Meldepflichtiges Ereignis

Als Meldepflichtiges Ereignis bezeichnet man im Bereich der Kerntechnik ein betriebliches Ereignis (Betriebsstörung oder Störfall) in einer kerntechnischen Anlage, z. B. einem Kernkraftwerk, das aufgrund bestehender Vorschriften gegenüber den zuständigen Behörden zu melden ist. Der Begriff umfasst kleinere und unspektakuläre Unregelmäßigkeiten ebenso wie schwerste Unfälle.

Rechtliche Grundlagen

1975 wurde für Kernkraftwerksbetreiber die Verpflichtung eingeführt, Ereignisse nach bestimmten bundesweit einheitlichen Kriterien an die Aufsichtsbehörde zu melden. Diese wurden wie folgt eingeteilt und hatten bis 1985 bestand:

KategorieEreignisMeldefristBeispiele
ASicherheitstechnisch unmittelbar signifikante Störfälle und Ereignisse2 TageFreisetzungen radioaktiver Stoffe oberhalb der maximal genehmigten Abgaberaten oder Absolutwerte, Personenschäden, sofern sie als Folgeschäden hier zu meldender Vorkommnisse eingetreten sind, Schäden an der druckführenden Umschließung des gesamten Primärkreises (bei Siedewasserreaktoren einschließlich Turbine) verbunden mit Aktivitätsfreisetzung oder Kühlmittelleckagen, Funktionsstörungen oder Ausfälle während des Betriebes bzw. im Anforderungsfall an Systemen, deren Verfügbarkeit sicherheitstechnisch gewährleistet sein muss etc.
BSicherheitstechnisch potentiell signifikante Störfälle und Ereignisse8 TageNicht geplante Freisetzungen radioaktiver Stoffe unterhalb genehmigter Abgaberaten oder Absolutwerte, Funktionsstörungen oder Ausfälle im Prüfungsfall an Systemen, deren Verfügbarkeit sicherheitstechnisch gewährleistet sein muss, Ausfälle oder Schäden am Primärkühlmittelumwälzsystem, Schäden an der druckführenden Umschließung des gesamten Primärkreises und des Sekundärkreises sowie an Einbauten, Ausfälle oder Schäden an Überwachungs- und Kühleinrichtungen für Brennelemente im Trockenlager bzw. im Lagerbecken, Bedienungsfehler oder Fehler bzw. Lücken in Betriebsanweisungen und Prüfvorschriften etc.
CAndere Störfälle und Ereignisse14 TageAusfälle, Schäden und Schwachstellen, die die Funktionssicherheit des Systems, das im Sicherheitsbericht aufgeführt ist, eingeschränkt haben und Abweichungen von Spezifikationen, soweit die spezifizierte Grenze aus sicherheitstechnischen Gründen festgelegt worden ist, Konstruktions- und werkstofftechnische sowie betriebstechnische Probleme, auch während der Errichtungsphase, die über Routinefälle hinausgehen.

Eine grundlegende Verpflichtung zur Meldung solcher Ereignisse findet sich seit April 1977 in der Strahlenschutzverordnung. Dort heißt es in § 51:

„Der Eintritt einer radiologischen Notstandssituation, eines Unfalls, eines Störfalls oder eines sonstigen sicherheitstechnisch bedeutsamen Ereignisses ist der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde und, falls dies erforderlich ist, auch der für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zuständigen Behörde sowie den für den Katastrophenschutz zuständigen Behörden unverzüglich mitzuteilen.“

1985 wurden die Meldekriterien von 1975 überarbeitet und in die Kategorien S, E, N und V eingeordnet:

KategorieEreignisMeldefrist
S (Schnellmeldung)Vorkommnisse, die der Aufsichtsbehörde sofort gemeldet werden müssen, damit sie gegebenenfalls in kürzester Frist Prüfungen einleiten oder Maßnahmen veranlassen kann. Hierunter fallen auch die Vorkommnisse, die akute sicherheitstechnische Mängel aufzeigen
  • Per Telefon/Telefax sofort
  • Mittels Formblatt, das spätestens am 5. Arbeitstag (Montag–Freitag) nach Erkennen des Vorkommnisses abzusenden ist.
E (Eilmeldung)Vorkommnisse, die zwar keine Sofortmaßnahmen der Aufsichtsbehörde verlangen, deren Ursache aber aus Sicherheitsgründen geklärt und in angemessener Frist behoben werden muss. Dies sind zum Beispiel Vorkommnisse, die sicherheitstechnisch potentiell – aber nicht unmittelbar – signifikant sind.
  • Innerhalb der Geschäftszeiten der Aufsichtsbehörde telefonisch oder per Telefax
  • Außerhalb der Geschäftszeiten entsprechend besonderer Regelung der Aufsichtsbehörde
  • Mittels Formblatt, das spätestens am 5. Arbeitstag (Montag–Freitag) nach Erkennen des Vorkommnisses abzusenden ist.
N (Normalmeldung)Vorkommnisse von allgemeiner sicherheitstechnischer Relevanz, über die die Aufsichtsbehörde informiert werden muss. Dies sind in der Regel Vorkommnisse, die über routinemäßige betriebstechnische Ereignisse hinausgehen und im Sinne der BMI-Sicherheitskriterien von Bedeutung sind.
  • Mittels Formblatt, das spätestens am 5. Arbeitstag (Montag–Freitag) nach Erkennen des Vorkommnisses abzusenden ist.
V (Ereignisse vor Inbetriebnahme)Vorkommnisse, über die die Aufsichtsbehörde im Hinblick auf den späteren sicheren Betrieb der Anlage informiert werden muss.
  • Mittels Formblatt, das in angemessener Frist, spätestens am 10. Arbeitstag (Montag–Freitag) nach Erkennen des Vorkommnisses abzusenden ist.

Die Meldepflicht für Unfälle und Störfälle wird seit 1992 in der Verordnung über den kerntechnischen Sicherheitsbeauftragten und über die Meldung von Störfällen und sonstigen Ereignissen (AtSMV) präzisiert. Die Verordnung ist anwendbar auf Anlagen, die nach § 7 AtG genehmigt sind, also auf Kernkraftwerke, Forschungsreaktoren, die Brennelementfertigungsanlage Lingen, die Urananreicherungsanlage Gronau und die stillgelegte Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe. Die Bestimmungen zur Meldepflicht gelten auch für die nach § 6 AtG genehmigten Standortzwischenlager für abgebrannte Brennelemente.

Die AtSMV enthält als Anlagen 1 bis 3 die Kriterien, wonach ein Ereignis meldepflichtig ist. Anlage 1 gilt für Kernreaktoren, Anlage 2 für sonstige Anlagen und Anlage 3 für Kontaminationen an Transportbehältern. Für die Meldung wird ein standardisiertes Meldeformular verwendet.

Ereignisse nach Meldekategorie

JahrKategorie NKategorie EKategorie SKategorie V
20175120
20166901
20155820
20146800
20137710
20127900
201110400
20107730
200910120
200888400
2007112600
2006126400
2005133200
2004148600
2003137000
20021571000
2001118720
200092200
1999120100
1998132400
1997114300
1996133200
1995150200
1994159110
1993177200
1992221200
19912331000
1990214811
19892901002
19882831003
198728211010
19863161107
198560503
Überarbeitung 1985
JahrKategorie CKategorie BKategorie A
1985153180
1984118310
1983107281
1982117250
1981107450
1980891075
1979611561

[1]

Bewertung gemäß INES-Skala der IAEO

Um die sicherheitstechnische Bedeutung eines nuklearen Ereignisses transparenter und auch für die Öffentlichkeit begreifbarer zu machen, hat die IAEO im Jahr 1990 die 7-stufige Internationale Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES) eingeführt. Betriebsstörungen werden dort der Stufe 1 zugeordnet. Die Stufen 2 und 3 entsprechen Störfällen, und ab Stufe 4 spricht man von Unfällen. Später wurde noch eine Stufe 0 für Ereignisse ohne sicherheitstechnische Bedeutung hinzugefügt.

Die Mitgliedstaaten der IAEO haben sich verpflichtet meldepflichtige Ereignisse der Stufe 2 und höher der IAEO zu melden, wo sie auf deren Internetseite veröffentlicht werden.[2]

In Deutschland werden alle meldepflichtigen Ereignisse vom Betreiber anhand dieser Skala eingestuft. Die Klassifizierung wird später von der Aufsichtsbehörde und von der Störfallmeldestelle des Bundesamtes für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfS) im Zusammenwirken mit den Gutachtern überprüft. Für die Einstufung werden drei Aspekte berücksichtigt:

  • die radiologischen Auswirkungen außerhalb der Anlage
  • die radiologischen Auswirkungen in der Anlage und
  • die Beeinträchtigung der Sicherheitsvorkehrungen.

Mit Hilfe dieser Kriterien wurden die meldepflichtigen Ereignisse in Deutschland wie folgt klassifiziert:[3]

JahrStufe 0Stufe 1≥ Stufe 2
20175300
20166910
20156000
20146800
20137710
20127900
201110400
20108000
200910300
20089110
200711620
200613000
200513500
200414770
200313430
2002154130
200112052
20009130
199912010
199813231
199711430
199612960
199515110
199415830
199317360
199221670
1991232110

Die Ereignisse ≥ Stufe 2 waren:

  • 27. August 2001 (Kernkraftwerk Philippsburg 2 KKP-2):
    Unterschreitung der spezifizierten Borkonzentration in drei Flutbehältern (Stufe 2)
  • 10. August 2001 (KKP-2):
    Unterschreitung des Sollfüllstandes in den vier Flutbehältern beim Anfahren der Anlage (Stufe 2)
  • 6. Juni 1998 (Kernkraftwerk Unterweser KKU):
    Nichtverfügbarkeit einer Frischdampf-Sicherheitsarmaturen-Station bei Anforderung (Stufe 2)

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jahresberichte zu meldepflichtigen Ereignissen. (Nicht mehr online verfügbar.) Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit, archiviert vom Original am 6. Dezember 2017; abgerufen am 5. Dezember 2017.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bfe.bund.de
  2. Meldepflichtige Ereignisse, Sicherheit in der Kerntechnik
  3. Jahresberichte zu meldepflichtigen Ereignissen. (Nicht mehr online verfügbar.) Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit, archiviert vom Original am 6. Dezember 2017; abgerufen am 5. Dezember 2017.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bfe.bund.de

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