Lokman Slim
Lokman Mohsen Slim (arabisch لقمان محسن سليم, DMG Luqmān Muḥsin Salīm; * 17. Juli 1962 in Haret Hreik; † 3. Februar 2021[1][2][3]) war ein libanesischer Verleger, Filmemacher, Publizist und Kulturvermittler. Als unabhängiger Sozial- und Politaktivist setzte er sich insbesondere für eine Erinnerungskultur zur Aufarbeitung der konfliktreichen Geschichte des Landes wie der gesamten Region ein.[4] Bekannt wurde er darüber hinaus als Kritiker der vom Iran unterstützten Hisbollah, aber auch aller anderen politisch-konfessionellen Kräfte.[5]
Leben und Wirken
Slim kam aus einer alteingesessenen und einflussreichen Familie im schiitisch dominierten Süden Beiruts,[4][6] die enge Beziehungen zu den christlichen Eliten des Landes pflegte.[7] Seine Mutter Salma Merchak, die ihn überlebt hat, stammt aus Ägypten und hat einen christlichen Hintergrund.[8] Sein Vater Mohsen Slim war Rechtsanwalt, Großgrundbesitzer und von 1960 bis 1964 Abgeordneter im libanesischen Parlament. 1977 gründete er die schiitisch dominierte Union des Forces Libanaises, die sich vor allem für die Entwaffnung der militanten Palästinensergruppen im Land einsetzte.[9] Im weiteren Verlauf des Libanesischen Bürgerkrieges verlegte er seine Kanzlei indes nach Paris.[7]
Lokman Slim zog selber 1982 nach Frankreich, wo er sechs Jahre lang lebte, um an der Sorbonne ein Studium der Philosophie zu absolvieren. Er gründete nach seiner Rückkehr in den Libanon 1990 den unabhängigen libanesischen Verlag Dar Al Jadeed, der arabische Literatur und Artikel veröffentlichte, die landesweit Kontroversen hervorriefen. 2004 war er Mitbegründer des Dokumentations- und Forschungszentrums UMAM, über das er einen großen Teil der Ressourcen für die Aufzeichnung, Zusammenstellung, Erhaltung und Förderung der libanesischen Geschichte bereitstellte. Slim hat mehrere historische Dokumente und Werke über Kunst veröffentlicht. Einige Bücher seines Verlags wurden vom libanesischen Nachrichtendienst Direction Générale de la Sûreté Générale (DGSG) zensiert und verboten, darunter die ersten arabischen Übersetzungen der Schriften des ehemaligen iranischen Reformpräsidenten Mohammad Chātami. Besonders dieser Fall sorgte in der schiitischen Gemeinschaft des Libanon für große Kontroversen.[3]
Mit seiner Frau, der deutschen Regisseurin Monika Borgmann und mit Hermann Theißen drehte er den Dokumentarfilm Massaker (2004) über die Täter des Massakers von Sabra und Schatila.[10] Der Film lief weltweit auf zahlreichen Festivals und wurde auf der Berlinale 2005 mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet.[11] Gemeinsam mit Borgmann drehte Slim den Dokumentarfilm Tadmor (2016) über ein Foltergefängnis des Assad-Regimes.[12] Tadmor wurde auf dem Filmfest Hamburg 2016 mit dem Preis Der Politische Film der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgezeichnet.[13]
Während des Krieges von 2006 zwischen Hisbollah und Israel wurden große Teile des Hauses von Slim im Beiruter Stadtteil Haret Hreik durch ein Bombardement der israelischen Luftstreitkräfte zerstört. Von den Verwüstungen war auch sein Archiv schwer betroffen.[14]
Nach der Teilnahme an einer Gesprächsrunde auf dem Märtyrer-Platz zum Konzept außenpolitischer Neutralität im Dezember 2019 erhielt der Hisbollah-Kritiker Todesdrohungen, er wurde als „Verräter“ beleidigt, sein Haus wurde belagert.[15] In einer Stellungnahme erklärte Slim, nicht nur er selbst, sondern auch seine Frau sei diesen Drohungen durch die Hisbollah ausgesetzt. Slim war während einer Rückreise nach Beirut am Abend des 3. Februar 2021 verschwunden.[16][3] Der Aktivist wurde schließlich in der Nähe des Dorfes Zahrani im Südlibanon tot aufgefunden. Er war durch vier Kopfschüsse und einen Schuss in den Rücken getötet worden.[17] Sein Telefon wurde einige Kilometer entfernt in Niha im Süden gefunden, einer anderen Region unter der Kontrolle der militanten Gruppe.[18]
Reaktionen
Kurz nach den ersten Nachrichten vom Mord twitterte Dschawad Nasrallah, ein Sohn von Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah: „Was für manche Leute ein Verlust bedeutet, ist in Wirklichkeit ein Gewinn und eine unerwartete Güte #KeineReue“. Später löschte er den Tweet und erklärte, nicht Lokman Slim gemeint zu haben.[19]
Najat Rochdi, stellvertretende Sonderkoordinatorin der Vereinten Nationen und UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe im Libanon, äußerte sich nach dem Auffinden Slims schockiert über die Ermordung des libanesischen Anti-Hisbollah-Aktivisten und Publizisten. Die Ermordung eines mutigen und engagierten Intellektuellen sei ein Verlust für das gesamte libanesische Volk. Rochdi forderte ein gründliches, schnelles und transparentes Ermittlungs- und Gerichtsverfahren, um alle Verantwortlichen für diese „unerhörte Tat“ vor Gericht zu stellen.[20]
Zusammen mit dem Verlag Dar Al Jadeed wurde Lokman Slim 2021 postum mit dem Prix Voltaire ausgezeichnet.[21][22]
Weblinks
- UMAM Documentation and Research (englisch)
- Andrea Böhm: Lokman Slim: Tod eines Furchtlosen. In: Zeit Online. 5. Februar 2021 .
- Hayya Bina. Archiviert vom Original am 3. Juni 2013 (arabisch, englisch).
- Lokman Slim. In: FestivalScopePro.com. (englisch).
Einzelnachweise
- ↑ Nachruf: Wahrheit als Provokation, medico.de, 5. Februar 2021, abgerufen am 15. Oktober 2021.
- ↑ Ahmad Mantash und Sarah El Deeb: Prominent Lebanese Hezbollah critic found killed in his car, apnews.com, 5. Februar 2021, abgerufen am 15. Oktober 2021.
- ↑ a b c Tala Michel Issa: Who is Lokman Slim: A profile on Lebanese activist, Hezbollah critic shot to death. In: al-Arabiya. 4. Februar 2021, abgerufen am 4. Februar 2021 (englisch).
- ↑ a b Moritz Behrendt: Der Patron der Ideen. In: zenith.me. 4. Februar 2021, abgerufen am 4. Februar 2021.
- ↑ Nachruf - Wahrheit als Provokation. In: medico international. 5. Februar 2021, abgerufen am 5. Februar 2021 (deutsch).
- ↑ Christoph Reuter: Lokman Slim im Libanon ermordet: Der Furchtlose. In: Spiegel Online. 4. Februar 2021, abgerufen am 5. Februar 2021.
- ↑ a b Lara Deeb, Mona Harb: Lokman Slim. In: Leisurely Islam: Negotiating Geography and Morality in Shi‘ite South Beirut, S. 232. Princeton University Press, 27. Oktober 2013, abgerufen am 5. Februar 2021.
- ↑ Jeanine Jalkh: Lokman Slim, la liberté à tout prix. In: L’Orient-Le Jour. 5. Februar 2021, abgerufen am 5. Februar 2021 (französisch).
- ↑ Michael Kuderna: Christliche Gruppen im Libanon: Kampf um Ideologie und Herrschaft in einer unfertigen Nation. F. Steiner, Wiesbaden 1983, S. 103.
- ↑ Massaker. Internet Movie Database, abgerufen am 5. Februar 2021 (englisch).
Massaker von Monika Borgmann, Hermann Theissen, Lokman Slim. In: dvfilm.ch. Abgerufen am 5. Februar 2021. - ↑ 55th Berlinale: Awarded films. In: fipresci.org. Abgerufen am 5. Februar 2021 (englisch).
- ↑ Andrea Böhm: „Tadmor“: Aus einem Trauma wird Kino. In: Zeit Online. 6. Oktober 2016, archiviert vom Original am 19. Oktober 2016; abgerufen am 5. Februar 2021.
- ↑ Michael Kottmeier: Der politische Film der FES 2016: „Tadmor“ ist der Gewinner des Jahres 2016. In: fes.de. 2016, abgerufen am 5. Februar 2021.
- ↑ Markus Bickel: Libanon: Wie Israel beinahe den schärfsten Kritiker der Hisbollah ausschaltete. In: Spiegel Online. 13. August 2006, abgerufen am 4. Februar 2021.
- ↑ Christian Weisflog: Hizbullah-Kritiker erschossen: „Er war ein streitlustiger Mensch mit klaren Prinzipien“, Neue Zürcher Zeitung, 4. Februar 2021
- ↑ Kareem Chehayeb: Lebanese anti-Hezbollah activist found dead in his car. In: aljazeera.com. 4. Februar 2021, abgerufen am 4. Februar 2021 (englisch).
- ↑ Laudy Issa: Lokman Slim, activist and Hezbollah critic, found shot dead in South Lebanon. In: beirut-today.com. 4. Februar 2021, abgerufen am 5. Februar 2021 (englisch): „Lebanese activist and Hezbollah critic Lokman Slim was found dead in his car this morning near Zahrani village, South Lebanon.“
Adam Chamseddine, Kareem Chehayeb: Lebanon: Prominent Hezbollah critic Lokman Slim found murdered. In: middleeasteye.net. 4. Februar 2021, abgerufen am 5. Februar 2021 (englisch). - ↑ Mona Alami: Murdered activist Lokman Slim was facilitating a Hezbollah defection before death. In: Al Arabiya. 5. Februar 2021, abgerufen am 5. Februar 2021 (englisch).
- ↑ Rim Zrein: Breaking: Hezbollah Critic Lokman Slim Just Found Shot Dead In His Car. In: The961. 4. Februar 2021, abgerufen am 5. Februar 2021 (englisch).
- ↑ U.N. Says Killing of Lokman Slim is a Loss for Lebanon. In: Naharnet. 4. Februar 2021, abgerufen am 5. Februar 2021 (englisch).
- ↑ Porter Anderson: Lebanon’s Dar Al Jadeed Wins IPA’s 2021 Prix Voltaire, publishingperspectives.com, 22. November 2021, abgerufen am 23. November 2021.
- ↑ "Ihr Mut ist eine Inspiration", boersenblatt.net, veröffentlicht und abgerufen am 23. November 2021.
Personendaten | |
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NAME | Slim, Lokman |
ALTERNATIVNAMEN | Slim, Lokman Mohsen |
KURZBESCHREIBUNG | libanesischer Verleger, Publizist und Aktivist |
GEBURTSDATUM | 17. Juli 1962 |
GEBURTSORT | Haret Hreik |
STERBEDATUM | 3. Februar 2021 |
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Autor/Urheber: RomanDeckert, Lizenz: CC BY-SA 4.0
The "Hangar" exhibition hall of the non-profit UMAM Documentation and Research (UMAM D&R) center in Haret Hreik, part of the Dahieh suburb in Southern Beirut, Lebanon, founded by Lokman Slim (1962-2021) and his wife Monika Borgmann.
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The Lebanese publisher and activist Lokman Mohsen Slim at the "Hangar" hall of his independent organisation UMAM in Southern Beirut during the exhibition "In Praise of Lebanese Fusion" about the multicultural and foreign origins of many Lebanese artists. He was found shot dead in his car at Nabatieh on February 4th, 2021.