Khoisan

Eine San in Botswana

Als Khoisan werden die indigenen Bevölkerungsgruppen des Südens und Südwestens Afrikas bezeichnet, denen die Khoikhoi und die San angehören. Die Khoisan sind genetischen Untersuchungen zufolge die älteste heute existierende Menschengruppe. Khoisan sprechen Khoisansprachen, die durch ihre zahlreichen Klick- und Schnalzlaute gekennzeichnet sind.[1]

Die größte Khoisan-Volksgruppe stellen die Nama dar, welche hauptsächlich in Namibia leben.

Begriffsgeschichte

Der Begriff Khoisan deutet die Einheit der sich ursprünglich als Khoi bezeichnenden Bevölkerung an. Die durch Europäer eingeführte Trennung der Khoi in zwei unterschiedliche Gruppen, die der Khoikhoi („Hottentotten“) und die der San („Buschmänner“), geht bis ins 17. Jahrhundert zurück. Um die Bewohner zu klassifizieren, benutzte man physische wie ökonomische Merkmale. Man bezeichnete die viehhaltende Bevölkerung als Khoikhoi, die viehlosen Jäger und Sammler als San, unabhängig davon, ob sich die Gesellschaften selbst als homogene Gruppe sahen. Die Trennung anhand von ökonomischen Aspekten wurde jedoch von den durch Viehzucht wohlhabenderen Khoi unterstützt. Sammeln wurde gemeinhin als „niedere“ Tätigkeit gegenüber der des Viehzüchtens angesehen. So ist die Bezeichnung San keine Eigenbezeichnung, sondern eine Fremdbezeichnung, die diesen Unterschied verdeutlichen soll.[2]

Die Wortschöpfung Khoisan wurde erstmals 1928 von dem Anthropologen Leonhard Schultze gebraucht, um eine für ihn erkennbare „rassische“ Verbindung zwischen Khoikhoi und San auszudrücken.[3]

Auch Isaac Schapera benutzte in seinem Werk The Khoisan Peoples of South Africa: Bushmen and Hottentots. (1930) den Begriff Khoisan und definierte beide Gesellschaften als kulturelle, linguistische und ethnische Einheit.

1963 wird der Begriff durch den Linguisten Joseph Greenberg weiter definiert. Seine Theorie der drei Gruppen: den südlichen, nördlichen und zentralen Khoisan-Sprachbünden wird jedoch kontrovers diskutiert. Die innere Klassifikation ist nach wie vor strittig, da die Sprachen der Khoisan nur spärlich erforscht sind.[4]

In der Ethnologie wird der Begriff ganz allgemein für eine im südlichen Afrika beheimatete Bevölkerungsgruppe benutzt, unabhängig ihrer politischen oder familiären Organisationsstrukturen und ökonomischen oder biologischen Merkmale.

Siedlungsgebiet und Geschichte

Verbreitung und Sprecher der Khoisansprachen

Die Khoisan leben heute überwiegend in Namibia, Südafrika, Botswana und Angola. Früher reichte ihr Verbreitungsgebiet sehr viel weiter nach Norden. Viele der bis zu 20.000 Jahre alten Felszeichnungen im Süden Afrikas werden in die Geschichte dieser Menschengruppen gestellt.

Die schwarzafrikanischen Damara, welche einen ähnlichen Khoisan-Dialekt wie die Nama sprechen und auch in Namibia leben, werden aufgrund der eng verbundenen Geschichte mitunter zu den Khoisan gezählt. Aufgrund einer genetischen Verwandtschaft vor allem mit den Bantuvölkern, werden sie insbesondere bei herkunftsbezogenen Studien über Khoisan jedoch in der Regel nicht einbezogen.[5]

Die in Tansania lebenden Hadza und Sandawe werden aufgrund phonetischer Gemeinsamkeiten manchmal zu den Khoisansprachen hinzugezählt. Obgleich ein Khoisananteil von 7 bis 9 Prozent im Genom der Hadza und Sandawe entdeckt wurde, sind die beiden tansanischen Volksgruppen allerdings hauptsächlich mit den afroasiatischen Volksgruppen Äthiopiens und Somalias verwandt.[6]

Sowohl sprachliche wie auch archäologische Funde belegen, dass die Khoisan ursprünglich große Teile Afrikas südlich des Äquators bewohnten und erst später von bäuerlichen Bantu-Völkern verdrängt wurden. Die Expansion der Bantu begann bereits vor unserer Zeitrechnung. Die Bantu, ausgerüstet mit Ackerpflanzen und Eisenwerkzeugen, verdrängten innerhalb weniger Jahrhunderte die verstreut lebenden Jäger und Sammler der Khoisan-Völker. Die Ausbreitung der Bantu endete in der Nähe des 25. Breitengrades (Pretoria) – vermutlich weil die Ackerpflanzen, die sie mitbrachten – Yamswurzel, Sorghum, Hirse – im mediterranen, winterfeuchten Klima des südlichen Afrikas nicht gedeihen. So konnten sich die Khoisan in dieses Gebiet zurückziehen. Erst nach der Ankunft der Europäer im südlichen Afrika, die mediterrane Pflanzen mitbrachten, besiedelten Bantu-Völker auch das südliche Afrika. Infolge der europäischen Landnahme wurden die Khoisan ein weiteres Mal dezimiert.[7] Eingewanderte Bantu-Männer haben mit den Khoisan-Frauen auf dem Gebiet des heutigen Sambia Nachkommen gezeugt, wie genetische Studien des Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und des französischen Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in Lyon bewiesen haben.[8]

Besonderheit: Ausdauerjagd

Die älteste Form der menschlichen Jagd ist die Ausdauerjagd. Sie beruht auf der gegenüber fast allen Säugetieren überlegenen Ausdauer des Menschen beim Laufen. Schnelle Jäger wie Geparden, die kurze Zeit Geschwindigkeiten von über 100 km/h erreichen, können sie nur wenige Augenblicke durchhalten, bevor sie entkräftet zusammenbrechen würden.[9] Sie müssen das Jagdwild in einem Anlauf erreichen, sonst ist es entkommen. Auch Löwen oder Wildhunde halten hohe Geschwindigkeiten nur kurze Zeit durch und müssen durch Anschleichen, Wegabschneiden oder Einkreisen (also Zusammenwirken im Rudel) zum Erfolg kommen. Der durch die langen, relativ starken Beine und den aufrechten Gang für schnelles Laufen gut gebaute Mensch kann dagegen mittels seiner etwa zwei Millionen Schweißdrüsen seinen Körper effektiv kühlen und daher einen Lauf stundenlang durchhalten. Die Jäger der Khoisan im südlichen Afrika erlegen noch heute schnelle Huftiere wie Zebras oder Steinböckchen, indem sie so lange hinter ihnen herlaufen, bis diese entkräftet zusammenbrechen.

Ursprungstheorien

Stammbaum der Menschen in den letzten 300.000 Jahren. v. r. n. l.: Khoisan, Mbuti-Pygmäen, Westafrikaner, Ostafrikaner, Nichtafrikaner

Genetische Untersuchungen bestätigten die Sonderstellung der Khoisan im Stammbaum der Menschen: Die Stammeslinie der Khoisan spaltete sich schon vor 200–300.000 Jahren von allen anderen Menschengruppen ab. Es wurde geschätzt, dass die anderen Populationen seitdem mit 10 bis 30 Prozent zum Genom aller heutigen Khoisan beitrugen. Unter den !Kung-San wurde dabei der geringste Anteil an jüngster Vermischung mit anderen Populationen festgestellt.[1]

Aufgrund dieser isolierten Stellung wird deshalb seit langem die Hypothese diskutiert, ob die Klick- und Schnalzlaute der Khoisan-Sprachen ein Relikt einer Proto- oder „Ursprache“ des Menschen sind: Es könnte sich um Laute handeln, welche die Khoisan behalten, alle anderen Völker dagegen verloren haben. Kritiker halten entgegen, dass es genauso umgekehrt sein könnte, dass die Khoisan diese Laute erst nach ihrer ethnischen Abspaltung angenommen haben. Ein Grund könnte sein, dass diese Laute in der Kommunikation der Jäger und Sammler von Vorteil sind.[10]

Literatur

  • James Suzman: Affluence Without Abundance: The disappearing world of the Bushmen. Bloomsbury, 2017.
  • Isaac Schapera: The Khoisan Peoples of South Africa: Bushmen and Hottentots. Routledge, London 1930.
  • Manuel Viegas Guerreiro, Bochímanes ǃKhu de Angola, Junta de Investigação do Ultramar, Lissabon 1968.
  • Susanne Berzborn: Ziegen und Diamanten: Sicherung des Lebensunterhalts im ländlichen Südafrika. Kölner ethnologische Studien Bd. 30, 2006.
  • Alan Barnard: Anthropology and the Bushman. Berg, Oxford 2007.
  • Joseph H. Greenberg: The Languages of Africa. Indiana University Press, Bloomington 1963.

Weblinks

Commons: Khoisan – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Carina M Schlebusch, Per Sjödin, Gwenna Breton, Torsten Günther, Thijessen Naidoo, Nina Hollfelder, Agnes E Sjöstrand, Jingzi Xu, Lucie M Gattepaille, Mário Vicente, Douglas G Scofield, Helena Malmström, Michael de Jongh, Marlize Lombard, Himla Soodyall, Mattias Jakobsson: Khoe-San Genomes Reveal Unique Variation and Confirm the Deepest Population Divergence in Homo sapiens. In: Molecular Biology and Evolution, Volume 37, Issue 10. Oktober 2020, S. 2944–2954, abgerufen am 2. März 2023 (englisch).
  2. Alan Barnard: Anthropology and the Bushman. Berg, Oxford 2007, S. 5
  3. Susanne Berzborn: Ziegen und Diamanten: Sicherung des Lebensunterhalts im ländlichen Südafrika. Kölner ethnologische Studien Bd. 30, 2006, S. 41
  4. Joseph H. Greenberg: The Languages of Africa. Indiana University Press, Bloomington 1963
  5. Montinaro F, Busby GB, Gonzalez-Santos M, Oosthuitzen O, Oosthuitzen E, Anagnostou P, Destro-Bisol G, Pascali VL, Capelli C.: Complex Ancient Genetic Structure and Cultural Transitions in Southern African Populations. In: Genetics. Januar 2017, abgerufen am 2. März 2023 (englisch).
  6. Daniel Shriner, Fasil Tekola-Ayele, Adebowale Adeyemo, Charles N Rotimi: Genetic Ancestry of Hadza and Sandawe Peoples Reveals Ancient Population Structure in Africa. In: Genome Biology and Evolution, Volume 10, Issue 3. März 2018, abgerufen am 2. März 2023 (englisch).
  7. Jared Diamond: Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften. Fischer, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-596-14967-3, S. 467–500
  8. Uralte Khoisan-Abstammungslinien überdauerten in heute lebenden Bantu-Gruppen
  9. Das Wissen der San. Namibia: Wie Kulturen aufeinander treffen. (Memento vom 21. Juni 2010 im Internet Archive)
  10. Eine Übersicht über die Argumente gibt Hartmut Traunmüller: Clicks and the idea of a human protolanguage. In: PHONUM. Vol. 9, 2003, S. 1–4 (PDF, 58 kB; englisch).

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