Masse Mensch

Masse Mensch. Ein Stück aus der sozialen Revolution des 20. Jahrhunderts ist ein Revolutionsdrama[1] in sieben Bildern von Ernst Toller, das, im Oktober 1919 geschrieben,[2] 1921 bei Gustav Kiepenheuer in Potsdam im Druck erschien[3]. In der Zweiten Auflage 1922 erhält der Titel einen Bindestrich und lautet Masse-Mensch, "weil das Gegenüber zweier gleichgewichtiger Positionen im ursprünglichen Titel offenbar nicht überall erkannt wurde."[4]

In den 1920er Jahren machste dieses Drama Toller zu einem der bekanntesten Dramatiker in Deutschland.

Das Drama wurde am 15. November 1920 unter der Regie von Friedrich Neubauer im Stadttheater Nürnberg uraufgeführt.[5] Am 29. September 1921 brachte Jürgen Fehling das Stück auf die Berliner Volksbühne. Toller hatte internationalen Erfolg: In den darauf folgenden drei Jahren kamen siebzehn Inszenierungen im Ausland hinzu.[6] Es wurde in London, Dublin, New York, Tiflis, Kiew, Leningrad, Sydney und Tokio aufgeführt und war damit das international erfolgreichste Stück Tollers.

1920 protestierte der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund als Teil deren antisemitischer Kultur und Gesellschaftspolitik gegen die Aufführung des Stückes in Nürnberg. Der DVSuTB verlangte vom Nürnberger Stadtrat die Absetzung des Stücks aus dem Programm, "da ansonsten die 'Kunst- und Bildungsstätte, wie das Theater ist, durch unreinen und undeutschen Geist um ihren edlen Zweck gebracht werde (so der Bericht im Fränkischen Kurier vom 23.10.1920)."[7] In geschlossenen Vorstellungen konnte das Stück jedoch für Gewerkschaftsmitglieder gespielt werden.

Die Intellektuelle Sonja Irene L. führt bewaffnete Arbeiter in den Kampf gegen die Kriegsgewinnler. Nach der Niederlage bezahlt die Frau ihre Festigkeit mit dem Leben.

Inhalt

Deutschland im November 1918 bis zum Mai 1919: Irenes Ehemann, ein Bürgerlicher und Handlanger der Bankiers, droht mit Scheidung, weil die Gattin das Staatswohl schädige und den inneren Feind unterstütze. Irene ist nicht erpressbar. Dem Staat des Gatten will sie die Maske von der Mörderfratze reißen. Der Ehemann, der an der Effektenbörse den Bankiers als Schreiber dient, meint, Krieg sei zum Überleben seines Staates erforderlich. Obwohl die Schlacht im Westen verloren ist, wird an Flammenwerfern und Giftgas weiter verdient. Die Bankiers tanzen darob vor Freude einen Foxtrott um das Börsenpult.

Die Arbeiter wollen dem Sterben in den Schützengräben ein Ende machen, indem sie die Maschinen in den Rüstungsfabriken stürmen. Irene ruft zum Streik auf. Ihr Widerpart, der Namenlose, ruft: „Revolution!“ Irene will neues Morden verhindern. Der Namenlose setzt sich gegen Irene durch und überzeugt die Arbeiterschaft. Dabei greift er gezielt die Authentizität Irenes an: "(...)waren Sie zehn Stunden lang im Bergwerk (...)? Sie sind nicht Masse!". Am nächsten Morgen beginnt die Revolution. Die Arbeiter unterliegen. Irene wird gefangen genommen und hingerichtet.

Selbstzeugnis

Im Oktober 1921 schreibt Toller aus der Festungshaft in Niederschönenfeld: „Das Drama Masse-Mensch ist eine visionäre Schau, die in zweieinhalb Tagen förmlich aus mir brach... Ein Jahr währte die müh-selige Arbeit des Neuformens und Feilens.“[8]

Rezeption

  • Alfred Kerr umschreibt die karge Ausstattung mit „Andeutungsbühne“[9] und findet das Stück einerseits „zu friedlich“.[10] Andererseits nennt er Toller einen Dichter.[11]
  • Nach Siegfried Jacobsohn[12] mangele es dem Autor des Stücks sowohl an Ingenium als auch an Poesie.
  • Für Alfred Döblin ist das Stück misslungen, da statt Gestaltung unverdaute Ideen dominieren. Tollers Figuren bezeichnet er als „Denkfigurinen, Mannequins für Ideen.“[13]
  • Seine Kritiker hätten Toller schließlich von der „Abstraktheit“ des eigenen Stücks überzeugt.[14] Auch in neuerer Zeit würden die drei Traumbilder in dem Stück noch kritisiert.[15]
  • Koebner[16] schätzt Toller als „politischen Dramatiker“.
  • Gewalt kontra Humanitas sei das große Thema des Werkes.[17]
  • Altendorfer[18] sieht das Stück als Versuch des Autors, Novemberrevolution und Räterepublik kritisch zu prüfen. Dabei sei Tollers Methode die „künstlerische Distanzierung“. Dem kommunistischen[19] „Der Zweck heiligt die Mittel“[20] stelle Toller seine Auffassung von der Humanität im revolutionären Kampf entgegen. Toller verabscheue Kapitalismus und Kommunismus gleichermaßen, da beide Gewalt anwendeten.
  • Schulz[21] liest unter anderem aus dem Untertitel „Ein Stück aus der sozialen Revolution des 20. Jahrhunderts“ Zukunftsträchtiges heraus. Dieses Drama, im Jahre Eins nach der Novemberrevolution geschrieben, weise auf heraufkommende soziale Umwälzungen hin.
  • Das Drama sei – gleichsam Tollers „eigenes Drama“[22] – auch ein Stück Autobiographie. Toller habe die Ereignisse um den Münchner Munitionsarbeiterstreik vom Februar 1918[23] und das Schicksal der Sarah Sonja Lerch[24] verarbeitet. Den Vornamen Irene habe allerdings der Friedenskämpfer Toller beigefügt.[25]
  • Weiterführende Arbeiten zu dem Drama nennt Schulz[26]: Malcolm Pittock (1972), Martin W. Wierschin (Frankfurt am Main 1986) und Steven D. Martinson (1988).
  • Kiesel rechnet das Stük dem idealistischen Expressionismus zu.[27] Toller stelle weniger Charaktere als vielmehr „Vertreter von Prinzipien“ auf die Bühne.[28]
  • Theodor Geiger überschreibt 1926 in seinem Werk Die Masse und ihre Aktion eines der Kapitel mit „Masse – Mensch“.[29]

Ausgaben

  • Ernst Toller: Masse Mensch. Ein Stück aus der sozialen Revolution des 20. Jahrhunderts. Kiepenheuer, Potsdam 1921. 82 Seiten (Erstausgabe).
  • Ernst Toller: Masse-Mensch; ein Stück aus der sozialen Revolution des 20. Jahrhunderts. G. Kiepenheuer, Potsdam 1924 (archive.org).
  • Ernst Toller: Masse Mensch. Ein Stück aus der sozialen Revolution des 20. Jahrhunderts. Nachwort von Rosemarie Altenhofer. 77 Seiten. Reclam Stuttgart 1979, ISBN 3-15-009944-7.

Literatur

  • Helmuth Kiesel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1918 bis 1933. C.H. Beck, München 2017, ISBN 978-3-406-70799-5.
  • Georg-Michael Schulz: Ernst Toller: Masse Mensch. In: Interpretationen. Dramen des 20. Jahrhunderts. Band 1. Reclam Stuttgart 1996, ISBN 3-15-009460-7, S. 282–300.
  • Gero von Wilpert: Lexikon der Weltliteratur. Deutsche Autoren A–Z. Kröner, Stuttgart 2004, ISBN 3-520-83704-8, S. 621, erste Spalte, 13. Zeile von oben.
  • Ernst Toller: Masse Mensch. In: Deutsche Literaturgeschichte. Band 9. Ingo Leiß, Hermann Stadler: Weimarer Republik 1918–1933. München im Februar 2003, ISBN 3-423-03349-5, S. 285–290.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Kiesel, S. 233 oben
  2. Toller: Masse Mensch. Reclam, Stuttgart 1979, ISBN 3-15-009944-7, S. 3 unten.
  3. Toller: Masse Mensch. Reclam, Stuttgart 1979, ISBN 3-15-009944-7, S. 53, 6. Z.v.o.
  4. Schulz, Georg-Michael: Erst Toller: Masse Mensch, in: Dramen des 20. Jahrhunderts. Band 1. Stuttgart 1996, S. 282–300, hier S. 297.
  5. Toller: Masse Mensch. Reclam, Stuttgart 1979, ISBN 3-15-009944-7, S. 55, 3. Z.v.u.
  6. Kiesel, S. 234 oben
  7. Nachwort. In: Ernst Toller. Stücke 1919–1923. Hg. v. Torsten Hoffmann, Peter Langmeyer und Thorsten Unger. Göttingen: Wallstein 2015, S. 361–370, hier S. 368.
  8. Toller: Masse Mensch. Reclam, Stuttgart 1979, ISBN 3-15-009944-7, S. 54, 16. Z.v.o. und 27. Z.v.o.
  9. Kerr bei Kiesel S. 1088 unten
  10. Ernst Toller: Briefe aus dem Gefängnis. Zitiert bei Altendorfer, S. 59, 10. Z.v.o.
  11. Kiesel, S. 234, 6. Zeile von oben
  12. Siegfried Jacobsohn, zitiert bei Schulz: Ernst Toller: Masse Mensch. S. 297, 6. Z.v.u.
  13. Rezension im Prager Tagblatt vom 24. November 1921, gesammelt in Alfred Döblin: Ein Kerl muss eine Meinung haben. Berichte und Kritiken 1921–1924, München 1981, S. 17 ff.
  14. Schulz: Ernst Toller: Masse Mensch. S. 298, 4. Z.v.o.
  15. Horst Denkler, zitiert in Leiß, Stadler: Weimarer Republik 1918–1933. S. 287, 7. Z.v.u.
  16. Koebner, zitiert in Leiß, Stadler: Weimarer Republik 1918–1933. S. 286, 1. Z.v.o.
  17. Leiß, Stadler: Weimarer Republik 1918–1933. S. 285, 2. Z.v.u.
  18. Altendorfer, Toller: Masse Mensch. Reclam Stuttgart 1979, ISBN 3-15-009944-7, S. 57–77.
  19. Altendorfer, Toller: Masse Mensch. Reclam Stuttgart 1979, ISBN 3-15-009944-7, S. 61, 6. Z.v.u.
  20. Altendorfer meint, den von den Kommunisten übernommenen Spruch „Der Zweck heiligt die Mittel“.
  21. Schulz: Ernst Toller: Masse Mensch. S. 290, 10. Z.v.u.
  22. Herbert Ihering, zitiert in Leiß, Stadler: Weimarer Republik 1918–1933. S. 287, 12. Z.v.u.
  23. Schulz: Ernst Toller: Masse Mensch. S. 283, 10. Z.v.o.
  24. Leiß, Stadler: Weimarer Republik 1918–1933. S. 288, 23. Z.v.o.
  25. Leiß, Stadler: Weimarer Republik 1918–1933. S. 288, 25. Z.v.o.
  26. Schulz: Ernst Toller: Masse Mensch. S. 299–300
  27. Kiesel S. 1088
  28. Kiesel S. 1088 unten
  29. Kiesel S. 234 Mitte