFG, im Vorstand der Stiftung Entwicklung und Frieden, Gutachter des Europäischen Forschungsrats (ERC), Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Käte Hamburger Kolleg / Centre for Global Cooperation Research, und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Exzellenzclusters „Normative Orders“ an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt. Er gehört der Mitgliederversammlung der Heinrich-Böll-Stiftung an.[1]

Er ist gemeinsam mit Mitja Sienknecht Herausgeber des Blogs „Orders Beyond Borders“, einer der Herausgeber des Leviathan[2] und Mitglied in zahlreichen Redaktionsleitungen von sozialwissenschaftlichen Zeitschriften.

2021 wurde Zürn der Berliner Wissenschaftspreis zugesprochen.

Er ist verheiratet und hat ein Kind.

Forschungsschwerpunkte

Seine wissenschaftlichen Arbeiten können grob vier Themenbereichen zugeordnet werden: Zum einen hat er mit seinen frühen regimetheoretischen Arbeiten und deren Weiterentwicklung zur Governanceanalyse zu einer Öffnung der Internationalen Beziehungen zum sozialwissenschaftlichen Institutionalismus beigetragen. Er hat dabei zu einer Fortentwicklung eines akteursorientierten Institutionalismus als Theorie der Internationalen Beziehungen beigetragen, die seit seiner Grundlegung des situationsstrukturellen Ansatzes darauf abzielt, eine Handlungstheorie zu entwickeln, die in die Anerkennungsverhältnisse und die ideellen Grundlagen der Weltpolitik eingebettet ist. Seine Theorie der Global Governance hat diesen Strang weitergeführt.

Zum zweiten hat Zürn entscheidend dazu beigetragen, dass normative Konzepte in die empirische Analyse internationaler Beziehungen Eingang gefunden haben. Seine Arbeiten zur Rolle des demokratischen Prinzips und zur Rolle des Rule of Law in der Weltpolitik waren dafür wegweisend. Damit hat Zürn zur Entwicklung des Feldes der „International Political Theory“ wesentlich beigetragen.

Ein dritter und neuerer Schwerpunkt der Arbeiten von Zürn stellt die empirische Erforschung von Politisierungsprozessen und Legitimationskämpfen in internationalen Organisationen und deren Rückwirkungen auf nationale Politik dar. Das von Zürn eingeführte Politisierungskonzept hat ein reichhaltiges Forschungsprogramm begründet, dessen Relevanz gerade angesichts der gegenwärtigen Krisen europäischer und internationaler Institutionen bezeugt wurde. In diesen Bereich fallen auch die neueren Arbeiten über eine neue Konfliktlinie zwischen Kosmopolitismus und Kommunitarismus, die im Kern eine Auseinandersetzung über die Bedeutung von Grenzen und den zunehmenden Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit im Zeitalter der Globalisierung ist.

Viertens hat Zürn die Schnittstellen zwischen den Internationalen Beziehungen und dem Recht in einigen wichtigen Publikationen eruiert. Es geht dabei insbesondere um die Frage, wie sich rechtlich verfasste Normen von anderen sozialen Normen in den Internationalen Beziehungen unterscheiden und ob rechtliche Normen oder gar das Rule of Law einen legitimitätserzeugenden Charakter haben.

Publikationen (Auswahl)

Zürn hat insgesamt über 300 Publikationen und dabei in wichtigsten Zeitschriften seiner Fachbiete publiziert, darunter World Politics, International Organization, International Theory, European Journal of International Relations, Politische Vierteljahresschrift und Leviathan. Viele dieser Publikationen sind in Ko-Autorenschaft erschienen, so dass auch immer neue Themen erschlossen werden konnten. In einer Analyse der Publikationen in der deutschen Politikwissenschaft wird er daher als „the center of the German political science universe“[3] bezeichnet.

Zu seinen wichtigsten Büchern gehören:

  • Gerechte internationale Regime. Bedingungen und Restriktionen der Entstehung nicht-hegemonialer internationaler Regime untersucht am Beispiel der Weltkommunikationsordnung. Haag & Herchen, Frankfurt am Main 1987, ISBN 3-89228-088-6.
  • mit Manfred Efinger und Volker Rittberger: Internationale Regime in den Ost-West-Beziehungen. Ein Beitrag zur Erforschung der friedlichen Behandlung internationaler Konflikte. Haag & Herchen, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-89228-205-6.
  • mit Volker Rittberger: Forschung für neue Friedensregeln. Rückblick auf zwei Jahrzehnte Friedensforschung. Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Stuttgart 1989, ISBN 3-926297-26-3.
  • Interessen und Institutionen in der internationalen Politik. Grundlegung und Anwendungen des situationsstrukturellen Ansatzes. Leske + Budrich, Opladen 1992, ISBN 3-8100-0979-2.
  • Regieren jenseits des Nationalstaates. Globalisierung und Denationalisierung als Chance. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-518-41018-0.
  • mit Marianne Beisheim, Sabine Dreher, Gregor Walter und Bernhard Zangl: Im Zeitalter der Globalisierung? Thesen und Daten zur gesellschaftlichen und politischen Denationalisierung. Nomos, Baden-Baden 1999, ISBN 3-7890-5834-3.
  • mit Bernhard Zangl: Frieden und Krieg. Sicherheit in der nationalen und postnationalen Konstellation. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-518-12337-8.
  • mit Günther Hellmann und Klaus-Dieter Wolf (Hrsg.): Die neuen Internationalen Beziehungen. Forschungsstand und Perspektiven in Deutschland. Nomos, Baden-Baden 2003, ISBN 3-8329-0320-8.
  • mit Bernhard Zangl: Verrechtlichung – Baustein für Global Governance? Dietz Verlag, Bonn 2004, ISBN 3-8012-0347-6.
  • mit Christian Joerges: Law and Governance in Postnational Europe. Cambridge University Press, Cambridge 2005, ISBN 0-521-84135-6.
  • mit Gregor Walter (Hrsg.): Globalizing Interests. Pressure Groups and Denationalization. State University of New York Press, Albany 2005, ISBN 0-7914-6510-1.
  • mit Helmut Breitmeier und Oran R. Young: Analyzing International Environmental Regimes. From Case Study to Database. The MIT Press, Cambridge/Massachusetts/ London/UK 2006, ISBN 0-262-52461-9.
  • mit Nicole Deitelhoff: Lehrbuch der Internationalen Beziehungen. Per Anhalter durch die IB-Galaxis. C. H. Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-65439-8.
  • A Theory of Global Governance. Authority, Legitimacy, and Contestation. Oxford University Press, Oxford 2018, ISBN 978-0-19-881998-1.
  • mit Pieter de Wilde, Wolfgang Merkel, Ruud Koopmans und Oliver Strijbis: The Struggle Over Borders, Cosmopolitanism and Communitarianism. Cambridge University Press, Cambridge 2019, ISBN 978-1-108-71822-6.
  • mit Armin Schäfer: Die demokratische Regression. Die politischen Ursachen des autoritären Populismus. Suhrkamp, Berlin 2021, ISBN 978-3-518-12749-0.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Heinrich-Böll-Stiftung - Mitgliederversammlung
  2. https://www.leviathan.nomos.de/herausgeberkreis/
  3. P. Leifeld, S. Wankmüller, V. T. Z. Berger, K. Ingold, C. Steiner: Collaboration patterns in the German political science co-authorship network. In: PLoS ONE. Band 12, Nr. 4, April 2017, doi:10.1371/journal.pone.0174671.