Schirm (Wald)

Blätterdach der naturnahen Buchenwälder an der Wupper unter der Müngstener Brücke

Ein Schirm ist in der Forstwirtschaft die Gesamtheit aller Kronen der Bäume in der Oberschicht eines Waldes über der nachfolgenden Bestandsgeneration oder über Kulturpflanzen (beispielsweise Heidelbeeren).[1] In den Bio- und Geowissenschaften werden auch die Bezeichnung Kronendach oder Kronenschicht verwendet, umgangssprachlich auch Blätterdach.

Die Dichte und die Struktur des Kronendaches (einschließlich des waldbildenden Baumartenspektrums) wird durch den Tages- und Jahresgang der Sonneneinstrahlung beziehungsweise deren Einfallswinkel bestimmt: So stehen etwa in der borealen Zone schmalkronige Nadelbäume, um die tiefstehende Sonne optimal zu nutzen; während laubwerfende Bäume in den Mittelbreiten an die Unterschiede von Sommer und Winter bei mittelhohem Sonnenstand angepasst sind; und in den Tropen breitkronige Laubbäume den hohen Sonnenstand nutzen. In warmen Feucht- und Regenwäldern finden sich häufig sogenannte Emergenten, die über dem geschlossenen Schirm eine weitere Etage aus einzelnen Bäumen oder Baumgruppen bilden.

Bedeutung und Eigenarten

(c) Kimba Reimer, CC BY 2.0
Baumkronen eines Waldes im frühen Herbst, Schirm von unten im Hambacher Forst.

Seine Bedeutung erlangt der Schirm durch die Beschattung der darunter wachsenden Vegetation. Er schafft ein Waldinnenklima auf einer gegebenen Fläche, das im Vergleich zu Freiland für einen mäßigen Gang der Luftfeuchtigkeit, der Temperatur und der Sonneneinstrahlung sorgt. Die verminderte Lichtversorgung der unter dem Schirm wachsenden Pflanzen führt dazu, dass diese im Frühjahr der Mittelbreiten tendenziell später austreiben, wodurch deren Gefährdung durch Spätfrost vermindert wird.

Die Kultivierung einiger Baumarten in Europa ist aus diesem Grund oft nur „unter Schirm“ möglich. Speziell im deutschsprachigen Raum wurden teilweise komplexe Waldbausysteme entwickelt, die während der Verjüngungsvorgänge die Schutzbedürftigkeit der jungen Bäume gegenüber Spätfrösten berücksichtigen (Schirmschlag in seinen verschiedenen Variationen). Gefährdet durch Spätfrost sind vor allem schattenertragende Baumarten wie die Weißtanne und die Rotbuche, deren Anteile am Wald in Deutschland erhöht werden sollen. Der Umbau labiler, also standortferner Nadelwälder in naturnahe Laubholzmischbestände erfordert daher Verjüngungsmaßnahmen noch vor der endgültigen Entnahme der herrschenden Baumschicht. Zuweilen werden zum nachfolgenden Anbau von Rotbuchen speziell Vorwälder aus Birken begründet, unter welche später junge Buchen im Alter von 2 bis 4 Jahren gepflanzt werden.

Kronendach in Naturwäldern

Durchschnittliche Kronenhöhen aller Naturwaldtypen der Erde (rote Trennlinien zeigen Abstufungen innerhalb eines Waldtyps)

Die obige Karte zeigt die Ergebnisse einer Studie von 2016 zu den Schirmhöhen aller Wälder; hier vereinfacht und auf die wesentlichsten Waldtypen der Erde bezogen.[2] Die folgende Tabelle benennt die Typen und gibt nähere Auskunft zu den durchschnittlichen Spannbreiten der Höhen. Eine Unterscheidung nach Regionen wurde nur bei sehr großen Abweichungen vorgenommen.

Zusätzliche Quellenangaben weisen auf einen Abgleich der Zahlen mit anderer Literatur hin. Die teilweise augenfälligen Abweichungen sind nicht nur die Folge einer besseren Datenlage der Studie, sondern ebenso der Abgrenzung der Waldtypen, die aufgrund real fließender Übergänge eine künstliche Grenzziehung erfahren muss, die je nach Autor etwas unterschiedlich ausfällt.

Ein „+ X m“ in den Anmerkungen bezieht sich auf das Vorkommen über das Kronendach ragender Urwaldriesen mit ihren üblichen (Gesamt-)Höhen.

KürzelWaldtyp/Regionkleinster Øabsoluter Øgrößter ØAnmerkungen
BNWBorealer Nadelwald (südlicher Teilraum)10 m (20 m)[3]20 m (22 m)[3]25 m (30 m)[3]im nicht erfassten Nordteil niedriger /
große Unterschiede,[4] unklar
… in Nordamerika10 m13 m27 m
… in Eurasien13 m21 m26 m
NWSGemäßigte Waldsteppe11 m16 m23 mam niedrigsten in Nordamerika,
am höchsten in Ostasien
GNWGebirgs-Nadelwald16 m53 m29 merwartungsgemäß sehr große Spanne
Kordilleren / Alpen15 m24 m37 m
Sierra Nevada Kalifornien45 m49 m53 mStandorte des Riesenmammutbaums
… Ostasien24 m38 m46 m
KRWGemäßigter Küsten-Regenwald17 m26 m (20 bis >30 m)[4]40 merwartungsgemäß sehr große Spanne
… Pazifische Kordilleren: Nord bis Mitte11 bis 25 m15 bis 30 m19 bis 42 m
Kalifornisches Küstengebirge50 m53 m55 mStandorte des Küstenmammutbaums
… Pazifische Südanden14 m21 m32 m+ 50 m
… West-Tasmanien9 m11 m16 m
Neuseeländische Alpen23 m25 m28 m+ 55 m
NMWGemäßigter Mischwald14 m22 m32 min Asien rund 5 m höher als anderswo
NLWGemäßigter Laubwald14 m22 m32 m
… Nordhalbkugel15 m23 m32 m
… Patagonien11 m16 m20 m
… Neuseeland18 m24 m29 m
SBWSubtropische Bergwälder13 m16 m33 min Ostasien unter 10 m
SHWSubtropischer Hartlaubwald13 m17 m (15 bis 20 m)[4]25 m
… Südwest-Australien (Mallee)7 m8 m10 m
… Ost-Tasmanien29 m41 m47 mStandorte des Riesen-Eukalyptus u. a.
sehr hoher Eukalypten
SLWSubtropischer Lorbeerwald19 m27 m (10 bis 30 m)[4]39 mweltweit sehr große Unterschiede,
Südhalbkugel: + 30 bis 60 m
… Südöstliches Waldland der USA11 m16 m25 m
… Süd-Florida8 m9 m15 m
… Südost-Australien u. Nord-Neuseelands24 m34 m44 m
TTWTropische Trockenwälder9 m12 m23 mweltweit recht einheitlich
TMWTropische Monsunwald (z. T. Savannen)12 m17 m (25 bis >35 m)[4]35 m+ 35 bis 65 m
TBWTropische Bergregenwälder11 m16 m (15–20 m)[4]28 mteilweise + 25 bis 85 m
TRWTropische Regenwälder19 m31 m (30–50 m)[4]42 m
… Immergrüne Regenwälder (Äquator)20 m33 m43 m+ 45 bis 65 (>90) m
… Halbimmergrüne Regenwälder (Zonenrand)15 m23 m38 mhier Mittelamerika, SO-Brasilien,
O-Madagaskar, NO-Australien
+ 20 bis 40 m

Literatur

  • Peter Burschel, Jürgen Huss: Grundriß des Waldbaus. Ein Leitfaden für Studium und Praxis. 2., neubearbeitete und erweiterte Auflage. Berlin: Parey, 1997. ISBN 3-8263-3045-5

Einzelnachweise

  1. Reinhold Erlbeck, Ilse E. Haseder und Gerhard K. F. Stinglwagner: Das Kosmos Wald und Forstlexikon. Stuttgart: Kosmos, 2002. ISBN 3-440-09316-6
  2. Shengli Tao, Qinghua Guo, Chao Li, Zhiheng Wang, Jingyun Fang: Global patterns and determinants of forest canopy height, in Ecology, Volume 97, Issue 12, doi:10.1002/ecy.1580, S. 3265–3270; Ableitungen aus Figur 1: Spatial distribution of forest canopy heights derived from the GLAS data and field-measured giant trees and their latitudinal patterns, in den Vegetationszonengrenzen der Commons-Karte, Vegetationszonen.png PNG, abgerufen am 7. März 2022
  3. a b c 2. Wert nach Jörg S. Pfadenhauer, Frank A. Klötzli: Vegetation der Erde. Springer Spektrum, Berlin/Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-41949-2. S. 488, 491.
  4. a b c d e f g Josef Schmithüsen: Allgemeine Vegetationsgeographie. 2. verbesserte Auflage, De Gruyter, Berlin 1961. S. 99, 103–105, 106.

Weblinks

Commons: Baumschirme und Blätterdächer (Canopy) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Auf dieser Seite verwendete Medien

Müngsten-SG-002-04.09.05 2.jpg
Autor/Urheber: Ökologix, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Naturschutzgebiet „Tal- und Hangbereiche der Wupper mit Seitenbächen“ (NSG SG-002): Blick auf das geschlossene Laubwalddach der Solinger Seite unter der Müngstener Brücke.
World-Canopy.png
Autor/Urheber: Fährtenleser, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Kronendachhöhen der Wälder
Hambacher Forst bei Morschenich DE 2018-09-09 F.jpg
(c) Kimba Reimer, CC BY 2.0
Blätterdach der Baumkronen im Hambacher Forst bei Morschenich. Beginnender Herbst mit Laub verschiedener Baumarten im September 2018.