Werkstoffprüfung
Die Werkstoffprüfung umfasst verschiedene Prüfverfahren, mit denen das Verhalten und die Werkstoffkenngrößen normierter Werkstoffproben (Materialanalytik) oder fertiger Bauteile (Bauteilprüfung) unter mechanischen, thermischen oder chemischen Beanspruchungen ermittelt werden. Ein Werkstoff wird dabei z. B. hinsichtlich seiner Reinheit, Fehlerfreiheit oder Belastbarkeit überprüft.
Die gängigen Prüfverfahren werden aufgeteilt in zerstörende und zerstörungsfreie Werkstoffprüfungen; unter anderem ist die Zerstörungsfreie Prüfung im Bauwesen von besonderer Bedeutung.
Prüfungen zur Abschätzung der Lebensdauer von Produkten und Werkstoffen fallen in das Gebiet der Umweltsimulation.
Geschichte
Die im Bild dargestellte Geschützprüfung zeigt eine sehr frühe und pragmatische Form der Werkstoffprüfung: Der Werkstoff wird am fertigen Produkt geprüft. Das zu prüfende Geschützrohr wurde über eine auf einem Pfahl liegende Kugel gestülpt – hatte das Rohr die Zündung der Pulverladung überstanden, konnte es weiter verwendet werden. In diesem Test musste eine Masse beschleunigt werden, die wesentlich größer war als die später zu beschleunigende Kugel.
Zerstörende Werkstoffprüfung
Bei der zerstörenden Werkstoffprüfung werden gewählte Materialien auf chemische und physikalische Eigenschaften geprüft und hierzu zerstört oder (oberflächlich) verändert; das zu prüfende Bauteil kann danach nicht mehr genutzt werden. Die wesentlichen Methoden dieser Prüfungsart sind:
- Mechanisch:
- Aufschweißbiegeversuch
- Ausziehversuch
- Berstversuch zur Festigkeitsprüfung von Hochdruckbehältern, -kesseln und -rohrleitungen
- Biegeversuch und Faltversuch von Blechen
- Blaubruchversuch zur Prüfung von Stählen auf makroskopische, nichtmetallische Einschlüsse
- Bulgeversuch
- Dauerschwingversuch nach Wöhler
- Druckversuch
- Kerbschlagbiegeversuch nach Charpy, Izod und Schlagzug
- Scherversuch
- Split-Hopkinson Druckstab zur Prüfung hoher Umformgeschwindigkeiten
- Tiefungsversuch nach Erichsen
- Torsionsversuch
- Zeitstandversuch
- Zugversuch zur Prüfung der Zugfestigkeit, vor allem der Elastizitätsgrenze
- Chemisch und thermisch:
Bedingt zerstörungsfreie Werkstoffprüfung
Damit ein Bauteil bedingt zerstörungsfrei geprüft werden kann, muss es eine bestimmte Mindestgröße und dafür vorgesehene Oberflächen aufweisen. Soll das Innere eines Bauteils geprüft werden, so muss der zu prüfende Bereich erst ausgefräst werden, was nur mit Zerstörung des Bauteils einhergehen kann.
- Mechanisch:
- Bohrwiderstandsmessung
- Härteprüfung z. B. nach Vickers, Brinell, Rockwell, Shore, Knoop
Zerstörungsfreie Werkstoffprüfung
Bei der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung, kurz ZfP (EN 1330, engl. non-destructive testing/non-destructive inspection, kurz NDT bzw. NDI) wird die Qualität eines Werkstücks getestet, ohne das Material selbst zu beschädigen. Hierzu werden verschiedene physikalische Effekte ausgenutzt, die man in zwei Gruppen einteilt: Defektoskopie und Qualimetrie. Die dynamischen Prüfverfahren basieren auf der Reflexion von elastischen oder elektromagnetischen Wellen an einer Grenzfläche, die über den akustischen, bzw. den dielektrischen Impedanzkontrast definiert werden.
Unter den ersten zerstörungsfreien Werkstoffprüfungen waren wohl die Bestimmung der Dichte durch die Verdrängungsmethode nach Archimedes und die Sichtprüfung, d. h. das Betrachten eines Bauteiles auf äußerlich erkennbare Mängel[1]. Am häufigsten werden aber darunter Prüfungen auf Bauteilfehler verstanden.
Die zerstörungsfreien Prüfverfahren lassen sich nach verschiedenen Gesichtspunkten sortieren. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die gebräuchlichsten Verfahren im Maschinenbau, in der Luft- und Raumfahrttechnik und im Bauwesen. Es sind die gebräuchlichen Abkürzungen, bzw. die Abkürzungen nach ISO 9712[2] und EN 4179[3] angegeben. Die Dynamik gibt den Charakter der Messung an, wobei „statisch“ i. d. R. die Messung eines statischen elektrischen oder magnetischen Felds bedeutet, „dynamisch“ die Messung einer Wellenamplitude. Unter Prinzip ist das physikalische Messprinzip zu verstehen (mechanisch, elektrisch, magnetisch, thermisch, optisch, chemisch). Der Interaktionsraum mit dem Untersuchungsobjekt und die allgemeine normative Grundlage sind in den entsprechenden Spalten angegeben.
Verfahren | Abkürzung | Dynamik | Prinzip | Interaktionsraum | Grundlage |
---|---|---|---|---|---|
Akustische Resonanzanalyse | ART | dynamisch | mechanisch | Volumen | DGZfP Richtlinie US06 |
Bewehrungsortung (induktiv) | statisch | magnetisch | Volumen | DGZfP Merkblatt B02 | |
Bewehrungsortung (kapazitiv) | statisch | elektrisch | Volumen | DGZfP Merkblatt B02 | |
Bodenradar | GPR | dynamisch | elektromagnetisch | Volumen | DGZfP Merkblatt B10 |
Dehnungsmessstreifen-Prüfung | ST[2] | dynamisch | mechanisch | Oberfläche | |
Durchstrahlungsprüfung | RT[2] | dynamisch | elektromagnetisch | Volumen | EN 444[4], EN 13068[5], EN 16016[6] |
Feuchtemessung (kapazitiv) | statisch | elektrisch | Oberfläche | EN 13183-3[7] | |
Feuchtemessung (resistiv) | statisch | elektrisch | Oberfläche | EN 13183-2[8] | |
Impakt-Echo Verfahren | IE | dynamisch | mechanisch | Volumen | DGZfP Merkblatt B11 |
Potentialfeldmessung | statisch | elektrochemisch | Volumen | DGZfP Merkblatt B03 | |
Rückprallhammer | dynamisch | mechanisch | Oberfläche | EN 12504-2[9] | |
Dichtheitsprüfung | LT[2] | chemisch | System | EN 1779[10], EN 13184[11], EN 13185[12], EN 1593[13] | |
Eindringprüfung | PT[2] | mechanisch | Oberfläche | ISO 3452[14] | |
Zeitbereichsreflektometrie | TDR | dynamisch | elektromagnetisch | Volumen | DIN 19745[15] |
Infrarotthermografie | TT[3] | dynamisch | thermisch | Oberfläche | DIN 54190[16], DIN 54192[17], EN 13187[18] |
Leitfähigkeitsprüfung | elektrisch, thermisch | Volumen | materialabhängig | ||
magnetinduktive Methode | statisch | magnetisch | Oberfläche | ISO 2178[19] | |
Magnetpulverprüfung | MT[2] | statisch | magnetisch | Oberfläche | ISO 9934[20] |
Mikrowellenprüfung | dynamisch | elektromagnetisch | Volumen | ||
Prozesskompensierte Resonanzprüfung | PCRT | ASTM E2534-10 | |||
Reflexionsspektroskopie | statisch | elektromagnetisch | Oberfläche | ||
Röntgenfluoreszenzanalyse | statisch | elektromagnetisch | Oberfläche | ||
Schallemissionsanalyse | AT[2] | dynamisch | mechanisch | Volumen | EN 13554[21] |
Shearografie | ST[3] | dynamisch | optisch | Oberfläche | |
Visuelle Inspektion | VT[2] | optisch | Oberfläche | EN 13018[22], DGZfP Merkblatt B06 | |
Streufeldmessung | FT[23] | statisch | magnetisch | Volumen | EN 10256[23] |
Ultraschallprüfung | UT[2] | dynamisch | mechanisch | Volumen | EN 583[24], DGZfP Merkblatt B04 |
Vibrationsprüfung/Schwingungsanalyse | VA | dynamisch | mechanisch | System | ISO 13373[25], DIN 45669[26] |
Wirbelstromprüfung | ET[2] | statisch | elektrisch | Oberfläche | ISO 15549[27] |
Weitere bekannte Verfahren können als Untergruppen der oben genannten Verfahren klassifiziert werden.
Hauptverfahren | Unterverfahren |
---|---|
Durchstrahlungsprüfung | Computertomographie, Röntgendurchstrahlung, Gammadurchstrahlung |
Sichtkontrolle | Endoskopie, Mikroskopie, Metallografie |
Prüforganisationen
Werkstoffprüfungen werden von unterschiedlichen Einrichtungen vorgenommen. Dazu zählen in Deutschland auf Bundesebene die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung und auf Landesebene die einzelnen Materialprüfanstalten. Zudem bieten verschiedene Prüforganisationen und wissenschaftliche Institute, wie das Fraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren oder das Österreichische Research Center for Non Destructive Testing, Werkstoffprüfungen als Dienstleistung an. Darüber hinaus gibt es mittelständische privatwirtschaftliche Prüforganisationen.
Die international akkreditierten Firmen sind in Deutschland organisiert in der Fachgesellschaft der akkreditierten Prüfgesellschaften, kurz F-GZP. In Österreich bildet die Österreichische Gesellschaft für zerstörungsfreie Prüfung den Dachverband der zerstörungsfreien Prüfung.
Literatur
- Gernot Krankenhagen / Horst Laube: Werkstoffprüfung, Von Explosionen, Brüchen und Prüfungen. rororo, 1983, ISBN 3-499-17710-2.
- Frank Schmidt-Döhl: Materialprüfung im Bauwesen. Fraunhofer irb-Verlag, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-8167-8747-1.
- Eckard Macherauch, Hans-Werner Zoch: Praktikum in Werkstoffkunde. 91 ausführliche Versuche. 2011, ISBN 978-3-8348-0343-6.
- Wolfgang W. Seidel, Frank Hahn: Werkstofftechnik. Werkstoffe – Eigenschaften – Prüfung – Anwendung. 11. Auflage. Carl Hanser Verlag, München 2018, ISBN 978-3-446-45415-6. [1]
- Wolfgang Grellmann, Sabine Seidler: Kunststoffprüfung. 3. Auflage. Carl Hanser Verlag, München 2015, ISBN 978-3-446-44350-1. [2]
Weblinks
- cen.eu: Europäisches Komitee für Normung, Technisches Komitee 138: Zerstörungsfreie Prüfung
- dgzfp.de: Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung e. V.
- oegfzp.at: Österreichische Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung
- ifam.fraunhofer.de: Werkstoffprüfung am Fraunhofer IFAM
- mpanrw.eu: Werkstoffprüfung im Materialprüfungsamt NRW
- nmp.din.de: Normenausschuss Materialprüfung
Einzelnachweise
- ↑ Blumenauer, Werkstoffprüfung, 6. Auflage, S. 306
- ↑ a b c d e f g h i j ISO 9712:2012. Zerstörungsfreie Prüfung – Qualifizierung und Zertifizierung von Personal der zerstörungsfreien Prüfung.
- ↑ a b c EN 4179:2009. Luft- und Raumfahrt – Qualifikation und Zulassung des Personals für zerstörungsfreie Prüfungen.
- ↑ EN 444:1994. Zerstörungsfreie Prüfung – Durchstrahlungsverfahren – Computertomografie
- ↑ EN 13068-1:1999. Zerstörungsfreie Prüfung – Radioskopische Prüfung.
- ↑ EN 16016-1:2011. Zerstörungsfreie Prüfung; Grundlagen für die Durchstrahlungsprüfung von metallischen Werkstoffen mit Röntgen- und Gammastrahlen
- ↑ EN 13183-3:2005. Feuchtegehalt eines Stückes Schnittholz – Teil 3: Schätzung durch kapazitives Messverfahren.
- ↑ EN 13183-2:2002. Feuchtegehalt eines Stückes Schnittholz – Teil 2: Schätzung durch elektrisches Widerstands-Messverfahren.
- ↑ EN 12504-2:2001. Prüfung von Beton in Bauwerken - Teil 2: Zerstörungsfreie Prüfung; Bestimmung der Rückprallzahl.
- ↑ EN 1779:1999. Zerstörungsfreie Prüfung – Dichtheitsprüfung – Kriterien zur Auswahl von Prüfmethoden und -verfahren.
- ↑ EN 13184:2001. Zerstörungsfreie Prüfung – Dichtheitsprüfung – Druckänderungsverfahren.
- ↑ EN 13185:2001. Zerstörungsfreie Prüfung – Dichtheitsprüfung – Prüfgasverfahren.
- ↑ EN 1593:1999. Zerstörungsfreie Prüfung – Dichtheitsprüfung – Blasenprüfverfahren.
- ↑ DIN EN ISO 3452-1:2014-09. Zerstörungsfreie Prüfung - Eindringprüfung - Teil 1: Allgemeine Grundlagen.
- ↑ DIN 19745:2006. Bodenbeschaffenheit – Grundlagen für die Bestimmung des Wassergehalts durch Time-Domain-Reflektometry (TDR) und Time-Domain-Transmissometry (TDT).
- ↑ DIN 54190. Zerstörungsfreie Prüfung – Thermografische Prüfung.
- ↑ DIN 54192:2012. Zerstörungsfreie Prüfung – Aktive Thermografie.
- ↑ EN 13187:1998. Wärmetechnisches Verhalten von Gebäuden – Nachweis von Wärmebrücken in Gebäudehüllen – Infrarot-Verfahren.
- ↑ ISO 2178:1995. Nichtmagnetische Überzüge auf magnetischen Grundmetallen – Messen der Schichtdicke – Magnetverfahren.
- ↑ ISO 9934. Zerstörungsfreie Prüfung – Magnetpulverprüfung.
- ↑ EN 13554:2011. Zerstörungsfreie Prüfung – Schallemissionsprüfung – Allgemeine Grundsätze.
- ↑ EN 13018:2001. Zerstörungsfreie Prüfung – Sichtprüfung – Allgemeine Grundlagen.
- ↑ a b EN 10256:2000. Zerstörungsfreie Prüfung von Stahlrohren – Qualifizierung und Kompetenz von Personal der Stufen 1 und 2 für die zerstörungsfreie Prüfung.
- ↑ EN 583. Zerstörungsfreie Prüfung – Ultraschallprüfung.
- ↑ EN 13373. Zustandsüberwachung und -diagnostik von Maschinen – Schwingungs-Zustandsüberwachung.
- ↑ DIN 45669. Messung von Schwingungsimmissionen.
- ↑ ISO 15549:2008. Zerstörungsfreie Prüfung – Wirbelstromprüfung – Allgemeine Grundlagen.
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biaxiale Materialprüfmaschine mit vier Zylindern die Probe im Kreuzungspunkt ist im Moment nicht eingespannt
Geschützprüfung im 15. Jahrhundert. Das Geschützrohr wurde über eine auf einem Pfahl liegende Kugel gestülpt. Es wurde geprüft, ob das Rohr die Zündung des Pulvers übersteht. Bei dieser Prüfung muss das Rohr eine viel größere Masse (die eigene) beschleunigen, als bei der späteren Verwendung.