Weihnachtsgeschichte

Conrad von Soest: Die Geburt Christi, 1404.
Video: Warum feiern wir Weihnachten?

Als Weihnachtsgeschichte bezeichnet man die Erzählungen im Neuen Testament (NT) zur Geburt Jesu von Nazaret. Im engeren Sinn ist damit der Textabschnitt Lk 2,1–20  gemeint, der traditionell im christlichen Weihnachtsgottesdienst verlesen wird. Im weiteren Sinn sind alle Texte zur Kindheitsgeschichte oder Vorgeschichte Jesu im Evangelium nach Matthäus und im Evangelium nach Lukas gemeint. Diese Geschichten werden im Christentum und darüber hinaus vielfältig rezipiert und dargestellt, etwa in Krippenbildern, Krippenspielen, Weihnachtskrippen und Weihnachtsfilmen. Eine einheitliche Weihnachtsgeschichte entstand erst aus der Zusammenführung, Harmonisierung und Deutung der unterschiedlichen biblischen Textmotive.

Die Weihnachtsgeschichte lässt sich auch als Geburtserzählung oder Geburtsgeschichte[1] bezeichnen, da das Wort Weihnachten in den Evangelien nicht vorkommt. Erst in späteren Jahrhunderten wurde Weihnachten als Fest erfunden. Geburtserzählungen finden sich bereits im Alten Testament, beispielsweise die über Ismael. Sie enden mit der Information, dass der Junge beschnitten wurde und welchen Namen er erhalten hat.[2]

Quellen und Absicht

Geburts- und Kindheitsgeschichten Jesu fehlen im älteren Evangelium nach Markus und im jüngeren Evangelium nach Johannes. Auch in den späteren Kapiteln des Matthäus- bzw. Lukasevangeliums wird nicht mehr darauf Bezug genommen. Sie unterscheiden sich nach Inhalten und Zeitangaben stark. Daher gelten sie heute meist als unabhängig voneinander entstandene Texte,[3] die die beiden Evangelisten großteils selbst verfassten und älteren Überlieferungen vom Wirken und Geschick Jesu voranstellten.

Einige übereinstimmende Angaben und Stoffe werden auf eine gemeinsame mündliche Überlieferung zurückgeführt, die die Evangelisten übernahmen und unterschiedlich ausgestalteten:

  • Jesus sei unter dem judäischen König Herodes geboren worden (Mt 2,1f.; Lk 1,5 gegen Lk 2,1f.),
  • und zwar in Bethlehem (Mt 2,5f.; Lk 2,4.15),
  • vor dem Umzug seiner Eltern nach Nazareth (Mt 2,22f.) bzw. vor ihrer Rückkehr dorthin (Lk 2,39).
  • Jesu Eltern Maria und Josef seien miteinander verlobt gewesen (Mt 1,18–20; Lk 1,27; 2,5).
  • Seine Geburt sei eine vom Heiligen Geist gewirkte Jungfrauengeburt gewesen.
  • Engel hätten Jesu Geburt, seinen Namen, seine Messiaswürde als Nachkomme König Davids und Sohn Gottes und seine Aufgabe angekündigt, sein Volk Israel von den Sünden zu retten (Mt 1,21; Lk 1,77; 2,11.30).[4]

Die gemeinsamen Züge werden auf Judenchristen des späten ersten und frühen zweiten Jahrhunderts zurückgeführt, die sich an jüdische Kenner des Tanach wandten. Mit vielfältigen Rückbezügen auf biblische Tradition verkünden sie gemeinsam: Der Jude Jesus aus Nazaret sei der von Gott vorherbestimmte, erwählte endzeitliche Erretter (Messias) seines Volkes Israel, den die Propheten Israels vor langer Zeit angekündigt hatten. Bereits mit seiner Zeugung und Geburt habe JHWH, der Gott Israels und Schöpfer der Welt, seine Zusagen an das erwählte Volk erfüllt. Damit sei auch das von den Propheten angekündigte kommende Reich Gottes in diese vergehende Welt eingebrochen, so dass die Engel Gottes Herrschaft und den Völkerfrieden auf Erden zugleich besingen (Lk 2,14).

Die Geburtsgeschichten stellen Jesu Geburt also in den Zusammenhang der gesamten biblischen Zukunftserwartung und nehmen zugleich seine eigene Botschaft vom Reich Gottes vorweg, die durch seine Passion, seinen Kreuzestod und seine Auferstehung für sie zur Hoffnung auf Jesu Wiederkunft geworden war. Sie setzen also Kenntnis der biblischen Prophetie und des späteren Geschicks Jesu bei ihren Lesern und Hörern voraus und bekräftigen, dieses sei von Beginn an ein vom Gott Israels gewolltes, herbeigeführtes und gelenktes Geschehen zugunsten ganz Israels und der Welt.[5]

Auch das Protoevangelium des Jakobus und das Kindheitsevangelium nach Thomas enthalten Geburtsgeschichten Jesu. Die Chronik von Zuqnin schmückt die Einzelszene der Magier (Mt 2) aus. Diese Apokryphen setzen die NT-Texte voraus und variieren oder ergänzen sie. Vom NT unabhängige Tradition wird nur bei der Vision Jesajas vermutet, die Christen an die jüdische Schrift Ascensio Jesaiae (2.–4. Jahrhundert) anhängten. Sie schildert analog zu Mt 1,18–25 die Ankündigung der Geburt Jesu und darüber hinaus diese selbst, nicht aber die übrigen matthäischen Szenen dazu. Keiner dieser außerbiblischen Texte gilt als Quelle für historische Informationen.[6]

Neues Testament

Lukasevangelium

Bei Lukas umfasst Jesu Kindheitsgeschichte die Vorgänge vor, bei und nach den Geburten Johannes des Täufers und Jesu bis zu dessen 12. Lebensjahr (Lk 1,5–2,52). Dieser zusammenhängende Teil ist im NT wie folgt eingeteilt:[7]

TextInhalt
Lk 1,5–25Ankündigung der Geburt des Täufers
Lk 1,26–38Ankündigung der Geburt Jesu
Lk 1,39–56Begegnung zwischen Maria und Elisabeth
Lk 1,57–66Geburt des Täufers
Lk 1,67–80Benedictus des Zacharias
Lk 2,1–20Geburt Jesu
Lk 2,21–40Jesu Darstellung im Tempel
Lk 2,41–52Der zwölfjährige Jesus im Tempel

Der Darstellung der Geburt Jesu geht im Lukasevangelium die Verheißung der Geburt an Maria durch den Erzengel Gabriel voraus (Lk 1,26–38 ). Parallel dazu wird die Geburt Johannes des Täufers dargestellt (Lk 1,3–25 ) in dem Sinne, dass Jesus als der Größere von beiden ausgewiesen wird („Überbietung“).[8]

Die Geburtsgeschichte Jesu beginnt damit, dass Kaiser Augustus eine „erste“ Volkszählung durchführen lässt und sich deswegen jede Familie in den Heimatort des Familienvaters begeben soll. Aus diesem Grund begibt sich Josef mit seiner hochschwangeren Verlobten Maria nach Bethlehem. Als sie dort ankommen, bringt Maria ihren „erstgeborenen“ Sohn zur Welt. Das Neugeborene wird gewickelt und in eine Krippe gelegt. Daraus wird zumeist geschlossen, dass die Geburt in einem Stall stattfand; es heißt im Text ausdrücklich nur, dass das Paar keinen Platz „in der Herberge“ hatte (Lk 2,7 ). Es wurde erwogen, dass Jesu Eltern eher versucht haben könnten, bei ihren Verwandten zu übernachten als in einer Herberge, aber auf ein bereits volles Haus trafen. Sie seien daher zunächst in einen Stall oder Schuppen mit einer Futterkrippe ausgewichen.[9]

Das griechische Wort κατάλυμα katályma kann entweder als „Herberge“ oder als „Gästezimmer“ übersetzt werden. Das einzige Mal, dass Lukas dieses Wort noch benutzt, ist Lk 22,11 , wo es den Raum für das letzte Abendmahl beschreibt. Das war aber keine „Herberge“, sondern das Obergeschoss eines Gasthauses. Wenn Lukas eine Herberge im Sinne einer Übernachtungsmöglichkeit bezeichnen will, verwendet er das Wort πανδοχεῖον pandocheÎon wie in Lk 10,34 .[10] Daraus ist verschiedentlich geschlossen worden, dass Jesus nicht in einem Stall – das Wort kommt in der Weihnachtsgeschichte nirgendwo vor – geboren wurde, sondern im Obergeschoss eines Hauses von Verwandten von Maria und Joseph, denn Joseph stammte aus dieser Stadt und hatte möglicherweise noch familiäre Beziehungen. Dieses Obergeschoss könnte aber unzureichend möbliert gewesen sein, weshalb man dort für das Neugeborene eine Futterkrippe statt eines Kinderbetts aufgestellt habe.[11]

In der Nähe lagernde Hirten werden von einem Engel aufgesucht. Er teilt ihnen mit, dass in Bethlehem der Heiland (Messias) geboren sei. Darauf kommt eine Schar von Engeln zu dem einen hinzu. Sie lobpreisen Gott und verheißen „den Menschen seines Wohlgefallens“ (oder: den „Menschen, die guten Willens sind“[12]) „Frieden auf Erden“. Die Hirten eilen nach Bethlehem und huldigen dem Kind. Nachdem sie das Kind gesehen und von ihrer Begegnung mit den Engeln erzählt haben, kehren sie wieder zu ihren Herden zurück. Sie „priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.“

Die lukanische Kindheitsgeschichte schließt mit der von der Tora geforderten Darstellung Jesu im Tempel und der Wallfahrt des zwölfjährigen Jesus mit seinen Eltern nach Jerusalem (Lk 2,21–52 ).

Matthäusevangelium

Bei Matthäus sind die Erzählungen von der Abstammung, Geburt und Kindheit Jesu in 1,1–2,23 Teil des matthäischen Prologs (Mt 1,1–4,16)[13] und umfassen folgende Texteinheiten:

TextInhalt
Mt 1,1Überschrift zu 1,1 – 4,16
Mt 1,2–17Genealogie Jesu
Mt 1,18aÜberschrift ( =Rückverweis auf 1,1)
Mt 1,18b–25Geburt Jesu
Mt 2,1–12Anbetung der Magier
Mt 2,13–18Flucht nach Ägypten und Kindermord von Bethlehem
Mt 2,19–23Rückkehr aus Ägypten und Ankunft in Nazareth

Der Evangelist Matthäus erzählt von verschiedenen Vorgängen rund um die Geburt Jesu (Mt 1,1–2,23 ). Die Geburt selbst wird eher beiläufig erwähnt (Mt 2,1 ). Das Kind wird von „Magiern“ (griechisch μάγοι mágoi), Sterndeutern oder Weisen aus dem Osten, aufgesucht, die vom Stern von Betlehem dorthin geführt worden waren. Sie treffen das Kind noch in Bethlehem an, allerdings „im Haus“, nicht in einem Stall oder einer Krippe. Sie huldigen ihm und bringen Geschenke. Auf ihrer Suche nach dem „neugeborenen König der Juden“ hatten sie vorher im Königspalast in Jerusalem nachgefragt. Auf diesem Wege erfährt König Herodes davon, dass ein Rivale geboren wurde, und befiehlt – in Erfüllung des Prophetenwortes Jer 31,15  – den Kindermord in Bethlehem. Dank der Warnung durch einen Engel können sich Maria und Josef mit dem Kind rechtzeitig nach Ägypten absetzen (Flucht nach Ägypten). Nach Herodes’ Tod kehren sie nach Palästina zurück und siedeln sich in Nazareth an.

Matthäus spricht weder von Königen, noch nennt er ihre Namen, noch benutzt er die Zahl drei, wie es die spätere Legende der Heiligen drei Könige tut.

In 1,18b–25 wird erzählt, wie Maria durch das Wirken des heiligen Geistes schwanger ist und einen Sohn gebiert, der den Namen Jesus erhält und so zum Sohn Davids, Sohn Josefs und Sohn Gottes wird. 2,1–23 und 3,1–4,16 führen aus, was dieses konkret bedeutet. (1) Jesus erweist sich als Gottes Sohn, der sich dem Willen Gottes verpflichtet fühlt (3,13–4,11); (2) Mit Hilfe der Erfüllungszitate aus Jes 7,14  und 23–9,1 wird Jesus als Davidssohn vorgestellt, der sich Israel zuwendet; (3) Die Josefsohnschaft Jesu wird mit Hilfe der Jerobeamgeschichte aus 1 Kön 11,26–12,25  gedeutet, wobei Jerobeam als Nachkomme des alttestamentlichen Josef gilt: Während die herodianische Dynastie in Jerusalem und Judäa regiert (Mt 2,1.22), wird Jesus zum König in Galiläa (Mt 2,23; 4,16).[14] Auf diese Weise wird Jesus im Prolog als Messias und Repräsentant Gottes vorgestellt, der sich (als Gottes Sohn) ganz dem göttlichen Willen verpflichtet fühlt, sich (deswegen) Israel (als Sohn Davids) zuwendet, und zwar an erster Stelle in Galiläa (als Sohn Josefs).

Historische Einordnung und Aussageabsicht

Beide Erzählungen wollen das unerhörte Ereignis, das Kommen des Messias und die Menschwerdung Gottes, mit zwei Strategien glaubhaft machen: Zum einen durch Anbindung an historische Gestalten – nirgendwo in der Bibel kommen außerbiblische Personen in derartiger Häufung vor (Augustus, Publius Sulpicius Quirinius, Herodes) –, zum anderen durch ausdrückliche Bezugnahme auf alttestamentliche Prophezeiungen bei Matthäus.

  • Nach Mi 5,1  soll der Messias in Bethlehem zur Welt kommen. Jesus wuchs aber in Nazareth auf, wie etwa in Lk 2,39  bezeugt wird. Dass er dort auch geboren wurde, wird im Markus- und im Johannesevangelium angedeutet, etwa in Mk 6,1 , wo Nazareth als Jesu „Vaterstadt“ genannt wird, oder in Joh 1,45 : „Was kann aus Nazareth Gutes kommen!“. Lukas und Matthäus lösen den Gegensatz zwischen beiden Geburtsstädten mit unterschiedlichen Strategien auf: Lukas mit der Erzählung der Volkszählung, der eine Rückkehr nach Nazareth folgte; nach Matthäus siedelte sich Josef mit seiner Familie erst nach der Flucht nach Ägypten in Nazareth an. Der Geburtsort Bethlehem gilt daher Vielen als legendarisch. Er soll in der Absicht tradiert worden sein, Jesu Abstammung von David und damit seine Messianität glaubhaft zu machen.[15]
  • Nach Jes 7,14  soll der Messias durch eine Jungfrauengeburt zur Welt gekommen sein, was vielleicht ein Missverständnis sein könnte, da das griechische Wort παρθένος (parthénos) in seiner Hauptbedeutung zwar „Jungfrau“ im biologischen Sinne, aber auch einfach „junge Frau“ bedeuten kann. Nach Ansicht von Martina Meyer verdeutlichten der Textzusammenhang und die Wortwahl der Septuaginta, dass hier keine Aussage über das Alter einer Person getroffen werden solle, sondern über deren Jungfräulichkeit.[16] Ebenso bezeichnet der hebräische Begriff עַלְמָה ('almah) ein „unberührtes Mädchen“.[17] Selbst wenn man hier nur an ein „heiratsfähiges Mädchen“ denken wolle, sollte nach Marius Reiser doch beachtet werden, dass nach den Moralvorstellungen dieser Zeit ein heiratsfähiges Mädchen unberührt gewesen sei.[17]
  • Nach Hos 11,1  soll Gott seinen Sohn aus Ägypten kommen lassen, was Matthäus Anlass für die durch keine anderen Quellen belegte Geschichte vom bethlehemitischen Kindermord gibt.
  • Eine vierte von Matthäus angeführte Prophezeiung, wonach der Messias den Beinamen „Nazoräer“ tragen würde (Mt 2,23 ), lässt sich im Alten Testament nicht finden. Es könnte sich jedoch um eine Andeutung auf Jes 11,1  handeln, wo auf den „Spross Isais“ hingewiesen wird, auf Hebräisch „nezer“. Der katholische Theologe Matthias Berghorn hält es dagegen für wahrscheinlicher, dass Ναζωραῖος als Transkription des hebräischen „NZR“ zu verstehen ist, was ein alter Herrschertitel für Jesus als Christus sei (vgl. auch Joh 19 und Apg 2).[18]

Auch unterscheidet sich das Matthäus-Evangelium von den drei anderen durch eine eigentümliche Besonderheit, nämlich durch anfangs immer wieder vorkommende Prophezeiungen aus dem Alten Testament, wie zum Beispiel: „Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat“ – eine Aussage, die eingestreut worden sein könnte, um Jesus als den erwarteten Messias und Erlöser zu bestätigen. Doch ausgerechnet bei seiner „Weisen-Erzählung“ unterlässt Matthäus einen solchen Hinweis. Dabei können in diesem Fall im Alten Testament sogar mit Ps 72,10 [19] und Jes 60,3  zwei Stellen als Hinweise auf das Ereignis in Bethlehem gedeutet werden. Der Grund für den Wegfall dieses Hinweises scheint auf der Hand zu liegen. Saba liegt im Süden der arabischen Halbinsel, also auch südlich von Jerusalem. Die Weisen und Gelehrten kamen aber von Osten – dies wusste natürlich auch Matthäus.

Die historische Anbindung der Weihnachtsgeschichte wirft nach historisch-kritischer Untersuchung ebenfalls Probleme auf. Demzufolge bringt Lukas mit der von ihm erwähnten Volkszählung zwei unterschiedliche römische Verwaltungsvorgänge durcheinander, nämlich:

  1. Den Reichszensus (Bürgerzensus), die Schätzung römischer Bürger im gesamten Imperium Romanum
  2. Den Provinzialzensus, die Schätzung der Provinzbewohner, die das römische Bürgerrecht (Civitas Romana) nicht besaßen.[20]

Der Tatenbericht des Augustus in der Vorhalle des Augustus- und Romatempels in Ancyra (Ankara) erwähnt einen Reichszensus 8 v. Chr.[21] Ein Reichszensus kann Josef nicht betroffen haben, denn wäre er römischer Bürger gewesen, hätte Pontius Pilatus seinen (Adoptiv-)Sohn nicht kreuzigen lassen dürfen. Dreizehn Jahre später, im Jahr 6 n. Chr. schickte Kaiser Augustus den Publius Sulpicius Quirinius als Statthalter in die Provinz Syria,[22] in die das Königreich Judäa kurz zuvor eingegliedert worden war, um die Verhältnisse nach der Verbannung des Herodessohnes Archelaos dort neu zu regeln. Nach Flavius Josephus hielt er in Judäa einen Provinzialzensus ab.[23] Nach Mt 2,1 wurde jedoch Jesus vor dem Tod des Herodes (4 v. Chr.) geboren, was heute von vielen Historikern für glaubhaft gehalten wird.[24] Dies bedeutet, dass sich die beiden Evangelisten in ihren Versuchen, die Geburt des Erlösers in die säkulare Geschichte einzuordnen, widersprechen;[25] die von ihnen nahegelegten historischen Daten liegen um mehr als eine Dekade auseinander. Als Lösung dieses Dilemmas hat die historische Jesusforschung schon vor längerer Zeit diskutiert, ob Quirinius nicht zweimal Statthalter der Provinz Syrien gewesen sein könnte, einmal um 8 v. Chr., das zweite Mal um 6 n. Chr.[26] Die These von der zweifachen Statthalterschaft des Qurinius hat sich in der historischen Forschung aber nicht durchgesetzt.[27]

Der Tübinger Archäologe Philipp Filtzinger weist immerhin darauf hin, dass 1961 ein Steuerformular aus dem Jahre 127 n. Chr. in einer Höhle westlich des Toten Meeres gefunden wurde. Auch hundert Jahre nach dem Tod Jesu mussten sich Einwohner von ihrem Wohnort zu ihrem Geburtsort begeben, um ihre Steuerformulare vor römischen Beamten abzugeben und beispielsweise persönlich vor Ort mit mehreren einheimischen Zeugen ererbten Grundbesitz zu deklarieren.[28]

Josef wohnte nach der lukanischen Tradition in Nazareth, was zu Galiläa gehörte, dies lag aber im Herrschaftsgebiet von Herodes Antipas, wo der römische Statthalter allenfalls indirekte Befehlsgewalt hatte. Selbst wenn dieser ein Interesse daran gehabt hätte, auch die Einwohner der Klientelkönigtumer zu erfassen, wäre es für die Römer, denen es auf funktionierende Steuerlisten ankam, äußerst unpraktisch gewesen, als Eintragungsort nicht den Wohnort, sondern den Stammsitz der Familie zu befehlen. Ob dieser Bethlehem war, wo rund tausend Jahre zuvor König David zur Welt gekommen war, ist außerdem fraglich, denn die beiden Vorfahrenlisten (Mt 1,1–17 ; Lk 3,23–38 ) gelten als fiktiv. Sie stellen Josef als Nachkommen Abrahams und König Davids (Röm 1,3 ) dar, ohne zu beachten, dass Jesus gar nicht dessen leiblicher Sohn gewesen sein soll, und haben keine historische, sondern eine theologische Aussageabsicht.[29]

Da es in der Gegend um Bethlehem im Dezember zwar kaum Nachtfröste gibt, aber zu dieser Jahreszeit keine Pflanzen wie Gräser usw. wachsen, werden die Schafe und Ziegen im Winter stets in Ställen gehalten. Daraus lässt sich schließen, dass Jesus nicht im Dezember geboren sein kann. Das Datum des 25. Dezember wurde auch erst im vierten Jahrhundert unter Kaiser Konstantin I. festgelegt, wobei möglicherweise das Fest des Sonnengottes Sol Invictus eine Rolle spielte.

Aus all diesen Widersprüchen innerhalb der beiden biblischen Weihnachtsgeschichten und zwischen ihnen ziehen einige Historiker und Theologen den Schluss, dass es sich um literarische Fiktionen handelt, mit denen die Gottessohnschaft Christi und sein Kommen in die Welt historisch und prophetisch glaubhaft gemacht werden sollen. Es solle vermittelt werden, dass es sich bei dem Gottessohn auf Erden ihrer Ansicht nach nicht um eine mythische Gestalt, sondern um eine wahrhaftig historische Gestalt gehandelt habe. Zum Geburtsort wird eher angenommen, dass Jesus in Nazareth, dem Wohnort seiner Familie (Mk 6,1 ff. ; Mt 13,54 ), wo er „erzogen“ wurde (Lk 4,16.22 ), auch geboren wurde.[30]

Kirchenjahr

Die geläufigere Weihnachtsgeschichte ist die Erzählung über die Geburt Jesu Christi, wie sie im Neuen Testament vom Evangelisten Lukas in Lk 1,5–80; 2,1–52  erzählt wird. Das Kernstück dieses Textes (Lk 2,1–20 ) wird im christlichen Kulturraum traditionellerweise am Heiligen Abend und am Weihnachtstag bei Gottesdiensten und Weihnachtsfeiern vorgelesen oder nachgespielt. Die evangelische Tradition ist maßgeblich durch die in der Lutherbibel gebotene Übersetzung der Weihnachtsgeschichte geprägt. In der katholischen Liturgie ist die Perikope Lk 2,1–14  das Evangelium der heiligen Messe in der Nacht. In der zweiten Festmesse („Am Morgen“) ist der Evangeliumstext die Verkündigung an die Hirten (Lk 2,15–20 ).

In der dritten Weihnachtsmesse der katholischen Liturgie („Am Tag“) wird der Prolog des Johannesevangeliums (Joh 1,1–18 ) vorgetragen. Die Perikope Mt 2,1–12  ist der Text des Evangeliums am Fest der Erscheinung des Herrn (Epiphanias) am 6. Januar.

Literatur

  • Matthias Berghorn: Die Genesis Jesu Christi aber war so … Die Herkunft Jesu Christi nach dem matthäischen Prolog (Mt 1,1–4,16) (= Bonner Biblische Beiträge 187). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, ISBN 978-3-8471-0954-9.
  • Ulrich Luz: Die Geburtsgeschichten Jesu und die Geschichte. In: Max Küchler, Petra von Gemünden, David G. Horrell (Hrsg.): Jesus – Gestalt und Gestaltungen. Rezeptionen des Galiläers in Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, ISBN 3-647-59362-1, S. 169–192
  • Thomas Schumacher: Geschichte der Weihnachtsgeschichte. Ein historischer und theologischer Schlüssel, Pneuma-Verlag, München 2012, ISBN 978-3-942013-12-3.
  • Joseph Ratzinger: Jesus von Nazareth. Prolog. Die Kindheitsgeschichten. Herder, Freiburg 2012, ISBN 978-3-451-34999-7.
  • Michael Wolter: Die Hirten in der Weihnachtsgeschichte (Lk 2,8–20). In: Michael Wolter: Theologie und Ethos im frühen Christentum: Studien zu Jesus, Paulus und Lukas. Mohr Siebeck, Tübingen 2009, ISBN 3-16-149903-4, S. 355–372
  • Peter Stuhlmacher: Die Geburt des Immanuel. Die Weihnachtsgeschichten aus dem Lukas- und Matthäusevangelium. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-53535-X.
  • Edwin D. Freed: Stories of Jesus’ Birth: A Critical Introduction. (2001) T & T Clark International, London / New York, 2004, ISBN 0-567-08046-3.
  • Raymond E. Brown: The Birth of the Messiah. A Commentary on the Infancy Narratives in the Gospels of Matthew and Luke. Anchor Bible Reference Library, Doubleday, New York 1999, ISBN 0-385-49447-5.
  • Elke Blumenthal: Die biblische Weihnachtsgeschichte und das alte Ägypten. Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1999, ISBN 3-7696-1602-2.
  • Gerhard Perl: Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Weihnachtsgeschichte. In: Christian Friedrich Collatz u. a. (Hrsg.): Dissertatiunculæ criticæ. Festschrift für Günther Christian Hansen. Königshausen & Neumann, Würzburg 1998.
  • Marius Reiser: Wie wahr ist die Weihnachtsgeschichte? In: Erbe und Auftrag Jahrgang 79 (2003), S. 451–463.
  • Rudolf Pesch: Zur Theologie der Kindheitsgeschichten: der heutige Stand der Exegese. Schnell & Steiner, München / Zürich, 1981, ISBN 3-7954-0112-7.
  • Walter Schmithals: Die Weihnachtsgeschichte Lukas 2,1–20. In: Gerhard Ebeling, Eberhard Jüngel, Gerd Schunack (Hrsg.): Festschrift für Ernst Fuchs. Mohr Siebeck, Tübingen 1973, ISBN 3-16-135102-9, S. 281–297.
  • Johannes Riedl: Die Vorgeschichte Jesu. Die Heilsbotschaft von Mt 1–2 und Lk 1–2. Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 1968; DNB 457942339.
Wiktionary: Weihnachtsgeschichte – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Gabriele Theuer: Geburtsgeschichten Jesu / Weihnachten, bibeldidaktisch. In: WiReLex. Februar 2020, abgerufen am 28. Dezember 2021.
  2. Siegfried Zimmer: Die Geburtsgeschichte von Jesus aus Nazareth (Lk 2, 1–21). (mp3-Audio; 41,7 MB; 85:09 Minuten) In: Worthaus.de. 13. Dezember 2014, archiviert vom Original am 6. Januar 2015; abgerufen am 28. Dezember 2021.
    Siegfried Zimmer: Die Geburtsgeschichte von Jesus aus Nazareth (Lk 2, 1–21). (Streaming auf Vimeo; 85:09 Minuten) In: Worthaus.de. 13. Dezember 2014, abgerufen am 28. Dezember 2021.
  3. David Flusser: Jesus. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1999, S. 16 f.
  4. Ulrich Luz: Die Geburtsgeschichten Jesu und die Geschichte. Göttingen 2013, S. 170
  5. Peter Stuhlmacher: Die Geburt des Immanuel, 2006, S. 13 f.
  6. Ulrich Luz: Die Geburtsgeschichten Jesu und die Geschichte. Göttingen 2013, S. 169 f.
  7. Hans Klein: Das Lukasevangelium (= Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament; Bd. 1,3). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006. ISBN 3-525-51500-6, S. 7
  8. Johannes Riedl: Die Vorgeschichte Jesu. Die Heilsbotschaft von Mt 1–2 und Lk 1–2. Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 1968, S. 46 f
  9. Ben Witherington: No Inn in the Room: a Christmas Sermon on Lk 2.1–7, 9. Dezember 2007. Die Ställe um Bethlehem herum waren aus dem Felsen gehauen, so dass die Futterkrippe vermutlich eine einfache Wandnische in einer solchen Höhle war.
  10. David Lyle Jeffrey: Luke. Brazos Theological Commentary on the Bible. Brazos Press, Ada, Ml 2012, S. 41.
  11. Edwin D. Freed: Stories of Jesus’ Birth. A Critical Introduction. Sheffield Academic Press, Sheffield 2001, ISBN 1-84127-132-2, S. 83 f.; auch: Chalice Press, St. Louis, Mo., 2001, ISBN 0-8272-3451-1. – Paul Copan: That’s Just Your Interpretation. Responding to Skeptics Who Challenge Your Faith. Baker Books, Grand Rapids 2001, ISBN 0-8010-6383-3, S. 185.
  12. Das Neue Testament. Übersetzt und neu bearbeitet von Hermann Menge. Nachdruck, Evangelische Hauptbibelgesellschaft, Berlin 1960, S. 92.
  13. Matthias Berghorn: Die Genesis Jesu Christi aber war so … Die Herkunft Jesu Christi nach dem matthäischen Prolog (Mt 1,1–4,16). VR Unipress, Göttingen 2019, S. 37–64.
  14. Matthias Berghorn: Genesis Jesu Christi. S. 65–128.
  15. David Flusser. Jesus. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1999, S. 17; Alexander Demandt: Sternstunden der Geschichte. C.H. Beck, München 2004, S. 75 f.; Gerd Theißen, Annette Merz: Der historische Jesus: Ein Lehrbuch. 4. Auflage, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, S. 158.
  16. Martina Meyer: Virgo Virginum – causa exemplaris für ein gottgeweihtes Leben. In: Erwin Möde (Hrsg.): Christliche Spiritualität und Wandel: Beiträge zur aktuellen Forschung (= Glaube und Ethos, B 8). Lit-Verlag, Berlin/Münster, 2008, ISBN 3-8258-1904-3, S. 117–118.
  17. a b Marius Reiser: Bibelkritik und Auslegung der Heiligen Schrift. Mohr Siebeck, Tübingen 2007, ISBN 3-16-149412-1, S. 327.
  18. Matthias Berghorn: Die Genesis Jesu Christi aber war so … Die Herkunft Jesu Christi nach dem matthäischen Prolog (Mt 1,1–4,16) VR Unipress, Göttingen 2019, S. 105–126
  19. Septuaginta und Vulgata benutzen in Ps 72,10  den Begriff Könige aus Arabien statt des im masoretischen Text erscheinenden Šeba
  20. Herbert Hausmaninger: Census. In: Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike in fünf Bänden. dtv, München 1979, Bd. 1, Sp. 1108
  21. Res gestae divi Augusti C.8. online lateinisch und deutsch
  22. Flavius Josephus: Jüdische Altertümer, 17.13.5.
  23. Jüdische Altertümer, 17.13.5; 18.1.1 und 18.2.1.
  24. Hans Conzelmann: Geschichte des Urchristentums, Göttingen 1978, S. 18
  25. Géza Vermes: The Nativity. History and Legend, Penguin Books, London 2006, S. 19
  26. Theodor Keim: Der geschichtliche Christus. Eine Reihe von Vorträgen mit Quellenbeweis und Chronologie des Lebens Jesu, 3. Auflage, Orell, Füßli und Comp., Zürich 1866, S. 225
  27. Werner Eck: Sulpicius [II 13] P. S. Quirinius. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 11, Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-01481-9, Sp. 1105.
  28. Philipp Filtzinger: Bethlehem. Die christliche Legende : ein historisches Ereignis im Konsulatsjahr des Gaius Censorinus und Gaius Asinius 8 v. Chr. (pdf, 632 kB) 3. September 2001, abgerufen am 7. Januar 2020.
  29. David Flusser: Jesus, 21. Auflage, Rowohlt, Reinbek 1999, S. 16 f.
  30. Gerd Theißen, Annette Merz: Der historische Jesus: Ein Lehrbuch. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 32001; ISBN 3-525-52198-7; S. 42 ff.

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