Müslüm (Bühnenfigur)

Semih Yavsaner alias Müslüm (2015)
Chartplatzierungen
Erklärung der Daten
Alben[1]
Süpervitamin
 CH310.06.2012(29 Wo.)
Apochalüpt
 CH115.02.2015(22 Wo.)
Popaganda
 CH1511.12.2022(1 Wo.)
Singles[1]
Erich, warum bisch du nid ehrlich?
 CH4605.09.2010(1 Wo.)
Samichlaus
 CH1812.12.2010(5 Wo.)
Süpervitamin
 CH10 
Gold
Gold
10.06.2012(19 Wo.)
La bambele
 CH4118.01.2015(15 Wo.)

Müslüm ist der Name einer Bühnenfigur des Berner Entertainers, Schauspielers, Musikers und Komikers Semih Yavsaner. Teilweise verwendet Yavsaner den Namen auch als sein Pseudonym. Charakteristisch an seinem Aussehen sind der grossflächige dunkle Bart mit Schnauz und die Monobraue.

Biografie

Die Kunstfigur Müslüm wurde zuerst durch ihre Telefonscherze bekannt.[2] Sie entstand im Rahmen der Sendung Semih Supreme Show, die Yavsaner 2008–2009 auf dem freien Radiosender in Bern Radio RaBe moderierte. Der Name Müslüm ergab sich aus der Suche nach einem türkischen Pendant zur Schweizer Romanfigur Ueli der Knecht. In seinen Telefonscherzen führte Müslüm die gängigen Klischees der Migrationsbevölkerung über Kriminalität und Bildungslücken auf satirische Art und Weise ad absurdum.[3]

Als das Privatradio Planet 105 in Zürich Interesse an den Telefonscherzen bekundete, wechselte Semih Yavsaner den Sender. Aufgrund urheberrechtlicher Differenzen wurde die Zusammenarbeit jedoch Ende Juni 2010 wieder eingestellt.[4]

Erstmals nationale Bekanntheit erlangte Müslüm im Vorfeld der Abstimmung zur Schliessung des autonomen Kulturzentrums Berner Reitschule im Sommer 2010. Mit dem Videoclip Erich, warum bisch du nid ehrlich? machte er sich über den damaligen Berner SVP-Fraktionspräsidenten Erich Hess lustig[5]. Das Lied wurde auf dem Sampler Reitschule beatet mehr veröffentlicht. Mit dem Sampler setzten sich 22 bekannte Berner Musikschaffende, unter anderen auch Züri West und Steff la Cheffe, für den Erhalt der Reitschule ein. Der rechtskonservative Verein Bund der Steuerzahler drohte den Radio- und Fernstationen mit einer Klage, falls sie Lieder des Samplers ausstrahlen würden, weil sie seiner Meinung nach politische Werbung beinhalten würden.[6] Auf YouTube brach der Videoclip Erich, warum bisch du nid ehrlich? alle bisherigen Schweizer Rekorde. Kurz nach der Veröffentlichung rangierte es auf Platz 35 der meistgesehenen Beiträge weltweit.[7] Insgesamt wurde es mehr als 2,3 Millionen Mal angesehen. Das Lied wurde schliesslich unter dem Label Sound Service veröffentlicht und schaffte es auf Platz 46 der Schweizer Hitparade. Drei Plattenfirmen zeigten Interesse an einer CD.[8] Am 29. November 2010 veröffentlichte Müslüm auf dem Label Sound Service die Single Samichlaus. Darin nahm er den damaligen SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli aufs Korn. Im Fokus stand die SVP-Ausschaffungsinitiative. Aufgrund ihres politischen Inhalts wurde die Single von kaum einem Schweizer Privatradio gespielt. Trotzdem schaffte sie es auf Platz 18 der Schweizer Hitparade.[9]

Im Dezember 2010 sorgte Müslüm in der Sendung Club des Schweizer Fernsehens SRF für Aufsehen, als er öffentlich prominente Exponenten der Schweizerischen Volkspartei SVP aufs Korn nahm.[10]

Im Juni 2011 setzte Müslüm in Zusammenarbeit mit der Berner Regisseurin Meret Matter und der freien Berner Theatergruppe Club 111 das Projekt Stadtrandfahrt um, wobei die Teilnehmenden auf eine Rundfahrt in die tourismusferne Berner Agglomerationen mitgenommen wurden.[11]

Am 25. Mai 2012 veröffentlichte Müslüm sein erstes Album Süpervitamin. Inhaltlich setzt er hier auf «weniger Aggression und mehr Liebe» durch die Liebestherapie mit der regenbogenfarbigen Glücksdroge Süpervitamin, womit auch die gesellschaftskritische Note verhaltener wurde.[12] Obwohl das Album bei den Schweizer Privatradiostationen erneut wenig Airplay hatte, erreichte es Platz 3 der Schweizer Albumcharts. Der Videoclip zum Titelsong Süpervitamin avancierte zum bis anhin meistgesehenen Musikvideo der Schweiz.[13] Der Song Orang Utan aus dem Album – besser bekannt als Ich bin ein Ausländer, ein Immigrant – wurde 2013 in der deutsch-türkischen Komödie 300 Worte Deutsch von Züli Aladağ im Filmabspann gespielt.

2013 war Müslüm für die Swiss Music Awards in der Newcomer-Kategorie Best Breaking Act National nominiert. Im gleichen Jahr gewann er den Förderpreis für die Integration der Migrationsbevölkerung der Stadt Bern 2013.[14]

2013 war im Schlachthaus Theater Bern Müslüms One-Einwanderer-Show Süper-Immigrant geplant, die jedoch aufgrund einer Bandscheibenoperation zwei Mal abgesagt werden musste.[15] Im gleichen Jahr setzte Müslüm in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Multimedia-Künstler Frantiček Klossner eine Videofassung von dessen Märchensammlung Ali Baba und die 40 Kunstkritiker um.[16]

Im Mai 2014 spielte Müslüm ein Konzert im Grossen Migrantenstall der Oltner Kabarett-Tage, welcher explizit für Kunstschaffende mit so genanntem Migrationshintergrund reserviert war.[17]

Am 5. Februar 2015 legte Müslüm mit Apochalüpt sein zweites Album vor. Semih Yavsaner schuf dazu mit Apochalüpt eine weitere Kunstfigur, welche er als «Gegenspieler von Müslüm, düsteren Antagonisten und die personifizierte Apokalypse» bezeichnet.[18]

Die Single-Auskoppelung La bambele war für die Swiss Music Awards 2016 in der Kategorie Best Hit nominiert. Ebendort war Müslüm in der Kategorie Best Male Solo Act nominiert. Das Album schaffte es auf Platz 1 der Schweizer Hitparade.

Im Dezember 2015 trat Müslüm im Rahmen der Veranstaltung Jeder Rappen zählt der schweizerischen Spendensammelaktion Glückskette auf dem Berner Bundesplatz auf.

Ab dem 1. April 2016 erhielt Müslüm beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF 1 seine eigene Fernsehshow Müslüm TV. Laut SRF hatte Müslüm den Auftrag «die ausländischen Zuschauer für das Schweizer Fernsehen zu gewinnen»[19] und «die kulturellen Mauern zwischen Migranten und Schweizern niederzureissen.»[20] Am 28. Oktober 2016 folgte die 2. Staffel mit erneut 4 Folgen von Müslüm TV.

Im Juli 2016 war Müslüm an der europäischen Biennale für zeitgenössische Kunst Manifesta 11 zu Gast. Im Vorfeld sorgte sein Auftritt an der Universität Zürich für medialen Wirbel, welchen der Historiker Kijan Espahangizi damit erklärte, «dass eine Unterhaltung, ja die blosse Anwesenheit von Secondos an einer Schweizer Uni, immer noch Irritationspotenzial hat.»[21]

Im September 2017 setzte sich Müslüm am Fest rund um das Fleisch der schweizerischen Vereinigung der Fleischrinderzüchter für weniger Fleischkonsum ein, indem er auf dem Bundesplatz veganen Dürüm verkaufte.[22]

Mit dem Kabarettstück «MÜsteriÜM – eine dramatürkische Odyssee» erschien im Dezember 2019 Müslüms erstes Bühnenprogramm. Es wurde speziell für die Kleinkunstbühne konzipiert und beinhaltete eine wortakrobatische, philosophische Auseinandersetzung mit den Un- und Sinnigkeiten der Sprache, untermalt mit skurrilen Momentaufnahmen aus dem migrantischen Alltag. Musikalisch begleitet hat das Stück der Berner Gitarrist Raphael Jakob.[23]

Von Frühling bis Herbst 2022 erschienen die Singles Millionero, Gugele und Popaganda. Am 2. Dezember 2022 erschien das Album Popaganda.[24] Müslüm schlägt auf «zur Episode drei, nach Euphorie und Apokalypse ist es Zeit für die Ambivalenz. Müslüm geht durch die Mitte und kann zu allem tanzen, zu den schweren Themen, zu den existenziellen Fragen und selbstverständlich im Neunachteltakt [...]»[25]

Stil

Müslüm am Openair auf dem Bundesplatz 2013

Müslüm als Kunstfigur setzt sich mit der komplexen Erfahrungswelt der Migrationsbevölkerung in der Mehrheitsgesellschaft auseinander. Mittels überzeichneter Stereotypisierung spielt er mit den gängigen, vorurteilsbehafteten Vorstellungen des «Ausländers», unterstützt durch seine eigens geschaffene Sprache, dem «Migrantisch».[26] Gleichzeitig verfolgt Müslüm einen emanzipatorischen Ansatz, indem er sein humoristisch-naives Auftreten zur Enttarnung von politischen und soziokulturellen Problemfeldern, von Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit einsetzt. Indem er Hierarchien und Rollenbilder durchbricht, fordert er verantwortliche Behörden und Institutionen heraus. Dabei schwanken Erscheinung, Auftritte und Songtexte stets zwischen offener Provokation und subtiler Anklage der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse.[3]

Seine Musik wird oft als «Immigrantenpop» bezeichnet.[27] Mit einer Mischung aus kommerzieller, westlicher Popmusik und orientalischen Klängen steht nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch der Multikulturalismus im Fokus.[28]

Müslüms Outfit besteht aus einem oft sehr farbenfrohen Anzug und einen oft ebenso farbenfrohen Hemd. Der Charakter trägt im Gesicht, das unter einem mittellangen, lockigen, dunkelbraunen Haarschopf hervorschaut, eine Monobraue und einen Dreitagebart mit Schnauz. Auf der rechten Wange liegt sein dickes Muttermal. Auf dem Albumcover von Süpervitamin streckt Müslüm dem Konsumenten die regenbogenfarbene Zunge heraus, während dies bei Apochalüpt der in der obigen Biografie genannte Antagonist tut, aber mit einer silbrigen Zunge. Ende des Musikvideos von Millionero, (nach 2:50 min) wurde dann zum ersten Mal auch eine goldene Zunge sichtbar, die das Albumcover von Popaganda ziert.[29][30]

Diskografie

Alben

  • Süpervitamin (2012)
  • Apochalüpt (2015)
  • Popaganda (2022)

Singles

  • Erich, warum bisch du nid ehrlich? (2010)
  • Samichlaus (2010)
  • Diskothek (2012)
  • La bambele (2015)
  • Yeahnsaits (2018)
  • Millionero (2022)
  • Gugele (2022)
  • Popaganda (2022)
  • MüsteriüM (2023)

Siehe[31]

Literatur

  • RaBe – 20 Jahre Alternatives Kulturradio in Bern. Hrsg. Radio Bern RaBe, 2017, ISBN 978-3-033-06187-3
  • NORDBERN – Breitenrain, Wyler, Wankdorf. Ein Buch über das Quartierleben im Norden von Bern. Hrsg. Daniel Gaberell, 2015, ISBN 978-3-905939-34-7

Weblinks

Quellen

  1. a b Chartdiskografie Schweiz
  2. Alle lieben Müslüm, selbst die Bären Artikel in Der Bund vom 13. August 2010
  3. a b RaBe Körperschaft: RABE : 20 Jahre alternatives Kulturradio in Bern. Bern 2017, ISBN 978-3-03306187-3.
  4. www.20minuten.ch, 20 Minuten, 20 Min, www.20min.ch: Müslüm will jetzt Charts erobern. In: 20 Minuten. (20min.ch [abgerufen am 22. September 2017]).
  5. Müslüm: «Der Samichlaus kommt aus der Südtürkei», Berner Zeitung, 29. November 2010
  6. Fuchs droht Radiostationen mit Klage. In: Der Bund. 17. August 2010 (derbund.ch [abgerufen am 22. September 2017]).
  7. Christoph LenzBundeshausredaktor@lenzchristoph: Alle lieben Müslüm, selbst die Bären. In: Der Bund. 17. August 2010 (derbund.ch [abgerufen am 22. September 2017]).
  8. Ein Türke ohne «Chomplexe», Artikel des Tagesanzeigers vom 12. Juni 2012
  9. Dario Venutti: Ein Türke ohne «Chomplexe». In: Tages-Anzeiger, Tages-Anzeiger. 6. Dezember 2012, ISSN 1422-9994 (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 22. September 2017]).
  10. Rico Bandle: TV-Kritik: Müslüm betanzt den Amstutz. In: Tages-Anzeiger, Tages-Anzeiger. 12. August 2010, ISSN 1422-9994 (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 22. September 2017]).
  11. Helen LaggerRedaktorin Kultur@FuxHelen: Müslüm erklärt den Stadtrand. In: Berner Zeitung, Berner Zeitung. 6. September 2011, ISSN 1424-1021 (bernerzeitung.ch [abgerufen am 22. September 2017]).
  12. Marina Bolzli@Zimlisberg: Liebestherapie mit Müslüm. In: Berner Zeitung, Berner Zeitung. 25. Mai 2012, ISSN 1424-1021 (bernerzeitung.ch [abgerufen am 22. September 2017]).
  13. Claudia Salzmann: «Das würde ich gross unterschtreichele». In: Tages-Anzeiger, Tages-Anzeiger. 6. Juni 2012, ISSN 1422-9994 (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 22. September 2017]).
  14. Beratungsstelle für Sans-Papiers und Müslüm ausgezeichnet. In: Der Bund. 24. Juni 2013 (derbund.ch [abgerufen am 22. September 2017]).
  15. Alle Theater-Vorstellungen von Müslüm abgesagt. In: Tages-Anzeiger, Tages-Anzeiger. 31. Dezember 2013, ISSN 1422-9994 (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 22. September 2017]).
  16. Kunstbulletin. Ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 22. September 2017.@1@2Vorlage:Toter Link/www.kunstbulletin.ch (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  17. Lukas Holliger: Müslüm: «Main Gefühl isch immer das glaiche: Süpervitamin». In: Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). (srf.ch [abgerufen am 22. September 2017]).
  18. Vor dem Fondue sind alle gleich, Interview mit Semih Yavsaner, Neue Luzerner Zeitung, 26. Januar 2015, S. 18.
  19. Sendungsporträt. Schweizer Radio und Fernsehen SRF, abgerufen am 22. September 2017 (Schweizer Hochdeutsch).
  20. «Müslüm TV» vom 1.7.2017. Schweizer Radio und Fernsehen SRF, 1. Juli 2017, abgerufen am 22. September 2017 (Schweizer Hochdeutsch).
  21. Linus SchöpferRedaktor Kultur@L_Schoepfer: «Demokratie oder Apartheid?» In: Tages-Anzeiger, Tages-Anzeiger. 7. August 2016, ISSN 1422-9994 (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 22. September 2017]).
  22. Müslüm macht jetzt Dürüm | Foodblog. In: Foodblog. 30. August 2017 (bernerzeitung.ch [abgerufen am 22. September 2017]).
  23. Der Bund: Schöngeistiges vom Vorzeigetürken. (derbund.ch [abgerufen am 25. Februar 2020]).
  24. Müslüm - MusicBrainz. Abgerufen am 13. April 2023.
  25. Müslüm – Popaganda. Abgerufen am 13. April 2023.
  26. Dario Venutti: Ein Türke ohne «Chomplexe». In: Tages-Anzeiger, Tages-Anzeiger. 6. Dezember 2012, ISSN 1422-9994 (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 22. September 2017]).
  27. Katharina Kilchenmann: Monatsgast Kultur – Semih Yavsaner alias Müslüm. Schweizer Radio und Fernsehen SRF, 25. Januar 2013, abgerufen am 22. September 2017 (Schweizer Hochdeutsch).
  28. Gregi Sigrist: Müslüm ist musikalisch mehr als Pop-Klamauk. In: Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). (srf.ch [abgerufen am 22. September 2017]).
  29. Müslüm - MusicBrainz. Abgerufen am 13. April 2023.
  30. Müslüm "Millionero" Musikvideo. Abgerufen am 13. April 2023 (deutsch).
  31. Müslüm - MusicBrainz. Abgerufen am 13. April 2023.

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