Markos-Kinder
Als Markos-Kinder (nach Markos Vafiadis, dem Führer der Demokratischen Armee Griechenlands [DSE])[1][2] oder auch Griechenlandkinder[3] oder Partisanenkinder[4] wurden die mehr als 1100 Minderjährigen im Alter zwischen 8 und 17 Jahren aus Griechenland bezeichnet, die zusammen mit ihren etwa 50 erwachsenen Begleitern in zwei Gruppen 1949/1950 infolge des griechischen Bürgerkriegs in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) bzw. die DDR kamen.
Geschichte
Im griechischen Bürgerkrieg von 1946 bis 1949 unterlag die unter kommunistischer Führung kämpfende Demokratische Armee Griechenlands (DSE) den von Großbritannien und den USA unterstützten Truppen des griechischen Königs Paul. Zum Kriegsende organisierte die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) überwiegend im bergigen Norden des Landes den Transport von etwa 28.000 Kindern über die Grenzen nach Bulgarien, Jugoslawien und Albanien.[4][5] Die Partisanen hatten die Operation am 3. März 1948 über ihren Rundfunksender und am 15. März 1948 in ihrer Zeitung Exormisi angekündigt, nachdem sie kurz zuvor auf Initiative griechischer Delegierter auf einer Kominformsitzung in Belgrad beschlossen worden war.[6] Während die Kämpfer und ihre Frauen aus den Kriegswirren nachfolgten, wurden bereits Kontingente von Kindern weiter in andere unter sowjetischem Einfluss entstehende Volksrepubliken zur Ausbildung geschafft, um später, bei Rückkehrmöglichkeit nach Griechenland, den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zu unterstützen.[7][8]
Von den monarchistischen Gegnern wurde diese Aktion in Anspielung an die osmanische Knabenlese als Paidomazoma verurteilt, während von ihnen bereits seit 1947 unter dem Patronat von Königin Friederike ca. 20.000 Kinder und jüngere Geschwister von inhaftierten und flüchtigen EAM (Nationale Befreiungsfront)- und DSE-Anhängern in sogenannten Umerziehungslagern interniert wurden.[4][9]
Am 4. August 1949 traf mit 342 Kindern und Jugendlichen die erste Gruppe der Markos-Kinder in Sachsen ein, am 1. Juli 1950 mit 720 Kindern die zweite.[7] Vereinzelte Nachzügler folgten.
Erste Station: Radebeul
Wegen der im Ballungsraum Dresden vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten und Lehrstellenkapazitäten wurden sie im Nachbarort Radebeul konzentriert.
Die Betreuung der Griechen in der DDR erfolgte durch das von SED sowie KKE kontrollierte Komitee Freies Griechenland[4][10], das ab 1953 dem Ministerium für Volksbildung zugeordnet war[11]. Ursprünglich wurde die in der Trägerschaft der Volkssolidarität stehende Organisation Griechische Kinderheimat genannt, ehe sie 1951 in Freies Griechenland – Jugendhilfe der Volkssolidarität umbenannt wurde. In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre blieb die Organisation als Heimkombinat Freies Griechenland für die griechischen Kinder zuständig. Der Hauptsitz der Organisation lag in der ehemaligen Grundschänke, einem 1875/1876 am Eingang zum Lößnitzgrund entstandenen Gaststättenanwesen. Zahlreiche Wohnhäuser des Kombinats insbesondere in den Stadtteilen Oberlößnitz und Niederlößnitz dienten der Unterbringung der Kinder und Jugendlichen, die auf Staatskosten erfolgte, darunter auch Schloss Wackerbarth. Kleine Kinder kamen in das Heim in der Villa Tanger. Zur schulischen Ausbildung hatte das Komitee das volle Nutzungsrecht über das Schulgebäude Steinbachstraße 21, in dem bis 1955 die Grundschule Freies Griechenland untergebracht war.
Im Jahr 1958 lebten noch etwa 500 Griechen in Dresden und Radebeul, die anderen hatten sich mit ihren meist guten Schul- und Berufsabschlüssen auf andere Städte meist in Sachsen verteilt. Mit dem Erreichen des Erwachsenenalters der jüngsten Flüchtlinge im Jahr 1960 arbeiteten über 100 gut qualifizierte Facharbeiter, Techniker und Ingenieure in Radebeuler Betrieben.
Ausbildung
1960 lebten insgesamt 1317 Griechenland-Kinder in der DDR, inzwischen in Gruppen verteilt auf Städte wie Leipzig, Chemnitz (Karl-Marx-Stadt), Erfurt, Zwickau, Bautzen, Neuruppin, Bernburg, Dölkau:
- 960 als Facharbeiter
- 201 als Fachschulabsolventen, Ingenieure, Kindergärtnerinnen
- 54 als Hoch-, Fach- und Oberschulabsolventen
- 97 als Studenten an Hoch-, Fachhochschulen und Universitäten
- 37 als Kursanten bzw. Studenten an Parteischulen.[12]
Einige Markos-Kinder bzw. deren Kinder erlangten später als Künstler Bekanntheit wie Fotis Zaprasis, Georgios Wlachopulos oder Jannulis Tembridis.
Remigration
Eine Rückkehr aus der DDR war den staatenlosen Griechen ohne Heimatpass erst nach dem Sturz der Griechischen Militärdiktatur 1974 und der noch von der Junta betriebenen Eröffnung einer Botschaft in der DDR im gleichen Jahr möglich.[3] In der DDR lebten in dieser Zeit etwa 1600 Griechen – 1050 Erwachsene sowie 550 Kinder und Jugendliche.[13]
Das Sekretariat des ZK der SED beschloss am 18. März 1975 eine Regelung zur Übersiedlung von DDR-Bürgern, die mit griechischen Emigranten verheiratet oder deren Kinder waren, und am 2. April 1975 eine Regelung über deren finanzielle Ausstattung mit Devisen: Erwachsene durften einmalig 3000 DM, Jugendliche und Kinder 1500 DM eintauschen.[14]
Eine Erhebung verzeichnete 1980 noch 1620 Griechen in der DDR.[7] Wurden zunächst nicht alle Anträge auf Repatriierung von griechischer Seite genehmigt, so erleichterte sich die Rückkehrmöglichkeit nach dem Wahlsieg der griechischen sozialdemokratischen Partei PASOK ab 1981 erheblich.[3][4]
Ende 1989 lebten in der DDR noch 482 Personen mit griechischer Staatsangehörigkeit.[15]
Literatur
- Frank Andert (Red.): Stadtlexikon Radebeul. Historisches Handbuch für die Lößnitz. Hrsg.: Stadtarchiv Radebeul. 2., leicht geänderte Auflage. Stadtarchiv, Radebeul 2006, ISBN 3-938460-05-9, S. 55 f.
- Loring M. Danforth, Riki Van Boeschoten: Children of the Greek Civil War: Refugees and the Politics of Memory. The University of Chicago Press, Chicago 2012, S. 49 ff.
- Frank Hirschinger: Griechische Kinder und Jugendliche. In: Der Spionage verdächtig: Asylanten und ausländische Studenten in Sachsen-Anhalt 1945–1970. Berichte und Studien Nr. 57. Göttingen 2009, S. 33–54.
- Andreas Stergiou: Im Spagat zwischen Solidarität und Realpolitik. Die Beziehungen zwischen der DDR und Griechenland und das Verhältnis der SED zur KKE. Mannheim 2001, Neuauflage Wiesbaden 2009.
- Stefan Troebst: Die „Griechenlandkinder-Aktion“ 1949/50. Die SED und die Aufnahme minderjähriger Bürgerkriegsflüchtlinge aus Griechenland in der SBZ/DDR. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52 (2004), H. 8, S. 717–736.
- Stefan Troebst: Grieche ohne Heimat: hellenische Bürgerkriegsflüchtlinge in der DDR 1949–1989. In: Totalitarismus und Demokratie 2. 2 (2005), S. 245–271. Abgerufen am 18. Juni 2015.
Weblinks
- Griechenland mal anders. MDR exakt, 6. Juli 2011. Abgerufen am 21. Juni 2013.
- Die Griechenlandkinder von Radebeul. MDR, 18. Juni 2014, 20:45 Uhr. Abgerufen am 22. Juni 2016.
- Griechen in der DDR: Sozialistische Freundschaft auf Zeit. WDR, 2. Mai 2015. Abgerufen am 18. Juni 2015.
- Tagung: Deutsch-griechische Beziehungen im ostdeutschen Staatssozialismus (1949–1989). Berlin, 22./23. April 2015. Abgerufen am 18. Juni 2015.
- Die griechischen politischen Immigranten in der DDR. Deutschland Archiv, 29. Juli 2014. Abgerufen am 25. Juni 2015.
- Die Markoskinder. Aus Griechenland verbracht, umerzogen in der DDR. SWR2, 22. April 2016. Abgerufen am 5. Juli 2016.
Einzelnachweise
- ↑ Phönix: Die Lange Reise der "Markos-Kinder". Dokumentation, 28. Oktober 2001.
- ↑ Sophia Kambaki (Regie):Markos Kinder. ( vom 30. Oktober 2016 im Internet Archive) Dokumentation, 2005. Abgerufen am 8. Februar 2016.
- ↑ a b c Dr. Stefan Troebst: Schwierige Gäste: Politische Emigranten aus Griechenland in der DDR 1949–1989. In: Deutschland-Archiv 38 (2005), H. 1, 93–101, ISSN 0012-1428. Abgerufen am 24. Januar 2012.
- ↑ a b c d e Barbara Spengler-Axiopoulos: Griechen ohne Heimat. NZZ online, 5. Mai 2011. Abgerufen am 21. September 2022
- ↑ Dr. Stefan Troebst: Vogel des Südens, Vogel des Nordens. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. September 2003.
- ↑ Andreas Stergiou: Im Spagat zwischen Solidarität und Realpolitik. Die Beziehungen zwischen der DDR und Griechenland und das Verhältnis der SED zur KKE. Mannheim 2001, Neuauflage Wiesbaden 2009, S. 36.
- ↑ a b c Dr. Stefan Troebst: Von Epirus ins Elbtal. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Juli 2004.
- ↑ Margot Overath: Entführt oder gerettet. Das Schloss der griechischen Kinder. Feature, Produktion: rbb Kulturradio, NDR, Deutschlandradio Kultur, Oesterr. Rundfunk, 2008. Abgerufen am 27. Januar 2012. Polarlicht Filmproduktion: ProjektDie griechischen Kinder der DDR (AT) ( vom 15. Oktober 2013 im Internet Archive). Abgerufen am 24. Januar 2012.
- ↑ Griechenland − Bloße Erinnerung. Der Spiegel 2/1983. Abgerufen am 24. Januar 2012.
- ↑ Griechenland − Roter Konzern.
- ↑ Die griechischen politischen Immigranten in der DDR. Maria Panoussi für bpb.de, 29. Juli 2014. Abgerufen am 21. August 2021.
- ↑ Andreas Stergiou: Im Spagat zwischen Solidarität und Realpolitik. Die Beziehungen zwischen der DDR und Griechenland und das Verhältnis der SED zur KKE. Mannheim 2001, Neuauflage Wiesbaden 2009, S. 45 f.
- ↑ Andreas Stergiou: Im Spagat zwischen Solidarität und Realpolitik. Die Beziehungen zwischen der DDR und Griechenland und das Verhältnis der SED zur KKE. Mannheim 2001, Neuauflage Wiesbaden 2009, S. 144.
- ↑ Andreas Stergiou: Im Spagat zwischen Solidarität und Realpolitik. Die Beziehungen zwischen der DDR und Griechenland und das Verhältnis der SED zur KKE. Mannheim 2001, Neuauflage Wiesbaden 2009, S. 145 f.
- ↑ Klaus J. Bade, J. Oltmer:Migration, Ausländerbeschäftigung und Asylpolitik in der DDR ( vom 12. Mai 2021 im Internet Archive), Bundeszentrale für politische Bildung, 15. März 2005
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