Lessja Ukrajinka

Lessja Ukrajinka
Lessja Ukrajinka, 1888
Gruppenbild bei Eröffnung eines Denkmals für Iwan Kotljarewskyj in Poltawa 1903. Von links nach rechts: Mychajlo Kozjubynskyj, Wassyl Stefanyk, Olena Ptschilka, Lessja Ukrajinka, Mychajlo Staryzkyj, Hnat Chotkewytsch, Wolodymyr Samijlenko

Lessja Ukrajinka (ukrainisch Леся Українка, wiss. Transliteration Lesja Ukraïnka, eigentlich Лариса Петрівна КосачLaryssa Petriwna Kossatsch; * 13. Februarjul. / 25. Februar 1871greg. in Swjahel, Gouvernement Wolhynien, Russisches Kaiserreich; † 1. August 1913 in Surami, Gouvernement Tiflis, Russisches Kaiserreich) war eine ukrainische Dichterin, Dramatikerin und Übersetzerin. Ihr Werk umfasste anfangs folkloristische, traditionelle Lyrik, später impressionistische Naturlyrik bis hin zu historischer Dichtung. Es gilt als bedeutender Beitrag zur Neuromantik.

Leben

Als Tochter des Juristen Petro Kossatsch und der Schriftstellerin Olena Ptschilka genoss die Dichterin eine gute Bildung und kam früh mit Literatur und Kultur in Kontakt. Sie wurde insbesondere durch ihren Onkel mütterlicherseits, den Historiker und politischen Denker Mychajlo Drahomanow gefördert, wodurch sie bereits als Kind berühmte ukrainische Künstler wie den Dichter und Dramaturgen Mychajlo Staryzkyj und den Komponisten Mykola Lyssenko kennenlernen konnte. Mit neun Jahren schrieb sie ihre ersten Gedichte. 1884 erschienen in der Lemberger Zeitschrift Sorja zwei Gedichte; dort verwendete sie auch erstmals das Pseudonym Lessja Ukrajinka.

Trotz ihrer Neigung zur Musik und trotz ihres großen musikalischen Talents wandte sie sich wegen ihrer Tuberkulose-Erkrankung, mit der sie zeitlebens zu kämpfen hatte, der Literatur zu. Krankheitsbedingt besuchte sie auch keine öffentliche Schule, sondern wurde von ihrer Mutter und Drahomanow privat unterrichtet.

In ihren Gedichten spielten die Sehnsucht nach Freiheit ebenso wie folkloristische Sujets eine große Rolle. Aus ihrer Feder stammen zahlreiche Liedertexte, Balladen und Märchen. In dem Gedicht Contra Spem Spero! („Gegen die Hoffnung hoffe ich!“), das sich in ihrem Werk deutlich abhebt, kommt der ganze Kampfeswillen und der Optimismus zum Ausdruck, der sie trotz ihrer Krankheit nie verließ.

An dem 1892 in Lemberg erschienenen Buch der Lieder von Heinrich Heine war Lessja Ukrajinka mit 92 Übersetzungen beteiligt. Daneben übersetzte sie auch poetische Werke von Iwan Sergejewitsch Turgenew, Adam Mickiewicz und Victor Hugo, Macbeth von William Shakespeare, Dantes Inferno sowie Stücke von Byron und Gerhart Hauptmann. Um die ukrainische Sprache neben der russischen populär zu machen, wählte sie bewusst volksnahe Texte zur Übersetzung aus.

„Lesja Ukrajinka ist eine Dichterin, die der literarischen Übersetzung eine bedeutende Rolle für die Bildung des ukrainischen Volkes und die Entwicklung der ukrainischen Literatur zugemessen hat. Sie hat dafür theoretisch begründete Übersetzungspläne vorgelegt.“

Horst Röhling[1]

Als Mitglied der jungen Literaturgruppe Plejada veröffentlichte sie in Kyjiw Prosatexte zu historischen und anderen Themen. Von 1894 bis 1895 lebte sie bei ihrem Onkel Drahomanow in Bulgarien, wo sie den politischen Gedichtzyklus Unfreie Lieder schrieb. Später unterstützte sie die radikale galizische Presse und veröffentlichte in der Lemberger Zeitschrift Narod (Volk) satirisch-patriotische Texte.

1898 erschien in einer Literaturzeitschrift ein Artikel von Iwan Franko, der Lessja Ukrajinka in einem Atemzug mit Taras Schewtschenko nennt. 1900 machte sie in Sankt Petersburg Bekanntschaft mit der russischen Literaturszene und publizierte in der Zeitschrift Shizn (Leben) mehrere russischsprachige Artikel über deutsche, polnische und „kleinrussische“ Literatur.

Wegen ihrer angegriffenen Lungen musste sie immer wieder Kuraufenthalte einlegen, die sie durch ganz Europa und bis Ägypten führten, wo sie ihren Horizont erweitern und die vielfältigen Eindrücke in ihren Werken verarbeiten konnte.[2] Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schloss sie sich der sozialdemokratischen Bewegung an. Sie übersetzte sozialistische und marxistische Texte von Lenin, Karl Marx, Friedrich Engels u. a. Nach den revolutionären Ereignissen von 1905 schrieb sie mehr und mehr politische Satiren, in denen sie die Bourgeoisie kritisierte.

Ihre letzten Jahre verbrachte Ukrajinka in Georgien und Ägypten. Trotz ihrer fortschreitenden Krankheit dichtete sie unermüdlich bis zu ihrem Tod 1913. Ihr Leichnam wurde aus dem georgischen Surami nach Kyjiw überführt und auf dem Baikowe-Friedhof beigesetzt.

Familie

Lessjas Vater, der Staatsrat Petro Kossatsch, war Anwalt, Pädagoge und Philanthrop. Ihre Mutter, die Schriftstellerin Olena Ptschilka, war die Tochter des ukrainischen Dichters und Übersetzers Petro Drahomanow und Schwester des Historikers und politischen Denkers Mychajlo Drahomanow.

Ihre Geschwister waren der Physiker, Meteorologe, Schriftsteller und Übersetzer Mychajlo Kossatsch (Михайло Косач; 1869–1903), die Schriftstellerin, Literaturkritikerin, Übersetzerin, Lehrerin, Bibliografin und Ethnografin Olha Kossatsch-Krywynjuk (1877–1945), die Musikerin und Übersetzerin Oksana Kossatsch-Schymanowska (Оксана Петрівна Косач-Шимановська; 1882–1975), die Persönlichkeit des öffentlichen Lebens Mykola Kossatsch (Микола Петрович Косач; 1884–1937) und die Übersetzerin und Kulturaktivistin Isydora Kossatsch-Boryssowa (Ізидора Петрівна Косач-Борисова; 1888–1980).

Ehrungen (Auswahl)

Seit 1941 trägt das Nationaltheater des russischen Dramas in Kiew ihren Namen.[3] Im Stadtbezirk Petschersk der ukrainische Hauptstadt erhielten im Jahr 1965 eine Straße und ein Platz ihren Namen. Auf einem hohen Podest auf dem Platz wurde außerdem ein ihr gewidmetes Bronzedenkmal aufgestellt.[4]

In der Stadt Luzk gibt es die Lessja-Ukrajinka-Straße, an deren Ende ein Denkmal für Lessja Ukrajinka steht. Im Heimatmuseum von Luzk ist ein Raum für Lessja eingerichtet. In ihrem ehemaligen Wohnhaus in Kyjiw befindet sich heute ein ihr gewidmetes Museum.

Weitere Lessja-Ukrajinka-Denkmale finden sich in Kiew im Stadtgarten gegenüber dem Marienpalast und auf dem Lessja-Ukrajinka-Platz. Eine weitere, nach der Dichterin benannte Straße findet sich in Pripyat. 1952 schuf die georgische Bildhauerin Tamar Abakelia ein Denkmal in Surami zu ihren Ehren.

Lessja Ukrajinkas Konterfei ist seit 2001 auf der 200-Hrywnja-Banknote der Nationalbank der Ukraine abgebildet, seit 2007 ergänzt um die ersten beiden Verse eines Gedichts der Autorin („За правду, браття, єднаймось щиро, / Єдиний маєм правий шлях …“, etwa: Um der Wahrheit Willen, Brüder, lasst uns aufrichtig zusammenarbeiten. / Es gibt nur einen richtigen Weg …[5]).[6]

Am 30. August 2010 wurde auf Veranlassung der Ukrainischen Botschaft am Haus Johannisstraße 11 in Berlin-Mitte, wo Lessja Ukrajinka einen Klinikaufenthalt verbrachte, eine Gedenktafel zu ihren Ehren enthüllt.[7] Auch an einem Wohnhaus in der Florianigasse 7 in Wien wird ihrer mit einer Gedenktafel gedacht.

Ein Denkmal von Lessja Ukrajinka existiert am Ukrainskij Boulevard in Moskau. Im Jahr 2023 wurde das Denkmal zu einem Ort derer, die in Russland an die ukrainischen Kriegsopfer durch den russischen Überfall auf die Ukraine gedenken. Die Moskauer Polizei kontrolliert, dass die Trauernden keine Aufrufe zum Widerstand oder Photos von Kriegsschäden in der Ukraine niederlegen.[8]

Der im Jahr 2016 entdeckte Asteroid des inneren Hauptgürtels wurde nach ihr benannt: Lesya.[9]

Werke (Auswahl)

  • Dawnja kaska („Ein altes Märchen“, Versepos 1893)
  • Contra Spem Spero! (Gedicht, 1890)
  • W domu roboty, w krajini newoli („Im Arbeitshaus, im Land der Knechtschaft“, dramatischer Dialog, 1906)
  • Кассандра (1907)
    • Kassandra. Dramatische Dichtung. Ukrainisch und Deutsch. Übersetzt von Irena Katschaniuk-Spiech. Hrsg. von Ludger Udolph. [Mit einem Nachwort von Hans Rothe.[10] ] Thelem, Dresden 2007, ISBN 978-3-937672-97-7 (Reihe „Kleine slavische Bibliothek“)
Sondermünze der Nationalbank der Ukraine von 2011 anlässlich des 100. Publikationsjubiläums von Лісова пісня (Waldlied)
  • Lisova pisnja (1911)
    • Das Waldlied. Feerie in drei Akten. Ins Deutsche übertragen von Irena Katschaniuk-Spiech [bilinguale Ausgabe]. Zentrum der Nationalen Iwan-Franko-Universität, Lwiw 2006, ISBN 966-613-500-0
    • Das Waldlied. Ein Märchendrama in drei Akten. Für die dt. Bühne umgestaltet von Johannes von Guenther. Drei Masken Verlag, Berlin o. J. [1947]
    • Waldlied. Märchenspiel in drei Aufzügen. Deutsch von E. Bermann. Vorwort von Boris Jakubsky. [Mit Originalholzschnitten von O. Sachnowska]. Staatsverlag Literatur und Kunst der Ukraine, Charkiw und Kijiw 1931 (PDF, 1,9 MB auf chtyvo.org.ua)
  • Orhija („Die Orgie“, dramatisches Gedicht, 1913)

Außerdem auf Deutsch erschienen:

  • Die Not lehrt. Ukrainische Volksmärchen. Aus dem Ukrainischen von Wolodymyr Schelest. Mit Illustrationen von Petro Gulin. Verlag Dnipro, Kiew 1983
  • 13 Gedichte in: Безмежнеє поле / Unendliche Felder. Ukrainische Lyrik in deutscher Nachdichtung von Irena Katschaniuk-Spiech [bilinguale Ausgabe]. Ternopil, Bogdan 2010, ISBN 978-966-10-0339-1, S. 31–51 (djvu, 1,5 MB auf chtyvo.org.ua)

Die erste (zensierte) 10-bändige Werkausgabe aus den Jahren 1963 bis 1965 wurde anlässlich des 150. Geburtstags der Dichterin durch eine vollständige kritische 14-bändige Ausgabe ersetzt.[11] Die PDFs dieser Ausgabe sind über die Webseite des ukrainischen Buch-Instituts von Google Drive kostenlos abrufbar.[12]

Literatur

  • Jurij Bojko-Blochyn, Hans Rothe, Friedrich Scholz (Hrsg.): Lesja Ukrainka und die europäische Literatur. Böhlau, Köln et. al. 1994 (= Schriften des Komitees der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung der Slawischen Studien, Bd. 18), ISBN 3-412-04192-0.[13]
  • Irena Katschaniuk-Spiech: Das geistige Erbe von Lesja Ukrajinka [Monographie sowie ausgewählte Werke (ukrainisch-deutsch): Robert Bruce, König der Schotten. Episches Poem; Triptychon; Der Advokat Martian. Dramatisches Poem]. Ukrainische Freie Universität, München 2021, ISBN 978-3-7543-5150-5 (Buchvorschau bei Google Books; zu Inhalt und Autorin auf kulturkaufhaus.de).
  • Horst Röhling: Lesja Ukrajinka und ihre Übersetzungen aus slavischen Literaturen. In: Zeitschrift für Slavische Philologie, Nr. 1/1971, S. 41–91 (Digitalisat bei Jstor).
  • Khrystyna Bohonis: Lesja Ukrajinka als Übersetzerin aus dem Deutschen. Diplomarbeit, Universität Wien, 2012 (russisch, deutsche Kurzfassung im Anhang S. 107–116; PDF, 1 MB in der Phaidra-Collection der Universität Wien).

Weblinks

Commons: Lessja Ukrajinka – Sammlung von Bildern und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Horst Röhling: Lesja Ukrajinka und ihre Übersetzungen aus slavischen Literaturen. In: Zeitschrift für Slavische Philologie. Jg. 36, Nr. 1, 1971, S. 88.
  2. Alexander Kratochvil: Ukraïnka, Lesja. In: Kindlers Literatur Lexikon (KLL). J.B. Metzler, Stuttgart 2020, ISBN 978-3-476-05728-0, S. 1–1, doi:10.1007/978-3-476-05728-0_20078-1 (springer.com [abgerufen am 15. November 2023]).
  3. Eintrag zum Theater in der Enzyklopädie der Geschichte der Ukraine; abgerufen am 3. Dezember 2018 (ukrainisch).
  4. Kurzbiografie und Nennung aller Einrichtungen, die ihren Namen tragen, abgerufen am 10. Dezember 2022.
  5. За правду, браття, єднаймось щиро auf Wikisource.
  6. 200-Hrywnja-Banknote auf bank.gov.ua.
  7. Lessja Ukrajinka (Lesja Ukrainka) auf gedenktafeln-in-berlin.de.
  8. Christina Hebel: (S+) Russland: Wie Moskauer es trotz Polizeibewachung wagen, der Opfer des Raketenangriffs in Dnipro Ukraine zu gedenken. In: Der Spiegel. 20. Januar 2023, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 22. Januar 2023]).
  9. Lutz D. Schmadel: Dictionary of Minor Planet Names. Fifth Revised and Enlarged Edition. Hrsg.: Lutz D. Schmadel. 5. Auflage. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 2003, ISBN 3-540-29925-4, S. 186, doi:10.1007/978-3-540-29925-7_2617 (englisch, 992 S., Originaltitel: Dictionary of Minor Planet Names. Erstausgabe: Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 1992): “970 QV. Discovered 1970 Aug. 28 by T. M. Smirnova at Nauchnyj.”
  10. Laut Angaben aus der Verlagsmeldung auf den Seiten der DNB.
  11. Die 1500 Exemplare wurden als nichtkommerzielles Projekt des Buch-Institutes der Ukraine vom ukrainischen Staat gefördert, in Luzk von der Wolhynischen Nationalen Universität veröffentlicht und an Bibliotheken und diplomatische Institutionen weitergegeben, vgl. beispielsweise Mitteilung auf unian.ua vom 25. Februar 2021.
  12. Vgl. die Webseite des Buch-Instituts der Ukraine mit den Links zu den 14 Bänden der philologisch-kritischen Gesamtausgabe der Werke von Lessja Ukrajinka.
  13. Inhaltsverzeichnis (PDF, 39 KB) im Katalog der DNB.

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