Masochismus

Als Masochismus wird eine Persönlichkeitseigenschaft bezeichnet, bei der ein Mensch positive Emotionen daraus zieht, dass man ihm Schmerzen zufügt und/oder ihn demütigt. Ist der Masochismus stark ausgeprägt, kann er eine Persönlichkeitsstörung darstellen und potenziell lebensgefährlich sein. Besteht Masochismus nur im Zusammenhang mit der Sexualität, ist er als gestörte Sexualpräferenz anzusehen.[1]

Das Gegenstück zum Masochismus ist der Sadismus.

Herkunft des Begriffs

Der Begriff Masochismus wurde im Jahr 1886 erstmals von dem deutsch-österreichischen Psychiater und Rechtsmediziner Richard von Krafft-Ebing wissenschaftlich verwendet. Er bezieht sich auf den Schriftsteller Leopold von Sacher-Masoch (1836–1895), der in mehreren Werken vertraglich geregeltes und theatralisch inszeniertes Schmerz- und Unterwerfungsverhalten in Beziehungen zu Frauen schildert, so z. B. in Venus im Pelz aus dem Jahr 1870.

Sacher-Masoch und seine Anhänger wehrten sich gegen diesen Begriff vergebens; die Bezeichnung setzte sich durch und blieb lange dominierend. Der Mann, der dem Masochismus den Namen gegeben hatte, und seine Literatur gerieten in Verruf und schließlich in Vergessenheit. In jüngerer Zeit ersetzte das komplexere Modell des BDSM diesen Begriff in vielen Bereichen, dies auch aufgrund der Arbeiten von Gilles Deleuze.

Medizinische Einordnung

Klassifikation nach ICD-10
F65.5Störung der Sexualpräferenz
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Masochistische Praktiken können zu Verletzungen verschiedenster Art (z. B. Schnittwunden, Knochenbrüche, Prellungen, Quetschungen, Überdehnungen der Extremitäten, Zerrungen, Gehirnerschütterung) führen. Im Extremfall können masochistische Verhaltensweisen tödlich enden. Sadomasochismus gilt nach ICD-10 als „Störung der Sexualpräferenz“ (Schlüssel F65.5), die dort wie folgt beschrieben wird:

„Es werden sexuelle Aktivitäten mit Zufügung von Schmerzen, Erniedrigung oder Fesseln bevorzugt. Wenn die betroffene Person diese Art der Stimulation erleidet, handelt es sich um Masochismus; wenn sie sie jemand anderem zufügt, um Sadismus. Oft empfindet die betroffene Person sowohl bei masochistischen als auch sadistischen Aktivitäten sexuelle Erregung.“[2]

Die American Psychiatric Association hat mit dem Erscheinen des DSM IV im Jahr 1994 weiterreichende Diagnosekriterien veröffentlicht, nach denen Sadomasochismus eindeutig nicht mehr als Störung der Sexualpräferenz angesehen wird. Die Diagnose Masochismus (DSM IV 302.83) oder Sadismus (302.84) darf demnach hinsichtlich der sexuell motivierten Ausprägung dieser Störungen nur noch gestellt werden, wenn der Betroffene anders als durch die Ausübung sadistischer oder masochistischer Praktiken keine sexuelle Befriedigung erlangen kann, oder seine eigene sadistisch oder masochistisch geprägte Sexualpräferenz selbst ablehnt und sich in seinen Lebensumständen eingeschränkt fühlt oder anderweitig darunter leidet (sgn. „B-Kriterium“).

Einvernehmlich gelebte oder auch heimliche sexuelle Vorlieben für masochistische Praktiken im Sinne des BDSM erfüllen in aller Regel die Kriterien für die Diagnosestellung des Masochismus im heutigen medizinischen Sinne nicht und sind eine soziologisch andersartige, aber nicht seltene Ausprägung der individuellen Sexualität. Die Übergänge zwischen individuell ausgeprägter Sexualität und Störung der Sexualpräferenz können jedoch nicht in allen Fällen sicher definiert werden. Eine Überlagerung von sexuellen Präferenzstörungen und der Ausübung von sadomasochistischen Praktiken kommt jedoch vor.

Ursachen

Für die Ursachen des Masochismus gibt es psychodynamische und lerntheoretische Konzepte. Psychodynamische Ansätze (z. B. Tiefenpsychologie) sehen im Masochismus ein Abwehrverhalten, um Ängste und Gewissenskonflikte, die im Zusammenhang mit dem Loslösen von der Mutter stehen, zu unterdrücken. Psychologen erklären Masochismus dagegen mittels der Lerntheorie: Masochismus entwickelt sich demnach u. a. über klassische und operante Konditionierung, z. B. bei Masturbationsphantasien.[3]

Ausprägungen des Masochismus

Der Masochismus lässt sich nach Ernest Bornemann in die folgenden drei Kategorien unterteilen:[4]

Nicht sexueller oder psychischer Masochismus

Masochisten empfinden Sehnsucht nach Unterordnung und Demütigungen, teils sogar nach persönlichen Misserfolgen. Die Patienten beziehen Lustgefühle aus entsprechenden Situationen und führen entsprechende Situationen teils absichtlich herbei. Als besondere Form des nicht vorwiegend sexuell motivierten Masochismus können auch kompensatorische Handlungen zur Selbstverletzung angesehen werden. In diesem Zusammenhang können auch psychische Störungen wie Onychophagie und Trichotillomanie eingeordnet werden. Nicht selten werden solche Selbstverstümmelungen mit (subjektiv empfundenem) hohem psychischen Druck in Zusammenhang gebracht. Oft liegen die Ursachen jedoch tiefer und sind in der Persönlichkeit des Betroffenen tief verankert.

Sexuell motivierter oder Konjunktions-Masochismus

Masochisten empfinden sexuelle Befriedigung in Situationen der Demütigung bzw. Unterdrückung oder durch das Erleben von Schmerzen. Der Sexualpartner kann dabei auch durch ein anonymes, unpersönliches oder fiktives Gegenüber ersetzt sein. Selbstverletzungen kommen auch hier vor, in der Regel jedoch nicht als kompensatorische, sondern als Teil der sexuellen Handlung.

Perverser oder Kompensations-Masochismus

Hierbei wird der Wunsch nach Geschlechtsverkehr durch das Verlangen nach physischem Schmerz und psychischer Demütigung ersetzt. Sexuelle Wünsche, zum Beispiel sich auspeitschen zu lassen, werden nicht als Einleitung zum Geschlechtsverkehr benutzt, sondern ersetzen diesen komplett. Als Sonderform gibt es den Automasochismus, bei dem sich der Masochist selbst am Körper verletzt.

Masochismus in der psychoanalytischen Theorie

In der psychoanalytischen Theoriebildung spielt – ausgehend von der Beobachtung selbstdestruktiven Verhaltens von depressiven Menschen – der Masochismus eine wichtige Rolle. Sigmund Freud unterscheidet in seiner Schrift Das ökonomische Problem des Masochismus (1924) zwischen primärem Masochismus, femininem Masochismus und moralischem Masochismus.[5] Im Falle des moralischen Masochismus richtet sich der Destruktionstrieb bzw. die Aggression gegen das eigene Selbst. Der Mensch ist somit nach der Auffassung von Freud ein moralischer Masochist, wenn sein Ich das Bedürfnis hat, von seinem sadistischen Über-Ich, d. h. den introjizierten Eltern, bestraft zu werden.

Aus Sicht der Psychoanalyse sind Sadismus und Masochismus eng miteinander verknüpft, da es sich beim Masochismus um die Wendung des angeborenen Aggressionstriebes bzw. Sadismus gegen die eigene Person handelt. Der Masochist ist in diesem Sinn „ein gegen das eigene Ich gerichteter Sadist.“ So schreibt Theodor Reik 1923, dass die Umwandlung des infantilen Sadismus in Masochismus sich hauptsächlich auf die Einwirkungen des infantilen Schuldgefühls zurückführen lässt:

„Die analytisch nachweisbare Tatsache, dass der Quälende masochistisch die Qual seines Opfers mitgenießt, als wäre er der leidende Teil, das Opfer aber unbewußt an der Wut seines Peinigers sadistisch teilnimmt und dass diese unbewußte Befriedigung umso stärker ist, je größer der Anteil der manifesten Triebregung erscheinen lässt, läßt es gerechtfertigt erscheinen, von der Äquivalenz der Triebsgegensatzpaare zu sprechen.“[6]

In diesem Sinne könne, so Reik, der Sadist masochistische und der Masochist sadistische Lust neben der Befriedigung der jeweils herrschenden Komponente mitempfinden.

Literatur

  • Leopold von Sacher-Masoch: Venus im Pelz. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1968.
  • Martin A. Hainz: Cave Carnem. Eros, Macht und Inszenierung in Sacher-Masochs Venus im Pelz. In: arcadia, Bd. 39, 2004•1, S. 2–26.
  • Martin A. Hainz: Mehr als ein Syndrom – zu Leopold von Sacher-Masoch (1836–1895). In: Jattie Enklaar, Hans Ester, Evelyne Tax (Hrsg.): Im Schatten der Literaturgeschichte (= Duitse Kroniek, Bd. 54). Rodopi, Amsterdam / New York 2005, S. 41–54.
  • Arthur Adamov: Fin Août. In: Je... Ils. Gallimard, Paris 1969 (dt.: Ende August. In: Bernd Mattheus, Axel Matthes (Hrsg.): Ich gestatte mir die Revolte. Matthes & Seitz, München 1985, ISBN 3-88221-361-2).
  • Bettina Wuttig: Weibliches Begehren und Macht. Eine psychoanalytische Betrachtung im Licht der poststrukturalistischen Wende. Ibidem, 1999, ISBN 3-932602-85-4.
  • Regina Ammicht Quinn: Körper, Religion, Sexualität, Theologische Reflexionen zur Ethik der Geschlechter. Matthias Grünewald Verlag, Mainz 1999, ISBN 3-7867-2206-4, S. 207–228.
  • Michael Farin (Hrsg.): Phantom Schmerz. Quellentexte zur Begriffsgeschichte des Masochismus. Belleville, München 2003.
  • Theodor Reik: Aus Leiden Freuden, deutsche Originalausgabe 1940 bei Imago (London). Die Neuausgabe Aus Leiden Freuden. Masochismus und Gesellschaft. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1976 enthält auch die Ergänzungen der amerikanischen Ausgabe Masochism in Modern Man. New York 1941.
  • Léon Wurmser: Das Rätsel des Masochismus. Psychoanalytische Untersuchungen von Über-Ich-Konflikten und Masochismus. Springer, Berlin u. a. 1993. (2., korr. Auflage. 1998; Nachdruck der 2., korr. Auflage. unter dem Titel: Das Rätsel des Masochismus. Psychoanalytische Untersuchungen von Gewissenszwang und Leidenssucht. Psychosozial, Gießen 2008).
  • Sheldon Bach: The Language of Perversion and the Language of Love (Library of Clinical Psychoanalysis) (englisch), Jason Aronson 1999, ISBN 978-0-7657-0230-2
Wiktionary: Masochismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Ina van Elk, Frank Antwerpes: Masochismus. In: Flexicon. DocCheck Community GmbH, 21. März 2024, abgerufen am 5. April 2024.
  2. ICD-10-GM Version 2005.
  3. B. Vetter: Pervers, oder? Sexualpräferenzstörungen; 100 Fragen, 100 Antworten; Ursachen, Symptomatik, Behandlung. Huber, Bern 2008, ISBN 978-3-456-84672-9.
  4. Ina van Elk, Frank Antwerpes: Masochismus. In: Flexicon. DocCheck Community GmbH, 21. März 2024, abgerufen am 5. April 2024.
  5. Sigmund Freud: Das ökonomische Problem des Masochismus. In: Sigmund Freud (Hrsg.): Gesammelte Werke. Band 13. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1924.
  6. Theodor Reik: Der eigene und der fremde Gott. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1975, S. 222.