Methylisocyanat

Strukturformel
Strukturformel von Methylisocyanat
Allgemeines
NameMethylisocyanat
Andere Namen
  • MIC
  • Isocyanatomethan
  • Isocyansäuremethylester
SummenformelC2H3NO
Kurzbeschreibung

farblose, tränenreizende Flüssigkeit mit stechendem Geruch[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer624-83-9
EG-Nummer210-866-3
ECHA-InfoCard100.009.879
PubChem12228
ChemSpider11727
DrugBankDB12765
WikidataQ410431
Eigenschaften
Molare Masse57,05 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte

0,96 g·cm−3[2]

Schmelzpunkt

−45 °C[2]

Siedepunkt

39,5 °C[2]

Dampfdruck
  • 464 hPa (20 °C)[2]
  • 710 hPa (30 °C)[2]
  • 1050 hPa (40 °C)[2]
  • 1510 hPa (50 °C)[2]
Löslichkeit

zersetzt sich in Wasser und Alkoholen[1]

Brechungsindex

1,3637[1]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP),[3] ggf. erweitert[2]
GefahrensymbolGefahrensymbolGefahrensymbolGefahrensymbol

Gefahr

H- und P-SätzeH: 225​‐​361d​‐​330​‐​311​‐​301​‐​334​‐​317​‐​335​‐​315​‐​318
P: ?
MAK

0,024 mg·m−3[2]

Toxikologische Daten

71 mg·kg−1 (LD50Ratteoral)[1]

Thermodynamische Eigenschaften
ΔHf0

−92,0 kJ/mol[4]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

Methylisocyanat (kurz MIC) ist der einfachste Ester der Isocyansäure. Es ist eine sehr reaktive chemische Verbindung, die z. B. bei der Herstellung von Insektiziden verwendet wird. Wie die Isocyansäure und die anderen Isocyanate ist es hoch toxisch.

Geschichte

Im indischen Bhopal ereignete sich am 3. Dezember 1984 ein schwerer Chemieunfall mit Methylisocyanat. Dabei entwichen aus einem defekten Tank einer Pestizidfabrik des amerikanischen Chemiekonzerns Union Carbide in der Nähe der Stadt zwischen 25 und 40 Tonnen Methylisocyanat. Infolge dieses Chemieunfalls kamen nach Schätzungen 3.800 bis 25.000 Menschen ums Leben. Zudem kam es zu einer immensen Vergiftung der Umwelt.[5]

Bis zum Frühjahr 2011 wurden diese Stoffe auch im Werk der Bayer AG in Institute (West Virginia) hergestellt. Am 11. Januar 2011 kündigte Bayer an, in diesem Werk, das als Schwester-Fabrik von Bhopal galt, die MIC-Produktion bis zum Sommer 2012 zu beenden.[6] Am 10. Februar 2011 gab ein Gericht in Charleston im US-Bundesstaat West Virginia einer Klage von 16 Anwohnern des Bayer-Werks in Institute statt und untersagte die Produktion der hochgiftigen Chemikalie vorläufig. Ohne auf das abschließende Urteil zu warten, beschloss daraufhin das Bayer-Management, die Produktion nicht wieder aufzunehmen.[7]

Gewinnung und Darstellung

Technisch wird Methylisocyanat durch Reaktion von Methylamin und Phosgen hergestellt. Nach Abspaltung von Chlorwasserstoff (HCl) wird das Zwischenprodukt N in Methylisocyanat umgewandelt:

Synthese von Methylisocyanat
Synthese von Methylisocyanat

Methylamin reagiert im ersten Schritt bei −20 °C bis 60 °C mit Phosgen unter HCl-Abspaltung zu N-Methylcarbamoylchlorid. Im zweiten Schritt bei 100–200 °C entsteht unter erneuter Eliminierung von HCl Methylisocyanat.

Eigenschaften

Physikalische Eigenschaften

Methylisocyanat ist eine flüchtige, farblose Flüssigkeit, die stark tränenerregend ist und konzentriert einen stechenden Geruch aufweist. Bei leicht erhöhten Temperaturen (38 °C) geht sie in den gasförmigen Aggregatzustand über, in welchem sie schwerer als Luft ist.

Chemische Eigenschaften

Methylisocyanat reagiert bei der Umsetzung mit Alkoholen zu Carbamaten:

Mit Aminen kann Methylisocyanat in Harnstoffderivate überführt werden:

Sicherheitstechnische Kenngrößen

Methylisocyanat bildet leicht entzündliche Dampf-Luft-Gemische. Die Verbindung hat einen Flammpunkt von ca. −35 °C.[2] Der Explosionsbereich liegt zwischen 5,3 Vol.‑% (126 g·m−1) als untere Explosionsgrenze (UEG) und 26 Vol.‑% (618 g·m−1) als obere Explosionsgrenze (OEG).[2] Die Grenzspaltweite wurde mit 1,21 mm (50 °C) bestimmt.[2] Es resultiert damit eine Zuordnung in die Explosionsgruppe IIA. Die Zündtemperatur beträgt 530 °C.[2] Der Stoff fällt somit in die Temperaturklasse T1.

Verwendung

Methylisocyanat wird vor allem zur Herstellung der Carbamate Aldicarb (Temik), Carbofuran (Furadan), Carbaryl (Sevin), Methomyl und Oxamyl verwendet. Bei Umsetzung mit Alkoholen bilden sich Methylcarbamidsäureester, mit Thiolen Methylthiourethane.

In der Pestizidfabrik des amerikanischen Chemiekonzerns Union Carbide in der Nähe der Stadt Bhopal wurden die Wirkstoffe Carbaryl und Aldicarb produziert.

Physiologie

Reaktion von Methylisocyanat mit Glutathion

Die direkte Toxizität von Methylisocyanat resultiert aus der Fähigkeit, zahlreiche nukleophile Gruppen stoffwechselaktiver Biomoleküle anzugreifen.

Ein Mechanismus für den Transport von Methylisocyanat im Körper wurde 1992 entdeckt. Demnach kann Glutathion, ein Tripeptid, dessen Aufgabe es eigentlich ist, den Organismus vor der Schädigung durch toxische Substanzen zu schützen, Methylisocyanat reversibel an die Thiolgruppe addieren und damit transportieren.

Sicherheitshinweise

Methylisocyanat verursacht bei Exposition Verätzungen der Schleimhäute, Augen und Lungen, jedoch wurden bei Opfern des Bhopalunglücks vielfach auch schwere Verätzungen innerer Organe festgestellt. Dieser Befund war insofern überraschend, als Methylisocyanat zu reaktiv ist, um unverändert in den Kreislauf zu gelangen.

Methylisocyanat ist als potentiell fruchtschädigend eingestuft.[2]

Astronomie

Im Doppelsternsystem IRAS 16293-2422 wurde Methylisocyanat entdeckt. Dies zeigt, dass in jungen sonnenähnlichen Systemen Bausteine für die Entwicklung von Leben vorhanden sind.[8]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d Eintrag zu Methylisocyanat. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 4. Mai 2014.
  2. a b c d e f g h i j k l m n Eintrag zu Methylisocyanat in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 19. Januar 2020. (JavaScript erforderlich)
  3. Eintrag zu Methyl isocyanate im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 1. Februar 2016. Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung erweitern.
  4. David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Standard Thermodynamic Properties of Chemical Substances, S. 5-22.
  5. Stadt unterm Leichentuch, einestages Zeitgeschichten auf SPIEGEL-Online, 1. Dezember 2009.
  6. cbgnetwork.org: Bayer stellt Produktion von Bhopal-Chemikalie MIC ein; 12. Januar 2010.
  7. bhopal.net: Bayer finally gives up toxic MIC production in Institute, WV, 19. März 2011.
  8. Peter Friedrich, Susanne Friedrich, Johannes Hölzl: Organische Moleküle um Junge Sterne. In: Regiomontanusbote, Zeitschrift der Nürnberger Astronomischen Arbeitsgemeinschaft e. V. Nr. 3, 2017, S. 24 (zitiert nach der Quelle: ESO-Pressemitteilung 1718).

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