Martin Rhonheimer

Martin Rhonheimer (* 1950 in Zürich) ist ein Schweizer Philosoph und seit 1990 Universitätsprofessor für Ethik und politische Philosophie an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom (seit 2020 als Visiting Professor). Er ist Priester der katholischen Personalprälatur Opus Dei und Gründungspräsident des Austrian Institute of Economics and Social Philosophy in Wien, wo er heute lebt.[1]

Leben

Rhonheimer wurde 1950 geboren und stammt aus einer mehrheitlich jüdischen Familie[2]. Im Alter von sieben Jahren konvertierte er zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder zum katholischen Glauben.[3]

Nach der Volksschule absolviert er das humanistische Gymnasium im Benediktinerkollegium Sarnen, danach studierte er Geschichte, Philosophie und politische Wissenschaft in Zürich und Theologie in Rom. 1977 Promotion zum Dr. phil. bei Hermann Lübbe an der Universität Zürich mit der Arbeit Politisierung und Legitimitätsentzug. Totalitäre Kritik der parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Von 1972 bis 1978 war er Assistent von Hermann Lübbe am Philosophischen Seminar der Universität Zürich, 1981/82 Forschungsassistent bei Otfried Höffe an der Universität Freiburg/Schweiz, Forschungsstipendiat der Fritz Thyssen Stiftung, Köln, als solcher ab 1982 Zusammenarbeit mit Wolfgang Kluxen, Universität Bonn (Habilitationsprojekt: Praktische Vernunft und Vernünftigkeit der Praxis, publiziert 1994[4]).

1974 ist Rhonheimer dem Opus Dei beigetreten. 1983 wurde er in Rom durch Papst Johannes Paul II. zum Priester geweiht (Inkardination in der Personalprälatur Opus Dei). Von 1990 bis 2020 war er Professor für Ethik und politische Philosophie an der Philosophischen Fakultät der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom, der er weiterhin als Visiting Professor sowie als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der von der Universität herausgegebenen Zeitschrift Acta Philosophica[5] verbunden bleibt.

Er ist Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft, der Ludwig-Erhard-Stiftung, des Lord-Acton-Kreises und bezeichnet sich in der Tradition von Lord Acton als "katholischen Liberalen".[6] Seit 2015 ist er Präsident des von ihm mitbegründeten Austrian Institute of Economics and Social Philosophy.[7] mit Sitz in Wien, wo er gegenwärtig lebt.

Rhonheimer publizierte in Fachzeitschriften und Sammelbänden, vornehmlich auf dem Gebiet der Moralphilosophie und politischen Philosophie sowie der Wirtschaftsethik und Sozialphilosophie, wie auch über Fragen der Sexualethik und Bioethik und verteidigte in seinem Buch "Homo sapiens: die Krone der Schöpfung" (2016) die moderne Evolutionstheorie gegenüber Kreationismus und Intelligent Design. 2012 veröffentlichte er das Buch "Christentum und säkularer Staat", mit einem Vorwort von Ernst-Wolfgang Böckenförde, worin er die These vertritt, dass der freiheitliche säkulare Staat der Moderne auf dem Boden einer vom Christentum geprägten Zivilisation gewachsen ist und sich nur auf deren Prämissen der Scheidung von Politik und Religion erhalten kann. Viele seiner Bücher, sind in verschiedene Sprachen übersetzt worden, andere wurden nur auf Englisch und Italienisch publiziert.

Rhonheimer publiziert in Zeitschriften und Zeitungen wie Herder Korrespondenz[8][9], Internationale Katholische Zeitschrift Communio[10] Vatican Magazin[11], Neue Zürcher Zeitung[12][13][14], Frankfurter Allgemeine Zeitung[15], Schweizerische Kirchenzeitung, Imago Hominis[16] und gab Interviews wie etwa für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung[17], die Wirtschaftswoche online[18] oder Die Tagespost[19]. Er warnt vor der Überhöhung des Staates in Form der totalitären „Staatsvergottung“ des 20. Jahrhunderts ebenso wie vor einer mit dem westlichen Rechtsverständnis inkompatiblen „Islamisierung“ der Gesellschaft.[20][21]

Rhonheimers Thesen wurden von katholischen Sozialethikern des Oswald von Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik kritisiert.[22] Der Wiener Sozialethikerin Ingeborg Gabriel, die Rhonheimer vorwarf, Sozialpolitik für kontraproduktiv und Recht bzw. Gerechtigkeit für unsinnige Kategorien zu halten, sowie eine mit der katholischen Soziallehre unvereinbare Position einzunehmen,[23] antwortete er zuletzt im Januar 2021 in einem offenen Brief. Darin legte er seine grundsätzlichen Thesen noch einmal ausführlich dar.[24]

Schriften

  • Politisierung und Legitimitätsentzug. Totalitäre Kritik der parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Alber, Freiburg im Breisgau 1979, ISBN 3-495-47406-4 (= Diss. phil. Zürich 1977)
  • Familie und Selbstverwirklichung. Alternativen zur Emanzipation. Wissenschaft und Politik, Köln 1979, ISBN 3-8046-8558-7
  • Natur als Grundlage der Moral. Die personale Struktur des Naturgesetzes bei Thomas von Aquin. Eine Auseinandersetzung mit autonomer und teleologischer Ethik. Tyrolia, Innsbruck 1987, ISBN 3-7022-1602-2
  • Praktische Vernunft und Vernünftigkeit der Praxis. Handlungstheorie bei Thomas von Aquin in ihrer Entstehung aus dem Problemkontext der aristotelischen Ethik. Akademie, Berlin 1994, ISBN 3-05-002536-0
  • La prospettiva della morale. Fondamenti dell'etica filosofica. Armando, Rom 1994, ISBN 88-7144-488-4
    • Erweiterte und aktualisierte Ausgabe als: Die Perspektive der Moral. Philosophische Grundlagen der Tugendethik. Akademie, Berlin 2001, ISBN 3-05-003629-X: englische Ausgabe: The Perspective of Morality: Philosophical Foundations of Thomistic Virtue Ethics, Washington D.C., 2011, ISBN 978-0-8132-1799-4.
  • Absolute Herrschaft der Geborenen? Anatomie und Kritik der Argumentation von Norbert Hoersters „Abtreibung im säkularen Staat“. IMABE, Wien 1995, ISBN 3-85297-002-4
  • La filosofia politica di Thomas Hobbes. Coerenza e contraddizioni di un paradigma. Armando, Rom 1997, ISBN 88-7144-681-X
  • Etica della procreazione. Contraccezione – Fecondazione artificiale – Aborto. Edizioni PUL-Mursia, Mailand 2000, ISBN 88-465-0062-8
  • Die Perspektive der Moral. Philosophische Grundlagen der Tugendethik. Akademie-Verlag, Berlin 2001, ISBN 978-3-05-003629-8
  • Abtreibung und Lebensschutz. Tötungsverbot und Recht auf Leben in der politischen und medizinischen Ethik. Schöningh, Paderborn 2004, ISBN 3-506-70114-2
  • Die Verwandlung der Welt. Zur Aktualität des Opus Dei. Adamas, Köln 2006, ISBN 3-937626-04-2
  • The Perspective of the Acting Person : Essays in the Renewal of Thomistic Moral Philosophy, Washington D.C. 2008, ISBN 978-0-8132-1511-2.
  • Ihr seid das Licht der Welt. Das Opus Dei – jungen Menschen erklärt. Adamas, Köln 2009, ISBN 978-3-937626-10-9.
  • Christentum und säkularer Staat. Geschichte – Gegenwart – Zukunft. Verlag Herder, Freiburg 2012, ISBN 978-3-451-30603-7.
  • The Common Good of Constitutional Democracy : Essays in Political Philosophy and on Catholic Social Teaching, Washington D.C. 2013, ISBN 978-0-8132-2009-3.
  • Homo sapiens: die Krone der Schöpfung. Herausforderungen der Evolutionstheorie und die Antwort der Philosophie. Springer VS, Wiesbaden 2016, ISBN 978-3-658-12075-7, 286 S.

Deutschsprachige Artikel (Auswahl)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Austrian Institute of Economics and Social Philosophy. Abgerufen am 9. November 2019 (deutsch).
  2. Martin Rhonheimer: Warum schwieg die Kirche zu dem Vernichtungskampf? (Memento vom 28. September 2007 im Internet Archive), Die Tagespost, 22. März 2003
  3. Priester Martin Rhonheimer: ‘Barmherzigkeit schafft keinen Wohlstand’. Interview. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS). 19. Februar 2017, abgerufen am 19. Juli 2021: „Er stammt aus einer großbürgerlich jüdischen Familie in Zürich und konvertierte mit sieben Jahren zum Katholizismus.“
  4. Martin Rhonheimer: Praktische Vernunft und Vernünftigkeit der Praxis, Handlungstheorie bei Thomas von Aquin in ihrer Entstehung aus dem Problemkontext der aristotelischen Ethik. De Gruyter, Berlin, Boston 2014, ISBN 978-3-05-002536-0 (degruyter.com [abgerufen am 7. Oktober 2019]).
  5. Editorial staff | Acta Philosophica. Abgerufen am 17. August 2021.
  6. Martin Rhonheimer: Dem Liberalen sind Toleranz und Gleichgültigkeit zweierlei Dinge. 15. Januar 2019, ISSN 0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 7. Oktober 2019]).
  7. Team. Austrian Institute of Economics and Social Philosophy, abgerufen am 23. August 2021 (deutsch).
  8. Die Arbeit des Kapitals: Wie Wohlstand entsteht. Abgerufen am 7. Oktober 2019.
  9. Warum Eigentum sozial ist: Das Recht auf Privateigentum ist kein „zweitrangiges“ Naturrecht. Abgerufen am 17. August 2021.
  10. Zeitschrift Communio – Leseprobe 2 der archivierten Ausgabe 2/2017. Abgerufen am 7. Oktober 2019.
  11. Die „Hermeneutik der Reform“ und die Religionsfreiheit (Memento vom 16. Januar 2015 im Internet Archive) Vatican-Magazin, 3/2012, abgerufen am 16. Januar 2014
  12. Töten im Namen Allahs Neue Zürcher Zeitung, 17. September 2014, abgerufen am 16. Januar 2014
  13. https://www.nzz.ch/feuilleton/jordan-peterson-er-denkt-scharf-und-differenziert-ld.1472539
  14. Martin Rhonheimer: Der Liberale ist kein Relativist, sondern ringt mit der Wahrheit. Er ist hart in der Sache, aber respektvoll gegenüber der Freiheit anderer. In: Neue Zürcher Zeitung. Verlag Neue Zürcher Zeitung, 1. November 2019, abgerufen am 17. August 2021.
  15. Martin Rhonheimer: Gastbeitrag: Welche Wirtschaft tötet? ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 7. Oktober 2019]).
  16. Neodarwinistische Evolutionstheorie, Intelligent Design und die Frage nach dem Schöpfer Imago Hominis, 14(1)/2007, abgerufen am 16. Januar 2014
  17. Priester Martin Rhonheimer: „Barmherzigkeit schafft keinen Wohlstand“. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 7. Oktober 2019]).
  18. Malte Fischer: Kapitalismus-Kritik: Kirche und Kapitalismus: Das teuflische K-Wort. Abgerufen am 7. Oktober 2019.
  19. Antithese zum Christentum Die Tagespost, 29. September 2014, abgerufen am 16. Januar 2014
  20. Martin Rhonheimer: Die Aufklärung fällt nicht vom Himmel. NZZ, Internationale Ausgabe, 25. Januar 2017, S. 22.
  21. Martin Rhonheimer: Kann sich der Islam mit dem freiheitlichen Verfassungsstaat versöhnen? Und was wäre, wenn darauf keine Aussicht bestünde? In: Neue Zürcher Zeitung. Verlag Neue Zürcher Zeitung, 20. August 2019, abgerufen am 17. August 2021.
  22. Stellungnahmen zu den Einlassungen von Martin Rhonheimer in der NZZ und FAZ. Abgerufen am 5. Februar 2021.
  23. Was ist christlich-sozial? Debatte um Rhonheimer-Position geht weiter. Abgerufen am 4. Februar 2021.
  24. Offener Brief von Martin Rhonheimer an Ingeborg Gabriel: „Unkenntnis und Fehlinterpretationen“. Abgerufen am 4. Februar 2021.