Lisdexamfetamin

Strukturformel
Allgemeines
FreinameLisdexamfetamin
Andere Namen
  • (2S)-2,6-Diamino-N-[(2S)-1-phenylpropan-2-yl]hexanamid (IUPAC)
  • (all-S)-2,6-Diamino-N-(1-phenylpropan-2-yl)hexanamid
SummenformelC15H25N3O
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
PubChem11597698
ChemSpider9772458
DrugBankDB01255
WikidataQ6558704
Arzneistoffangaben
ATC-Code

N06BA12

Wirkstoffklasse

indirektes Sympathomimetikum

Wirkmechanismus

Noradrenalin/Dopamin-Freisetzung

Eigenschaften
Molare Masse263,38 g·mol−1
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung
keine Einstufung verfügbar[1]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Lisdexamfetamin (LDX) ist eine synthetisch hergestellte Prodrug aus der Stoffgruppe der Amphetamine.

Die Substanz wird als Arzneistoff zur Behandlung von ADHS verwendet. In Deutschland ist es für Kinder und Jugendliche ab 6 Jahren zugelassen, die auf eine Therapie mit Methylphenidat unzureichend angesprochen haben, seit Februar 2019 auch als Erstlinientherapie für Erwachsene. In der Schweiz ist Lisdexamfetamin für Kinder und Jugendliche sowie für Erwachsene bis 55 Jahren zugelassen, vorausgesetzt, dass eine Therapie mit Methylphenidat fehlschlug.[2][3]

Nachdem zwei Studien in der Indikation „Depression (bei Erwachsenen)“ erfolglos verliefen, erklärte der Hersteller Shire plc im Februar 2014, das klinische Entwicklungsprogramm für Lisdexamfetamin nicht länger fortzusetzen.[4]

Wirkungsmechanismus

Lisdexamfetamin ist ein Abkömmling des Dexamfetamins (D-Amphetamin), wobei dessen primäre Aminogruppe über eine Amidbindung kovalent mit der Carboxygruppe der Aminosäure L-Lysin verknüpft ist. Arzneilich verwendet wird das Lisdexamfetamindimesilat, ein Salz der Methansulfonsäure.

Lisdexamfetamin ist ein pharmakologisch nicht aktives Prodrug und wird nach der Einnahme im Magen-Darm-Trakt rasch resorbiert. Erst dann findet vor allem an den Erythrozyten die Spaltung in Lysin und Dexamfetamin statt, welches pharmakologisch aktiv ist. Dieser Prodrug-Effekt verlängert (bei Einnahme nach fettreicher Mahlzeit) die Zeit, bis die maximale Konzentration im Blut erreicht ist: Für D-Amphetamin nach LDX-Einnahme beträgt sie 3,5 Stunden, für Amphetamin im Normalfall nur 2 Stunden. Die Wirkung hält je nach Patient zwischen 8 und 11 Stunden an.[5][6]

Der Mechanismus der therapeutischen Wirkung von Amphetaminen bei ADHS ist nicht vollständig geklärt. Vermutlich beruht er auf einer vermehrten Freisetzung von Noradrenalin und Dopamin in den synaptischen Spalt. Diese Ausschüttung wird vor allem durch eine Umkehr der Arbeitsrichtung der Dopamintransporter (DAT) bewirkt. Im Gegensatz zum Prinzip der Wiederaufnahmehemmung (wie etwa bei Methylphenidat) wird dabei der Transmitterspiegel unabhängig von der Aktivität der Nervenzelle erhöht.[7]

Pharmakokinetik

Nach oraler Einmalgabe wird Lisdexamfetamindimesilat rasch resorbiert. Spitzenspiegel traten bei Kindern nach ca. 1 Stunde auf. Bei der Biotransformation entstehen zunächst der aktive Hauptmetabolit Dexamfetamin – Spitzenspiegel unter Nüchternbedingungen ca. 3,5 Stunden (Kinder) bzw. 3,8 Stunden (Erwachsene) – und in der Folge weitere, ebenfalls aktive Metaboliten (Norephedrin, 4-Hydroxyamphetamin). Cytochrom-P450-Enzyme sind an der Biotransformation nicht beteiligt, werden aber zum Teil (CYP1A2, 2D6, 3A4) geringfügig gehemmt. Dadurch kann es zu Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen kommen, die über diese Stoffwechselwege metabolisiert werden. Nach oraler Gabe von radioaktiv markiertem Lisdexamfetamin an gesunde Probanden wurden innerhalb von 120 Stunden etwa 96 % der oral verabreichten Radioaktivität im Urin wiedergefunden. Die Halbwertszeit von Dexamfetamin beträgt ungefähr 11 Stunden.[8]

Nebenwirkungen

Die häufigsten Nebenwirkungen entsprechen denen anderer Stimulantien: verminderter Appetit, Schlafstörungen, Mundtrockenheit, Kopfschmerzen, Gewichtsabnahme und Oberbauchschmerzen.[5]

Anwendungsbeschränkungen

Auch die Anwendungsbeschränkungen sind vergleichbar mit denen für andere Stimulantien. Es besteht ein Potential für Missbrauch, jedoch soll dieses geringer ausgeprägt sein als das des aktiven Dexamfetamins, da die Spaltung des Amids nach intravenöser Gabe nur sehr langsam erfolgt.[9][10]

Bewertung

Frühe Nutzenbewertung nach AMNOG

Seit 2011 müssen sich in Deutschland neu zugelassene Medikamente mit neuen Wirkstoffen aufgrund von § 35a SGB V (AMNOG) einer „frühen Nutzenbewertung“ durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) unterziehen, wenn der pharmazeutische Hersteller einen höheren Verkaufspreis als nur den Festbetrag erzielen möchte. Nur wenn ein Zusatznutzen besteht, kann der Arzneimittelhersteller mit dem GKV-Spitzenverband einen Preis aushandeln.

Dies gilt auch für Lisdexamfetamin. In einer ersten Bewertung hält das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen einen Zusatznutzen von Lisdexamfetamin für nicht belegt gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (Strattera, Wirkstoff Atomoxetin).[11] Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sieht im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie keinen Zusatznutzen von Lisdexamfetamindimesilat.[12] Der G-BA folgte den Einschätzungen und traf im November 2013 den endgültigen Beschluss über das Ausmaß des Zusatznutzens, der die frühe Nutzenbewertung abschließt: „Zweckmäßige Vergleichstherapie zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störungen (ADHS) bei Kindern ab einem Alter von sechs Jahren im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie, wenn das Ansprechen auf eine zuvor erhaltene Behandlung mit Methylphenidat als klinisch unzureichend angesehen wird, ist: Atomoxetin. Ausmaß und Wahrscheinlichkeit des Zusatznutzens gegenüber Atomoxetin: Ein Zusatznutzen ist nicht belegt.“[13] Zum 1. Juni 2014 einigten sich der Hersteller Shire Deutschland und der GKV-Spitzenverband auf einen Erstattungsbetrag für das Arzneimittel in Deutschland.[14]

Kostenvergleich

Laut Arzneiverordnungs-Report für 2014 und 2015 waren die Kosten für Elvanse pro definierter Tagesdosis deutlich höher als für Methylphenidat-Produkte, aber niedriger als für Atomoxetin (Strattera).[15]

Das pharmakritische arznei-telegramm bemängelte 2013 das Fehlen von aussagekräftigen Daten für die zugelassene Indikation (Anwendung im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie zur Behandlung von ADHS bei unzureichendem Ansprechen auf Methylphenidat) und zu Sicherheitsvorteilen gegenüber Dexamfetamin. Die Therapiekosten mit Lisdexamfetamin seien erheblich teurer als mit retardiertem Methylphenidat (Concerta) oder Dexamfetamin (Attentin).[16]

Rechtslage

Lisdexamfetamin ist in Deutschland seit dem 17. Juli 2013[17] in der Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes aufgeführt und somit ein verkehrsfähiges und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel. Der Umgang ohne Erlaubnis oder Verschreibung ist grundsätzlich strafbar.

Auch die Schweiz kontrolliert den Handel, Umgang sowie die Verschreibung von Lisdexamfetamin im Rahmen des Betäubungsmittelgesetz.[18] Die entsprechende Verordnung des Innendepartements erfasst «Lisdexamphetamin» seit dem 1. Oktober 2014 im Verzeichnis a[19] und unterstellt die Substanz damit allen betäubungsmittelrechtlichen Kontrollmassnahmen.[20]

Fertigarzneimittel

Elvanse (D, A, CH), Elvanse Adult / Erwachsene (D, A, UK), Vyvanse (USA)

Situation in Deutschland: die Kapseln (Zulassungsinhaber: Shire Pharmaceuticals Ireland Limited, zugehörig zu Takeda Pharmaceutical) werden in Stärken von 20 bis 70 Milligramm (10-mg-Schritte) angeboten. Elvanse ist seit April 2013 zugelassen. Im Februar 2019 erfolgte die Zulassung des Präparates Elvanse Adult für erwachsene Patienten in den Stärken von 30, 50 und 70 Milligramm,[21] im Mai 2019 wurde es im Markt eingeführt.[22]

Situation in der Schweiz: In der Schweiz ist Elvanse seit März 2014 zugelassen.[2] Das Unternehmen Takeda Pharma AG bietet die Kapseln in Dosierungen von 20 bis 70 Milligramm (10-mg-Schritte) an.[23]

Situation in Österreich: Elvanse ist seit April 2016, Elvanse Erwachsene seit August 2017, jeweils in den Dosierungen 30, 50 und 70 Milligramm, zugelassen.[24]

Einzelnachweise

  1. Dieser Stoff wurde in Bezug auf seine Gefährlichkeit entweder noch nicht eingestuft oder eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  2. a b Elvanse®, Kapseln (Lisdexamphetamini dimesylas). (Memento vom 29. März 2017 im Internet Archive) Swissmedic, abgerufen am 8. Juni 2022.
  3. HCI Solutions AG: Elvanse ®. In: compendium.ch. Abgerufen am 6. April 2017.
  4. Shire Reports Top-line Results from Two Phase 3 Studies for Vyvanse® (lisdexamfetamine dimesylate) Capsules (CII) as an Adjunctive Treatment for Adults with Major Depressive Disorder. In: takeda.com: Shire News Releases. 6. Februar 2014, abgerufen am 8. Juni 2022.
  5. a b Otto Benkert u. a.: Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie. Springer 2016. ISBN 978-3-662-50333-1. S. 809f.
  6. Manfred Gerlach (Hrsg.): Neuro-/Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter: Grundlagen und Therapie. Springer 2016. ISBN 978-3-662-48624-5. S. 298 f.
  7. David Sulzer u. a.: Mechanisms of neurotransmitter release by amphetamines: a review. In: Progress in Neurobiology. Band 75, Nr. 6, 2005, S. 406–433, doi:10.1016/j.pneurobio.2005.04.003 (pharmacology.ucsd.edu (Memento vom 30. Juni 2010 im Internet Archive) [PDF]).
  8. Shire plc: Fachinformation Elvanse 20/30/40/50/60/70 mg Hartkapseln, Stand Oktober 2018.
  9. David W. Goodman: Lisdexamfetamine Dimesylate. The First Prodrug Stimulant. In: Psychiatry (Edgmont). Band 4, Nr. 8, August 2007, S. 39–45, PMID 20532026.
  10. Michael Pennick: Absorption of lisdexamfetamine dimesylate and its enzymatic conversion to d-amphetamine. In: Neuropsychiatric Disease and Treatment. Band 6, 2010, S. 317–327, PMID 20628632.
  11. Zusatznutzen von Lisdexamfetamin ist nicht belegt. In: IQWiG, Pressemitteilung. 2. September 2013, abgerufen am 8. Juni 2022.
  12. Stellungnahme der AkdÄ zu Lisdexamfetamindimesilat (Elvanse®). (PDF; 105 kB) Vorlage zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme zur Nutzenbewertung nach § 35a SGB V; abgerufen am 9. Oktober 2013.
  13. Nutzenbewertungsverfahren zum Wirkstoff Lisdexamfetamindimesilat, Beschluss des G-BA zur Nutzenbewertung nach § 35a SGB V; abgerufen am 6. Dezember 2013.
  14. Erstattungsbetrag für ADHS-Medikament steht – Keine Mehrkosten für die gesetzliche Krankenversicherung. Gemeinsame Pressemitteilung von Shire Deutschland GmbH und GKV-Spitzenverband, 2. Juni 2014.
  15. Nettokosten für Elvanse in Deutschland: 3,10 Euro (2014) und 2,73 Euro (2015). Aus: Arzneiverordnungs-Report 2015. (ISBN 978-3-662-47186-9. S. 968f.) und Arzneiverordnungs-Report 2016. (ISBN 978-3-662-50351-5. S. 683 f.)
  16. Neu auf dem Markt: Lisdexamfetamin (Elvanse) bei therapierefraktärem ADHS? In: arznei-telegramm, 13. September 2013.
  17. Kabinett beschließt 27. Betäubungsmittel-Änderungsverordnung. (PDF) Bundesministerium für Gesundheit, Pressemitteilung, 22. Mai 2013.
  18. Verordnung des EDI über die Verzeichnisse der Betäubungsmittel, psychotropen Stoffe, Vorläuferstoffe und Hilfschemikalien (Betäubungsmittelverzeichnisverordnung, BetmVV-EDI) vom 30. Mai 2011 (Stand am 30. November 2018). Abgerufen am 12. April 2019.
  19. Verordnung des EDI über die Verzeichnisse der Betäubungsmittel, psychotropen Stoffe, Vorläuferstoffe und Hilfschemikalien| Anhang 2, auf fedlex.admin.ch
  20. Änderung vom 5. September 2014 der Betäubungsmittelverzeichnisverordnung. (PDF; 120 kB) AS 2014 3011. In: Amtliche Sammlung. Bundeskanzlei, Eidgenössisches Departement des Innern, 5. September 2014, abgerufen am 11. Dezember 2019.
  21. Fachinformation Elvanse Adult 30 mg / 50 mg / 70 mg Hartkapseln, Shire Pharmaceuticals Ireland Limited. Stand: März 2019.
  22. Angriff auf Medikinet: Elvanse kommt Adult. apotheke adhoc, 7. Mai 2019.
  23. Elvanse®. In: swissmedicinfo.ch. Abgerufen am 8. Juni 2022.
  24. Elvanse. In: Arzneispezialitätenregister. Abgerufen am 8. Juni 2022.

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