Mahmūd Schaltūt
Mahmūd Schaltūt (arabisch محمود شلتوت, DMG Maḥmūd Šaltūt; * 23. April 1893 in Minyat Bani Mansur in Unterägypten; † 14. Dezember 1963 in Kairo) war ein ägyptischer Religionsgelehrter, der vor allem für seine Bemühungen um eine Reform der Azhar und eine Annäherung zwischen Sunniten und Schiiten bekannt geworden ist. Von Oktober 1958 bis zu seinem Tod bekleidete er das Amt des Scheich der Azhar.
Frühe Jahre
Schaltūt trat 1906 in das Religiöse Institut von Alexandria ein, das zur Azhar gehörte, und erhielt dort im Jahre 1918 sein ʿālimīya-Diplom. 1919 wurde er an demselben Institut zum Lehrer ernannt.[1] 1927 wurde er nach Kairo versetzt, um dort in der höheren Abteilung zu unterrichten. Als 1928 Muhammad Mustafā al-Marāghī zum neuen Rektor der Azhar ernannt wurde, unterstützte er mit großer Leidenschaft dessen Reformprogramm.[2] Im April 1941 wurde Schaltūt ständiger Mitarbeiter der kulturellen Wochenzeitung ar-Risāla.[3]
Als Reformer in der "Gemeinschaft der großen Gelehrten"
Anfang August 1941 wurde Schaltūt in das höchste Azhargremium, die "Gemeinschaft der großen Gelehrten" (ǧamāʿat kibār al-ʿulamāʾ) aufgenommen.[4] Schon im November 1941 legte er einen Vorschlag zur Reorganisation dieses Gremiums vor, in dem er auf die Ideen der Azharreformkommission Bezug nahm, die 1910 dieses Gremium erdacht hatte. Nach seiner Vorstellung sollte die "Gemeinschaft der großen Gelehrten" ein ständiges Sekretariat erhalten, das sich vordringlich mit acht Aufgaben zu beschäftigen hatte: (1) Verteidigung des Islams gegen Angriffe; (2) Untersuchung der Fragen, bei denen sich die heutigen islamischen Gelehrten uneinig sind; (3) Erarbeitung einer Liste der in den gebräuchlichen Korankommentaren vorkommenden Isrā'īlīyāt, die dem Verstand zuwiderlaufen; (4) Erteilung von Rechtsgutachten; (5) Erforschung der in der Gegenwart neu entstandenen menschlichen Beziehungen im Hinblick auf ihre Beurteilung durch die Scharia; (6) Neuordnung der der Predigt betreffenden Fragen; (7) Kritische Durchsicht der Lehrbücher in den verschiedenen Wissenschaften; (8) Überwachung und Lenkung der Azhar-Zeitschrift (Maǧallat al-Azhar), damit sie der islamischen Geistesbewegung dient.[5]
1943 beschäftigte sich Schaltūt in einem Vortrag mit dem Titel "Die wissenschaftliche Steuerungspolitik an der Azhar" erneut mit dem Auftrag der Azhar.[6] Möglicherweise war der Anlass dafür, dass er im Juli 1943 als Mitglied in eine "Kommission zum Studium des Zustands der Fakultäten und Institute der Azhar" berufen wurde. Ein Jahr später hielt er einen Vortrag über Muhammad Abduh, in dem er sich ausdrücklich zu der von diesem begründeten islamischen Reformrichtung bekannte.[7]
1948 beteiligte sich Schaltūt an der Gründung des Dār at-taqrīb baina l-madhāhib ("Haus zur Annäherung zwischen den Rechtsschulen"), einer Institution, die vor allem verbesserte Beziehungen zwischen Sunniten und Schiiten anstrebte und eine panislamische Ausrichtung hatte.[8]
Wirken als Scheich der Azhar
Am 9. November 1957 wurde Schaltūt durch einen präsidentiellen Erlass zum stellvertretenden Rektor der Azhar (wakīl al-Azhar) ernannt, ein Jahr später, am 21. Oktober 1958 erfolgte die Ernennung zum Scheich der Azhar.[9] Auch in diesem Amt förderte er die Annäherung zwischen Sunniten und Schiiten. In einem Interview im Juli 1959 bejahte und billigte er ausdrücklich die Möglichkeit einer innerislamischen Konversion von der Sunna zur Schia und umgekehrt. Während des Interviews, das später öfter nachgedruckt wurde, sagte er: "Im Sinne des religiösen Gesetzes des Islams ist es erlaubt, den Gottesdienst gemäß dem Ritus der Dschaʿfarīya, die als imamitische Schia bekannt ist, zu verrichten, ebenso wie gemäß allen Schulen der Sunniten."[10] Wenig später empfing er den iranischen Botschafter in Kairo zu einer Unterredung, in deren Mittelpunkt das Streben der Azhar nach Einheit der Muslime stand.[11] Auf Drängen der "Gesellschaft für die Annäherung (zw. den islamischen Konfessionen)" (ǧamāʿat at-taqrīb) gab Schaltūt im Herbst 1959 diesen sowie andere Sätze des im Juli geführten Interviews, das für großes Aufsehen gesorgt hatten, in Form einer Fatwa heraus.[12]
Schaltūts Position stieß bei sunnitischen Gegnern einer Annäherung an die Schia auf viel Kritik. Bereits im Juli 1959 wandte sich ʿAbd ar-Rahmān al-Wakīl, der Leiter "Gesellschaft der Helfer muhammadanischen Sunna" (Ǧamāʿat anṣār as-sunna al-muḥammadīya) mit einem offenen Brief an ihn, in dem er unter Verweis auf umstrittene Themen wie Gräberkult, Verfälschung des Korantextes sowie Sündlosigkeit der Imame gegen Schaltūts versöhnlichen Ton protestierte.[13] Im September 1960 wurde Schaltūt in der in Riad erscheinenden wahhabitischen Zeitschrift von dem Publizisten Ibrāhīm al-Dschabhān wütend attackiert.[14] Unter dem Eindruck dieser Kritik sowie der veränderten politischen Rahmenbedingungen verfolgte Schaltūt das Projekt einer sunnitisch-schiitischen Annäherung nicht weiter.
Etwas weniger als drei Jahre nach seinem Amtsantritt, am 5. Juli 1961, verabschiedete das ägyptische Parlament das Gesetz Nr. 103 von 1961, das bis heute die Angelegenheiten der Azhar regelt. Eine der wichtigsten Inhalte dieses Gesetzes war die Schaffung der Akademie für islamische Untersuchungen, die die "Gemeinschaft der großen Gelehrten" ersetzen sollte. Die Konzeption dieses neuen Gremiums knüpfte in vielerlei Hinsicht an Schaltūts Reformvorschläge von 1941 an.[15] Bei seinen Bemühungen um die Reform der Azhar wurde er von Muhammad al-Bahī, dem Direktor der Azhar-Universität, und Scheich Ahmad Hasan az-Zaiyāt, dem Redaktionschef des Azhar-Magazins, unterstützt.[16]
Werke
Unter Schaltūts Werken sind neben Arbeiten zum Koran, u. a. einem Korankommentar, eine aufgeschlossene wie traditionsgemäße Einführung in den Islam („Der Islam als Lehre und Gesetz“) und seine Fatwas bedeutsam.
Literatur
- Rainer Brunner: Annäherung und Distanz. Schia, Azhar und die islamische Ökumene im 20. Jahrhundert. Schwarz, Berlin, 1996. S. 215–232. Digitalisat
- Werner Ende: „Die Azhar, Šaiḫ Šaltūt und die Schia“ in W. Diem u. A. Falaturi (Hrsg.): Ausgewählte Vorträge: XXIV. Deutscher Orientalistentag; vom 26. bis 30. September 1988 in Köln Steiner, Stuttgart, 1990. S. 308–318. Digitalisat
- Werner Ende: Art. "S̲h̲altūt, Maḥmūd" in The Encyclopaedia of Islam. New Edition Bd. IX, S. 260b-261b.
- Wolf-Dieter Lemke: Maḥmūd Šaltūt (1893 - 1963) und die Reform der Azhar: Untersuchungen zu Erneuerungsbestrebungen im ägyptisch-islamischen Erziehungssystem. Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang, 1980.
- Kate Zebiri: Maḥmūd Shaltūt and Islamic modernism. Oxford: Clarendon Press 1993.
Belege
- ↑ Vgl. Lemke 45f.
- ↑ Vgl. Ende 260b.
- ↑ Vgl. Lemke 126.
- ↑ Vgl. Lemke 127.
- ↑ Vgl. Lemke 134–140.
- ↑ Vgl. Lemke 143.
- ↑ Vgl. Lemke 148.
- ↑ Vgl. Lemke 139.
- ↑ Vgl. Brunner: Annäherung und Distanz. 1996, S. 215f.
- ↑ Zit. Brunner: Annäherung und Distanz. 1996, S. 219.
- ↑ Vgl. Brunner 237.
- ↑ Vgl. Brunner: Annäherung und Distanz. 1996, S. 222.
- ↑ Vgl. Brunner: Annäherung und Distanz. 1996, S. 244.
- ↑ Vgl. dazu Brunner: Annäherung und Distanz. 1996, S. 245–250.
- ↑ Vgl. Lemke 147.
- ↑ Vgl. Malika Zeghal: Gardiens de l'Islam. Les oulémas d'al Azhar dans l'Égypte contemporaine. Paris 1996. S. 95.
Personendaten | |
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NAME | Schaltūt, Mahmūd |
ALTERNATIVNAMEN | Shaltut, Mahmoud |
KURZBESCHREIBUNG | islamischer Rechtsgelehrter, Dozent an der Azhar-Universität |
GEBURTSDATUM | 23. April 1893 |
GEBURTSORT | Minyat Bani Mansur, Unterägypten |
STERBEDATUM | 14. Dezember 1963 |
STERBEORT | Kairo |
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Photograph of Mahmud Shaltut during his time as a religion talk show host on the radio