Marienkirche (Wolfenbüttel)

Hauptkirche BMV zu Wolfenbüttel

Die Hauptkirche Beatae Mariae Virginis (kurz: Hauptkirche BMV, BMV oder Hauptkirche) zu Wolfenbüttel ist der erste bedeutende protestantische Großkirchenbau der Welt.[1] Die Kirche wird manchmal auch als Marienkirche bezeichnet, was allerdings der Name der Vorgängerkirche war; Beatae Mariae Virginis bedeutet: „der seligen Jungfrau Maria“. Der Bau wurde von Herzog Heinrich Julius in Auftrag gegeben und 1608–1624 ausgeführt. Die Marienkirche ist die Hauptkirche der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig und bis heute eine der großen Kirchen des Braunschweiger Landes.

Baugeschichte

Bau

Die Kirche hat sowohl Stilelemente der Gotik (Fenster), der Renaissance als auch des Barocks (Giebel). Diese stilistische Vielfalt ist charakteristisch für die Nachgotik, bei der die Elemente der Gotik bewusst als Bedeutungsträger für „Altehrwürdigkeit“ eingesetzt wurden.

Die Geschichte der Hauptkirche BMV steht in engem Zusammenhang mit der Entwicklung Wolfenbüttels zur herzoglichen Residenzstadt. Östlich des Schlosses stand zuvor eine kleine Marienkapelle, die 1301 erstmals urkundlich erwähnt ist. Von Herzog Heinrich dem Jüngeren 1533 zur herzoglichen Grablege ausgebaut, entstand an dieser Steile etwa ein halbes Jahrhundert später unter Beibehaltung des Namens die erste große protestantische Kirche. Auslösend war ein Gesuch der „Prediger und Kirchenväter“, mit dem sie im Januar 1604 an den regierenden Herzog Heinrich Julius herantraten. Dieser war zudem bestrebt, gleichzeitig eine neue Grablege für die fürstliche Familie zu errichten.

Mit dem Bau wurde 1608 unter der Leitung des herzoglichen Baumeisters Paul Francke begonnen. Im Jahr 1613 waren die Arbeiten so weit fortgeschritten, dass der überraschend in Prag verstorbene Herzog Heinrich Julius in der neuen Fürstengruft beigesetzt werden konnte. Trotz des Dreißigjährigen Krieges wurden die Bauarbeiten bis zum Jahre 1624 weitgehend abgeschlossen. Das Notdach auf dem Turm wurde erst 1751 durch den heute vorhandenen barocken Turmhelm ersetzt. Dem Bildhauer Jacob Meyerheine werden die Portale an der Nord- und Südseite zugeschrieben.[2]

Die Marienkirche sollte eine Predigt- und Abendmahlskirche zur Verkündigung des reformatorischen Glaubens für die Gemeinde werden, zugleich aber auch den Wunsch nach fürstlicher Repräsentation erfüllen. Paul Francke griff auf die gotische Konzeption der niederdeutschen Hallenkirchen zurück. Gleichzeitig zeigen sich an der Marienkirche auch Ideen „humanistischer Architektur“ aus Italien und der Niederländischen Renaissance. Das nach eigener „Manier“ kombinierte Gesamtkunstwerk ist somit ein Beispiel des deutschen Manierismus. Allerdings wurde das Westportal, 1645 fertiggestellt, eindeutig im barocken Stil geschaffen.[3]

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Im Zuge der 68er-Bewegung schloss sich der Theologiestudent Dietrich Düllmann am Abend vor Totensonntag 1968 in die Marienkirche ein. Bis gegen 23 Uhr zerstörte er mit einer Axt die Gedenktafeln der Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Als Begründung gab er an „Das ist das Christentum, das Auschwitz ermöglicht hat.“ und zitierte Matthäus 3,10  „Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt.“[4] Hinzu kamen Störaktionen Düllmanns und seiner befreundeten Kommilitonen während des Gottesdienstes der St.-Trinitatis-Gemeinde. Dort verzichteten Kirchenvorstand und Propst auf eine Strafanzeige, während der Kirchenvorstand der Marienkirche laut einer Darstellung von Dietrich Kuessner Strafanzeige gegen Düllmann stellte und damit seine Verurteilung erwirkte.[5]

Eine umfassende Sicherung und Restaurierung der Marienkirche geschah von 1969 bis 1985. Es gelang aufgrund von intensiven Farbuntersuchungen, die historisch gesicherte Farbgebung des 17. Jhs. wiederherzustellen.

Ausstattung

  • Vierungsaltar von 1830
  • Kanzel, Holz mit geschnitzten Reliefs von G. Steyger, Quedlinburg, Auftrag 1619, aufgestellt 1623,
  • Taufbecken, Messing gegossen, 1571 von Cord Mente, Braunschweig. Reliefs der Taufe Christi und Szenen aus der Apostelgeschichte.

Hauptaltar

Das ursprünglich für die evangelische Trinitatiskirche in Prag 1612 von Bernhard Ditterich gefertigte barocke Retabel wurde 1623 nach Wolfenbüttel gebracht, erweitert und aufgestellt. Dreigeschossiger Aufbau, in der Predella Relief des Abendmahls, im Hauptfeld Skulpturengruppe der Kreuzigung, flankiert von einer Ölberggruppe und einem Ecce Homo, darüber Kreuzabnahme und Grablegung, in der Bekrönung der auferstandene Christus. Eine Restaurierung von 1985 hat die farbige Fassung wieder freigelegt.[6]

Orgel

Die Orgel wurde im Jahre 1959 von der Orgelbaufirma Karl Schuke (Berlin) erbaut. Das Instrument befindet sich in dem sehenswerten historischen Prospekt der Vorgängerorgel, die in den Jahren 1620–1624 von dem Orgelbauer Gottfried Fritzsche (Dresden) nach Anweisung des damaligen Hofkapellmeisters Michael Praetorius geschaffen wurde. Von diesem Instrument sind heute noch sechs Register erhalten. Im Jahr 1693 begann der Braunschweiger Orgelbauer Johann Friedrich Besser eine Reparatur, die jedoch aufgrund seines Todes am 25. Juni 1693 nicht vollendet werden konnte. Johann Josua Mosengel vollendete diese Reparatur im Jahr 1695 zusammen mit seinem Bruder Johann Elias. Dabei nahm er auch eine Dispositionsänderung vor[7].

Die heutige Orgel hat insgesamt 53 Register (4501 Pfeifen) mit vier Manualen und Pedal. Sie hat Schleifladen, die Spieltrakturen sind mechanisch, die Registertrakturen elektrisch.[8]

I Rückpositiv C–
Quintadena16′F
Principal8′
Gedackt8′F
Oktave4′F
Spitzgedackt4′F
Feldpfeife2′
Quinte113
Sesquialtera II223
Oberton II
Scharff V-VII
Dulcian16′
Schalmei8′
Tremulant
II Hauptwerk C–
Principal16′
Oktave8′
Spitzflöte8′F
Oktave4′
Koppelflöte4′
Nassat223
Oktave2′
Cornett III-V
Mixtur VI-VIII
Scharff IV
Trompete16′
Trompete8′
III Brustwerk C–
Gedackt8′
Rohrflöte4′
Principal2′
Oktave1′
Terzian II
Scharff IV
Vox humana8′
Holzregal4′
Tremulant
IV Kronwerk C–
Quintadena8′
Nachthorn4′
Blockflöte2′
Nassat113
Rauschwerk IV
Cymbel III
Bärpfeife16′
Trichterregal8′
Tremulant
Pedal C–
Principal16′
Untersatz16′
Oktave8′
Gedacktbaß8′F
Oktave4′
Pommer4′
Bauernflöte2′
Baßaliquot IV
Mixtur VI-VIII
Posaune16′
Trompete8′
Trompete4′
Sing. Cornett2′

Gräber

Der Hofkapellmeister und Komponist Michael Praetorius (1571–1621) wurde in der Kirche bestattet. Der genaue Standort des Grabes ist heute nicht mehr bekannt. Auch der Baumeister Paul Francke wurde in der Marienkirche beigesetzt. In der ersten, heute unzugänglichen Fürstengruft wurden zwischen 1553 und 1606 12 Mitglieder des Herzogshauses bestattet, in der zweiten, heute zugänglichen Gruft zwischen 1613 und 1767 29 Mitglieder. Nahe dieser zweiten Gruft wurde 1624 auf Anordnung des Herzogs der Theologe Basilius Sattler beigesetzt, ein Epitaph erinnert noch heute an ihn.

Veranstaltungen

Neben Gottesdiensten finden in der Kirche auch Veranstaltungen, wie beispielsweise Konzerte, statt. Überregionale Aufmerksamkeit erhielt das Gotteshaus mit der vom NDR live im Ersten übertragenen Christvesper am Heiligen Abend 2011; es predigte Landesbischof Friedrich Weber.[9][10]

Bildergalerie

Literatur

  • Christoph Helm (Hrsg.): PIETAS ET MAIESTAS. Die herzogliche Grablege in der Hauptkirche in Wolfenbüttel. ROCO Druck 2015, ISBN 978-3-9815710-2-8.
  • Hans-Herbert Müller (Hg.): Die Hauptkirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel. Reihe: Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen Band 4. 1. Auflage, Verlag CW Niemeyer, Hameln 1987

Weblinks

Commons: Marienkirche – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Homepage der Kirchengemeinde
  2. Paul Jonas Meier: Das Kunsthandwerk des Bildhauers in der Stadt Braunschweig seit der Reformation. In: Werkstücke aus Museum, Archiv und Bibliothek der Stadt Braunschweig VIII., S. 37–39, Appelhans, Braunschweig 1936
  3. Geschichte der Kirche - Homepage des Quartiers Wolfenbüttel
  4. Der Spiegel 49/1968, S. 62,65 - „Axt im Haus“.
  5. Kirche von Unten Nr. 124, Dezember 2008 - Kuessner, Dietrich: Ein 68er Skandal in der Bischofsstadt Wolfenbüttel.
  6. Hilda Lietzmann: Der Altar der Marienkirche zu Wolfenbüttel in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte, Band 13, 1974, S. 199–222. — Wolfram Kummer: Der Altar der Hauptkirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel, in: Hans-Herbert Möller (Hrsg.): Restaurierung von Kulturdenkmalen. Beispiele aus der niedersächsischen Denkmalpflege (= Berichte zur Denkmalpflege, Beiheft 2), Niedersächsisches Landesverwaltungsamt – Institut für Denkmalpflege, Hameln: Niemeyer, 1989, ISBN 3-87585-152-8, S. 297–307.
  7. Werner Renkewitz, Jan Janca, Hermann Fischer: Geschichte der Orgelbaukunst in Ost- und Westpreußen. Band II, 1: Mosengel, Caspari, Casparini. Pape Verlag, Berlin 2008, S. 22 und S. 106 und S. 240
  8. Nähere Informationen zur Orgel der Marienkirche (Memento des Originals vom 15. Dezember 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.musikbmv.de
  9. Christvesper aus der Marienkirche in Wolfenbüttel. Webseite des Norddeutschen Rundfunks. Abgerufen am 31. Dezember 2011.
  10. Friedrich Weber: Predigt zu „Ich steh an deiner Krippen hier.“ Webseite des Norddeutschen Rundfunks. Abgerufen am 31. Dezember 2011.

Koordinaten: 52° 9′ 42,9″ N, 10° 32′ 14,9″ O

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Wolfenbüttel: Kirche Beatae Mariae Virginis (Marienkirche): Kirchenschiff, Blick Richtung Osten (Innenansicht)