Maurizio Pollini

Maurizio Pollini (2009)

Maurizio Pollini (* 5. Januar 1942 in Mailand; † 23. März 2024 ebenda) war ein italienischer Pianist und Dirigent.

Er gilt neben Arturo Benedetti Michelangeli als einer der bedeutendsten Pianisten Italiens. Sein großes Repertoire umfasste neben klassischen und romantischen Kompositionen auch zahlreiche Werke der Neuen Musik, darunter eine Gesamtaufnahme des Klavierwerks von Arnold Schönberg.

Leben

Beide Eltern stammten aus Künstlerfamilien aus Rovereto, sein Vater Gino Pollini war Architekt und Gründungsmitglied der Gruppo 7 (Rationalismus), seine Mutter Renata Melotti war Musikerin und Schwester des Bildhauers Fausto Melotti. Bereits im Alter von neun Jahren gab Pollini als Pianist sein Debüt. Er studierte zuerst bei Carlo Lonati bis zu seinem 13. Lebensjahr, dann bei Carlo Vidusso, bis er 18 Jahre alt war. Er erhielt ein Diplom am Conservatorio di musica „Giuseppe Verdi“ di Milano. Später wurde er auch von Arturo Benedetti Michelangeli ausgebildet.[1]

Beim Internationalen Pianistenwettbewerb in Genf im Jahre 1958, in dem kein erster Preis vergeben wurde, errang er den zweiten Preis.[2] Im Jahre 1959 gewann er den Ettore-Pozzoli-Wettbewerb in Seregno, im Jahr darauf den Chopin-Wettbewerb in Warschau. Seither trat er international in Konzerten auf.

Pollini war auch politisch engagiert, betonte aber, dass dies nichts mit seiner künstlerischen Leistung oder mit der Aussage der Kunst zu tun habe. Mit Luigi Nono und Claudio Abbado engagierte er sich seit den späten 1960er Jahren für die Kommunistische Partei Italiens und konzertierte vor Fabrikarbeitern in deren Werkhallen. Er gab Sonderkonzerte gegen Silvio Berlusconi und setzte sich dafür ein, dass Studenten seinen Zyklus mit sämtlichen Klaviersonaten Beethovens zu günstigen Preisen besuchen konnten.[3]

Pollini gehörte zu den wenigen Konzertpianisten, die trotz der nahezu omnipräsenten Verfügbarkeit großer Steinway-Bühnenflügel stets auf ihrem eigenen Instrument konzertieren, wie es auch von Krystian Zimerman, von Vladimir Horowitz und Arturo Benedetti Michelangeli bekannt ist.[4] Er reiste mit einem „Fabbrini“ – einem der vom italienischen Klavierbauer Angelo Fabbrini bearbeiteten Steinway-Flügel, die „fast wie die Instrumente des 19. Jahrhunderts klingen: trennschärfer in den Registern als ein gewöhnlicher Steinway“ und „weiter gefächert in den dynamischen Möglichkeiten“.[5]

Zeitweilig betätigte sich Pollini auch als Dirigent, namentlich beim Rossini-Festival in Pesaro. Der 1978 in Bern geborene Pianist Daniele Pollini ist sein Sohn.

Maurizio Pollini starb am 23. März 2024 im Alter von 82 Jahren in seiner Geburtsstadt Mailand.[6][7]

Repertoire und Bedeutung

Pierre Boulez und Maurizio Pollini (rechts) 2009 in Paris

Maurizio Pollini gehörte neben Arturo Benedetti Michelangeli, der über ein schmales Repertoire verfügte,[8] zu den bedeutendsten Pianisten Italiens. Wie etwa bei Martha Argerich oder Krystian Zimerman war der erste Preis beim Warschauer Chopin-Wettbewerb für ihn der Ausgangspunkt einer internationalen Karriere.[9]

Pollini machte zunächst durch dynamisch-feurige Darbietungen von Werken Frédéric Chopins auf sich aufmerksam. So spielte er bereits 1957 die Chopin-Etüden in Mailand und erregte damit einiges Aufsehen. Ende der 60er Jahre konzentrierte er sich mehr auf Klarheit und klangliche Feinabstimmung.

In seiner ersten Aufnahme für die Deutsche Grammophon überraschte er mit einer virtuosen Darbietung der Trois mouvements de Petrouchka von Igor Strawinsky sowie der Sonate Nr. 7 B-Dur, op. 83 von Sergei Prokofjew. Die 1972 im Münchener Herkulessaal aufgenommene Einspielung der Chopin-Etüden zählt bis in die Gegenwart zu den herausragenden Interpretationen des Zyklus. Pollini spielte ebenso präzise wie detailliert und ruhte sich nicht auf den Rubato-Stellen aus.[10] Weitere Schwerpunkte in Pollinis Repertoire waren Werke von Ludwig van Beethoven, Franz Schubert und Robert Schumann.

Pollini setzte sich auch für die Neue Musik ein. Das betraf die Komponisten der Zweiten Wiener Schule wie Alban Berg, Anton Webern und Arnold Schönberg ebenso wie seine Zeitgenossen Pierre Boulez, Luciano Berio, Luigi Nono und Karlheinz Stockhausen. Sein enges Verhältnis zur italienischen Avantgarde zeigte sich, als Luigi Nono ihm zwei Kompositionen zueignete. Nonos Como una ola de fuerza y luz war auch dem befreundeten Dirigenten Claudio Abbado gewidmet, mit dem Pollini zahlreiche Orchesteraufnahmen wie die Klavierkonzerte von Beethoven, Johannes Brahms und Béla Bartók realisierte. Die Beethoven-Konzerte hatte er zuvor bereits unter Eugen Jochum und Karl Böhm aufgenommen.[11]

Die späteren Aufzeichnungen lassen eine veränderte Klangästhetik erkennen. Der trocken-analytische Ton ist weitgehend verschwunden, und die Aufnahmen zeigen einen höheren Raumanteil und einen größeren Abstand zum Instrument. Laut Gregor Willmes blieb Pollini seinem Stilideal der Neuen Sachlichkeit treu und behielt auch die raschen Tempi bei, die seine Spielweise seit jeher charakterisierten. Das zeigt sich etwa bei der Einspielung der Beethoven-Sonaten, die Pollini bei der Deutschen Grammophon nicht chronologisch vornahm. So begann er den Zyklus Mitte der 1970er Jahre mit den letzten Sonaten von op. 101 bis op. 111 und schloss ihn im Jahre 2014 mit den drei Sonaten op. 31 und den leichten, nur zwei Sätze umfassenden Sonaten aus op. 49 ab. Die späte A-Dur-Sonate sowie die Hammerklaviersonate spielte er 2020 erneut ein. Gerade die poetischen Momente in den frühen und mittleren Klaviersonaten würden in Pollinis kühler Sichtweise mitunter auf der Strecke bleiben. Die Interpretation der späten Diabelli-Variationen sei wiederum besser, da Pollini seine Fähigkeiten vor allem bei großen Konstruktionen ausspielen könne.[12]

Aus Anlass von Schönbergs 100. Geburtstag führte Pollini dessen Gesamtwerk für Klavier in mehreren Städten auf.

Pollini wurde im Jahre 2010 mit dem Praemium Imperiale ausgezeichnet.[13]

Auszeichnungen

Preise

Ehrungen

Literatur (Auswahl)

  • Ingo Harden, Gregor Willmes: PianistenProfile. 600 Interpreten: Ihre Biografie, ihr Stil, ihre Aufnahmen. Bärenreiter, Kassel 2008, ISBN 978-3-7618-1616-5, S. 573–576.
  • Lol Henderson, Lee Stacey (Hrsg.): Encyclopedia of Music in the 20th Century. Routledge, London 1999, ISBN 978-1-57958-079-7. (englisch)[16]
  • Jürgen Otten: Die großen Pianisten der Gegenwart: Mit ausführlichem Lexikonteil. Henschel Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-89487-530-5.
  • Harold C. Schonberg: The Great Pianists. Simon & Schuster, New York 1987, ISBN 978-0-671-63837-5. (englisch)
  • Nicolas Slonimsky und Laura Kuhn (Hrsg.): Baker’s Biographical Dictionary of 20th Century Classical Musicians. (1 Vol). Schirmer Books, New York City 1997, ISBN 978-0-02-871271-0. (englisch)
  • Peter Fuhrmann: Maurizio Pollini: Nichts auf der Welt darf vollkommen sein. In: Alle Lügen hört man sofort: 24 Begegnungen mit großen Musikern. Dittrich, Weilerswist-Metternich 2016, ISBN 978-3-943941-65-4, S. 33–42.

Film

  • Maurizio Pollini – von Meisterhand. Dokumentarfilm (2014), 54 Min., Regie: Bruno Monsaingeon, Produktion: Idéale Audience, Arte France, SRF. Erstsendung: 20. April 2014 auf SRF 1, Schweiz. Die DVD-Veröffentlichung erfolgte durch die Deutsche Grammophon am 9. Oktober 2015 unter dem Titel Maurizio Pollini – De main de maitre.[17][18]
  • Maurizio Pollini: Sono Interessato A Tutte Le Arti. Intervista a Maurizio Pollini di Reinhold Jaretzky, Milano 2009[19]

Weblinks

Commons: Maurizio Pollini – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Manchmal unsicher. In: Der Spiegel. Nr. 27, 1972 (online).
  2. ListLaureates | Concours de Genève. Abgerufen am 25. März 2024.
  3. Jan Brachmann: Zum Tod von Maurizio Pollini. In: FAZ.NET. 23. März 2024, abgerufen am 25. März 2024.
  4. Jan-Christoph Kitzler: Einer der besten Pianisten – nicht nur seiner Generation. Deutschlandfunk, 5. Januar 2017, abgerufen am 6. August 2017.
  5. Michael Stallknecht: In sich verkapselt. Süddeutsche Zeitung, 22. November 2016, abgerufen am 6. August 2017.
  6. Maurizio Pollini ist tot: Berühmter Pianist stirbt im Alter von 82 Jahren. In: Der Spiegel. 23. März 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 23. März 2024]).
  7. Giuseppina Manin: È morto Maurizio Pollini, una delle leggende del pianoforte del Novecento. Aveva 82 anni. In: Corriere della Sera. 23. März 2024, abgerufen am 23. März 2024 (italienisch).
  8. Ingo Harden, Gregor Willmes: PianistenProfile. 600 Interpreten: Ihre Biografie, ihr Stil, ihre Aufnahmen. Bärenreiter, Kassel 2008, S. 492.
  9. Ingo Harden, Gregor Willmes: PianistenProfile. 600 Interpreten: Ihre Biografie, ihr Stil, ihre Aufnahmen. Bärenreiter, Kassel 2008, S. 573.
  10. Ingo Harden, Gregor Willmes: PianistenProfile. 600 Interpreten: Ihre Biografie, ihr Stil, ihre Aufnahmen. Bärenreiter, Kassel 2008, S. 574.
  11. Ingo Harden, Gregor Willmes: PianistenProfile. 600 Interpreten: Ihre Biografie, ihr Stil, ihre Aufnahmen. Bärenreiter, Kassel 2008, S. 574–575.
  12. So Ingo Harden, Gregor Willmes: PianistenProfile. 600 Interpreten: Ihre Biografie, ihr Stil, ihre Aufnahmen. Bärenreiter, Kassel 2008, S. 575.
  13. 2010 Music Maurizio Pollini. In: praemiumimperiale.org. Abgerufen am 23. März 2024: „regarded as one of the finest musicians in the world“
  14. Pollini Maestro Maurizio. In: quirinale.it. Präsident der Italienischen Republik, 20. März 2000, abgerufen am 25. März 2024 (italienisch).
  15. Verdienstzeichen für Roland Geyer und Maestro Maurizio Pollini. (Memento vom 24. Dezember 2016 im Internet Archive) Website der Stadt Wien, 9. Juni 2009.
  16. Encyclopedia of Music in the 20th Century: Maurizio Pollini. Routledge, 1999 (Volltext in der Google-Buchsuche).
  17. Maurizio Pollini – von Meisterhand. SRF, 20. April 2014, abgerufen am 21. April 2014.
  18. Christoph Vratz: Ein Filmporträt über Maurizio Pollini. Nähe und Distanz. SWR2, 18. Februar 2016, archiviert vom Original am 5. November 2016; abgerufen am 5. November 2016.
  19. Maurizio Pollini SONO INTERESSATO A TUTTE LE ARTI Intervista 2009. Abgerufen am 5. April 2024 (deutsch).

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Autor/Urheber: Paul Ruet, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Pierre Boulez et Maurizio Pollini, 25 janvier 2009, Salle Pleyel (Paris)
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Pianist Maurizio Pollini during a reception in Tokyo