Kyrsten Sinema

Kyrsten Sinema (2018)

Kyrsten Sinema (* 12. Juli 1976 in Tucson, Arizona) ist eine parteilose US-amerikanische Politikerin. Seit Januar 2019 gehört sie dem Senat der Vereinigten Staaten als Nachfolgerin von Jeff Flake an. Von 2013 bis 2019 vertrat sie den 9. Kongresswahlbezirk Arizonas im US-Repräsentantenhaus, zuvor war sie Abgeordnete sowohl des Repräsentantenhauses als auch des Senats von Arizona. Sie hatte der Demokratischen Partei angehört, bis sie die Partei am 9. Dezember 2022 verließ und sich als unabhängig registrierte.[1]

Familie, Ausbildung und Beruf

Sinemas Vater Dan Sinema Sr. war Rechtsanwalt, ihre Mutter Marilyn kümmerte sich um ihre drei gemeinsamen Kinder. Die Familie lebte in einem Ranchhaus am Fuß der Santa Catalina Mountains bei Tucson, Arizona, wo sie die Winifred Harelson Elementary School besuchte. Ihr Vater verlor seine Arbeit in der Rezession der frühen 1980er Jahre und sah sich Forderungen von Mandanten und Steuerbehörden gegenüber, sodass das Haus kurzzeitig in die Zwangsvollstreckung kam. 1983 ließen sich die Eltern scheiden, der Vater meldete einige Zeit später Insolvenz an, und ihre Mutter geriet in Armut. Beide Elternteile heirateten wieder und stritten um das Sorgerecht; die Mutter heiratete Andrew Howard, einen Lehrer aus Sinemas Grundschule, und ließ sich mit ihm und den Kindern 1984 im ländlichen DeFuniak Springs in der Florida Panhandle nieder. Da die Mutter und der Stiefvater nicht sofort dauerhafte Arbeit fanden, lebten sie für knapp drei Jahre in einer verlassenen Tankstelle, was Sinema später als vorübergehende Obdachlosigkeit bezeichnete und wegen der Frage, ob die Familie auf fließendes Wasser und Elektrizität verzichten musste, zum Thema im Senatswahlkampf wurde. Die streng mormonische Familie war zeitweilig auf Essensmarken und Kirchenspeisungen angewiesen und arbeitete dafür in der Gemeinde oder half bei der Ernte. Die Situation der Familie verbesserte sich 1987, als Mutter und Stiefvater feste Anstellungen erhielten und die Familie mit einem Kredit der Mormonengemeinde ein Farmhaus beziehen konnte. Neben der Schule zeigte Sinema an Sport und Arbeitsgemeinschaften Interesse und besuchte mit 14 Jahren zusätzlich das Okaloosa-Walton Junior College.[2][3][4]

Nachdem sie im Alter von 16 Jahren – ein Jahr früher als üblich – die Walton High School in DeFuniak Springs als eine der Jahrgangsbesten abgeschlossen hatte (co-valedictorian), besuchte sie mit Hilfe eines Pell Grants und Stipendien die Brigham Young University, an der 1994 sie den Bachelorgrad in Sozialarbeit erhielt. Nach der Arbeit für eine Nichtregierungsorganisation in Kenia zog sie 1995 nach Phoenix, wo sie die Arizona State University besuchte und 1999 den Master in Sozialarbeit und 2004 den Juris Doctor erwarb. 2012 wurde sie dort mit einer Arbeit über den Völkermord in Ruanda, bei der sie Giorgio Agambens Überlegungen zum Ausnahmezustand anwendete, zum Ph.D. promoviert.[5][6] Sie war Sozialarbeiterin im Washington Elementary School District, bevor sie Strafverteidigerin und Juradozentin wurde.[7][8][9][2]

Politische Karriere

Anfänge auf Bundesstaatsebene

Anfang der 2000er Jahre unterstützte sie den Präsidentschaftskandidaten der Green Party, Ralph Nader, war eine Sprecherin dieser Partei auf lokaler Ebene, forderte die Abschaffung der Todesstrafe und organisierte nach 9/11 Anti-Kriegs-Demonstrationen. Im Zuge des Irakkriegs erklärte sie 2003, die wahren Freunde Saddam Husseins und Osama bin Ladens seien Ronald Reagan und George H. W. Bush.[3]

Sinema kandidierte 2001 für den Phoenix City Council im Wahlbezirk 8 und im Jahr 2002 als Unabhängige im Wahlkreis 15 für das Repräsentantenhaus von Arizona, wurde jedoch nicht gewählt. 2004 wurde sie in Letzterem wieder als Kandidatin der Demokraten aufgestellt, errang das Mandat und wurde 2006 und 2008 wiedergewählt. 2010 trat sie von diesem Mandat zurück, um für den Senat von Arizona zu kandidieren. Bei der Wahl gewann sie gegen ihren republikanischen Gegenkandidaten Bob Thomas.

Sinema, die sich zu ihrer Bisexualität bekennt,[10] engagierte sich gegen die 2006 in Arizona geplante Gesetzesinitiative Proposition 107, die die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen und eingetragener Partnerschaften verboten hätte. Sie saß der bundesstaatsweiten Kampagne „Arizona Together“ vor und stoppte die Gesetzesinitiative, indem sie auf die Republikaner im Parlament zuging, sodass die Initiative fallengelassen wurde.[3] Sinema führte 2008 auch die Kampagne gegen die Proposition 102, eine abgemilderte Neuauflage der Proposition 107, die jedoch am 4. November 2008 von der Mehrheit der Wähler angenommen wurde.

Im Präsidentschaftswahlkampf 2008 unterstützte Sinema Barack Obama und war Delegierte bei der Democratic National Convention in Denver.

Kongressabgeordnete

Sinema gab im Juni 2011 bekannt, an einer Kandidatur für das US-Repräsentantenhaus, aber nicht für den US-Senat bei der Wahl 2012 interessiert zu sein. Sie war ab Ende 2010 mit dem Democratic Congressional Campaign Committee, dem Wahlkampfarm der Demokraten im Kongress, in Kontakt, und lebte im selben Gebiet wie der damalige demokratische Kongressabgeordnete Ed Pastor, schloss aber die Herausforderung eines mandattragenden Parteifreundes aus.[8] Am 3. Januar 2012 kündigte Sinema an, im November des Jahres im neugeschaffenen 9. Kongresswahlbezirk Arizonas für das Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten zu kandidieren. Am selben Tag gab sie ihren Sitz im Senat von Arizona auf.[11] Auf ihren Sitz rückte David Lujan nach.

Sinema setzte sich bei der Repräsentantenhauswahl 2012 gegen den Republikaner Vernon Parker durch und trat ihr Mandat am 3. Januar 2013 als erste offen bisexuelle Abgeordnete an.[12] Bei ihrer Vereidigung verzichtete sie auf eine Bibel, gehörte als erste Kongressabgeordnete keiner Religionsgemeinschaft an und beschrieb sich selbst als säkular, lehnte es aber ab, sich als Atheistin zu bezeichnen.[13] Nach zwei Wiederwahlen in den Jahren 2014 und 2016 übte sie ihr Mandat bis zum 3. Januar 2019 aus. Sinema war Mitglied im Finanzausschuss sowie in zwei Unterausschüssen.

Senatorin im US-Senat

Sinema bei einer Wahlkampf-Veranstaltung im August 2018

Im September 2017 erklärte die als erfolgreiche Fundraiserin bekannte Sinema, bei der Wahl 2018 nicht wieder für ihr bisheriges Mandat zu kandidieren, sondern sich um den Sitz im US-Senat zu bewerben, den bisher der Republikaner Jeff Flake innehatte. Flake verzichtete im Oktober 2017 darauf, bei der Wahl anzutreten, da er als prominenter Kritiker Präsident Trumps innerparteilich von rechts herausgefordert wurde.[14][15]

Sinema gewann die Nominierung ihrer Partei am 28. August 2018 mit 80,5 Prozent der Stimmen gegen die linke Kandidatin Deedra Abboud. In der Vorwahl der Republikaner setzte sich die als moderat geltende bisherige Kongressabgeordnete Martha McSally mit 52 Prozent gegen zwei Favoriten des rechten Flügels, Kelli Ward und Joe Arpaio, durch.[16] Im Oktober 2018 erklärte die größte Tageszeitung Arizonas, The Arizona Republic, ihre Unterstützung für Sinema und lobte ihren Ansatz überparteilicher Zusammenarbeit. Die Zeitung hatte zuvor noch nie einen Kandidaten der Demokraten für eine staatsweite Position unterstützt.[17]

Sinema und McSally traten am 6. November 2018 bei der Hauptwahl gegeneinander an, deren Ausgang als völlig offen galt.[18] Die Kandidatin der Green Party, Angela Green, die kurz vor dem Wahltag ihren Ausstieg aus der Wahl und ihre Unterstützung für Sinema erklärt hatte, erhielt gut 2 Prozent der Stimmen.[19] Nachdem Sinema am Wahlabend zurückgelegen hatte, ging sie während der Auszählung am 8. November in Führung und wurde am 12. November von Associated Press zur Siegerin erklärt; McSally räumte ihre Niederlage ein.[20][21] Sinema hatte schließlich einen Vorsprung von knapp 56.000 Stimmen (50 zu 47,6 Prozent).[22]

Sinema trat ihr Senatsmandat am 3. Januar 2019 an. Statt auf die Bibel wie üblich schwor sie auf ein Buch, das die Verfassung der USA und die Verfassung Arizonas enthält. Sie war bei Vereidigung das einzige Mitglied des Kongresses, das keine religiöse Bindung zu haben angab.[23] Arizona wird erstmals von einer Frau im US-Senat vertreten. Sinema ist die erste offen bisexuelle Senatorin und gewann erstmals für die Demokraten eine Senatswahl in Arizona seit 1988 sowie erstmals einen offenen Sitz seit 1976 (jeweils Dennis DeConcini).[24]

Im Senat gehört Sinema den Ausschüssen für Handel, Innere Sicherheit, Bankwesen, Altern und Veteranenangelegenheiten sowie mehreren Unterausschüssen, darunter als Ranking member demjenigen für Luft- und Raumfahrt, an.[25]

Im Dezember 2022 trat Sinema aus der Demokratischen Partei aus und ließ sich als parteilose Unabhängige registrieren. Sie erklärte, dies entspreche ihrem Charakter, der nicht in Parteischablonen passe. Ihr Abstimmungsverhalten werde das nicht ändern.[26]

Positionen

Während Sinema in der Legislative Arizonas ein linksliberales Abstimmungsverhalten gezeigt hatte, rückte sie im US-Repräsentantenhaus zunehmend nach rechts, was ihr aus der eigenen Partei Vorhaltungen einbrachte, da sie mit am häufigsten aus der demokratischen Fraktion für Vorschläge des Präsidenten Donald Trump stimmte.[27]

Sie gehört der Blue Dog Coalition an, einer Vereinigung konservativer Demokraten, und nennt den zentristischen demokratischen Senator Joe Manchin als Vorbild. Während Donald Trumps Präsidentschaft unterstützte sie dessen sicherheitspolitische Maßnahmen zur Eindämmung illegaler Einwanderung und enthielt sich weitgehend der Kritik am umstrittenen Präsidenten. Anders als alle anderen demokratischen Kongressabgeordneten Arizonas unterstützte sie bei der Wahl 2018 nicht den linken Gouverneurskandidaten ihrer Partei, David Garcia. Trotzdem gilt Sinema in vielen Politikbereichen weiterhin als progressiv. In ihrem 2009 erschienenen Buch Unite and Conquer: How to Build Coalitions That Win and Last erklärte sie ihren Politikansatz so, dass Pragmatismus notwendig sei, um progressive Ziele zu erreichen. Von links wurde Sinema zuweilen Opportunismus vorgeworfen.[3]

Im Senat galt sie seitdem als konservativste demokratische Senatorin nach Joe Manchin; sie wurde eine der einflussreichsten Senatorinnen, als die Demokraten im Senat nach der Senatswahl 2020 nur eine working majority hatten und sich somit keinen Abweichler in ihrer Fraktion leisten konnten. Abgewichen von der Parteilinie ist Sinema aber schon öfter und hat so viele Gesetzespläne, wie z. B. den 15$-Mindestlohn, verhindert. Auch hat sie sich gegen die Abschaffung des Filibusters im Senat ausgesprochen, was von Parteilinken gefordert wurde.[28] Sinema ist Stand Oktober 2021 neben Manchin die Einzige, die die Demokraten an der Durchsetzung ihrer zentralen Reformversprechen (zwei insgesamt mehr als 4,5 Billionen Dollar umfassende Investitionsprogramme) hindert.[29][30][31]

Weblinks

Commons: Kyrsten Sinema – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Kyrsten Sinema: Sen. Kyrsten Sinema: Why I’m registering as an independent. In: The Arizona Republic. 9. Dezember 2022, abgerufen am 9. Dezember 2022 (amerikanisches Englisch).
  2. a b Rebekah L. Sanders: The congresswoman who grew up in a gas station. In: The Arizona Republic, 30. September 2017
  3. a b c d Jonathan Martin: A Senate Candidate’s Image Shifted. Did Her Life Story? In: The New York Times, 24. September 2018
  4. Li Zhou: The attacks on Arizona Senate candidate Kyrsten Sinema’s upbringing, explained. In: Vox.com, 10. Oktober 2018.
  5. Peter O’Dowd: A New Congresswoman’s Dissertation On Genocide. In: KJZZ.org, 27. Dezember 2012
  6. Kyrsten Sinema: Who Must Die: The State of Exception in Rwanda’s Genocide. Dissertation, Arizona State University, 2012 (PDF).
  7. Craig Outhier: Phoenix Democrat Kyrsten Sinema. (Memento vom 22. Juli 2011 im Internet Archive) In: Phoenix Magazine, Februar 2011, S. 39
  8. a b Kyle Trygstad: Arizona State Senator Interested in House Bid. In: Roll Call, 9. Juni 2011
  9. Rep. Kyrsten Sinema: biography. (Memento vom 16. Juni 2008 im Internet Archive) In: AZLeg.gov. Abgerufen am 18. Februar 2012
  10. Gay-marriage-ban foes raise straight issue anew. In: Arizona Daily Star, 2. Mai 2008.
  11. Michelle Garcia: Bi Politician Announces Congressional Bid. In: The Advocate, 4. Januar 2012.
  12. Peter O’Dowd: Sinema, First Openly Bisexual Member Of Congress, Represents ‘Changing Arizona’. In: National Public Radio, 1. Januar 2013.
  13. Elizabeth Flock: First Member of Congress Describes Religion as ‘None’. In: U.S. News & World Report, 3. Januar 2013.
  14. Ronald J. Hansen: Rep. Kyrsten Sinema enters Senate race, hoping to unseat Jeff Flake. In: AZCentral.com, 28. September 2017
  15. Republican Sen. Jeff Flake won’t seek reelection. In: CNN.com, 24. Oktober 2017.
  16. Arizona Primary Election Results. In: The New York Times, 29. August 2018.
  17. Taegan Goddard: Arizona’s Largest Newspaper Backs Sinema. In: Political Wire, 21. Oktober 2018.
  18. Siehe die aggregierten Umfragen Arizona Senate – McSally vs. Sinema. In: RealClearPolitics.
  19. Yvonne Wingett Sanchez: Is Green Party candidate potential spoiler in Martha McSally-Kyrsten Sinema Senate race? In: Arizona Republic, 8. November 2018.
  20. Simon Romero: Kyrsten Sinema Declared Winner in Arizona Senate Race. In: The New York Times, 12. November 2018
  21. Rachel Leingang: Martha McSally concedes to Kyrsten Sinema after ‚hard-fought battle‘. In: Arizona Republic, 12. November 2018.
  22. General Election 2018: AZ US Senate. In: Our Campaigns.
  23. Ronald J. Hansen: Sinema takes Senate oath on Constitution; McSally uses Bible from USS Arizona. In: Arizona Republic, 3. Januar 2019.
  24. Trudy Ring: Kyrsten Sinema Wins; Will Be First Out Bi U.S. Senator. In: Advocate.com, 12. November 2018.
  25. Sen. Kyrsten Sinema. In: Govtrack.us.
  26. Jeremy Herb, Sinema leaving the Democratic Party and registering as an independent, CNN vom 9. Dezember 2022.
  27. Bridget Bowman: Republicans Eye Sinema’s Arizona House Seat. In: Roll Call, 29. September 2017.
  28. Stefan Schaaf: 100 Tage Präsidentschaft Joe Biden: Alter Mann macht Tempo. In: Die Tageszeitung: taz. 25. April 2021, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 28. April 2021]).
  29. René Pfister: Joe Biden und seine Reformagenda: Ein Land spielt russisches Roulette (S+). In: Der Spiegel. 8. Oktober 2021, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 13. Oktober 2021]).
  30. Rieke Havertz: Die Biden-Blockiererin. In: zeit.de. 18. Oktober 2021 (zeit.de).
  31. Hubert Wetzel: Die Frau, die das politische Schicksal von Biden in den Händen hält. In: sueddeutsche.de. 30. September 2021 (sueddeutsche.de).

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U.S. Congresswoman Kyrsten Sinema speaking with supporters at a neighborhood canvas hosted by the Arizona Education Association at Provision Coffee Arcadia in Phoenix, Arizona.

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