Liste der Stolpersteine in Rheinsberg

(c) Christian Michelides, CC BY-SA 4.0
Stolpersteine in Rheinsberg

Diese Liste der Stolpersteine in Rheinsberg enthält die Stolpersteine, die im Rahmen des gleichnamigen Kunstprojekts von Gunter Demnig in der Kernstadt Rheinsberg im brandenburgischen Landkreis Ostprignitz-Ruppin verlegt wurden. Auf der Oberseite der Betonquader mit zehn Zentimeter Kantenlänge ist eine Messingtafel verankert, die Auskunft über Namen, Geburtsjahr und Schicksal der Personen gibt, derer gedacht werden soll. Die Steine sind in den Bürgersteig vor den ehemaligen Wohnhäusern der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eingelassen. Mit ihnen soll Opfern des Nationalsozialismus gedacht werden, die in Rheinsberg lebten und wirkten.

Juden in Rheinsberg

Im beginnenden 19. Jahrhundert lebten nur sehr wenige jüdische Familien in Rheinsberg, zur Jahrhundertwende waren es immerhin zehn. Eine eigenständige jüdische Gemeinde gab es hier nie. 1819 wurde erstmals ein Friedhof angelegt. Ende der 1920er Jahre lebten noch vier jüdische Familien im Ort.[1]

Verlegte Stolpersteine

In Rheinsberg wurden 13 Stolpersteine an fünf Anschriften verlegt.

StolpersteinInschriftStandortName, Leben
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HIER WOHNTE
IDA HIRSCHFELD
GEB. GIMPEL
JG. 1856
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1943 BERLIN
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 28.3.1943
Berliner Straße 12
Ida Hirschfeld geb. Gimpel wurde am 31. Dezember 1856 in Neubukow, in der Nähe von Rostock, geboren. Sie heiratete Julius Hirschfeld, Mitglied der ältesten, mindestens seit 1835 in Rheinsberg ansässigen jüdischen Familie.[2] Sie wurde so zur Tante von Rosa Hirschfeld. Ihr Ehemann war erster Beigeordneter von Rheinsberg. Er starb 1918, sie aber blieb in der Stadt. Im Alter von 86 Jahren wurde ihr im Februar 1943 mitgeteilt, dass sie demnächst deportiert würden werde. Zuvor jedoch sollte sie ein umfassendes Vermögensverzeichnis ablegen, auf 16 Seiten. Am 10. Februar wurde sie vom Ortspolizisten abgeholt und zum Bahnhof geleitet. Sie kam in ein Berliner Sammellager, in dem 55.000 Menschen auf ihre Deportation warteten. Am 17. März 1943 wurde sie mit dem Transport I/90 nach Theresienstadt deportiert.[3] Ihre Gefangenennummer auf diesem Transport war 11306.[4] Es war der bis dahin größten Transport mit insgesamt 1282 Frauen und Männern in Viehwaggons. Ida Hirschfeld verlor ihr Leben am 28. März 1943, zehn Tage nach der Abfahrt.[5][6][7]
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HIER WOHNTE
ROSA HIRSCHFELD
JG. 1867
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
TOT 3.3.1941
Schlossstraße 9
(Ecke Lange Straße)
Rosa Hirschfeld hat „ein sehr unauffälliges Leben geführt“, konstatierte Peter Böthig. Sie wurde am 4. November 1868 im pommerschen Altwarp geboren. Sie blieb unverheiratet. In Rheinsberg wohnten ihre Tante Ida und ihr Onkel Julius. Wann sie zu ihnen zog, ist nicht bekannt, es muss aber spätestens Anfang 1933 gewesen sein, denn aus einer Volks-, Berufs- und Betriebszählung dieses Jahres geht hervor, dass drei Frauen mit dem Namen Hirschfeld in besagtem Haus wohnten. Ab Sommer 1938 war sie finanziellen Repressalien ausgesetzt und musste ihre ausländischen Wertpapiere abgeben. Ihr Vermögen bestand aus 1000 Mark russische Staatsanleihe, 1020 Mark ungarische Kronenrente sowie 1000 RM Barvermögen. Künftig benötigte sie die Zustimmung der Reichsbank, um über ihr Vermögen verfügen zu dürften. Als Lebensunterhalt wurden ihr nur 100 Reichsmark monatlich genehmigt, doch fand sie damit nicht ihr Auslangen und bat daher um eine Erhöhung; ob diese genehmigt wurde, ist nicht bekannt. 1939 wollte sie in ein Altenheim umziehen und musste auch dafür um eine Genehmigung ersuchen. Zu dem Umzug kam es nicht mehr, ab 1939 hatte sie eine Pflegerin namens Erna Perl. Als Rosa Hirschfeld am 3. März 1941 im Alter von 73 Jahren in ihrer Wohnung in Rheinsberg starb, hatte ihre Pflegerin die Stadt schon verlassen.[5][6]
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HIER WOHNTE
HANS HERRMANN
HOFFMANN
JG. 1908
FLUCHT 1934 HOLLAND
VERSTECKT ÜBERLEBT
Uferpromenade
(Villa Miralonda)
Hans Herrmann Hoffmann
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HIER WOHNTE
LUCIE
HOFFMANN
JG. 1885
FLUCHT 1939 HOLLAND
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 1943
AUSCHWITZ
ERMORDET 1943
Uferpromenade
(Villa Miralonda)
Lucie Hoffmann geb. Heller
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HIER WOHNTE
PETER PAUL
HOFFMANN
JG. 1910
FLUCHT 1933
BALTIKUM
1940 LETTLAND
SCHICKSAL UNBEKANNT
Uferpromenade
(Villa Miralonda)
Peter Paul Hoffmann
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HIER WOHNTE
SIEGFRIED
HOFFMANN
JG. 1875
'SCHUTZHAFT' 1938
GEFÄNGNIS BERLIN
FLUCHT 1939 HOLLAND
TOT 26.9.1941
HILVERSUM
Uferpromenade
(Villa Miralonda)
Siegfried Hoffmann wurde am 9. Januar 1875 geboren. Er war Kaufhausunternehmer und führte zusammen mit Ernst Hoffmann ein Modegeschäft in der Friedrichstraße in Berlin. Mit ihm erwarb er 1923 die Villa Miralonda in Rheinsberg. Im Jahr 1938 erfolgte zuerst die Zwangsenteignung, wenige Monate später 1939 musste die Villa zwangsverkauft werden. Siegfried Hoffmann flüchtete in die Niederlande. Er starb am 26. September 1941 in Hilversum.[8]

Die Villa wurde nach ihrem Zwangsverkauf erst für junge Wiener Mädchen als Wohnunterkunft genutzt, dann durch den Wehrkreissanitätspark Berlin genutzt und schließlich als Unterkunft für französische Zwangsarbeiterinnen. Im Herbst 1945 wurde das Gebäude durch einen Brand zerstört. Erst 1990 erfolgte die Rückübertragung an Erben der Familie Hoffmann.[9]

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HIER WOHNTE
FRIEDA LEO
GEB. WARSCHAU
JG. 1890
FLUCHT 1933
FRANKREICH
MIT HILFE ÜBERLEBT
Dr.-Martin-Henning-Straße 32
Frieda Leo geb. Warschau
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HIER WOHNTE
GERHARD LEO
JG. 1923
FLUCHT 1933
FRANKREICH
MIT HILFE ÜBERLEBT
Dr.-Martin-Henning-Straße 32
Gerhard Leo
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HIER WOHNTE
DR. WILHELM LEO
JG. 1886
'SCHUTZHAFT' 1933
ORANIENBURG
FLUCHT 1933 FRANKREICH
INTERNIERT LES MILLES
GEFLOHEN
MIT HILFE ÜBERLEBT
Dr.-Martin-Henning-Straße 32
Wilhelm Leo

Der Journalist und Autor Maxim Leo ist sein Urenkel.

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HIER WOHNTE
ILSE POLLAK
GEB. LEO
JG. 1919
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1933 HAMBURG
FLUCHT 1934 FRANKREICH
INTERNIERT GURS
BEFREIT
Dr.-Martin-Henning-Straße 32
Ilse Pollak geb. Leo
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HIER WOHNTE
EDITH SCHAUWECKER
GEB. LEO
JG. 1921
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1933 HAMBURG
FLUCHT 1934 FRANKREICH
INTERNIERT GURS
BEFREIT
Dr.-Martin-Henning-Straße 32
Edith Schauwecker geb. Leo
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HIER WOHNTE
FELIX WEINSTOCK
JG. 1872
'SCHUTZHAFT' 1938
GEFÄNGNIS NEURUPPIN
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
BEFREIT
Lange Straße 19
Felix Weinstock wurde am 14. Oktober 1872 in Berlin geboren.[10] Er lernte des Handwerk des Vergolders und übernahm das Geschäft seines Vaters. Er heiratete Ida Hentschel. Das Paar hatte zumindest einen Sohn, James, geboren am 25. Oktober 1900 in Berlin. Von 1915 bis 1918 diente Felix Weinstock als Soldat im Weltkrieg und wurde mehrfach verwundet. Felix Weinstock und seine Frau kamen nach Rheinsberg und bauten sich dort ein Leben auf. Er wechselte mehrfach den Beruf. Eine Zeit lang führte er mit seiner Frau eine Gastwirtschaft, dann mit dem Sohn eine Bäckerei und Konditorei, später war er Handelsreisender. James Weinstock kaufte das Haus Lange Straße 19, laut Volkszählung vom Juni 1933 waren seine Eltern dort gemeldet. Sie wurden mehrfach Opfer antisemitischer Angriffe, wurden überfallen und beraubt. In der Pogromnacht des Jahres 1938 wurden Auto, Führerschein, Geld und Waren beschlagnahmt, das Ehepaar wurde im Sitzungssaal des Rathauses in „Schutzhaft“ genommen. Felix Weinstock, damals 66, wurde in das Neuruppiner Polizeigefängnis überstellt und kam erst nach drei Wochen Haft frei. Es folgten weitere Repressalien. 1941 erhielten die Eheleute den Deportationsbefehl. Sie wurden über Berlin nach Theresienstadt deportiert. Weinstock musste, trotz seines fortgeschrittenen Alters, 16 Stunden täglich in der Tischlerei arbeiten. Beide konnten die KZ-Haft überleben, in Lumpen bekleidet kehrten sie nach Rheinsberg zurück. Felix Weinstock musste darum kämpfen, sein Eigentum zurückzubekommen. Seine Frau starb 1951 in Rheinsberg, er selbst 1962. In seinen Aufzeichnungen findet sich folgender Satz:

„Worte sind zu arm, um das Leid der Todesangst zu schildern.“

Sein Sohn, James Weinstock, lebte in Berlin, wurde am 26. Oktober 1942 mit dem Transport No. 22 nach Riga deportiert und dort drei Tage später, unmittelbar nach der Ankunft, ermordet.[11] Seine Familie soll in Auschwitz ermordet worden sein.[5][6]

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HIER WOHNTE
IDA WEINSTOCK
GEB. HENTSCHEL
JG. 1878
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
BEFREIT
Lange Straße 19
Ida Weinstock geb. Hentschel[5][6]

Verlegungen, Vandalismus

  • 25. Mai 2020: Berliner Straße 12, Lange Straße 19, Schlossstraße 9
  • 13. Oktober 2020: Dr.-Martin-Henning-Straße 32, Uferpromenade (Villa Miralonda)

Verlegt wurden insgesamt 13 Steine, zuerst vier im Mai 2020 im Stadtzentrum und danach weitere neun in einer zweiten Verlegeaktion in der Dr.-Martin-Henning-Straße und an der Seepromenade. Für die Recherchen hauptverantwortlich war schließlich Peter Böthig, Leiter des Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum, unterstützt von Pfarrer Christoph Röhmhild von der Evangelischen Kirchengemeinde. Böthig hatte bereits 15 Jahren zuvor das Buch Juden in Rheinsberg – eine Spurensuche publiziert. Beim ersten Termin hielt der Museumsdirektor nicht nur die Ansprache, er musste die Steine mit Unterstützung des Bauhofs auch selbst verlegen, da Gunter Demnig COVID-19-bedingt abgesagt hatte.[5][2] An der zweiten Verlegung im Oktober 2020 nahmen Nachfahren der Familien Leo und Hoffmann aus England, Israel und den Niederlanden teil.

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Stolpersteine der Familie Hoffmann, deren Andenken man im Januar 2021 beschmutzte

In der zweiten Januarhälfte des Jahres 2021 wurden die Stolpersteine auf der Uferpromenade von unbekannten Tätern mit einem Hakenkreuz besprüht. Peter Böthig reagierte darauf mit diesem Satz: „Das ist eine Schande.“[12]

Weblinks

Commons: Stolpersteine in Rheinsberg – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Klaus-Dieter Alicke: Neuruppin (Brandenburg). In: jüdische-gemeinden.de. Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, abgerufen am 19. Februar 2021.
  2. a b Jürgen Rammelt: Ins Nachdenken stolpern. Auf Initiative der Kirchengemeinde und des Kurt-Tucholsky-Literaturmuseums wurden in Rheinsberg die ersten vier Stolpersteine verlegt. In: Die Kirche. Nr. 26, 28. Juni 2021, S. 8.
  3. Hirschfeld, Ida. In: Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden. Bundesarchiv; abgerufen am 2. Dezember 2021.
  4. Ida Hirschfeld in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer der Gedenkstätte Yad Vashem. Abgerufen am 19. Februar 2021.
  5. a b c d e Markus Kluge: Gedenken: Die ersten vier Stolpersteine in Rheinsberg verlegt. In: Märkische Oderzeitung. 25. Mai 2020, abgerufen am 8. Januar 2021.
  6. a b c d Celina Aniol: Erste vier Stolpersteine für Rheinsberg. In: stadtgeschichte.rheinsberg.de. Stadtgeschichte Rheinsberg e. V., 26. Mai 2020, abgerufen am 8. Januar 2021 (aus: Märkische Allgemeine. 26. Mai 2020).
  7. Hirschfeld, Ida. In: Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden. Bundesarchiv; abgerufen am 19. Februar 2021.
  8. Die Website Märkische Landsitze des Berliner Bürgertums nennt als Literatur den Aufsatz von Stefanie Oswalt u. a.: Siegfried Hoffmann und die Villa Miralond. In: Peter Böthig u. a. (Hrsg.): Juden in Rheinsberg. Eine Spurensuche. Ed. Rieger, Karwe 2005, ISBN 3-935231-71-7.
  9. Siehe den Text der Informationstafel Stummer Stadtrundgang.
  10. Transportliste 270. In: arolsen-archives.org, Arolsen Archives, abgerufen am 19. Februar 2021 („Welle 35 – Alterstransporte 68–70 nach Theresienstadt 28.10.1942–30.10.1842“).
  11. James Weinstock in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer der Gedenkstätte Yad Vashem. Abgerufen am 2. Februar 2021 (Quelle: Gedenkbuch des Bundesarchivs).
    Weinstock, James. In: Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden. Bundesarchiv; abgerufen am 2. Dezember 2021.
  12. Stolpersteine in Rheinsberg mit Hakenkreuz beschmiert. In: Märkische Allgemeine. 25. Januar 2021, abgerufen am 28. Januar 2021 (Artikelanfang frei abrufbar).

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Stolperstein für Ilse Pollak
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