Kunstgewerbeschule

Kunstgewerbeschulen waren im deutschsprachigen Raum seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis etwa 1945 künstlerische Ausbildungsstätten (höhere Fachschulen) mit einem Schwerpunkt im Bereich der angewandten Kunst. Viele von ihnen gingen nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland in Werkkunstschulen und in Ostdeutschland in Fachschulen für angewandte Kunst auf.

Vorgeschichte

Gegen Ende der Frühen Neuzeit verloren die Zünfte als Ausbilder von Kunsthandwerkern an Bedeutung. Mit der Industrialisierung bildete sich im 19. Jahrhundert der neue Tätigkeitsbereich des Kunstgewerbes heraus. Vor allem Frankreich und England wurden in Stil, Ausführung und Technik als federführend wahrgenommen. In Paris bestand seit 1803 die École des arts décoratifs, in London wurden Kunstgewerbler seit 1837 an der Government School of Design ausgebildet. Die Erfolge waren auf den Weltausstellungen zu besichtigen, besonders nach London 1851 und Paris 1855 geht in den deutschsprachigen Ländern der zunehmende Nationalismus mit einer Kritik an der stilistischen Abhängigkeit von England und Frankreich einher.[1]

Deutschland

Kunstgewerbeschulen

In Deutschland öffneten daraufhin mit dem Ziel der Förderung der deutschen Kunstindustrie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in rascher Folge zahlreiche Kunstgewerbeschulen.

Zu den ersten gehörten Nürnberg (1835), die Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums in Berlin (1868) und München (1868).

Zu einer Erneuerung der Kunstgewerbebewegung kam es zwischen den Weltausstellungen Paris 1900 und Brüssel 1910 durch den 1907 gegründeten Deutschen Werkbund und die Einrichtung einer Professur für modernes Kunstgewerbe an der Handelshochschule Berlin. 1904 erließ das preußische Ministerium für Handel und Gewerbe den sogenannten „Lehrwerkstättenerlass“ für die 35 Kunstgewerbe- und Handwerkerschulen des Landes, ausgearbeitet von Hermann Muthesius.[2] 1908 eröffnete in Weimar auf Bestreben von Henry van de Velde die Großherzoglich-Sächsischen Kunstgewerbeschule. Eine Kunstgewerbliche Fachschule in Flensburg ist zumindest zwischen 1905 und 1909 aus den Quellen belegt durch die Teilnahme von Emmy Gotzmann an Kursen im Aktzeichnen.

Die Kölner Werkbundausstellung von 1914 hatte großen Einfluss auf das Programm der Kunstgewerbeschulen. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Schulen gleichgeschaltet und firmierten nun als Meisterschulen des gestaltenden Handwerks.

GründungNameOrtAuflösungGgf. Nachfolgeinstitution
1790Provinzial-Kunst- und GewerkschuleKönigsberg1933Meisterschule des Deutschen Handwerks
1791Königliche Kunst- und GewerbeschuleBreslau1932
1835Königliche KunstgewerbeschuleNürnberg1940Akademie der bildenden Künste Nürnberg
1868Königliche Kunstgewerbeschule MünchenMünchen1937Akademie der Bildenden Künste München
1868Unterrichtsanstalt des KunstgewerbemuseumsBerlin1924Universität der Künste Berlin
1869KunstgewerbeschuleKassel1946Schule für Handwerk und Kunst
1869Württembergische staatliche KunstgewerbeschuleStuttgart1941Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
1870Großherzoglich Badische Kunstgewerbeschule[3]Karlsruhe1920Badische Landeskunstschule
1873Staatliche KunstgewerbeschuleBremen1934Nordische Kunsthochschule
1874Pfälzische kunstgewerbliche FachschuleKaiserslautern
1875Königlich Sächsische KunstgewerbeschuleDresden1950Hochschule für Bildende Künste Dresden
1877Großherzogliche Kunstgewerbeschule und Fachschule für die MetallindustriePforzheim1971Fachhochschule für Gestaltung
1878KunstgewerbeschuleWiesbaden
1879KunstgewerbeschuleFrankfurt am Main1922Städelschule
1883Kunstgewerbeschule[4]Mainz1972Kunsthochschule Mainz
1883Kunstgewerbeschule DüsseldorfDüsseldorf1918Kunstakademie Düsseldorf
1883IndustrieschuleSonneberg
1887Kunstgewerbe- und HandwerkerschuleMagdeburg1948Fachschule für angewandte Kunst Magdeburg
1892Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Hannover[5]Hannover1945Werkkunstschule Hannover
1894Kunstgewerbeschule BarmenBarmen1930Meisterschule für das gestaltende Handwerk Wuppertal
1896Handwerker- und Kunstgewerbeschule ElberfeldElberfeld1930Meisterschule für das gestaltende Handwerk Wuppertal
1896Staatliche KunstgewerbeschuleHamburg1970Hochschule für bildende Künste Hamburg
1898Staatlich-Städtische Handwerker- und KunstgewerbeschuleErfurt1946Fachschule für angewandte Kunst
1899Kunstgewerbe- und HandwerkerschuleCharlottenburg1934Höhere Graphische Fachschule der Stadt Berlin
1901Staatlich-städtische Gewerbeschule[6]Essen1927Folkwangschule
1902Lehr- und Versuch-Ateliers für angewandte und freie Kunst, Wilhelm von DebschitzMünchen1914
1904Zeichen- und KunstgewerbeschuleAachen1927Werkkunstschule
1904Handwerker- und Kunstgewerbeschule CrefeldKrefeld1949Werkkunstschule Krefeld
1904Handwerker- und KunstgewerbeschuleDortmund1963Städtische Höhere Fachschule für Gestaltung
1908Großherzoglich-Sächsische KunstgewerbeschuleWeimar1915Staatliches Bauhaus
1908Handwerker- und Kunstgewerbeschule Trier[7]Trier1945Trierer Werkschule
1913Schule ReimannBerlin-Schöneberg1943
1914Handwerker- und Kunstgewerbeschule BielefeldBielefeld1933Handwerkerschule Bielefeld
1915Handwerker- und Kunstgewerbeschule Halle in der Burg GiebichensteinHalle1933Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle
1923Werkschule für gestaltende ArbeitStettin1936
1926Kölner WerkschulenKöln1971Kunsthochschule für Medien Köln, Köln International School of Design
1941Staatliche Kunstgewerbeschule KrakauKrakau1943

Werkkunstschulen nach 1945

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand eine Erneuerung statt durch die Gründung der Werkkunstschulen in Aachen, Augsburg, Bielefeld, Braunschweig, Bremen, Darmstadt, Dortmund, Dresden, Düsseldorf, Essen, Hamburg, Hannover, Kiel, Krefeld, Kassel, Lübeck, Magdeburg, Mainz, Münster, Offenbach, Saarbrücken, Trier, Wiesbaden und Wuppertal. In der DDR gab es ab 1950 Fachschulen für angewandte Kunst in Erfurt, Heiligendamm, Leipzig, Magdeburg, Potsdam, Schneeberg und Sonneberg. Fachschulstudiengänge zur künstlerischen Formgestaltung gab es auch an verschiedenen Hochschulen der DDR.

Die meisten der früheren Werkkunstschulen gingen in Nachfolge-Hochschulen auf oder wurden, wenn sie nicht selbst zu eigenständigen Hochschulen für Bildende Künste umgewandelt wurden, in bestehende Kunsthochschulen integriert. Beispielsweise

  • gingen aus den ehemaligen Zeichenschulen der „Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe“ (heute Patriotische Gesellschaft von 1765) neben der Fachhochschule Hamburg auch die Hamburger Schule für Kunst und Gewerbe, Vorläuferin der heutigen Hochschule für Bildende Künste Hamburg hervor,
  • entwickelte sich aus der ehemaligen „Technischen Anstalt für Gewerbetreibende“ (1873) in Bremen nach mehrmaliger Umbenennung die „Hochschule für Gestaltung“ (1970) und schließlich die heutige Hochschule für Künste Bremen
  • wandelte sich die ehemalige „Kieler Gewerbeschule“ (1907) in die „Technische und kunstgewerbliche Fachschule“ (1910), dann in die „Muthesius-Werkschule für Handwerk und angewandte Kunst“, nahm dann nacheinander den Status einer höheren Fachschule (bis 1972) beziehungsweise „Fachhochschule für Gestaltung“ an, bevor sie schließlich zur Muthesius Kunsthochschule Kiel (2007) erhoben wurde,
  • gingen aus dem 1841 vom Braunschweiger Gewerbeverein gegründeten „Zeichen-Instithut“ die Hochschule für Bildende Künste Braunschweig hervor, aus der „Offenbacher Werkkunstschule“ die Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main, aus der „Staatlichen Schule für Kunst und Kunstgewerbe, Saarbrücken“ (1924) die „Werkkunstschule für Kunst und Handwerk“ (1946–1971) wurde zum Fachbereich Kunst und Design der FH Saarbrücken und zur Hochschule der Bildenden Künste Saar (1989).
  • ging aus der ehemaligen Handwerker- und Kunstgewerbeschule Elberfeld (1896/1897), die 1930 mit der 1894 gegründeten Kunstgewerbeschule Barmen zur Kunstgewerbeschule Wuppertal vereinigt wurde, dann Meisterschule für gestaltendes Handwerk und nach dem Zweiten Weltkrieg Werkkunstschule Wuppertal hieß, 1972 die Gesamthochschule Wuppertal hervor, die seit 2003 als Bergische Universität Wuppertal geführt wird,
  • entwickelte sich aus der „Kunstgewerbeschule Essen“ (1911–1928) die „Folkwangschule“ (höhere Fachschule für Gestaltung) bis 1971, dann Teil der Universität Essen/Duisburg und ab 2008 (zusammen mit der Musikhochschule und der Hochschule für Darstellende Künste) der Fachbereich Design der Folkwang Universität der Künste, die einzige Hochschule in Deutschland mit Promotionsrecht im Fach Design.
  • wurden die Kölner Werkschulen (1926–1971) zum „Fachbereich Kunst und Design“ an der Fachhochschule Köln und 1993 als Köln International School of Design (KISD) und Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) neu gegründet.

Ohne Nachfolge blieben:

Österreich

Wien

Gedenktafel für die kaiserlich-königliche Kunstgewerbeschule in Wien

Kaiser Franz Joseph I. gründete die „Kunstgewerbeschule des K. K. österreichischen Museums für Kunst und Industrie“ im September 1867 und eröffnete sie am 1. Oktober 1868. Auf die Ausbildungserfolge verwies eine Jubiläumsschrift 1929.[8] Aus der Kunstgewerbeschule ging 1999 die Universität für angewandte Kunst Wien hervor. Unabhängig besteht weiterhin das Österreichische Museum für angewandte Kunst – MAK.

Schweiz

In Zürich wurde 1878 die Kunstgewerbliche Fachschule gegründet, 1883 in Kunstgewerbeschule umbenannt.

In Basel wurde aus einer bestehenden Zeichnungs- und Modellierschule 1886 die Allgemeine Gewerbeschule, für deren kunstgewerbliche Fachklassen ab 1919 sich der Name Kunstgewerbeschule einbürgerte. Dieser Schulteil ist heute die unabhängige Schule für Gestaltung.

In Luzern entwickelte sich 1877 aus der Zeichenschule die Kunstgewerbeschule Luzern. Aus ihr wurde 1972 die Schule für Gestaltung, heute ist sie ein Teil der Hochschule Luzern.

Sowohl in Bern als auch in Biel entstanden im späten 19. Jahrhundert Kunstgewerbeschulen, die heute als Schule für Gestaltung Bern und Biel zusammengefasst sind.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Henrike Haug: Schön und angewandt. Zur Begriffsklärung des Kunsthandwerks zwischen Gewerbefleiß, Kunst und Industrie. In: Kulturstiftung der Länder (Hrsg.): Arsprototo. Band 2, 2022, S. 20–23 (kulturstiftung.de).
  2. John V. Maciuika: "Sachlicher, wirtschaftlicher, zweckmässiger": 100 Jahre "Lehrwerkstätten-Erlass" vom Preussischen Ministerium für Handel und Gewerbe. In: Scholion Bulletin. e-periodica.ch, 2006, abgerufen am 4. Juni 2023.
  3. Großherzoglich Badische Kunstgewerbeschule – Stadtlexikon. Abgerufen am 3. Juni 2023.
  4. Kunstgewerbeschule Mainz: 1883-1919 ; vom Staate und der Stadt gemeinsam unterhaltene staatlich geleitete Schule. 1919 (google.de [abgerufen am 3. Juni 2023]).
  5. Werkkunstschule Hannover. Abgerufen am 3. Juni 2023.
  6. Geschichte der "Schule für Gestaltung". Abgerufen am 3. Juni 2023 (deutsch).
  7. SP: Es war einmal... die Werkkunstschule - Stadt Trier - Wochenspiegel. 9. Februar 2016, abgerufen am 3. Juni 2023 (deutsch).
  8. Kunstgewerbeschule des Österr. Museums für Kunst und Industrie in Wien (Hg): Ausstellung von Schülerarbeiten aus Anlass der Vollendung des 60. Bestandsjahres der Anstalt. Kunstgewerbeschule, Wien 1929.

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Gedenktafel für die Kunstgewerbeschule des k.k. Österreichischen Museums (Wien, Stubenring 5)