Liste der Stolpersteine in der Provinz Como

Stolperstein in Appiano Gentile

Die Liste der Stolpersteine in der Provinz Como enthält die Stolpersteine in der italienischen Provinz Como in der Lombardei, die an das Schicksal der Menschen aus dieser Provinz erinnern, die von den Nationalsozialisten ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die Stolpersteine (italienisch pietre d’inciampo) wurden von Gunter Demnig verlegt. Die Stolpersteine liegen im Regelfall vor dem letzten selbstgewählten Wohnort des Opfers.

Der erste Stolperstein in dieser Provinz wurde am 16. Januar 2020 in Appiano Gentile verlegt.

Jüdische Geschichte

Michele Carcano (1427–1484) war ein antisemitischer Hassprediger, später seliggesprochen, der von Dorf zu Dorf zog um seine Botschaften zu verbreiten. Er beendete quasi im Alleingang die Ansiedlungsbemühungen von einigen wenigen Juden in der Nordlombardei. Er, der unter dem Namen Montes Pietatius ein eigenes Banksystem aufbaute, wetterte gegen den Wucher, den er den Juden unterstellte und mit dem er sie gleichsetzte. 1488 wurden neun Juden in einem Schauprozess zum Tode durch Enthauptung verurteilt, darunter Salomone di Como. Das Urteil für weitere jüdische Angeklagte lautete auf Vertreibung – „al bando del ducato“. Zwar wurden die Todesurteile später abgewandelt, doch für Jahrhunderte wussten Juden, was ihnen drohte, wenn sie sich in dieser Provinz ansiedelten.[1][2]

Bislang wurden in dieser Provinz Como drei Stolpersteine verlegt, einer für einen Widerstandskämpfer, ein Stolperstein für einen in Rom geborenen Juden sowie einen weiteren für eine aus Florenz stammende Jüdin, beide kamen in den 1930er und 1940er Jahren aus beruflichen Gründen in die Provinz Como.

Liste der Stolpersteine

Appiano Gentile

In Appiano Gentile wurde ein Stolperstein verlegt.

StolpersteinÜbersetzungStandortName, Leben
HIER WOHNTE
CHERUBINO
FERRARIO
GEBOREN 1900
VERHAFTET 24.4.1944
INTERNIERT IN FOSSOLI
DEPORTIERT 1944
MAUTHAUSEN
ERMORDET 22.4.1945
Piazza De MediciCherubino Ferrario wurde 1900 geboren. Er war Drucker, arbeitete in Mailand und spielte in der Kapelle seiner Heimatstadt. Ferrario war verheiratet und hatte zwei Kinder. Am 24. April 1944 wurde er von deutschen Soldaten in der Druckerei Sady Francinetti verhaftet, in der antifaschistische Flugblätter und Schriften gedruckt wurden. Zusammen mit anderen in der Druckerei verhafteten wurde er im Durchgangslager Fossoli interniert und mit dem Aufbau der Lagerdruckerei beauftragt. Das beschlagnahmte Material dazu stammte aus der Druckerei in der Ferrario in Mailand gearbeitet hatte. Nach der Auflösung des Lagers in Fossoli Ende Juli 1944 wurde er mitsamt der Druckerei in das Durchgangslager Bozen gebracht und baute dort erneut die Lagerdruckerei auf. Wenige Tage danach, am 5. August 1944, wurde er in das KZ Mauthausen deportiert und landete schließlich im Außenlager Gusen. Dort musste er Zwangsarbeit verrichten. Cherubino Ferrario starb am 22. April 1945 an Erschöpfung und Unterernährung.[3][4][5][6]

In Appiano Gentile erinnert auch eine Straße an ihn, die Via Ferrario Cherubino.

Como

In Como, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, wurde ein Stolperstein verlegt.

StolpersteinÜbersetzungStandortName, Leben
HIER WOHNTE
ALDO RAFFAELLO
PACIFICI
GEBOREN 1894
VERHAFTET 7.12.1943
INHAFTIERT
COMO, VARESE, FIRENZE
INTERNIERT IN FOSSOLI
DEPORTIERT 1944
AUSCHWITZ
ERMORDET 8.8.1944
Via Brogeda, 11Aldo Raffaello Pacifici wurde am 23. Dezember in Florenz geboren. Seine Eltern waren David Pacifici und Germana Foà. Er hatte zumindest einen jüngeren Bruder, Goffredo, geboren am 8. Januar 1900 ebenfalls in Florenz. Er kämpfte im Ersten Weltkrieg und wurde zweimal verwundet. Im Lazarett lernte er Antonietta Castellini kennen, eine Krankenschwester, die er heiratete. Das Paar hatte zwei Kinder, darunter der Sohn Dino. Als Kriegsversehrter wurde er Zollbeamter und war mit seiner Familie zuerst in Genua stationiert, danach in Mailand und schließlich in Ponte Chiasso. 1938 verlor er aufgrund der italienischen Rassengesetze seinen Arbeitsplatz und seine Kinder durften nicht mehr zur Schule gehen. Er versuchte noch in letzter Minute in die Schweiz zu flüchten. Pacifici wurde am 7. Dezember 1943 in Viconago nahe Ponte Tresa von italienischen Sicherheitskräften festgenommen und zuerst im Gefängnis von Como inhaftiert, dann in Varese und Florenz, schließlich im Durchgangslager Fossoli. Zwischenzeitlich hätte sich eine Möglichkeit der Flucht ergeben, da er aber die Lage seines bei Militär dienenden Sohnes nicht gefährden wollte, blieb er. Aus Fossoli versuchte er einen legalen Weg der Entlassung zu finden, sein Fall sollte noch einmal geprüft werden, doch dazu kam es dann nicht mehr. Am 2. August 1944 wurde er mit Transport 14 über Verona in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Aldo Raffaello Pacifici wurde dort laut CDEC am 6. August 1944, unmittelbar nach seiner Ankunft, vom NS-Regime in einer Gaskammer ermordet. Die Tragik seines Sterbens wurde von einem Enkelsohn Aldo Pacifici wie folgt beschrieben: "... verbannt von einem Staat, an welchen er glaubte," einem Staat, dem er im Kriege als Soldat diente und danach in Friedenszeiten als loyaler Beamter.[7][8]

Auch sein Bruder wurde im Rahmen der Shoah vom NS-Regime ermordet, ebenso sein Cousin Spartaco.[9][10]

Mariano Comense

In Mariano Comense wurde ein Stolperstein verlegt.

StolpersteinÜbersetzungStandortName, Leben
HIER WOHNTE
ANNA MARIA
TERRACINA
GEBOREN 1900
VERHAFTET 2.12.1943
DEPORTIERT
AUSCHWITZ
ERMORDET 26.2.1944
Via IV Novembre, 65Anna Maria Terracina wurde am 6. August 1900 in Rom geboren. Sie wurde auch Nina genannt. Ihre Eltern waren Giacomo Terracina (1865–1929) und Giulia Consolo (1868–1944). Sie hatte drei Brüder: Vittorio, Fernando und Aldo Manlio. Terracina absolvierte eine Ausbildung zur Lehrerin und unterrichtete an der Jüdischen Schule in Rom. 1927 heiratete sie Mordechai Luigi Ventura aus Pisa, einen Chemiker. Das Paar hatte vier Kinder: Miriam, später Sulamit Miriamt (geboren am 22. Februar 1928 in Mailand), Saul, später Shaul Ben Torah (geboren 1930), Daniele (geboren 1936) und Emanuele (geboren am 1. Oktober 1939 in Viareggio in der Toskana). Die Familie lebte zuerst in Mailand, dann in Venedig, später in Rom, wo ihr Ehemann eine Führungsfunktion am Istituto Poligrafico e Zecca dello Stato annahm, der staatlichen Münzprägeanstalt Italiens. Aufgrund der italienischen Rassengesetze von 1938 verlor er seine Stellung und die Familie flüchtete in der Schweiz. Dort bekam Luigi Ventura jedoch keine Arbeitserlaubnis. Vier Monate später beschloss das Ehepaar, dass der Mann nach Paris gehen werde, wo er Arbeit in der Flugzeugindustrie fand, Anna Maria Terracina, inzwischen wieder schwanger, mit den Kindern hingegen nach Italien zurückkehren werde. Terracina wurde am 2. Dezember 1943 in Mariano Comense, wo die Familie lebte, verhaftet, als sie Medikamente für ihre Mutter aus der bisherigen Wohnung holen wollte. Es gelang ihr auf wundersame Weise, ihren Diamantring und den Pelzmantel der Familie zukommen zu lassen um deren Lebensunterhalt zu sichern. Sie war zuerst im Gefängnis von Como inhaftiert, danach im Lager Fossoli. Dort langte auch ihre Mutter ein, die nach kurzer Haft am 5. Februar 1944 ihr Leben verlor. Anna Maria Terracina wurde am 22. Februar 1944 nach Auschwitz deportiert und dort unmittelbar nach der Ankunft in einer Gaskammer ermordet.[11] Ihr Ehemann starb bei einem Bombenangriff, ihr jüngster Sohn Emanuele starb im Januar 1945:
  • Ihre Mutter Giulia Consolo wurde am 25. März 1968 in Alexandria, Ägypten, geboren. Ihre Eltern waren Leone Consolo und Anna Trevi. Sie wurde Lehrerin und heiratete Giacomo Terracina. Das Paar hatte vier Kinder: Vittorio (geboren am 16. April 1897), Fernando (geboren am 17. Januar 1899), Anna Maria und Aldo Manlio (geboren am 8. April 1904), die alle in Rom zur Welt kamen. Im Dezember 1943 lebte sie im Familienverband ihrer Tochter in Mariano Comense und fühlte sich unwohl. Als ihre Tochter für sie Medikamente holen wollte, wurde sie verhaftet. Giulia Consolo fühlte sich schuldig, stellte sich den Behörden, wurde ebenfalls verhaftet und in das Lager Fossoli eingeliefert. Dort verlor sie am 4. Februar 1944 ihr Leben, sie starb in den Armen ihrer Tochter.[12]
  • Mordechai Luigi Ventura wurde am 17. Januar 1900 in Pisa geboren. Seine Eltern waren Arturo Ventura und Angelica Bassano Ventura. Er hatte drei Schwestern, Giulia Ester und Ida, sowie die Halbschwester, Emilia oder Amelia Bertelli Pacifici. Er heiratete Anna Maria Terracina. Das Paar hatte vier Kinder. Er studierte Chemie, arbeitete aber schließlich in mehreren Führungsfunktionen in Mailand, Venedig und Rom. Aufgrund der Italienische Rassengesetze|italienischen Rassengesetze von 1938 verlor er seine Stellung und flüchtete mit der Familie in der Schweiz. Als er dort keine Arbeitserlaubnis bekam, beschlossen die Eheleute, dass seine Frau mit den Kinder nach Italien zurückkehren würden, er hingegen in Paris eine Anstellung in der Flugzeugindustrie annehmen werde um den Unterhalt der Familie zu sichern. Nach der Invasion deutscher Truppen in Paris fuhr er mit dem Fahrrad zurück nach Italien, damals eine Strecke von rund 1.800 Kilometer. Nach zahlreichen Umzügen fand die Familie ein Zuhause in Mariano Comense. Ventura fand Arbeit beim lokalen Gaswerk und die Kinder gingen in Mailand in die jüdische Schule. Als es hieß, dass sich alle Juden bei den Carabinieri melden sollten, flüchtete die Familie in ein Versteck unweit der bisherigen Wohnung. Da die Medikamente für die Großmutter, die bei der Familie lebte, vergessen worden waren, ging seine Frau zurück um sie zu holen. Sie wurde verhaftet und im Lager Fossoli interniert. Trotz Bemühungen gelang es Luigi Ventura nicht seine Frau freizubekommen. Aber er konnte sich selbst und alle vier Kinder vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu retten. Ventura versteckte sich mit den Kindern in der Toskana. Seine Schwiegermutter wurde verhaftet und verlor ihr Leben im Lager Fossoli. Seine Ehefrau und seine Mutter wurden nach Auschwitz deportiert und in einer Gaskammer ermordet. Mordechai Luigi Ventura starb an den Folgen von Verletzung durch einen alliierten Bombenangriff am 25. Mai 1944 in Pietrasanta. Seine Kinder konnten die Shoah überleben, doch verstarb der Jüngste Sohn, Emanuele, kurz nach der Befreiung von Florenz am 9. Januar 1945 an einer schweren Krankheit. Auch seine beiden Schwestern überlebten die deutsche Besatzung Italiens.[13]
  • Emanuele Ventura wurde am 1. Oktober 1939 in Viareggio in der Toskana geboren. Seine Eltern waren Luigi Ventura und Anna Maria Terracina. Er hatte drei ältere Geschwister, Miriam, Saul und Daniele. Er verlor zuerst Mutter und Großmutter, beide verhaftet Ende 1943 und im Folgejahr vom NS-Regime ermordet, schließlich auch den Vater nach einem Bombenangriff im Mai 1944. Emanuele Ventura wurde von seinen Geschwistern versorgt, erkrankte jedoch schwer und starb – kurz nach der Befreiung von Florenz – am 9. Januar 1945 ebendort.

Die drei älteren Kinder von Luigi Ventura und Anna Maria Terracina konnten die Shoah überleben. Nach dem Tod der Eltern, der Großmutter und des jüngsten Bruders emigrierten sie – im Alter von 17, 15 beziehungsweise 9 Jahren – im März 1945 nach Palästina und gründeten Familien. Miriam arbeitete als Verkäuferin in der Damenmodenbranche, Saul wurde Gärtner, später Lehrer, Daniel Ökonom.[14]

Verlegedaten

Die Stolpersteine der Provinz Como wurden von Gunter Demnig an folgenden Tagen verlegt:

Bei der Verlegung des Stolpersteines für Cherubino Ferrario in Appiano Gentile waren mehr als 200 Personen anwesend, darunter seine Tochter Mariuccia.[15]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Pier Francesco Fumagalli: Roma e Gerusalemme, Edizioni Mondadori 2010
  2. Annie Sacerdoti und Annamarcella Tedeschi Falco: Lombardia: itinerari ebraici, i luoghi, la storia, l’arte, Marsilio 1993, S. 27f
  3. Prima Como: Ad Appiano Gentile posata un pietra d’inciampo in ricordo di Cherubino Ferrario, Beitrag von Miriam Ballerini, 27. Januar 2020
  4. PIETRA D’INCIAMPO all’appianese Cherubino Ferrario, abgerufen am 13. September 2020
  5. Pietra d'inciampo in memoria di Cherubino Ferrario, abgerufen am 13. September 2020
  6. Costantino Di Sante: Criminali del campo di concentramento di Bolzano. Deposizioni, disegni, foto e documenti inediti. Edizioni Raetia, Bozen 2019, ISBN 978-88-7283-674-3, S. 264–265
  7. Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea: Pacifici, Aldo, abgerufen am 15. September 2020
  8. EspansioneTV: Una pietra d’inciampo in memoria di Pacifici, il nipote: “Allontanato da quello Stato in cui aveva creduto”, Beitrag von Silvia Legnani, 22. Januar 2020
  9. Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea: Pacifici, Goffredo, abgerufen am 15. September 2020
  10. ComoZero: Aldo Pacifici, da Como ad Auschwitz. Il nipote: “Si combatta ogni forma di discriminazione”, 27. Januar 2020 (mit einer Fotografie des Opfers)
  11. Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea: Terracina, Anna Maria, abgerufen am 20. September 2020
  12. Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea: Consolo, Giulia, abgerufen am 20. September 2020
  13. Mia madre Anna Terracina Ventura auf der Website von Daniel Ventura, abgerufen am 20. September 2020 (mit Fotografien der Familie und einer Zeichnung, die seine Mutter zeigt)
  14. Sara Berger, Sanela Schmid, Erwin Lewin, Maria Vassilikou (Hg.): Besetztes Südosteuropa und Italien, B. 14: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Walter de Gruyter 2017, S. 262
  15. Prima Como: Posata la pietra d’inciampo in memoria di Cherubino Ferrario, 16. Januar 2020

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Stolperstein für Anna Maria Terracina