Marzeszenz

Jüngere Stieleiche (Quercus robur) mit marzeszenten Blättern (Mitte Februar).
Teilweise Marzeszenz an einer Buche (Fagus sylvatica), wie sie typisch für ältere Exemplare ist.
Hainbuchenzweig im April. Neuaustrieb neben marzeszenten Blättern.

Als (Substantiv) Marzeszenz, (Adjektiv) marzeszent (von lateinisch marcescere „verwelken, welk werden“[1]) wird in der Botanik das Verbleiben verwelkter und abgestorbenener Organe wie Blätter oder Blütenkronen an der Pflanze bezeichnet.[2][3] In der Mykologie wird mit Marzeszenz die Fähigkeit zum vorübergehenden Eintrocknen des Fruchtkörpers beschrieben.[4]

Beschreibung

Laubabwerfende Gehölze

Nur einige Gehölzarten sind marzeszent; bei den meisten laubabwerfenden Gehölzen werden zu Beginn einer Ruheperiode (Winter oder Trockenzeit) Nährstoffe aus den Blätter abgezogen und Phloemsaft führenden Gefäße verschlossen. Im Verlauf dieses Abszission genannten Vorgangs wird am Blattgrund eine Trennschicht gebildet, entlang der sich das Blatt von der Pflanze löst und zu Boden fällt („Blattfall“). Bei manchen Arten erfolgt dieser Vorgang verzögert; die verwelkten Blätter können dann bis zum nächsten Laubaustrieb am Ende der Ruheperiode am Ast verbleiben.

Besonders augenfällig zeigt sich Marzeszenz als verzögerter Blattfall bei solchen Gehölzen, die ihre verwelkten Blätter während der Winterruhe behalten. Dazu gehören in Mitteleuropa mehrere Arten der Eichen,[5] Buchen und Hainbuchen. Marzeszente Nebenblätter gibt es bei manchen Weidenarten.[6]

Insbesondere jüngere Gehölze zeigen Blattmarzeszenz. Bei älteren Bäumen kann sich dieses „Verhalten“ verlieren oder lediglich auf wenige, verstreute Äste beschränken.[7] Marzeszenz der Blätter gibt es bei allen jungen Eichen, auch solchen Arten, die mit fortgeschrittenem Alter ihre Blätter vollständig abwerfen.[8] Bei den marzeszenten Blättern der Sumpfeiche (Quercus palustris) bildet sich die Trennschicht im Frühjahr aus,[9] der Blattstiel (Petiolus) stirbt während des Winters nicht ab.

Bei vielen anderen Gehölzen werden Blätter marzeszent, wenn es schon vor Ausbildung der Trennschicht Frost gibt. Auch Krankheiten oder Schädlinge können zum Absterben von Blättern vor der normalen Abszission führen. Solche verwelkten Blätter können dann so lange an der Pflanze verbleiben, bis mechanische Kräfte (z. B. Wind oder Tiere) zum Brechen der spröden Blattstiele führen.[10]

Palmen

Zahlreiche Palmen bilden unterhalb des Neuwuchses eine reif- oder federballartige Krone aus marzeszenten Blättern aus; diese kann sich über mehrere Jahre halten, bevor sie abfällt.[11][12] Bei manchen Arten sind es nur die jungen Exemplare, die tote Blätter festhalten.[13] Marzeszenz bei Palmen wird als ursprüngliche Eigenschaft angesehen.[14]

Farne

Marzeszente Blätter oder Blattstiele finden sich häufig bei stammbildenden Farnen in der Familie Cyatheaceae (Ordnung Cyatheales, Baumfarne).[15] Bei den epiphytisch wachsenden Geweihfarnen (Platycerium) sterben die sterilen Mantel- oder Nischenblätter regelmäßig ab und werden von neuen überwachsen, wodurch sich bei manchen Arten eine humussammelnde Krone ausbildet.[16]

Pilze

In der Mykologie werden Arten als marzeszent beschrieben, deren Fruchtkörper bei Trockenheit vorübergehend einschrumpft und bei Feuchtigkeit wieder auflebt.[17] Im 19. Jahrhundert benutzte der schwedische Botaniker Elias Magnus Fries dieses Merkmal, um die Gattung der Schwindlinge (Marasmius) von den als putreszent („sich zersetzend“) beschriebenen Rüblingen (Collybia s. l.) abzugrenzen.[4] Heute wird diese Unterscheidung nicht mehr zur taxonomischen Eingruppierung von Pilzen herangezogen.

Ökologische Aspekte

Das Vorhandensein verwelkter Blätter kann große Pflanzenfresser wie Hirsche und Elche davon abhalten, Knospen junger Triebe zu fressen; da die Knospen nur zusammen mit trockenen Blättern aufgenommen werden könnten, würde so der Nährstoffgehalt pro Nahrungsmenge sinken.[18] Auch kann das deutlich hörbare Rascheln trockener Blätter insbesondere Fluchttiere veranlassen, Bewuchs mit marzeszenten Blättern zu meiden.[19]

Marzeszenz könnte auch eine Rolle bei der Anpassung von Bäumen an trockene, wenig fruchtbare Standorte spielen. Buchen und Eichen sind an solche Standorte gut angepasst und können dadurch andere Arten verdrängen. Eine Hypothese besagt, dass das Abwerfen der Blätter erst im Frühling organisches Material als Mulch zu einem Zeitpunkt bereitstellt, zu dem organische Düngung von den wachsenden Bäumen am dringendsten benötigt wird.[20]

Versuche mit der Streu marzeszenter Bäume deuten darauf hin, dass der Verbleib an der Pflanze zu beschleunigter Zersetzung durch Lichteinwirkung führt. Dies könnte den späteren Abbau der Blätter am Boden erleichtern, insbesondere bei solchen Arten, deren Blätter sich sonst nicht gut kompostieren lassen.[21]

Marzeszente Blätter schützen möglicherweise vor Trocken- und Temperaturstress. In alpinen Höhenstufen haben zahlreiche Pflanzen aus unterschiedlichen taxonomischen Gruppen eine als „kauleszente (stammbildende) Rosette“ bezeichnete Wuchsform entwickelt: Eine immergrüne Rosette wächst über abgestorbenen Blättern. So wurde beispielsweise für die Espeletia-Arten E. schultzii und E. timotensis nachgewiesen, dass das Vorhandensein marzeszenter Blätter deren Überlebenschancen erhöht, den Wasserhaushalt verbessert und die Pflanzen vor Kälteschäden schützt.[22][23]

Die humussammelnden Blattkronen von Dypsis-Palmen häufen Detritus an und verbessern so die Nährstoffversorgung der Pflanzen,[24] erhöhen damit aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass epiphytische Würgefeigen darin keimen und später die Wirtspflanze absterben lassen.[25] Zu den Gattungen mit marzeszenter Blattbasis, die epiphytische Feigen anziehen, gehören Attalea, Butia, Caryota, Copernicia, Elaeis, Hyphaene, Livistona, Phoenix, Sabal und Syagrus.[25]

Galerie

Marzeszenz bei verschiedenen Arten.

Marzeszente Pflanzengattungen - und Familien

Marzeszente Gehölze finden sich in u. a. folgenden Pflanzengattungen:

sowie in folgenden Familien:

Einzelnachweise

  1. Karl Ernst Georges: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. Hannover 1918 (Nachdruck Darmstadt 1998), Band 2, Sp. 811. Online: http://www.zeno.org/Georges-1913/A/marcesco?hl=marcesco
  2. Hugh Chisholm, Ed. "Marcescent" . Encyclopædia Britannica. 11. Ausgabe 1911, Cambridge University Press. Band 17, S. 685.
  3. Henk Beentje, Juliet Williamson: The Kew Plant Glossary: An Illustrated Dictionary of Plant Terms. Royal Botanic Gardens, Kew, 2010, ISBN 978-1-84246-422-9.
  4. a b Elias Magnus Fries: Epicrisis systematis mycologici. Typographia Academica, Upsala 1838. ISBN 978-81-211-0035-9 (Latein)
  5. Earl E. Berkley: Marcescent Leaves of Certain Species of Quercus. Botanical Gazette. Bd. 92, Nr. 1, 1931. S. 85–93. DOI:10.1086/334178
  6. George W. Argus: Flora of North America, Band 7, Kap. 88 Salix planifolia Pursh. http://www.efloras.org/florataxon.aspx?flora_id=1&taxon_id=242445830
  7. a b Arnold Arboretum When Leaves Don't Leave, 2016. (engl, Zugriffsdatum: 16. Nov. 2017)
  8. Garden Guides Species of Oaks That Retain Their Dead Leaves, 2017. (engl. Abrufdatum: 16. Nov. 2017)
  9. Robert W. Hoshaw, Arthur T. Guard: Abscission of Marcescent Leaves of Quercus palustris and Q. coccinea. Botanical Gazette, 1949. Bd. 110, Nr. 4, S. 587–593. doi:10.1086/335558
  10. Fredrick T. Addicott: Abscission, University of California Press, 1982, S. 51. ISBN 978-0-520-04288-9
  11. L.B. Holm-Nielsen (Editor): Tropical Forests: Botanical Dynamics, Speciation & Diversity. Academic Press, 1989. S. 161. ISBN 978-0-08-098445-2
  12. John Dowe: Australian Palms: Biogeography, Ecology and Systematics. Csiro Publishing, 2010. S. 160. ISBN 978-0-643-10185-2
  13. John Dransfield, Natalie W. Uhl: Genera Palmarum: The evolution and classification of palms. Kew Publishing 2008. S. 294. ISBN 978-1-84246-182-2
  14. Harold Emery Moore, Natalie W. Uhl: Major Trends of Evolution in Palms. New York Botanical Garden, 1982. S. 69.
  15. a b Michael G. Simpson: 4 - Evolution and Diversity of Vascular Plants, in Plant Systematics (Second Edition) 2010, S. 73–128. DOI:10.1016/B978-0-12-374380-0.50004-X
  16. Eduard Strasburger (Begründer), Peter Sitte (Bearbeiter), Elmar W. Weiler , Joachim W. Kadereit, Andreas Bresinsky, Christian Körner (Autoren): Lehrbuch der Botanik für Hochschulen. 35. Auflage, Spektrum, Heidelberg / Berlin 2002, ISBN 3-8274-1010-X, S. 747.
  17. Siehe die Einführung zu: Roy E. Halling: "A revision of Collybia s.l. in the northeastern United States & adjacent Canada" Inst. of Syst. Botany, The New York Botanical Garden, Bronx, NY. 10458-5126
  18. Claus R. Svendsen: Effects of marcescent leaves on winter browsing by large herbivores in northern temperate deciduous forests. Alces, Bd. 37, Nr. 2, 2001. S. 475–482. https://go.gale.com/ps/anonymous?id=GALE%7CA92803144
  19. Griffith, R. 2014: Marcescence. YouTube, archiviert vom Original am 30. Januar 2022;.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.youtube.com
  20. Why Do Some Leaves Persist On Beech and Oak Trees Well Into Winter? Center for Northern Woodlands Education 2010, engl. Zugriffsdatum: 16. Nov. 2017
  21. Šárka Angst, Tomáš Cajthaml, Gerrit Angst, Hana Šimáčková, Jiří Brus, Jan Frouz: Retention of dead standing plant biomass (marcescence) increases subsequent litter decomposition in the soil organic layer. Plant and Soil, Bd. 418, Nr. 1–2, 2017. S. 571–579 DOI:10.1007/s11104-017-3318-6
  22. a b Guillermo Goldstein, Frederick Meinzer: Influence of insulating dead leaves and low temperatures on water balance in an Andean giant rosette plant. Plant, Cell and Environment, Bd. 6, Nr. 8, 1983. S. 649–656. DOI:10.1111/1365-3040.ep11589230
  23. a b Alan P. Smith: Function of Dead Leaves in Espeletia schultzii (Compositae), and Andean Caulescent Rosette Species: Biotropica, Bd. 11, Nr. 1, 1979. S. 43–47. DOI:10.2307/2388171
  24. David Bramwell, Juli Caujapé-Castells: The Biology of Island Floras. Cambridge University Press, 2011. S. 189. ISBN 978-1-139-49780-0
  25. a b Gregory T. Kramer Palm Tree Susceptibility to Hemi-Epiphytic Parasitism by Ficus (M.S. thesis). University of Florida, 2011, abgerufen am 1. April 2022.
  26. a b c Abscission and Marcescence in the Woods | Vermont Center for Ecostudies. Abgerufen am 16. November 2017.

Weblinks

Commons: Marzeszenz – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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Marzeszenter Baum (Stieleiche) auf einer Wiese in Vach nahe der Pegnitz.