Lucius Calpurnius Piso Frugi Licinianus

Lucius Calpurnius Piso Frugi Licinianus (* 38; † 15. Januar 69 in Rom) war ein römischer Senator und kurzzeitig im Jahr 69 römischer Mitkaiser bzw. Thronfolger, der erste designierte Thronerbe, der nicht mit dem vorhergehenden Kaiser verwandtschaftlich verbunden war (wenn man davon absieht, dass Tiberius und Nero jeweils nur die Stiefsöhne ihrer Vorgänger gewesen und von diesen adoptiert worden waren).

Lucius Calpurnius Piso wurde im Jahr 38 geboren. Er stammte aus einem vornehmen römischen Geschlecht und wird als charakterfest beschrieben. Seine Eltern waren Marcus Licinius Crassus Frugi, der im Jahr 27 Konsul war, und Scribonia. Es wurde ihm später zum Verhängnis, dass er die meiste Zeit der Herrschaft Neros im Exil verbringen musste und daher nicht einmal niedrige politische Ämter bekleiden konnte. Als nach dem Selbstmord Neros Galba am 8. Juni 68 zum Kaiser ausgerufen wurde, konnte Piso nach Rom zurückkehren.

Als Galba dann aufgrund von Günstlingswirtschaft und angesichts seines „Geizes“ in eine politische Notsituation geriet (am 1. Januar 69 verweigerten die Legionen am Rhein den Treueeid auf den Kaiser), beschloss er, da seine eigenen Kinder bereits verstorben waren, Piso zu seinem Erben zu erheben. Offenbar hoffte Galba, seine bedrohte Position durch die rechtzeitige Regelung der Nachfolge stabilisieren zu können. Piso wurde durch Galba am 10. Januar adoptiert und den Prätorianern und Senatoren sogleich als Nachfolger (Caesar) präsentiert. Fortan sollte der Titel Caesar über Jahrhunderte den designierten Thronfolger kennzeichnen. Doch Galba unterließ es, die in diesem Zusammenhang üblichen Geldgeschenke zu machen, was Piso schadete. Piso, der jung war, noch kein Amt bekleidet hatte und praktisch keine Verdienste vorweisen konnte, die in römischen Augen eine für einen Kaiser ausreichende auctoritas begründet hätten, war insgesamt in keiner besonders guten Position. Galba entschied sich in seiner eher kritischer Lage eventuell aufgrund von Pisos hoher Abstammung für ihn als präsumtiven Nachfolger. Ob er vor dem Senat tatsächlich, wie Tacitus in seinen Historien überliefert,[1] von der „Auswahl des Besten“ sprach und damit bereits der Ideologie des Adoptivkaisertums vorausgriff, die dann zur Zeit von Tacitus die offizielle Propaganda dominieren sollte, ist unklar.

Als sich am 15. Januar Otho zum Kaiser proklamierte, wurde Galba auf dem Forum nach einem Opfer ermordet. Piso, der in einem Vesta-Tempel Schutz suchte, wurde dort herausgezerrt und ebenfalls ermordet. Ihre abgeschlagenen Köpfe wurden ins Prätorianer-Lager zu Otho gebracht.

Als das Bürgerkriegsjahr 69 zu Ende ging, hatte der General Vespasian als neuer Kaiser die Macht übernommen. Der Bruder Pisos fiel nun der Regierung Vespasians zum Opfer und wurde ermordet. Mit dem Tod Domitians, des zweiten Sohnes Vespasians, setzte sich mit Nerva dann vorläufig das Prinzip der Adoption durch und bescherte Rom eine gut achtzigjährige Phase weitgehender Stabilität: Nerva, der sich 96/97 in einer sehr ähnlichen Lage befand wie Galba 68/69 – ein schwacher, alter und kinderloser Kaiser, der einen Putsch fürchten musste –, adoptierte keinen machtlosen Mann, wie es Piso gewesen war, sondern – mutmaßlich zwangsweise – den mächtigen General Trajan, der in der Folgezeit zu einem der erfolgreichsten römischen Herrscher überhaupt aufsteigen sollte.

Literatur

  • Gwyn Morgan: 69 AD. The Year of Four Emperors. Oxford University Press, Oxford 2006, ISBN 978-0-19-512468-2, S. 59 ff.

Einzelnachweise

  1. Tacitus: Historien. 1,15–16.