Katakombenheiliger

Der Katakombenheilige Pankratius von Wil
Katakombenheiliger im Stift Stams
Kopfreliquiar des Katakombenmärtyrers Dominicus (Oberschwaben, 18. Jahrhundert)

Katakombenheilige sind unbekannte Personen aus der Zeit des frühen Christentums, deren Gebeine zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert in großer Zahl aus den Katakomben in Rom entfernt wurden. Typischerweise wurden solche Reliquien später reich mit Gold, Edelsteinen und Stickereien verziert.

Geschichte

Bis ins 7. Jahrhundert galten die Gräber der Märtyrer in Rom als unantastbar. Seit dem Pontifikat von Papst Theodor I. (642–649) wurden sie vereinzelt in andere Kirchen übertragen. Erst als die Langobarden Rom bedrohten, wurden Reliquien in größerem Umfang aus den Katakomben in römische Stadtkirchen überführt. Im Zuge der Romanisierung des Fränkischen Reichs im Frühmittelalter begann der Transfer von Reliquien aus Rom in reichsunmittelbare Klöster und Stifte im Frankenreich.[1]

Der Wunsch, Reliquien von Märtyrern zu besitzen, war vor allem in Klöstern oder Pfarrkirchen sehr groß. Um Reliquien zu bekommen, musste man sich an einen Kurialprälaten in Rom wenden. Wenn sich die kirchliche Stelle zu dieser Anfrage positiv stellte, wurde eine Katakombe geöffnet, die Reliquie entnommen und von einem Kurialbischof eine Echtheitsbescheinigung (Authentik) ausgestellt.[2] Der Transport der Reliquien samt Beigaben über die Alpen erfolgte durch Rompilger. Diese erste Einholung des heiligen Körpers nannte man Illation, durch einen apostolischen Notar wurde darüber eine Urkunde erstellt. Eine weitere Aufgabe war die Suche nach einem Konvent, der das Ausschmücken der Reliquien vornahm. Dort wurden unter Zeugen die Siegel, die in Rom vor der Illation angebracht wurden, gebrochen. Die Gebeine wurden dann gesäubert und in einem Reliquiar zusammengestellt. Bei vielen Leibern waren nicht alle Knochenstücke erhalten, so dass nachträglich auch Knochen aus Holz geschnitzt wurden. Verwendet wurden zum Schmuck kostbare Stoffe, Edelsteine und Golddrähte.

Wenn die schriftliche Erlaubnis des Bischofs eintraf, wurde ein Termin der feierlichen Übertragung (Translation) festgelegt. Diese fand überwiegend in feierlicher Prozession statt. Der Schrein wurde dann zur Verehrung durch das Volk auf der Mensa eines Altars ausgesetzt.[3]

Im Bildersturm der Reformationszeit des 16. und 17. Jahrhunderts wurden katholische Kirchengebäude systematisch auch ihrer Reliquien beraubt. Daraufhin ordnete der Heilige Stuhl an, dass tausende von Gebeinen aus den Katakomben in Rom exhumiert würden. Ob diese Gebeine zu Menschen von größerer Bedeutung für das Christentum gehörten, ist unklar, bei einigen mag es sich jedoch um frühchristliche Märtyrer gehandelt haben. Teils hat man die Katakombenheiligen mit gleichnamigen anderen Heiligen identifiziert und mit deren Geschichte ausgestattet. Den Reliquien wurde ein Name zugeordnet, und sie wurden vor allem in die deutschsprachigen Gebiete nördlich der Alpen verbracht. Zwar durften Reliquien nicht verkauft werden, jedoch berechnete man für den aufwendigen Transport und die Ausschmückung der Gebeine Gebühren.[4] Dies kam erst um 1860 zum Erliegen, da das kanonische Recht den Handel mit Reliquien verbietet.[5]

Annähernd drei Jahrhunderte wurden diese Reliquien als Wundertäter und Beschützer der Gemeinden verehrt, dann gewannen mancherorts Zweifel hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes die Oberhand. Im 19. Jahrhundert wurde klar, dass eine Katalogisierung durch die katholische Kirche für diese Heiligen nie stattgefunden hatte. In einem Dekret rief 1878 der Kardinalvikar die Bischöfe zu Skepsis gegenüber diesen Reliquien auf, was dazu führte, dass eine Verehrung der Gebeine in vielen Fällen zum Erliegen kam. Vielerorts wurden die Reliquien daraufhin zerstört oder versteckt.[6]

Die Stiftsbasilika in Waldsassen besitzt zehn Katakombenheilige. Es handelt sich um Ganzkörperreliquien frühchristlicher Märtyrer, die in den Jahren 1688 bis 1765 aus den Katakomben Roms nach Waldsassen gebracht wurden. Auch nach der Säkularisation des Klosters 1803 blieb den „heiligen Leibern“ die Ehre der Altäre. Die zehn in kunstvoller Filigranarbeit mit Gold- und Silberfäden, Perlen und falschen Edelsteinen verzierten Skelette gelten als reichster Reliquienschatz dieser Art und sind bis heute die besonderen Schutzpatrone der Kirche und der Stadt. Jeweils am 1. Sonntag im August wird das sog. „Heilige-Leiber-Fest“ zur Verehrung der zehn Ganzkörperreliqiuen begangen, denn Abt Alexander Vogel erhielt durch den Generalabt der Zisterzienser die Erlaubnis zu einem eigenen Fest (in seiner Amtszeit wurden vier Heilige erworben), das nun schon seit über 250 Jahren in Waldsassen gefeiert wird.[7]

Beispiele für die Verehrung von Katakombenheiligen

Hl. Domitia, Klosterkirche St. Verena (Rot an der Rot)
Deutschland
Österreich
  • Pfarrkirche Bruck an der Leitha: laut Aufschrift „St. Theodorus“ (im ersten Seitenschiff rechts; im ersten Seitenschiff links befindet sich ein ähnlich gestalteter Glassarkophag, der jedoch nur eine liegende Statue enthält)
  • Drosendorf: hl. Valentina
  • Stift Dürnstein: zwei Katakombenheilige, die von Propst Hieronymus Übelbacher in Rom für die Stiftskirche bestellt wurden
  • Kapelle im Schloss Eckartsau
  • Kapelle im Schloss Esterházy (Eisenstadt): hl. Konstantin[12]
  • Pfarrkirche Ernstbrunn: hl. Felician
  • Jesuitenkirche Hall in Tirol: hl. Tiburtius und hl. Eusebius; die beiden Heiligen wurden 1724 von Gregor Deschler an den Klarissinnenkonvent in Hall in Tirol gestiftet; 1763 wurden die Knochen neu gefasst, 1831 diese Fassung überarbeitet; nach der Auflösung des Klarissinnenkonvents 1783 unter Joseph II. gelangten die Heiligen in das örtliche Franziskanerkloster und in weiterer Folge an ihren heutigen Standort; 2020/2021 wurden sie anlässlich einer Ausstellung in St. Pölten restauriert.[13] Das Besondere an diesen beiden Katakombenheiligen ist, dass sie auf einem Thron sitzend arrangiert sind.
  • Stift Herzogenburg: Urbanus (in der Stiftskirche; angeblich nicht identisch mit dem hl. Urbanus)
  • In der Kirche von Stift Melk befinden sich zwei Katakombenheilige, deren Gebeine dem Stift im 18. Jahrhundert von Maria Theresia bzw. vom Nuntius Kardinal Crivelli geschenkt wurden. Da weder ihre Namen noch ihre Vita bekannt waren, nannte man sie Friedrich und Clemens.
  • Karmelitenkirche (Linz): hl. Theodor („Corpus St. Theodori Mart.“, linker Seitenaltar; Kleriker, unter Kaiser Valerian enthauptet, die Reliquien kamen 1736 aus Rom) und hl. Felix („Corpus St. Felicis Mart.“, rechter Seitenaltar); enthält auch eine Reliquie seiner Frau, der hl. Blanda; das Ehepaar hatte sich für die Heilung der gichtkranken Blanda zum Christentum bekehrt und wurde daraufhin 222 unter Kaiser Severus Alexander enthauptet; beider Gedenktag ist der 10. Mai.[14]
  • Pfarrkirche Preding, hl. Faustina
  • Stift Reichersberg: Reliquien des hl. Klaudius (1668 aus der Calixtus-Katakombe erhoben)[15]
  • Dominikanerkirche Retz: hl. Placidus
  • Stift Seitenstetten: hl. Benedicta
  • Basilika Sonntagberg: hl. Felicitas und hl. Prospera; die beiden Märtyrerinnen kamen im 18. Jahrhundert als Geschenk von Erzherzogin Maria Theresia nach Seitenstetten und wurden 1799 von dort in die Basilika Sonntagberg überstellt, wo sie bis 1829 in der Schatzkammer standen; seither stehen auf zwei Seitenaltären.[16]
  • Ruprechtskirche (Wien): hl. Vitalis (unter der Orgelempore, ein Geschenk von Maria Theresia)
  • Franziskanerkirche (Wien): hl. Hilaria und „S. Felix Puer“
Portugal
Schweiz
Südtirol
Tschechien

Literatur

  • Urs Amacher: Heilige Körper: Die elf Katakombenheiligen des Kantons Solothurn. Knapp Verlag, Olten 2016, ISBN 978-3-906311-29-6.
  • Urs Amacher: Barocke Körperwelten. Wie Heinrich Damian Leonz Zurlauben die Katakombenheilige Christina von Rom nach Zug brachte. Olten 2010.
  • Hansjakob Achermann: Die Katakombenheiligen und ihre Translationen in der schweizerischen Quart des Bistums Konstanz (= Beiträge zur Geschichte Nidwaldens, Band 38). Stans 1979.
  • Paul Koudounaris: Heavenly Bodies: Cult Treasures and Spectacular Saints from the Catacombs. Thames and Hudson, London 2013, ISBN 978-0-500-25195-9.
  • Andrea Polonyi: Katakombenheilige. In: Walter Kasper (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage. Band 5. Herder, Freiburg im Breisgau 1996, Sp. 1298–1300.
Commons: Katakombenheilige – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Andrea Polonyi: Katakombenheilige. In: Walter Kasper (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage. Band 5. Herder, Freiburg im Breisgau 1996, Sp. 1298.
  2. Urs Amacher: "Wir haben dem Pater Elektus den heiligen Leib des römischen Märtyrers Felix zum Geschenk gemacht. Die als Authentik bezeichnete Echtheitsurkunde für Katakombenheilige". In: Traverse. Zeitschrift für Geschichte. Chronos Verlag, Zürich 2017, ISBN 978-3-905315-72-1, S. 170–178.
  3. Adolf Bründl: Der Katakombenheilige Constantius in der Pfarrkirche Lenzfried. In: Pfarrgemeinderat Sankt Magnus (Hrsg.): 350 Jahre Pfarrei St. Magnus in Lenzfried. Agrar Verlag Allgäu, Kempten 1992, S. 51–53.
  4. The ghastly glory of Europe’s jewel-encrusted relics. In: The Telegraph, 22. August 2013
  5. Vgl. Codex Iuris Canonici can. 1190.
  6. Paul Koudounaris: Katakombenheilige: Verehrt – Verleugnet – Vergessen. Grubbe Verlag, München 2014, ISBN 978-3-942194-18-1.
  7. https://www.pfarrei-waldsassen.de/heilige-leiber
  8. Gislind M. Ritz: Die Katakomben-Heiligen der Klosterkirche zu Altomünster. In: Toni Grad (Hrsg.): Festschrift Altomünster 1973. Mayer & Söhne KG, Aichach 1973, S. 211.
  9. Verena Friedrich: Aufhausen – Wallfahrtskirche Maria Schnee und Pfarrkirche St. Bartholomäus und Dionysius. In: Peda-Kunstführer. Nr. 429/1998. Peda Kunstverlag Passau, 1998, ISBN 3-89643-085-8, S. 13 und 19.
  10. Hans Georg Wehrens: Die Stadtpatrone von Freiburg im Breisgau. In: Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins „Schau-ins-Land“. 126 (Jahresheft). Promo Verlag Freiburg, 2007, ISBN 978-3-923288-60-1, S. 39–68. Vorschau auf: Freiburger historische Bestände – digital, Universitätsbibliothek Freiburg (gekürzter Text), abgerufen am 10. Februar 2016.
  11. a b c Urs Amacher: Der Katakombenheilige Leontius von Muri. Wundertäter und Patron des Freiamts. Chronos Verlag, Zürich 2019, ISBN 978-3-0340-1546-2.
  12. Der Glassarg mit der Ganzkörperreliquie befindet sich rechts vom Hauptaltar, wie auf der Abbildung zu erkennen. Die Gebeine wurden Fürst Paul I. im Jahr 1685 von Papst Innozenz XI. als Dank für seine Verdienste im Kampf gegen die Osmanen geschenkt.
  13. Beschreibung im Begleitheft zur Ausstellung „Himmlische Seelen. Knöcherne Juwelen“ im Museum am Dom, 2021, Nr. 14; teilweise abgebildet auf https://religion.orf.at/stories/3206360/
  14. Informationen aus dem Kirchenführer, der im September 2020 in der Kirche zum Verkauf auflag: Benno M. Skala: Linz. Karmelitenkirche, hrsg. vom Karmelitenkonvent Linz, 2009, ISBN 978-3-901797-34-7, S. 21 und S. 52f.
  15. 900 Jahre Augustiner-Chorherrenstift Reichersberg, Augustiner-Chorherrenstift Reichersberg (Hrsg.), Linz 1983, S. 270.
  16. Beschreibung im Begleitheft zur Ausstellung „Himmlische Seelen. Knöcherne Juwelen“ im Museum am Dom, 2021, Nr. 45. Abbildung auf https://religion.orf.at/stories/3206360/
  17. https://hyperallergic.com/478674/whats-under-the-bejeweled-clothes-of-a-catacomb-saint/
  18. Urs Amacher: Heilige Körper. Die elf Katakombenheiligen des Kantons Solothurn. Knapp Verlag, Olten 2016, ISBN 978-3-906311-29-6, S. 114–133.
  19. Homepage St. Nikolaus Herznach, abgerufen am 2. August 2015.
  20. Urs Amacher: Heilige Körper. Die elf Katakombenheiligen des Kantons Solothurn. Knapp Verlag, Olten 2016, ISBN 978-3-906311-29-6, S. 40–47.
  21. Urs Amacher: Herkunft und Verbreitung des Taufnamens Amantius /Amanz. In: Beiträge zur Namenforschung. Band 52 (2017), S. 169–176.

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Der Katakombenheilige Pankratius aus Wil (SG), Schweiz. Aufgenommen an einer Ausstellung im Historischen Museum St. Gallen: Fürstabtei St. Gallen – Untergang und Erbe Ausstellung aus Anlass der Aufhebung der Fürstabtei St. Gallen vor 200 Jahren.
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Altar der Hl. Domitia (Märtyrer) in der röm.-kath. Kirche St. Verena in Rot a. d. Rot
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Stift Stams, Inneres
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Weingarten, Museum für Klosterkultur

Kopfreliquiar eines Katakombenmärtyrers „St. Dominicus“, Chenillornamente, Federn, Drahtarbeiten, Tüll, Posamentenborten; Oberschwaben, 18. Jh. (restauriert)