Lorenzo Ghiberti
Lorenzo Ghiberti (* um 1378 in Pelago; † 1. Dezember 1455 in Florenz), in zeitgenössischen Quellen auch Nencio di Bartolo bzw. Bartoluccio, war ein vor allem in Florenz aktiver Bildhauer, Goldschmied und Erzgießer. Seine berühmtesten Werke sind das Nordportal und die sogenannte Paradiespforte des Baptisteriums der Kathedrale von Florenz. Seine Schrift I Commentarii gehört neben Traktaten Cennino Cenninis und Leon Battista Albertis zu den ersten italienischen Abhandlungen zu Fragen der Kunst.
Leben und Werk
Lorenzo Ghiberti, in zeitgenössischen Quellen meist mit seinem Rufnamen Nencio bezeichnet,[1] ging bei seinem Stiefvater, dem Goldschmied Bartolo Ghiberti in die Lehre und erlernte den autobiografischen Angaben in seinem Kunsttraktat zufolge parallel dazu auch die Malerei. Nach eigener Aussage floh er vor 1400 vor der Pest nach Pesaro und arbeitete dort für Malatesta IV. Malatesta.
Im darauffolgenden Jahr ging er nach Florenz und nahm dort am Wettbewerb um den Auftrag für eine zweite Bronzetür – die erste schuf Andrea Pisano – am Florentiner Baptisterium teil. Ghiberti konnte sich gegen seinen Mitbewerber Filippo Brunelleschi durchsetzen, dessen Entwurf material- und arbeitsaufwändiger war. Die Arbeit am Portal dauerte von 1403 bis 1423. Es besteht aus insgesamt 28 teilweise feuervergoldeten Reliefs, die in Vierpässe eingefügt sind (womit er in der Anlage dem Rahmenwerk Andrea Pisanos folgt). Die 20 Reliefpanele der Türen zeigen Szenen aus dem Leben Jesu, in den unteren zwei Reihen sind die vier Evangelisten und vier Kirchenlehrer dargestellt.
Bald nach Beendigung der ersten Bronzetür erhielt er den Auftrag für die Gestaltung eines weiteren Portals, an dem er noch einmal 27 Jahre (1425 bis 1452) arbeitete. Nach seinem Tod führte sein Sohn Vittorio die Arbeit am Rahmenwerk weiter. Die Tür lobte Michelangelo mit den Worten „… sie ist würdig, die Pforte des Paradieses zu schmücken“. In zehn quadratischen Feldern sind Szenen aus dem Alten Testament dargestellt, eingerahmt von reicher Ornamentik mit zahlreichen Figuren (z. B. Putten und Köpfen, darunter er selbst neben seinem Sohn Vittorio).
Gemeinsam mit Filippo Brunelleschi, dem Architekten des gewaltigen Kuppelprojekts, war Ghiberti ab etwa 1420 Dombaumeister in Florenz. Ihm wird auch der Entwurf für die von Palla Strozzi finanzierte Sakristei der Kirche Santa Trinita in Florenz zugeschrieben.
Um 1414 schuf er für die Nischen am Oratorium Orsanmichele die Bronzestatuen Johannes des Täufers und in den Jahren 1419 bis 1422 die des Matthäus und des heiligen Stephanus (vollendet 1428), die als die ersten nachantiken Großbronzen gelten. Aus jener Zeit stammen auch die Bronzereliefs für das Taufbecken von San Giovanni in Siena mit der Taufe Christi (1424) und Johannes der Täufer vor Herodes (1427), sowie die Grabplatten des Leonardo Dati in Santa Maria Novella und des Ludovico degli Albizzi in Santa Croce in Florenz. 1428 fertigte Ghiberti den Reliquienschrein der heiligen Märtyrer Protus, Hyacinthus und Nemesius[2] und um 1440 den mit Reliefs verzierten Sarkophag des heiligen Zenobius für den Florentiner Dom. Neben zwei kleinen Glocken für die Sakristei, die Ghiberti 1445 herstellte, zeichnete er auch Entwürfe für zahlreiche Bleiglasfenster. Für die Kathedrale von Arezzo entstanden ebenfalls mehrere Fensterentwürfe.
Lorenzo Ghiberti starb am 1. Dezember 1455 im Alter von fast 77 Jahren in Florenz. Sein Sohn Vittorio (1416–1496) führte seine Werkstatt weiter.
Die Ghiberti-Werkstatt war wegen ihrer prominenten Aufträge und gerade des mit der Herstellung der beiden Bronzeportale verbundenen Aufwands eine wichtige Ausbildungsstätte für Künstler (u. a. Donatello, Paolo Uccello).
Lorenzo Ghiberti war vielseitig interessiert. Als einer der ersten Künstler besaß er nachweislich auch eine Antikensammlung; das Inventar wurde 2019 von der Kunsthistorikerin Doris Carl publiziert.[3]
I Commentarii
Ghiberti verfasste in den 1450er Jahren den in drei Bücher unterteilten Traktat I Commentarii, der wertvolle Betrachtungen über Kunst und Künstler von der Antike bis zum 15. Jahrhundert enthält sowie kunsttheoretische Gedanken formuliert. Der Traktat kopierte im ersten Teil in erster Linie aus der Naturgeschichte von Plinius dem Älteren mit eigener Gewichtung, jedoch auch, wie der Kunsthistoriker Julius von Schlosser 1912 schrieb, „zahllosen Mißverständnissen“.[4]
Der zweite und kürzeste Teil ist zugleich der interessanteste, da er zum Großteil auf der eigenen Erfahrung Ghibertis beruht und damit seine Denkweise und sein Kunstverständnis besser widerspiegelt als die kopierten Erkenntnisse aus antiken und mittelalterlichen Texten der anderen Teile. Er beschreibt die Werke seiner Vorläufer seit Cimabue bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts. Er erzählt von Giotto, seinen Schüler Stefano, Taddeo Gaddi und Maso, Bonamico (Buffalmacco), Cavallini aus Rom und Orcagna. Er ergänzt die vornehmlich Florentiner Riege mit Vertretern der Sieneser Schule, bei der er Ambrogio Lorenzetti ganz besonders heraushebt, aber auch Simone Martini, Barna da Siena und Duccio nennt. Neben dem bereits erwähnten Orcagna werden unter den Bildhauern nur Giovanni Pisano, Andrea Pisano und der ominöse deutsche (oder flämische) Goldschmied Gusmin genannt. Er schließt mit einer Beschreibung seiner eigenen Werke.[5]
Der dritte und mit vier Fünfteln des Gesamten der gewichtigste Teil ist unvollendet geblieben und kam über eine unstrukturierte Quellensammlung kaum hinaus. Er sollte ein Grundlagenwerk zur Kunst werden.[6] Der Text sollte neben einer Maßlehre des menschlichen Körpers auch Überlegungen zur Optik und Perspektive enthalten. Ghiberti rezipierte hierfür unter anderem Schriften Alhazens, Roger Bacons, Johannes Peckhams und Witelos.
Siehe auch
- Adam und Eva (Ghiberti)
- Baptisterium San Giovanni
- Konkurrenzreliefs
Literatur
Ausgaben und Übersetzungen der Commentarii
- Lorenzo Ghibertis Denkwürdigkeiten (I Commentarii). Zum ersten Male nach der Handschrift der Biblioteca Nazionale in Florenz vollständig herausgegeben und erläutert von Julius von Schlosser. 2 Bde. Julius Bard, Berlin, 1912
- Lorenzo Ghibertis Denkwürdigkeiten. Zum ersten Mal ins Deutsche übertragen von Julius Schlosser, Julius Bard, Berlin, 1920 (gekürzte Fassung)
- Klaus Bergdolt: Der Dritte Kommentar Lorenzo Ghibertis. Naturwissenschaften und Medizin in der Kunsttheorie der Frührenaissance. Eingeleitet, kommentiert und übersetzt. VCH, Acta Humaniora, Weinheim 1989, ISBN 3-527-17610-1 (Zugleich: Heidelberg, Universität, Dissertation, 1986).
- Lorenzo Ghiberti: I Commentarii (= Biblioteca della Scienza Italiana. Bd. 17). Hrsg. von Lorenzo Bartoli. Giunti, Florenz 1998, ISBN 88-09-21280-0. (Italienisch)
Forschungsliteratur
- Leo Planiscig: Lorenzo Ghiberti. Anton Schroll, Wien, 1940.
- Julius von Schlosser: Lorenzo Ghiberti (= Künstlerprobleme der Frührenaissance 3–5 = Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse. Sitzungsberichte 215, 4, ISSN 1012-487X). Hölder-Pichler-Tempsky AG, Wien 1934.
- Julius von Schlosser: Leben und Meinungen des florentinischen Bildners Lorenzo Ghiberti. Prestel, München 1941.
- Richard Krautheimer, Trude Krautheimer-Hess: Lorenzo Ghiberti (= Princeton Monographs in Art and Archaeology. Bd. 31, ZDB-ID 419074-9). Princeton University Press, Princeton NJ 1956.
- Janice L. Hurd: Lorenzo Ghiberti's second Commentary in context: with a new transcription, english translation, and commentary (Diss. 1970). Scarborough, Maine 2022, ISBN 979-82-1800864-2.
- Hanno Rautenberg: Die Konkurrenzreliefs: Brunelleschi und Ghiberti im Wettbewerb um die Baptisteriumstür in Florenz (Diss. 1996). Münster 1996, ISBN 3-8258-2738-0.
- Lorenzo Ghiberti nel suo tempo (atti del convegno internazionale di studi; Firenze, 18 – 21 ottobre 1978) (2 Bde.). Olschki, Florenz 1980, ISBN 88-222-2965-7.
- Aldo Galli: Lorenzo Ghiberti. Gruppo Editoriale L’Espresso, Rom, 2005.
- Annamaria Giusti (Hrsg.): Il Paradiso ritrovato: il restauro della porta del Ghiberti. Mandragora, Florenz 2015, ISBN 978-88-7461-247-5.
- Diane Finiello Zervas: Lorenzo Monaco, Lorenzo Ghiberti, and Orsanmichele: Part I. In: The Burlington Magazine. Band 133, Nr. 1064, 1991, S. 748–759.
- Joachim Poeschke: Die Skulptur der Renaissance in Italien. Band 1: Donatello und seine Zeit. Hirmer, München 1990, ISBN 3-7774-5360-9, S. 61–62.
- Alexander Perrig: Lorenzo Ghiberti, die Paradiestür. Warum ein Künstler den Rahmen sprengt (= Fischer-Taschenbuch. 3925 Kunststück). Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-596-23925-7.
- Fabian Jonietz, Wolf-Dietrich Löhr und Alessandro Nova (Hrsg.): Ghiberti teorico: natura, arte e coscienza storica nel Quattrocento. Officina Libraria, Mailand, 2019, ISBN 978-88-3367-076-8.
- Amy R. Bloch: Lorenzo Ghiberti’s Gates of Paradise. Humanism, History, and Artistic Philosophy in the Italian Renaissance. Cambridge University Press, New York, 2016.
- Ghiberti, Lorenzo. In: Mario Caravale (Hrsg.): Dizionario Biografico degli Italiani (DBI). Band 53: Gelati–Ghisalberti. Istituto della Enciclopedia Italiana, Rom 1999.
- Timothy Verdon (Hrsg.): La Porta d'oro del Ghiberti: atti del ciclo di conferenze, Firenze, 20 novembre 2012–4 giugno 2013. Mandragora, Florenz 2014, ISBN 978-88-7461-249-9.
- Diane Finiello Zervas: Lorenzo Monaco, Lorenzo Ghiberti and Orsanmichele: Part II. In: The Burlington Magazine. Band 133, Nr. 1065, 1991, S. 812–819.
Belletristik
- Ernst A. Hagen: Künstlergeschichten, Band 1 und 2, Die Chronik seiner Vaterstadt Florenz von Lorenz Ghiberti, Brockhaus, Leipzig, 1833 (der Roman orientiert sich an Giorgio Vasaris Lebensbeschreibungen)
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Diane Finiello Zervas: Lorenzo Monaco, Lorenzo Ghiberti and Orsanmichele: Part II. In: The Burlington Magazine. Band 133, Nr. 1065, 1991, S. 819.
- ↑ Jetzt aufbewahrt im Nationalmuseum Bargello, Florenz. – Foto, Ausschnitt.
- ↑ Doris Carl: An inventory of Lorenzo Ghiberti’s collection of antiquities. In: The Burlington Magazine. Nr. 161/1393, S. 274–299.
- ↑ Julius von Schlosser: Lorenzo Ghibertis Denkwürdigkeiten, Berlin 1912, S. 24.
- ↑ Richard Krautheimer, Trude Krautheimer-Hess: Lorenzo Ghiberti (= Princeton Monographs in Art and Archaeology. Band 31). 1. Pb. 1982 der 2. Auflage. Princeton University Press, Princeton 1958, XX, S. 306–314.
- ↑ Julius von Schlosser: Lorenzo Ghibertis Denkwürdigkeiten, Berlin 1912, S. 18.
Personendaten | |
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NAME | Ghiberti, Lorenzo |
KURZBESCHREIBUNG | italienischer Goldschmied, Erzgießer und Bildhauer |
GEBURTSDATUM | um 1378 |
GEBURTSORT | Pelago |
STERBEDATUM | 1. Dezember 1455 |
STERBEORT | Florenz |
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Bronzerelief mit Vergoldungen, das der Florentiner Künstler Lorenzo Ghiberti 1401 für einen Wettbewerb um den Auftrag für ein neues Portal des Baptisteriums San Giovanni (Taufkapelle von Florenz) geschaffen hat; es wird im Bargello, einem Museum für Skulpturen und Plastiken in Florenz aufbewahrt
Autor/Urheber: George M. Groutas, Lizenz: CC BY 2.0