Lesesozialisation
Die Eltern spielen bei der Lesesozialisation eine entscheidende Rolle, denn die Kinder übernehmen das von ihnen gezeigte Verhalten. Doch auch die außerhalb der Familie liegenden Institutionen (Schule und Freundeskreis) sind für das Leseverhalten verantwortlich. Da die Entwicklung des Lesens in Kindheit und Jugend von Sozialisationsfaktoren beeinflusst wird, untersucht die moderne Leseforschung die Verlaufsformen der „literarischen Sozialisation“. Das individuelle Leseverhalten ist sowohl von inneren (persönlichen) als auch von äußeren (gesellschaftlichen) Faktoren geprägt. Bei der Lesesozialisation lassen sich geschlechtsspezifische Unterschiede anhand des Lesestoffs und der Lesemotivation beobachten.
Lesen ist eine Form des sozialen Handelns, das in den unterschiedlichen Lebensphasen verschiedene Funktionen und Bedeutungen hat. Das spätere Leseverhalten wird schon in der Kindheit geprägt. Diese Prägungen des Leseverhaltens, ob ein Buch nun zur Unterhaltung oder zu der Vermittlung von Wissen genutzt wird, bleiben oft das ganze Leben lang bestehen. Die Bedeutung des Lesens hängt häufig mit der momentanen Lebensphase zusammen.
Es fällt schwer bestimmte Lesertypen anhand des Lesestoffes zu bestimmen, denn der Inhalt eines Buches kann bei den unterschiedlichen Lesern verschiedene Wirkungen verursachen. Die Typisierung des Lesestils sollte durch die Lesefunktion (dient das Buch zu der Aneignung von Wissen oder zur Unterhaltung) geschehen.
Sowohl die Leseintensität als auch die Bedeutung und die Art und Weise des Lesens ändern sich im Laufe des Lebens. Empirisch lassen sich in der Lesesozialisation erworbene Modi des Lesens unterscheiden: das pragmatische instrumentelle Lesen, das intime und das partizipierende Lesen, das Konzeptlesen, das diskursive und das ästhetische Lesen.[1]
Im Unterschied zur Sprache, die von den Kindern in der frühkindlichen Lebensphase eigenständig erlernt wird, muss das Lesen und Schreiben in pädagogischen Einrichtungen vermittelt werden. Anfangs ist für die Kinder das Lesen ein Erfassen von Schriftzeichen, verbunden mit dem Transponieren in die sie bezeichnenden Lautwerte. Das Leseverhalten ändert sich allmählich. Aus dem Erfassen und Aneinanderreihen der Buchstaben werden das Erkennen von ganzen Wörtern und Satzbildern und später die Wahrnehmung von mehreren Wörtern mit einem bestimmten Bedeutungsinhalt.
Nach Abschluss der Schulbildung können aufgrund der Lesefähigkeit verschiedene Leser unterschieden werden: Analphabeten, Nachanalphabeten, Nichtleser, Schlagzeilenleser, sowie selektive, analytische und intensive Leser.
Literatur
- Hartmut Eggert, Christine Garbe: Literarische Sozialisation. Metzler, Stuttgart 1995, ISBN 3-476-10287-4.
- Bettina Hurrelmann, Susanne Becker, Irmgard Nickel Bacon: Lesekindheiten; Familie und Lesesozialisation im historischen Wandel. Juventa, Weinheim 2005, ISBN 3-7799-1357-7.
- Angela Fritz, Alexandra Suess: Lesen. Die Bedeutung der Kulturtechnik Lesen für den gesellschaftlichen Kommunikationsprozeß. Universitätsverlag, Konstanz 1986, ISBN 3-87940-299-X.
- Thomas Eicher: Lesesozialisation und Germanistikstudium. Mentis, Paderborn 1999, ISBN 3-89785-0907.
- Maik Philipp: Lesen, wenn anderes und andere wichtiger werden. Empirische Erkundungen zur Leseorientierung von Kindern in fünften Klassen. Lit, Münster 2008, ISBN 3-8258-0677-4.
- Klaus Gattermaier: Literaturunterricht und Lesesozialisation. Eine empirische Untersuchung zum Lese- und Medienverhalten von Schülern und zur lesesozialisatorischen Wirkung ihrer Deutschlehrer. Vulpes, Regensburg 2003, ISBN 3-9807028-5-5.
- Werner Graf: Lesegenese in Kindheit und Jugend. Einführung in die literarische Sozialisation. Schneider, Baltmannsweiler 2007, ISBN 978-3-8340-0260-0.
- Norbert Groeben, Bettina Hurrelmann (Hrsg.): Lesesozialisation in der Mediengesellschaft. Ein Forschungsüberblick. Juventa, Weinheim 2004, ISBN 3-7799-1355-0.
- Sabine Wollscheid: Lesesozialisation in der Familie. Eine Zeitbudgetanalyse zu Lesegewohnheiten. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-15819-8.
Einzelnachweise
- ↑ Werner Graf: Der Sinn des Lesens. Modi der literarischen Rezeptionskompetenz. Münster 2004.