Umschriften für die chinesischen Sprachen

Umschriften (Transkriptionssysteme) für die chinesischen Sprachen dienen zur Darstellung der chinesischen Schrift mit lateinischen oder anderen Buchstaben oder Zeichen.

In verschiedenen Ländern und zu verschiedenen Zeiten wurden Systeme entwickelt, mit denen Nichtchinesen die chinesischen Sprachen in ein ihnen vertrautes lautliches Umfeld transkribierten. Heutzutage hat das Pinyin-System die früher verbreiteten Systeme, insbesondere auch Wade-Giles, im internationalen Gebrauch nahezu verdrängt.

Einflussfaktoren

Es wurde eine Vielzahl von Umschriften entwickelt. Dies liegt daran, dass es unterschiedliche Rahmenbedingungen und Vorgehensweisen gibt:

Ursprungssprache

Die chinesischen Sprachen unterscheiden sich im Repertoire an Lauten. Je nach Ursprungssprache gibt es daher unterschiedliche Anforderungen an die Transkription. Transkribiert wurden z. B.

Auch die Wahl des Dialekts hat Einfluss:

  • Im heutigen Standardchinesisch werden [k] und [ts] (Pinyin: g und z) vor [i] zu [tɕ] palatisiert. Die Silbe [tɕi] wird in Pinyin ji geschrieben.
  • In anderen Mandarin-Dialekten hingegen wird [ts] nicht palatisiert. Latinxua Sin Wenz schreibt gi [tɕi] und zi [tsi].

Zielschrift

Es gibt Umschriften für verschiedene Schriftsysteme, z. B.

Rechtschreibregeln in der Zielschrift

Je nach Sprache der Zielgruppe werden Laute unterschiedlich transkribiert. Beispiele für [ʂ], das dem [ʃ] ähnlich ist:

  • englisch-basiert: sh (Pinyin, Wade-Giles) – heute dominant
  • deutsch-basiert: sch (Lessing-Othmer)
  • französisch-basiert: ch (EFEO)
  • tschechisch-basiert: š (Švarný)

Darstellung „fremdartiger“ Laute

Bei den englisch-basierten Umschriften werden Laute, die dem Englischen fremd sind, oft unterschiedlich dargestellt. Beispiele für die Darstellung:

  • [k] und [kʰ] (Aspiration): k und k’ (Wade-Giles), g und k (Pinyin)
  • [ɕ]: hs (Wade-Giles), x (Pinyin), s (Tongyong Pinyin), sh (Gwoyeu Romatzyh, MPS II), sy (Yale), h (Unger)
  • [y]: ü (Wade-Giles), u mit zusätzlichen Punkten nur bei Verwechselungsgefahr (Pinyin), yu (Tongyong Pinyin), iu (Gwoyeu Romatzyh), y (Latinxua Sin Wenz)
  • [ɻ̩] und [ɹ̩]: ih und ŭ (Wade-Giles), i (Pinyin), ih (Tongyong Pinyin), r und z (MPS II, Yale), ï (Unger), y (Gwoyeu Romatzyh), nicht geschrieben (Latinxua Sin Wenz)

Diese Vielfalt rührt daher, dass sich Ökonomie, intuitive Verständlichkeit und phonetische Genauigkeit nicht gleichzeitig maximieren lassen. Die Systeme folgen unterschiedlichen Prioritäten (hier aufgezeigt am Beispiel von Wade-Giles und Pinyin):

  • Pinyin nutzt 25 der 26 Buchstaben des lateinischen Grundalphabets (die Ausnahme ist v), aber einige davon für deutlich andere Laute als im Englischen, z. B. x, q, z und c. Wade-Giles greift in diesen Fällen auf Digraphen zurück, was weniger ökonomisch, aber für Englischsprecher intuitiver ist: hs, ch’, ts und ts’.
  • Pinyin und Wade-Giles verwenden mit ü einen Buchstaben außerhalb des lateinischen Grundalphabets. Viele andere Umschriften vermeiden dies.
  • Wade-Giles kennzeichnet die Aspiriration durch einen Apostroph: p’, t’, k’, … Pinyin hingegen zeigt die Nicht-Aspiration stimmloser Konsonanten durch Verwendung von Buchstaben an, die im Englischen für stimmhafte Laute stehen: b, d, g, …
  • Mit ch und q stellt Pinyin zwei ähnliche, aber unterschiedliche Laute verschieden dar, während Wade-Giles beide Laute als ch’ schreibt und sich die Aussprache aus dem folgenden Vokal ergibt. Umgekehrt wird u im Pinyin je nach vorangehendem Konsonant als [u] oder [y] gesprochen, während Wade-Giles konsequent u und ü unterscheidet. Wade-Giles unterscheidet am Silbenende i, ih und ŭ, während Pinyin unterschiedslos i schreibt.

Darstellung der Töne

Das lateinische Alphabet sieht keine Darstellung von Tönen vor. Für das Chinesische wurden verschiedene Konzepte entwickelt:

  • diakritische Zeichen (Pinyin)
  • Ziffern (Wade-Giles)
  • alternative oder stumme zusätzliche Buchstaben (Gwoyeu Romatzyh)
  • keine Kennzeichnung (Latinxua Sin Wenz)

Liste von Umschriften

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die wichtigsten Umschriften. Wo nicht anders vermerkt, handelt es sich um Umschriften für das Hochchinesische („Standardchinesisch“).

UmschriftAlphabetEntwickelt vonAnmerkungen
von besonderer Bedeutung:
Hanyu Pinyin
(kurz: Pinyin)
lateinischZhou Youguang u. a.amtliche Umschrift der Volksrepublik China, der Republik China (Taiwan) und offizieller ISO-Standard
Wade-Giles
(kurz: W.G.)
lateinischThomas Wade, Herbert A. Gileswar Quasi-Standard im angelsächsischen Sprachraum sowie im wissenschaftlichen Bereich weltweit
Zhuyin Fuhao
(kurz: Bopomofo oder MPS I oder MPS1)
ZhuyinKommission zur Vereinheitlichung der Ausspracheauch Mandarin Phonetic Symbols I (MPS I oder MPS1) genannt; auch für Min Nan, Hakka und andere Sprachen geeignet; heute noch auf Taiwan verwendet
für spezielle Schriften:
koreanische UmschriftkoreanischNationalinstitut der koreanischen Spracheoffizielle Umschrift des Chinesischen in Südkorea
mongolische Umschriftmongolischfür die mongolische Sprache
Palladius-SystemkyrillischPalladiusauch Vasil’ev-System genannt; offizielle Umschrift in Russland
tschechische Umschriftlateinisch (tschechisch)Oldřich Švarnýmit tschechischen diakritischen Zeichen, entwickelt 1951; wird auch in slowakischen Texten verwendet
Xiao’erjingarabischwar in Gebrauch bei muslimischen Minderheiten
ehemals offiziell im Kulturraum China:
Gwoyeu RomatzyhlateinischZhao Yuanren u. a.Töne werden durch Variation der Buchstaben dargestellt; von 1928 bis in die 50er offizielle Umschrift in China, wurde aber wenig verwendet
Latinxua Sin WenzlateinischExilchinesen und RussenVorläufer des Hanyu Pinyin, war ab 1941 offiziell im Machtbereich der KPCh
Mandarin Phonetic Symbols II
(kurz: MPS II oder MPS2)
lateinischwar von 1986 bis 2002 offizielle Umschrift in der Republik China (Taiwan)
Tongyong PinyinlateinischYu Bor-chuanwar von 2002 bis 2008 offizielle Umschrift in der Republik China (Taiwan)
Umschriftsystem der Chin. Post
(kurz: Post)
lateinischvon 1906 bis weit ins 20. Jahrhundert Standardumschrift für Ortsnamen
außer Gebrauch:
Couvreur-SystemlateinischSéraphin Couvreurverwendet in dem bedeutenden »Dictionnaire classique de la langue chinoise« (1890)
EFEO-Transkription
(Vissière-System)
lateinischArnold Vissièrevereinfachte Version der Transkription von Couvreur, 1902 von der École française d’Extrême-Orient publiziert
Franke-SystemlateinischOtto Frankeverwendet in Geschichte des chinesischen Reiches u. a.
Karlgren-SystemlateinischBernhard Karlgren
Legge-SystemlateinischJames Leggeverwendet für die Sacred Books of the East, zum Beispiel in den Sacred Books of China
Lessing-Othmer-SystemlateinischFerdinand Lessing, Wilhelm Othmerauch als Wilhelm-Lessing’sches System bezeichnet; 1911 im deutschen Pachtgebiet zum Standard erhoben
Needham-SystemlateinischJoseph Needhammodifiziertes Wade-Giles-System, verwendet in Science and Civilisation in China
Stange-SystemlateinischHans Otto Heinrich Stangeverwendet in: Rüdenberg: Chinesisch-Deutsches Wörterbuch
Unger-SystemlateinischUlrich Ungerberücksichtigt teilweise die mittelchinesische Aussprache
Wieger-SystemlateinischLéon Wiegeraußer Gebrauch
Yale-System
(Yale Mandarin)
lateinischGeorge A. Kennedy1943 entwickelt, verwendet bis in die 1970er
für andere chinesische Sprachen / Dialekte:
Barnett-Chao-SystemlateinischZhao Yuanren, K. M. A. Barnettfür Kantonesisch, angelehnt an Gwoyeu Romatzyh, auch SOAS-System genannt
Cantonese PinyinlateinischPater Yu, Ping Chiu (1971);
Zhan, Bohui – HKU & Education Bureau of Hong Kong (verbessert)
für Kantonesisch, einzig amtlich anerkannt von der HKEAA (Hong Kong Examinations and Assessment Authority) bzw. EDB (Education Bureau); in Hongkonger Schulen allgemein gelehrtes und von der Prüfungsbehörde benutztes System
Chao-System (Kantonesisch)lateinischZhao Yuanrenfür Kantonesisch, angelehnt an Gwoyeu Romatzyh, verwendet u. a. in dem Lehrbuch Cantonese Primer (1947)
Guangdong RomanizationlateinischGuangdong Provincial Education Department (1960)für Verwendung bei verschiedene Regiolekten in Guangdong, also Kantonesisch, Teochew, Hakka und den Hainan-Dialekt
Hong Kong Government Cantonese Romanisation (inoffizielle Bezeichnung)lateinischHong Kong Governmentfür Kantonesisch, Verwendung ausschließlich für amtliche Transkription von Personennamen und Toponymen in Hongkong
JyutpinglateinischLinguistic Society of Hong Kongfür Kantonesisch, findet neben der Yale-Romanisierung für Kantonesisch große Verbreitung, insb. durch die CUHK bzw. HKU
Langjin Pin’in
(„Nanking-Lautumschrift“)
lateinischfür den Nanking-Dialekt des Mandarin im Hànyǔ fāngyán fāyīn zìdiǎn漢語方言發音字典 Aussprachewörterbuch chinesischer Dialekte‘
Macau Government Cantonese Romanization (inoffizielle Bezeichnung)lateinischMacau Governmentfür Kantonesisch, Verwendung ausschließlich für amtliche Transkription von Personennamen und Toponymen in Macau
Meyer-WempelateinischMissionare in Hongkongfür Kantonesisch
Pe̍h-ōe-jī
(kurz: POJ)
lateinischMissionare in Taiwanfür Min Nan
Sidney-Lau-System
(kurz: S.L.)
lateinischSidney Lau Sek-cheungfür Kantonesisch
S.-L.-Wong-System
(kurz: S.L. Wong)
lateinischWong Shik-Lingfür Kantonesisch
Standard Romanization (Cantonese)lateinischMissionare in Südchina (ca. 1888)für Kantonesisch, Verwendung insb. bei British and Foreign Bible Society, China Baptist Publication Society, Pakhoi Mission Press
Yale-System
(Yale Cantonese)
lateinischParker Po-fei Huang, Gerard P. Kok – Yalefür Kantonesisch, Verwendung insbesondere bei englischsprachigen ausländischen Studenten bzw. an der Chinese University of Hong Kong (CUHK), University of British Columbia, Universität Tokio bzw. Yale University
für spezielle Zwecke:
chinesische BrailleschriftBrailleschriftBlindenschrift, angelehnt an Zhuyin Fuhao
IPA-LautschriftIPA-LautschriftIPAkein orthographisch festgelegtes System; zu verschiedenen Zwecken werden unterschiedliche Stile benutzt, z. B. „weite“ (phonemische) vs. „enge“ (allophonische) Transkriptionen
Anmerkung

Die dunganische Sprache wird mit kyrillischen Buchstaben geschrieben – als offizieller Schrift, nicht als Transkription derselben.

Literatur

  • Ireneus László Legeza: Guide to transliterated Chinese in the modern Peking dialect. Leiden: Brill, 2 Bände, 1968–1969.
    • Band 1: Conversion tables of the currently used international and European systems with comparative tables of initials and finals.
    • Band 2: Conversion tables of the outdated international and European individual systems with comparative tables of initials and finals.
  • Klaus Kaden: Die wichtigsten Transkriptionssysteme für die chinesische Sprache. Eine Einführung zum Selbststudium (VEB Verlag Enzyklopädie, Leipzig 1975).