Kinderspiel

Die Kinderspiele (um 1560) Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren
Vergnügungen der Kinder. Der Steckenreiter. Der auf dem Schaukelpferde. Der Kinderwagen. Das Schaukeln im Seile. Kupferstich von Daniel Chodowiecki

Als Kinderspiel bezeichnet man die Tätigkeit des Kindes, bei der es, mit angeborener Neugier und Lust dem Spieltrieb folgend, sich selbst kennenlernt, seine Umgebung erforscht und sein Rollenverständnis in der Gesellschaft entwickelt.

Entwicklungspsychologisch werden im Kinderspiel – wie für das Spielen überhaupt – verschiedene Spielarten und Spielformen unterschieden:

  1. Funktionsspiele mit dem eigenen Körper und mit Gegenständen (wie etwa das Hickelkastenspiel, Murmelspiel),
  2. Fiktionsspiele, das heißt Deutungs- und Illusionsspiele,
  3. Rollenspiele, die insbesondere als frei assoziierte Gruppenspiele und als reglementierte Gesellschaftsspiele einen breiten Raum in der Sozialisation einnehmen und an die das Spiel Erwachsener nahtlos anschließt.

Ausgehend vom gegenständlichen Spiel unterscheiden sich im Kinderspiel:

  1. Rezeptionsspiele,
  2. Herstellungsspiele,
  3. Konstruktionsspiele.

Für die Entwicklung des Kindes haben sich psychologisch und pädagogisch unterschiedliche Spielarten und -formen als besonders wertvoll, andere wiederum als äußerst schädlich erwiesen. Diese Erkenntnisse werden bei der handwerklichen und industriellen Spielzeuggestaltung und Herstellung der Spielzeuge, Spielgeräte und Spiele nicht immer berücksichtigt und sollten beim Spielwarenkauf für das Kind beachtet werden.

Bewertung des kindlichen Spielverhaltens

Kinderspiel als Abenteuer
Füttern des hungrigen Pferdes, archiviert im Ida-Seele-Archiv

Kinderspiel und Spielverhalten von Kindern dürfen nicht als „wertlose Tändelei“ oder „Zeitvertreib aus Langeweile“ missverstanden werden. Die abwertende Bezeichnung „Spielerei“ für das nicht ausdrücklich lernorientierte Spiel ist daher von der Idee des Spielens her nicht sachgerecht. Das Spiel der Kinder erfährt seinen Sinn bereits aus sich selbst. Es nimmt aber auch bei der seelischen Entwicklung eine wichtige Funktion ein.[1]

Einer erfolgreichen Entwicklung abträglich wären allerdings Spielarten, die das Kind zu wenig aktivieren und als bequeme Realitätsflucht genutzt werden.

Kritische Kinderspiele

Die Spielpädagogik unterscheidet zwischen dem „freien“ (von den Kindern in Eigeninitiative selbst gestalteten Spiel) und dem „gelenkten“ (von Pädagogen oder Therapeuten zu bestimmten Zwecken beeinflussten Spiel).[2]

Auch das freie kindliche Spiel vollzieht sich nicht in wertfreien Räumen und bleibt in seinen Wirkungen auf die kindliche Psyche nicht folgenlos: Das Spiel kann nachhaltige positive wie negative Lernfolgen für das kindliche Sozialverhalten, seine weitere Spiellust und seine Gesamtentwicklung haben.[3][4]

Die Spieldidaktiker Siegbert A. Warwitz und Anita Rudolf stellen in einem Diskussionsforum exemplarisch mehrere solcher Spielarten dar, die empfindliche kindliche Seelen zutiefst verletzen, Ängste hervorrufen, das natürliche Sozialgefüge beschädigen und dauerhaften Spielverdruss bewirken können. Es handelt sich dabei vor allem um die Kategorien der sogenannten Hämespiele und bestimmte Formen von Kriegsspielen:[5]

Die Hämespiele reichen vom Quälen von Tieren (einer Katze scheppernde Dosen an den Schwanz binden oder einen gefangenen Vogel am Bindfaden fliegen lassen) bis zu Spielen, die ahnungslosen Kindern verletzende Demutsgesten abfordern oder sie unter dem spöttischen Gelächter der Mitspieler aus dem Spielkreis ausschließen.

In anderer Weise kritisch sind die bei Kindern aller Altersstufen hoch beliebten Kriegsspiele zu sehen. Die Einschätzung von Kriegsspielzeug (z. B. Nachbildungen von Gewehren und Pistolen) und Kriegsspielen wird in der Fachwelt kontrovers diskutiert.[6][7] Der Kauf von Kriegsspielzeug wird daher von Eltern und Erziehern häufig als problematisch eingestuft.[8] Die angemessene Einordnung und Beurteilung dieser Spielgattung erfordert von den verantwortlichen und oftmals unbegründet eingreifenden Erwachsenen allerdings Sachkenntnisse zum Symbolspiel und eine unvoreingenommene, unideologische Auseinandersetzung mit dem speziellen Spielgedanken, insbesondere auch eine Differenzierungsfähigkeit zu den sogenannten Killerspielen.[9]

Kinderspiele (Auswahl)

Reigenspiel, archiviert im Ida-Seele-Archiv
Beim Memory-Kinderspiel

Musikalische und rhythmische Kinderspiele

Dazu zählen vor allem

"Musikalische Bewegungsspiele gehören seit je zum Spielrepertoire der Kinder. Früher konnten sie im Freien auf Wiesen und Höfen und Straßen gespielt werden. Diese Wind- und Wetterorte stehen unseren Kindern heute kaum noch zur Verfügung. Aber wo sie neu geschaffen oder noch vorhanden sind, werden in den unterschiedlichen Jahreszeiten auch wieder alte und neue Tanz- und Bewegungsspiele gespielt."[10]

So erfreut sich vor allem das bewegte Singspiel aufgrund seiner einfachen Melodik und Harmonik größter Beliebtheit in völlig neuen Kontexten, so etwa als Mallorca-Hit (Das rote Pferd) oder als Youtube-Phänomen (Kleiner Hai).[11][12]

Bewegungsspiele

Bewegungsspiele sind freudvolle Handlungen, über die sich körperliche und geistige Fertigkeiten entwickeln, beispielsweise

Weitere Spiele

Kinder beim Würfelspiel

Weitere Bedeutung

Als Kinderspiel wird umgangssprachlich auch eine Sache bezeichnet, die sehr einfach zu verstehen und zu handhaben ist („das ist doch ein Kinderspiel“).

Siehe auch

Literatur

  • Ingeborg Weber-Kellermann, Regine Falkenberg: Was wir gespielt haben. Erinnerungen an die Kinderzeit. Insel-Verlag, Frankfurt am Main 1981.
  • Franz Magnus Böhme (Hrsg.): Deutsches Kinderlied und Kinderspiel: Volksüberlieferungen aus allen Landen deutscher Zunge, gesammelt, geordnet und mit Angabe der Quellen, erläuternden Anmerkungen und den zugehörigen Melodien. Unveränderter Neudruck. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1924.
  • Giovanni Antonio Colozza: Psychologie und Pädagogik des Kinderspiels. Oskar Bonde, Altenburg 1900.
  • Gisela Wegener-Spöhring: Die Bedeutung von 'Kriegsspielzeug' in der Lebenswelt von Grundschulkindern. In: Z.f. Päd. 32(1986), S. 797–810.
  • Siegbert A. Warwitz, Anita Rudolf: Vom Sinn des Spielens. Reflexionen und Spielideen. 5. Auflage, Verlag Schneider, Baltmannsweiler 2021, ISBN 978-3-8340-1664-5, S. 126–145.
  • Imbke Behnken: Urbane Spiel- und Straßenwelten. Zeitzeugen und Dokumente über Kindheit am Anfang des 20. Jahrhunderts. Juventa-Verlag, Weinheim 2006.
  • Hein Retter: Kinderspiel zwischen Medien und Kommerz. Zum Wandel des Spiels in der gegenwärtigen Gesellschaft. Interdisziplinäre Annäherungen. In: K. Richter, T. Trautmann (Hrsg.): Kindsein in der Mediengesellschaft. Deutscher Studien Verlag, Weinheim 2002, S. 283–304.
  • Johannes Bilstein, Matthias Winzen, Christoph Wulf (Hrsg.): Anthropologie und Pädagogik des Spiels. Beltz-Verlag, Weinheim 2005.
  • Ignaz Vinzenz Zingerle: Das deutsche Kinderspiel im Mittelalter. Wagner, Innsbruck 1873 (Digitalisat)
  • Andreas Flitner (Hrsg.): Das Kinderspiel. 2. Auflage. Piper, München 1974.
  • Hein Retter: Kinderspiel und Kindheit in Ost und West. Spielförderung, Spielforschung und Spielorganisation in einzelnen Praxisfeldern – unter besonderer Berücksichtigung des Kindergartens. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1991.
  • Hein Retter: Die Bedeutung des Spiels in einer sich verändernden Kinderwelt. In: Irmischer, Hammer, Wendler, Hoffmann (Hrsg.): Spielen in der Psychomotorik. Hrsg. vom Aktionskreis Psychomotorik e. V. verlag Aktionskreis Literatur und Medien, Lemgo 2004, Seiten 29–40.
  • Wolfgang Einsiedler: Das Spiel der Kinder. Zur Pädagogik und Psychologie des Kinderspiels. 3. Auflage, Bad Heilbrunn 1999, ISBN 3-7815-0977-X.
  • Anita Rudolf, Siegbert A. Warwitz: Spielen – neu entdeckt. Grundlagen-Anregungen-Hilfen. Verlag Herder, Freiburg 1982.
  • Hans Mogel: Psychologie des Kinderspiels. 3. Auflage. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2008, ISBN 978-3-540-46623-9.

Weblinks

Commons: Kinderspiele – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Spielende Kinder – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikibooks: Spiele: Kinderspiele – Lern- und Lehrmaterialien
Wiktionary: Kinderspiel – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Siegbert A. Warwitz, Anita Rudolf: Was Spielen bewirken kann, In: Dies.: Vom Sinn des Spielens. Reflexionen und Spielideen. 5. Auflage, Verlag Schneider, Baltmannsweiler 2021, ISBN 9783834016645, S. 22–25.
  2. Johannes Bilstein, Mathias Winzen, Christoph Wulf (Hrsg.): Anthropologie und Pädagogik des Spiels. Weinheim 2005.
  3. Siegbert A. Warwitz, Anita Rudolf: Was Spielen bewirken kann. In: Dies: Vom Sinn des Spielens. Reflexionen und Spielideen. 5. Auflage, Verlag Schneider, Baltmannsweiler 2021, Seiten 22–25.
  4. Wolfgang Einsiedler: Das Spiel der Kinder. Zur Pädagogik und Psychologie des Kinderspiels. 3. Auflage, Bad Heilbrunn 1999.
  5. Siegbert A. Warwitz, Anita Rudolf: Vom Sinn des Spielens. Reflexionen und Spielideen. 5. Auflage, Verlag Schneider, Baltmannsweiler 2021, Seiten 126–145 und 152–160.
  6. Siegbert A. Warwitz, Anita Rudolf: Umstrittene Spielformen, In: Dies.: Vom Sinn des Spielens. Reflexionen und Spielideen. 5. Auflage, Verlag Schneider, Baltmannsweiler 2021, Seiten 126–145.
  7. Gisela Wegener-Spöhring: Die Bedeutung von 'Kriegsspielzeug' in der Lebenswelt von Grundschulkindern. In: Z. f. Päd. 32 (1986), Seiten 797–810.
  8. Was ist das überhaupt: "Kriegsspielzeug"? Berghof Foundation, abgerufen am 21. Januar 2013 (Auszüge aus Jürgen Fritz: Videospiele zwischen Faszination, Technik und Kommerz. In: Ders. (Hrsg.): Programmiert zum Kriegspielen. Weltbilder und Bilderwelten im Videospiel. Bonn 1988, S. 82ff. als PDF (8 KB, 5 S.) abrufbar).
  9. Siegbert A. Warwitz, Anita Rudolf: Zur Symbolik des Kinderspiels. In: Dies.: Vom Sinn des Spielens. Reflexionen und Spielideen. 5. Auflage, Verlag Schneider, Baltmannsweiler 2021, S. 126.
  10. M. & W. Jehn: Gehn wir auf die Reise – Musikalische Kinderspiele aus aller Welt. Worpsweder Musikwerkstatt, 2000.
  11. Kinderlied erobert Mallorca und die Skihütten: Partykracher Das rote Pferd (Memento vom 8. April 2009 im Internet Archive)
  12. Simple Gassenhauer (Memento vom 5. Juli 2008 im Internet Archive) auf Vanityfair.de

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