Matthias Defregger

Matthias Defregger (* 18. Februar 1915 in München; † 23. Juli 1995 in München) war Weihbischof im Erzbistum München und Freising. Er war im Zweiten Weltkrieg mitverantwortlich für die Erschießung 17 Geiseln am 7. Juni 1944 in Filetto di Camarda am Gran Sasso.[1]

Leben

Matthias Defregger war ein Enkel des Tiroler Malers Franz von Defregger. Sein Vater war der Bildhauer Hans Defregger (1886–1956).[2] Er studierte am Jesuitenkolleg „Stella Matutina“ in Feldkirch (Vorarlberg, Österreich).

Das Massaker am Gran Sasso

Defregger wurde 1935 als Reserveoffiziers-Anwärter zur Wehrmacht (Nachrichten-Abteilung 7) eingezogen. Er verpflichtete sich freiwillig für ein drittes Dienstjahr und wurde Leutnant der Reserve, später Berufsoffizier. Er war am Überfall auf Polen beteiligt und 1943 als Hauptmann am Deutsch-Sowjetischen Krieg. Im Mai 1944 übernahm er im besetzten Italien als Kommandeur die zur 114. Jägerdivision gehörende und in Italien stationierte Nachrichten-Abteilung 114.[3] Am 7. Juni 1944 griffen in der Nähe von Filetto di Camarda am Gran Sasso Partisanen einige Soldaten der Nachrichtenabteilung an, woraufhin der Divisionskommandeur Generalleutnant Hans Boelsen als Vergeltungsaktion die Erschießung der Einwohner von Filetto di Camerda anordnete.[4][5] Defregger wurde mit der Ausführung des Befehls betraut und gab ihn an seine Untergebenen weiter; es wurden 17 Einwohner zwischen 17 und 69 Jahren erschossen und der Ort in Brand gesteckt.[6][7] Sechs Monate später wurde Defregger zum Major befördert.

Geistliche Laufbahn

Nach dem Krieg verfolgte Defregger eine kirchliche Laufbahn. Am 29. Juni 1949 erhielt er vom Münchner Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber im Freisinger Mariendom die Priesterweihe. Am 3. Juli 1949 feierte Defregger seine Primiz in der Münchner Bürgersaalkirche, am 17. Juli seine Nachprimiz in St. Ulrich in Pöcking am Starnberger See. In St. Joachim in München-Obersendling war Defregger ab dem 1. August 1949 Kaplan. Nach seiner kurzen Tätigkeit in der Pfarreiseelsorge wurde Defregger bald auf diözesaner Ebene tätig. Am 1. September 1953 berief Kardinal Joseph Wendel ihn zu seinem persönlichen Sekretär. In dieser Aufgabe war Defregger auch maßgeblich an der Vorbereitung des Eucharistischen Weltkongresses (1960 in München) beteiligt. Unter Kardinal Julius Döpfner wurde Defregger am 1. Januar 1962 Domkapitular des Metropolitankapitels; am 1. Mai 1962 wurde er Generalvikar und damit direkter Stellvertreter des Erzbischofs von München und Freising.

1968 ernannte Papst Paul VI. Defregger zum Weihbischof des Erzbistums München und Freising und Titularbischof von Vicus Aterii. Nachfolger in seinem Amt als Generalvikar wurde Gerhard Gruber. Die Bischofsweihe empfingen Matthias Defregger und Ernst Tewes von Kardinal Döpfner am 14. September 1968 in der Münchner Liebfrauenkirche. Mitkonsekratoren waren Weihbischof Johannes Neuhäusler und der damalige Koadjutor von Passau, Antonius Hofmann. Defreggers bischöflicher Wahlspruch lautete „Servus omnium“ – „Diener aller“. Als erster Bischofsvikar der neu geschaffenen Region Süd und ab dem 1. Oktober 1970 als Ordensreferent machte Defregger sich weit über das Erzbistum München und Freising einen beachtlichen Namen; er galt als volkstümlicher Prediger, bayerischer Patriot und großer Marienverehrer.

Gerichtsprozesse

Seine Mitwirkung an den Erschießungen vom Gran Sasso verschwieg er 25 Jahre lang, bis sie in den Jahren 1969 und 1970 Gegenstand von Gerichtsverfahren waren. Nachdem Der Spiegel im Juli 1969 über die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung als Totschlag berichtet hatte, wurde das Verfahren neu aufgenommen, doch erneut im August 1969 sowie endgültig im September 1970 mit der Begründung eingestellt, Defregger habe seinerzeit den „verbrecherischen Charakter“ der Erschießungen nicht erkennen können. Den „Fall Defregger“ verarbeitete Klaus Stiller 1972 in seinem Tagebuch eines Weihbischofs literarisch. Am 15. August 1981 wurde während einer Wallfahrt in München vor der Kirche Maria Ramersdorf ein Attentat auf Defregger verübt, bei dem er mit einer Zyankali-Lösung verletzt wurde.

Letzte Jahre

Am 6. April 1990 bat Defregger um Entpflichtung von seinen Aufgaben, wirkte aber weiterhin als Zelebrant und Prediger. Sein letzter öffentlicher Gottesdienst war der Gedenkgottesdienst am 24. Dezember 1994 für die Sendlinger Mordweihnacht (1705) in Waakirchen. Er wohnte bis zu seinem Tod 1995 in Pöcking am Starnberger See. Auf seinen eigenen Wunsch hin ist er in Amlach in Osttirol, Österreich, unweit von Lienz im Pustertal, beigesetzt worden.

Weihbischof-Defregger-Weg

Nachdem sich die Gemeinde Pöcking Jahrzehnte lang geweigert hatte, die erwiesenen Kriegsverbrechen Defreggers als solche anzuerkennen, wurde schließlich 2023 der nach ihm benannte Weihbischof-Defregger-Weg in Filetto-Weg umbenannt.[8] Bei der Enthüllung einer Erinnerungstafel vor Ort kam es am 26. Mai 2023 zu Zwischenrufen. Die bereits bekannten Vorwürfe gegen Defregger wurden zuvor durch ein aktuell angefertigtes Gutachten von der Historikerin Marita Krauss bekräftigt. In ihrem Gutachten erwähnte sie zudem, dass Defregger in seiner Zeit als Generalvikar der Erzdiözese München-Freising auch in Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche verwickelt war.[9]

Erst drei Jahre zuvor widmete ihm der Gemeindebote Pöcking (01|2020) einen doppelseitigen Artikel verfasst von Christl Peuker (Gemeindearchiv) mit dem Titel „Weihbischof Matthias Defregger – Erinnerungen an die Zeit als Pöcking Bischofssitz war“; das Massaker am Grand Sasso wurde nicht erwähnt.[10][11]

Ehrungen

Hörspiel

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. "Das düstere Vermächtnis des Weihbischofs". In: Süddeutsche Zeitung. München 6. Juni 2022 (sueddeutsche.de [abgerufen am 30. April 2023]).
  2. Gerhard J. Bellinger und Brigitte Regler-Bellinger: Schwabings Ainmillerstrasse und ihre bedeutendsten Anwohner. Ein repräsentatives Beispiel der Münchner Stadtgeschichte von 1888 bis heute. Norderstedt 2003, S. 508.
  3. "Kriegsverbrechen: Druck aus Rom". In: DER SPIEGEL. Hamburg 11. August 1969 (spiegel.de [abgerufen am 2. September 2019]).
  4. Friedrich Andrae: "Auch gegen Frauen und Kinder". In: Die Zeit. 2. Oktober 1992, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 4. Juni 2019]).
  5. Felix Bohr: Die Kriegsverbrecherlobby : bundesdeutsche Hilfe für im Ausland inhaftierte NS-Täter. Erste Auflage. Suhrkamp Verlag, Berlin, ISBN 978-3-518-42840-5, S. 171.
  6. Teutonisches Blei. In: Der Spiegel. 6. Juli 1969, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 8. April 2024]).
  7. Carlo Gentile: I crimini di guerra tedeschi in Italia (1943-1945). Einaudi, Turin 2015, ISBN 978-88-06-21721-1, S. 150
  8. "Beliebter Kriegsverbrecher". In: Süddeutsche Zeitung. München 1. März 2023 (sueddeutsche.de [abgerufen am 30. April 2023]).
  9. "Wie eine offene Wunde im Gedächtnis". In: Süddeutsche Zeitung. München 27. Mai 2023 (sueddeutsche.de [abgerufen am 1. Juni 2023]).
  10. https://www.yumpu.com/de/document/view/63163016/gbp-01-20-fin (abgerufen am 30. April 2023)
  11. "Der Gemeinde-Bote - die Heimatzeitung für Pöcking". (poecking.de [abgerufen am 30. April 2023]).

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Wappen des Hochstifts Freising. Blasonierung: In Gold ein golden gekrönter Mohrenkopf mit rotem Ohrring und rotem Kragen.