Le Voyage du ballon rouge

Film
OriginaltitelLe Voyage du ballon rouge
ProduktionslandFrankreich
OriginalspracheFranzösisch
Erscheinungsjahr2007
Länge113 Minuten
Altersfreigabe
Stab
RegieHou Hsiao-Hsien
DrehbuchHou Hsiao-Hsien
François Margolin
ProduktionKristina Larsen
François Margolin
KameraMark Lee Ping Bing
SchnittJean-Christophe Hym
Ching-Song Liao
Besetzung

Das französische Filmdrama Le Voyage du ballon rouge (Flight of the Red Balloon) von Hou Hsiao-Hsien aus dem Jahre 2007 ist eine Hommage an Regisseur Albert Lamorisse und basiert frei auf dessen oscargekröntem Kurzfilm Der rote Ballon von 1956[1]. Die Hauptrollen spielen Juliette Binoche und der junge Simon Iteanu.

Der impressionistische[2] und leicht postmoderne[3] Film, der auch an den poetischen Realismus[4] denken lässt, ist der Auftakt einer Serie, die Serge Lemoine vom Pariser Musée d’Orsay ins Leben rief, indem er Regisseure um Arbeiten bat, in denen sein Museum in irgendeiner Weise vorkommt.[5]

Der Vertrieb, IFC Entertainment: „Hou entwickelt seine Schlüsselelemente – ein kleiner Junge, ein roter Ballon und Paris, um eine schmerzlich schöne Geschichte über die Geheimnisse familiärer Bindungen und die anhaltenden Auswirkungen der Vergangenheit auf uns alle zu weben.“[6]

Handlung

Ein mysteriöser roter Ballon folgt dem spielenden Simon durch das herbstliche Paris. An einer Haltestelle der Métro am Place de la Bastille trennen die beiden sich, weil sie sich nicht einig werden. Der Ballon entgeht knapp einer ankommenden U-Bahn, die wieder im Tunnel entschwindet. Seine alleinerziehende Mutter Suzanne ist eine Stimmkünstlerin im Puppentheater (momentan wird dort ein gruseliges chinesisches Schauspiel aus der Yuan-Dynastie[7] geprobt) und Vermieterin. Die Blondine zeigt sich exaltiert, nachdenklich, wechselmütig, chaotisch, egozentrisch, etwas überarbeitet, verletzlich und ganz sicher warmherzig[8][9]. Ihr kleines Apartment im Obergeschoss quillt über vor Bücherregalen, CDs und Akten. Es ist fast fensterlos, dafür gemütlich in warmen Farbtönen, mit viel Teppich, Vorhängen und Krimskrams aller Art. Andauernd schellt es an der Tür oder das Telefon klingelt. Der Lockenkopf Simon lernt Klavier, mag Mathematik, hat eine PlayStation und einen Game Boy, und ist ruhig für sein Alter. Gelegentlich dringen Sirenen von Einsatzfahrzeugen dumpf herein.

Eine Austauschstudentin aus Peking, Song, soll sich um Simon kümmern. Die nette, irgendwie geheimnisvolle Song studiert Film, und plant einen Kurzfilm über rote Ballons. Der Ballon pirscht sich in einem weiteren Gastauftritt über den Dächern an die Wohnung an. Manchmal ist von Simons älterer Schwester (oder Halbschwester?) Louise in Brüssel die Rede. Klavierlehrerin Anna übt mit Simon, in der Wohnung von Marc und seiner Freundin, die direkt darunter liegt. Song geht mit Simon flanieren und nimmt mit dem Camcorder auf. Simon geht in einer Rückblende mit seiner Schwester[10] in einem Café flippern zu Emmenez-moi von Charles Aznavour, und sie plaudert mit ihm über seine frühesten Kindheitserinnerungen. Marcs Freundin kocht immer in Suzannes Wohnung. Marc und Gregory, ein Freund ihres Mannes Pierre, kommen vorbei. Suzanne fährt mit dem Zug zu einer Gesprächsgruppe mit dem ehrwürdigen Puppenspieler Ah Zhong. Später plaudert sie mit der Filmstudentin über den Mann im grünen Anzug, und über die Technik Greenscreen. Suzanne lächelt Simon an (und den Zuschauer). Möbelpacker bringen ein Klavier.

Schwierigkeiten mit einem Mieter zeichnen sich ab, der bereits ein Jahr mit der Miete im Rückstand ist, und einmal ein Freund war. Sie kann den Mietvertrag nicht finden und stellt alles auf den Kopf. Bei einem Spaziergang von Song und Simon im Park zeigt sich der Ballon und hängt sonst unschlüssig und windstill an den Fassaden herum. Lorenzo, ein Bekannter mit Erfahrung in Rechtsdingen, ist zu Besuch. Song bereitet Crêpes zu. Suzanne und Song diskutieren über das wöchentliche Budget, während das Kind abseits Playstation spielt. Mit dem Sohn schauen sie auf dem Laptop ein altes Familienvideo, auf dem der Großvater zu erkennen ist, und die Schwester nur undeutlich. Simon fährt ÖPNV und spielt Spiegelbild mit den Fenstern. Eine weitere Aufführung findet statt. Suzanne führt im Auto ein ernstes Telefonat mit ihrem Mann in Montreal, der vielleicht nicht zurückkommen wird. Ein blinder Klavierstimmer namens William wird in die Wohnung geführt[11] und macht sich an die Arbeit. Louise ist einige Minuten am Telefon (wie bei allen Telefonaten ist die Gegenseite für den Zuschauer nicht zu hören). Dann Geschrei im Treppenhaus, und der säumige Mieter Marc verschafft sich Einlass, und mit ihm streitet sie sich kurz und erbittert. Davon ist Suzanne aufgekratzt, traurig und benommen, und muss erst einmal durchatmen. Am Telefon hört sie, dass die Tochter in Brüssel bleiben will. Doch Simon ist da.

Sie gehen noch einmal hinaus. Dann geht Simon die Treppe hinauf in sein Mezzanin und legt sich schlafen. Der Ballon will durch das Milchglas des Dachfensters zu ihm. Später begibt sich seine Schulklasse auf eine Exkursion ins Musée d’Orsay, wo die Kinder Le ballon von Félix Vallotton interpretieren in Bezug auf die Perspektive, die Objekte und das Geschehen. Aber Simon ist schon wieder in seiner Phantasiewelt, und der Ballon scheint aufgegeben zu haben und zu Tchin tchin von Camille schraubt er sich in schwindelerregende Höhen in die Stratosphäre.

Kritiken

Félix Vallotton: Le ballon, 1899
  • „Hou wirkt nicht wie ein Besucher aus einem anderen Land oder einer anderen Zeit, sondern eher von einem anderen Planeten. Hou und sein Dauer-Kameramann, Mark Lee Ping Bing, verleihen der Stadt einen perlmuttenen Glanz“ – Stephanie Zacharek, Salon.com[12]
  • „Die wesentliche Leistung […] ist, wie das Gefühl eingefangen wird, echtes Leben zu beobachten. Wie wenn man in einer fremden Wohnung wäre, und den Leuten aus kurzer Distanz zuschaut. Da man ja unsichtbar ist, und sich nicht viel bewegen würde, tut es auch die Kamera nicht.“ – Mick LaSalle, San Francisco Chronicle[13]
  • „Das Wundervolle an Hous Filmen ist, je länger man darüber nachdenkt, desto mehr Beziehungen und Ideen man findet.“ – Beth Accomando, KPBS[15]
  • „Hou scheint seine Distanz zum Material akzeptiert zu haben – und sie verwendet. […] ausdrücklich ein Außenseiter-Film […] Hous narrative Rhythmik ermöglicht lange Phasen, in denen kaum etwas passiert, beendet von Kaskaden sich überschlagender Information. […] eine Klasse für sich“ – J. Hoberman, Village Voice[17]
  • „ein Kunstwerk vom Rang eines Gedichts von Yeats oder eines Bildes von Rothko […] Seine Filme sind wie der Ozean. […] wird schon niemanden interessieren.“ – John Anderson, The Washington Post[18]
  • „Ist ‚Le ballon‘ ein glückliches oder ein trauriges Bild? […] ein wenig Doppelbödigkeit lässt der alte Fuchs aber schon mitschwingen: Sein neuer Film ist nicht nur sein erster Europa-Ausflug und freier, ferner Tribut an den Kinderfilmklassiker ‚Le ballon rouge‘ (1956) von Albert Lamorisse, sondern auch Auftragsarbeit […] Die geliebte Marionettenkunst dient Hou als Kontrast in seiner französischen Fantasie, die sich mit kleinen Notizen zu Kunst und Leben begnügt […] Ungewohnte Ungenauigkeiten gibt es in Hous Auswärtsspiel […] Allein wie er das enge Apartment vermisst […] gibt eine Ahnung von Hous Gabe, das Profunde unforciert über Details des Alltags zu vermitteln.“ – Christoph Huber, Die Presse[7]
Die Wohnung, wie sie sich nach und nach ergibt
  • „Als würde man Der weiße Hai ohne Hai machen, dafür mit Schwerpunkt auf der dysfunktionalen Amity-Insel“ (like doing Jaws without the shark) – Joshua Rothkopf, Time Out New York[19]
  • „Einer der monumentalst langweiligen Filme, die ich jemals durchsitzen musste. […] Der Film ist wie eine Dokumentation über einen sehr öden Tag. […] Hou gibt uns penibel nicht die geringste Information, was überhaupt vor sich geht. […] unheimlich frustrierend.“ – Kurt Loder, MTV.com[20]

Mit den Stimmen von 3859 Zuschauern steht Le Voyage du ballon rouge in der Internet Movie Database bei 6,6 von 10 Punkten[21] und bei 82 Prozent bei 92 ausgewerteten Kritiken bei Rotten Tomatoes,[22] Metacritic erkennt auf 86 Prozent mit 23 Kritikerstimmen, die in die Bewertung eingegangen sind.[23]

Sonstiges

Fang Song ist eigentlich nicht Schauspielerin, sondern eine Filmstudentin.[24]

Der Film wurde auf den Filmfestspielen von Cannes 2007 in der Reihe „Un Certain Regard“ gezeigt.[25]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Nachspann.
  2. Manohla Dargis: Flight of the Red Balloon (2007). In: The New York Times. 4. April 2008, abgerufen am 19. Oktober 2008 (englisch).
  3. Noah Cowan: Le Voyage du ballon roug. (Nicht mehr online verfügbar.) In: Toronto International Film Festival. Archiviert vom Original am 24. November 2007; abgerufen am 19. Oktober 2008 (englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.tiff07.ca
  4. Glenn Kenny: Flight of the Red Balloon. In: Premiere.com. 31. März 2008, archiviert vom Original am 8. April 2008; abgerufen am 12. September 2013 (englisch).
  5. Verena Lueken: Die tiefere Weisheit des Hagels. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 19. Mai 2007, abgerufen am 19. Oktober 2008 (Nr. 115 / Seite 35).
  6. Flight of the Red Balloon. (Nicht mehr online verfügbar.) In: The Independent Film Channel. Archiviert vom Original am 30. September 2008; abgerufen am 19. Oktober 2008 (englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ifcfilms.com
  7. a b Christoph Huber: „Die Reise des roten Ballons“: Puppenspielerin in Ekstase. In: Die Presse. 10. Dezember 2007, abgerufen am 19. Oktober 2008.
  8. vgl. Infos zu Le Voyage du Ballon Rouge (2007). In: Outnow.ch. 8. August 2007, abgerufen am 19. Oktober 2008: „Die verkorkste und hysterische Mutter“
  9. vgl. Andrew O'Hehir: Beyond the Multiplex. In: Salon.com. 18. Mai 2007, abgerufen am 19. Oktober 2008 (englisch): „almost entirely a disaster in conventional parenting terms“
  10. Cynthia Fuchs: The Flight of the Red Balloon (Le Voyage du ballon rouge). In: Pop Matters. 7. Mai 2008, abgerufen am 14. Februar 2009 (englisch).
  11. „acht Minuten ohne Schnitt“, s. Plansequenz. Ara Osterweil: Remapping Hou Hsiao-Hsien. In: The Brooklyn Rail. 14. Februar 2009, abgerufen am 14. Februar 2009 (englisch).
  12. Stephanie Zacharek: "Flight of the Red Balloon". In: Salon.com. 4. April 2008, abgerufen am 19. Oktober 2008 (englisch): „as if Hou were a visitor not from another country but from another time, or perhaps another planet. Hou and his frequent cinematographer, Mark Lee Ping Bing, give the city a pearlescent glow“
  13. Mick LaSalle: Movie review: 'Red Balloon' takes flight again. In: San Francisco Chronicle. 16. Mai 2008, abgerufen am 19. Oktober 2008 (englisch): „The great virtue […] is the way it captures the feeling of observing real life. The experience of this film is the closest thing to being invisible inside someone's apartment and watching people from a close remove. Because you're invisible, and because you're probably not moving around much, neither does the camera“
  14. Praveen Rathinavelu: A Bold Red Balloon – Drifting Quietly Through Parisian Lives. In: The Tech. 11. April 2008, abgerufen am 19. Oktober 2008 (englisch): „One of the reasons Flight doesn’t need to rely on the usual film pyrotechnics is Suzanne […] In the mold of Penelope Cruz’s character in Volver“
  15. Beth Accomando: Flight of the Red Balloon. In: KPBS Cinema Junkie. 9. Mai 2008, archiviert vom Original am 8. Dezember 2008; abgerufen am 14. Februar 2009 (englisch): „That's what's so wonderful about Hou's films, the more you think about them, the more connections and ideas you will find“
  16. Ty Burr: Childhood floats away in 'Red Balloon'. In: Boston.com. 18. April 2007, abgerufen am 19. Oktober 2008 (englisch): „Art, hints Hou, is how we try to recapture childhood's wonder“
  17. J. Hoberman: Flight of the Red Balloon Soars. In: Village Voice. 1. April 2008, abgerufen am 19. Oktober 2008 (englisch): „Hou appears to have accepted his distance from the material — and worked with it. […] explicitly an outsider's movie […] Hou's narrative rhythms allow for long periods in which nothing much happens, followed by a cascade of overlapping information. […] a class by itself“
  18. John Anderson: 'Flight of the Red Balloon': A Soaring Achievement. In: The Washington Post. 18. April 2007, abgerufen am 19. Oktober 2008 (englisch): „a work of art on the order of a poem by Yeats or a Rothko painting. […] his movies are like the ocean […] should be of no interest to anyone“
  19. Joshua Rothkopf: Flight of the Red Balloon. (Nicht mehr online verfügbar.) In: Time Out New York. April 2008, ehemals im Original; abgerufen am 19. Oktober 2008 (englisch): „like doing Jaws without the shark, focusing instead on the dysfunction of Amity Island“
  20. Kurt Loder: 'Flight Of The Red Balloon': Pfffff, By Kurt Loder. In: MTV.com. 4. April 2008, abgerufen am 19. Oktober 2008 (englisch): „one of the most monumentally boring films I've ever forced myself to sit through. […] The movie is like a documentary about a very dull day. […] Hou is scrupulous to give us as little as possible of the information that might help us make sense of what's going on. […] intensely frustrating“
  21. Le Voyage du ballon rouge. Internet Movie Database, abgerufen am 10. Mai 2021 (englisch).
  22. Flight of the Red Balloon. In: Rotten Tomatoes. Fandango, abgerufen am 10. Mai 2021 (englisch).Vorlage:Rotten Tomatoes/Wartung/Wikidata-Bezeichnung vom gesetzten Namen verschieden
  23. Flight of the Red Balloon. In: Metacritic. CBS, abgerufen am 10. Mai 2021 (englisch).Vorlage:Metacritic/Wartung/Wikidata-Bezeichnung vom gesetzten Namen verschieden
  24. Stuart Klawans: Un Ballon Est un Ballon. In: The Nation. 28. April 2008, archiviert vom Original am 11. April 2008; abgerufen am 10. Mai 2021 (englisch).
  25. http://www.salon.com/ent/movies/review/2007/05/18/cannes_3/index.html http://www.festival-cannes.com/en/archives/2007/unCertainRegard.html

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Illustration zum Film "Le Voyage du ballon rouge" (R: Hou Hsiao-Hsien, Frankreich 2007)

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