Kiebitz (Spielbeobachter)

Bei vielen Brett- und Kartenspielen, zum Beispiel Schach und Skat, werden Zuschauer, die ein Spiel beobachten, Kiebitze genannt.

Viktor Schufinsky Schachspieler mit Kiebitz (1902)

Bei Kartenspielen ist es üblich, dass ein Kiebitz nur einem Spieler in die Karten sehen darf. Damit will man möglichen zeichengebenden Gesten oder Bemerkungen vorbeugen. Bei großen internationalen und nationalen Turnieren (Schach, Bridge) ist das Kiebitzen lediglich über Monitore möglich. Beim Schach wird der Begriff teilweise pejorativ verwendet; gemeint sind dann Beobachter, die sich durch Zwischenbemerkungen einmischen.[1] Das Wort ist auch im englischen Sprachraum als kibitz oder kibitzer (Substantiv) oder to kibitz (Verb) bekannt. Im Polnischen wird als "kibic" ein Fan einer Sportart, eines Sportklubs oder im Allgemeinen ein Zuschauer einer Sportveranstaltung bezeichnet.

Herkunft des Wortes

Mit der Vogelart Kiebitz, deren Name als Schallwort aus dem Warnruf dieses Regenpfeifers entstand, ist die Bezeichnung für den Spielbeobachter wahrscheinlich nur durch Volksetymologie verbunden.[2] Lautgestalt und Gebrauchsweise sind wohl durch diesen Vogelnamen beeinflusst (im Verständnis der Sprachwissenschaft sekundär motiviert), jedoch ist die Bezeichnung aus einer anderen Wurzel entstanden. Nach vorherrschender sprachwissenschaftlicher Meinung[3] stammt es aus dem Rotwelschen[4][5], der Geheimsprache der Fahrenden und Gauner, wo seit dem 19. Jahrhundert die Formen Kiewisch, Chippesch, Gippesch, Kippesch, mit den Bedeutungen „Durchsuchung, Untersuchung, Leibesvisitation“, dazu die Zusammensetzungen Medinekiewisch („Landstreife, polizeiliche Treibjagd auf Zigeuner“), Unterkiewisch („Untersuchung, Untersuchungsprozeß“) und die Verben kiewischen, kibitschen, chippischen, unterkiewischen („untersuchen, durchsuchen“) sowie bekibbischen („betasten“) bezeugt sind.

Im Rotwelschen bezieht sich das Wort zunächst auf die obrigkeitliche Kiewisch gegen Rotwelschsprecher und „Zigeuner“ und auf die ärztliche Untersuchung von Prostituierten, daneben auch allgemeiner auf das Durchsuchen von Taschen, Kleidung, Räumlichkeiten sowie auf das gegenseitige Untersuchen der Rotwelschsprecher nach einer erfolgreichen kriminellen Unternehmung zur Sicherstellung, dass keiner der Teilnehmer einen Teil der Beute unterschlägt. Die ursprüngliche Verwendungsweise lebt auch in dem verwandten österreichischen Wort Kiberer („Polizist“) fort.

Bereits 1855 war der Begriff Kibitze im Schachspiel geläufig.[6] Spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Wort auf den Bereich des Kartenspiels übertragen[7] und ging von dort in die deutsche Umgangssprache und in weiterer Folge auch in die Literatursprache ein.[8]

Die Wurzel des rotwelschen Wortes ist nicht sicher bekannt, in älterer Literatur wurde hierfür ein jiddisches Wort kobesch sein oder koiwesch sein „bezwingen, unterdrücken“[4][9] und möglicher Einfluss von kewius „Gewißheit, Sicherheit“[4] vermutet.

Anmerkungen

  1. Eintrag „Kiebitz“, in: Klaus Lindörfer: Schachlexikon. Geschichte. Theorie und Spielpraxis von A-Z, Orbis Verlag, München 1991, S. 137, ISBN 3572027349
  2. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearbeitet von Elmar Seebold, 23., erw. Aufl., Walter de Gruyter, Berlin / New York 1995, S. 440
  3. Anders Artur Kutzelnigg, Stibitzen, kiebitzen, in: Muttersprache 92 (1982), S. 196–199, der den Vogelnamen und eine sächsische Variante Stiebitz als Wurzel der Wörter stibizen und kiebitzen ansetzt
  4. a b c Siegmund A. Wolf, Wörterbuch des Rotwelschen: Deutsche Gaunersprache, Bibliographisches Institut, Mannheim 1956, S. 164, Nr. 2607 (Kiewisch)
  5. Friedrich Christian Avé-Lallemant, Das deutsche Gaunerthum in seiner social-politischen, literarischen und linguistischen Ausbildung zu seinem heutigen Stande, F. A. Brockhaus, Leipzig 1862, Teil III, S. 558, vg. S. 388; Teil IV, S. 205 Anm. 1
  6. Wiener Schachzeitung, 1855, S. 62: „gaffende Menge von ‚Kibitzen‘“
  7. Wolf, Rotwelsches Wörterbuch (1956), S. 164, führt kiebitzen („beim Kartenspiel zuschauend beobachten“) erst für 1956 aus eigener Kenntnis Berliner Mundart an, mit Bezug auf das Skatspiel findet es sich jedoch mindestens seit Eugen Isolani (eigentlich Isaacsohn, * 1860 in Marienburg, † 1932 in Berlin), Beim Kibitzen: Lustige Skatologische Betrachtungen, Richard Bertling, Dresden 1888, 61 S.
  8. Z.B. Egon Friedell, Ecce Poeta, S. Fischer, Berlin 1912, S. 213: „man muß schon ziemlich von Gott verlassen sein, um bei einer Partie Billard oder Skat stundenlang kiebitzen zu können“; Kurt Tucholsky, Dichtkunst 1926, Vers 24ff.: „Arminius, der Große Kurfürst und Stein / spielen ein schönen Bierskat zu drein; / Blücher und Barbarossa mit Bart / kiebitzen dazu auf deutsche Art“ (Kurt Tucholsky, Gedichte, hrsg. von Mary Gerold Tucholsky, 4. Aufl., Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 2001, S. 483)
  9. Erich Bischoff, Wörterbuch der wichtigsten Geheim- und Berufssprachen, Jüdisch-Deutsch, Rotwelsch, Kundensprache, Soldaten-, Seemanns-, Weidmanns-, Bergmanns- u. Komödiantensprache, Grieben, Leipzig 1916, S. 44, vgl. Lallemant, Das deutsche Gaunerthum (1862), Teil III, S. 388

Weblinks

Wikisource: Die_„Kibitze“ – Quellen und Volltexte

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Viktor Schufinsky ohne Titel Schachspieler mit Kibitz