Karpaten-Öl AG

Die Karpaten-Öl AG war ein deutsches Mineralölunternehmen während des Zweiten Weltkriegs in der historischen Region Galizien im Süden Polens und Westen der heutigen Ukraine, die aus der Beskiden-Erdöl-Gewinnungsgesellschaft mbH hervorging.

Schreibweise

Die frühere deutsche Schreibweise der Karpaten war Karpathen. Spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Verwendung des „th“ amtswegig nicht mehr im Gebrauch.[1] Dementsprechend ist im Bundesarchiv als amtliche Firmierung Karpaten-Öl AG, Lemberg sowie im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Karpaten Öl AG und Karpaten-Öl Aktiengesellschaft vermerkt.[2][3] Dessen ungeachtet ist die Schreibweise des Firmennamens in der Literatur unterschiedlich, selbst das Unternehmen verwendete in Dokumenten, Stellenzeigen oder Briefen mehrfach die Schreibweise Karpathen-Öl AG.[4]

Vorgeschichte

Bohrtürme in Galizien, 1881
Ölfeld in Tustanowice, 1908
Ölförderung in Boryslaw, um 1925
Öltanks in Boryslaw, 1933

Als Kronland gehörte Galizien ab 1772 zur Habsburgermonarchie bzw. ab 1867 zu Österreich-Ungarn. Nach der Entdeckung großer Erdölfelder entwickelte sich der Landesteil in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem wichtigen Zentrum der Erdölförderung. 1883 wurde mit der Einführung neuer Bohrmethoden und dem Bau der k.k. privilegierten Dniester-Bahn zur Erschließung des Ölgebiets die Grundlage der österreichischen Erdölindustrie geschaffen.[5]

Beherrschendes Merkmal der Landschaft Galiziens ist der westliche Teil der Karpaten, die Beskiden. Wiederholte Meeresbildungen führten in diesem Bereich zu mannigfaltigen Ablagerungen, so dass sich hier reiche Bodenschätze finden, darunter Erdöl, Erdgas, Braun- und Steinkohle, Erze, Uran. Die reichsten Ölfelder befanden sich in der Umgebung von Boryslaw und Drohobycz.[5]

Geprägt wurde die galizische Erdölindustrie durch zahlreiche, meist jüdische Kleinunternehmer. Aber auch der Großteil der Arbeiterschaft war jüdisch. Es herrschten katastrophale Zustände. Die Arbeitszeiten betrugen sechs Tage pro Woche zu je zwölf Stunden, bei äußerst geringem Lohn. Es verging selten ein Tag, an dem sich nicht ein oder mehrere Unglücksfälle ereigneten. Die Ursachen waren Gasaustritte, Explosion oder es fielen Arbeiter in alte, aufgelassene, nicht verschlossene Schächte.[6]

Saul Raphael Landau schrieb über die Lage der jüdischen Arbeiterschaft auf den galizischen Ölfeldern eine schockierende Sozialreportage. So erwies sich auf dem Ersten Zionistenkongress (1897) die Gruppe der Ausreisewilligen aus Boryslaw von allen anwesenden Gruppen als die größte: 756 Familien mit über 4000 Personen erklärten ihre Bereitschaft, unverzüglich nach Palästina auszuwandern.[6]

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fand ein beschleunigter Strukturwandel in der galizischen Erdölindustrie statt. Der ungezügelte Konkurrenzkapitalismus der Kleinunternehmungen wich größeren Erdölfirmen, die gut versorgt mit internationalem Kapital sowie mit Hilfe moderner Technik die Erdölförderung effizienter und damit auch weniger arbeitskräfteintensiv gestalteten.[6] An der Prospektion, Exploration, Förderung und Verarbeitung beteiligten sich neben österreichisch-ungarischen Ölgesellschaften zunehmend deutsche, französische und englische Unternehmen.[5]

Zu einer bedeutenden Ölgesellschaft entwickelte sich die 1895 gegründete Galizische Karpathen-Petroleum-AG, vormals Bergheim & McGarvey mit Rohölraffinerien unter anderem in Glinik-Maryampolski (Bezirk Gorlice) und Preßburg.[5] 1904 gründeten österreichische Investoren die Aktiengesellschaft für österreichische und ungarische Mineralölprodukte (OLEX). Diese errichtete in ganz Europa Vertriebsgesellschaften für das in Galizien geförderte Öl. Einer der größten Kapitalanleger war zu dieser Zeit die Disconto-Gesellschaft mit Sitz in Berlin.[7] Galizien rangierte 1910 nach Russland als zweitgrößtes Erdölproduktionsgebiet in Europa.[5]

1913 standen in dem Landesteil 357 Ölunternehmen in Betrieb, die zusammen 6812 Personen beschäftigten.[8] Im September 1914 besetzten Truppen der Zaristischen Armee die galizischen Ölfelder. Als die Russen acht Monate später das Gebiet wieder räumen mussten, zerstörten sie einen Teil der Förderanlagen und verbrannten 350.000 Tonnen Mineralöl – so viel, wie Deutschland damals in einem ganzen Jahr einführte.[9]

Nach dem Ersten Weltkrieg erklärte die Kamarilla um Józef Piłsudski ganz Galizien mit seiner wertvollen Erdölindustrie zum Bestandteil des neuen polnischen Staates. Demgegenüber beanspruchten die Ukrainer den östlichen Teil Galiziens. Aus dem Konflikt um den Besitz der Erdölquellen entwickelte sich 1918/19 der Polnisch-Ukrainische Krieg, dem 1920 der Polnisch-Sowjetische Krieg folgte.[8]

Letztlich verstanden es die Polen wesentlich besser als die Ukrainer, den Siegermächten des Ersten Weltkriegs und vor allem Frankreich glaubhaft zu machen, dass Investitionen unter einer polnischen Regierung nicht verlorengehen würden. Die polnische Seite versprach von Anbeginn, Frankreich Sonderkonditionen in der Erdölgewinnung und -raffinierung einzuräumen. Zudem traute der Quai d’Orsay den Ukrainern eine effektive wirtschaftliche Ausbeutung der Rohstoffquellen nicht zu und befürchtete, die Ukrainer könnten Erdöl an Deutschland und Österreich liefern.[10]

Am 16. Juli 1920 sprachen die Siegermächte ganz Galizien Polen zu. Gleichzeitig erfolgte auf Grundlage des Vertrags von Saint-Germain die Enteignung der österreichisch-ungarischen und deutschen Erdölunternehmen. Anschließend ging die Produktion schlagartig zurück, was auf eine schlechte polnische Verwaltung sowie auf Streitigkeiten zwischen England und Frankreich zurückgeführt wurde. So forderte Frankreich für seine Unterstützung 85 % der Erdölquellen, während England anfangs versuchte, dies zu seinen Gunsten zu verhindern, sich dann aber einigte und freie Hand für den Anglo-iranischen Vertrag erhielt, der den Iran mit seinen reichen Ölquellen quasi zu einem britischen Protektorat verwandeln sollte.[11]

Während 1913 im letzten Vorkriegsjahr in Galizien rund 1700 produzierende Bohrlöcher 1.173.665 Tonnen Rohöl förderten, ging 1922 die Zahl der Sonden auf 1526 und die Produktion auf 712.430 Tonnen zurück. 1923 betrug die Gesamtzahl der Beschäftigten auf den galizischen Ölfeldern 13.623. Insgesamt arbeiteten zu dieser Zeit in dem Gebiet 33 Raffinerien; die größte war die ehemalige k. k. Mineralölfabrik in Drohobycz mit einer jährlichen Verarbeitungskapazität von 400.000 Tonnen.[12]

Entsprechend den polnischen Zusagen befanden sich die Ölfelder und Anlagen bis zur Weltwirtschaftskrise maßgeblich im Besitz französischer Firmen. Sämtliche ehemaligen großen Gesellschaften, wie die Galizische Karpathen-Petroleum-AG, die k. k. Mineralölfabrik Drohobycz, die Schodnica-AG Wien oder die Galizische Naphta-Aktiengesellschaft „Galicia“, fielen 1920 an die französische Société des Petroles de Dabrowa SA (Paris/Lille). Einzig dem österreichischen Fanto-Konzern gelang es, über eine in Genf neu gegründete Holding (namens Société Réunies des Petroles Fanto S.A.) zwei größere galizische Ölfelder mit dazugehörigen Bohrtürmen zu behalten.[12]

Im Zuge der Weltwirtschaftskrise zog Frankreich ab 1929 massiv Kapital aus Galizien ab. Damit verschärfte sich die wirtschaftliche und politische Instabilität der Zweiten Polnischen Republik. Der polnische Staat übernahm in den Erdölgebieten ein Terrain von 300.000 Hektar, das jedoch infolge von Missmanagement ertragslos blieb.[12] 1935 schätzten Wirtschaftsexperten die Erdölreserven in Galizien auf 160 Millionen Tonnen.[13] Staatliche Bohrversuche erwiesen sich jedoch im Allgemeinen als Fehlschläge und auch die polnische Privatindustrie war nur eingeschränkt produktiv; sie litt unter den Spekulationen der Grundeigentümer.[12]

So gab es spätestens ab Mitte der 1930er-Jahre in Galizien wieder zahlreiche Kleinunternehmer, deren Erwerb von Ölfeldern sich üblicherweise folgendermaßen vollzog: Um aus den Bodenschätzen auf seinem Grund und Boden möglichst großen Profit zu schlagen, teilte der Eigentümer seinen Besitz in kleine, manchmal nur 25 bis 40 Quadratmeter große Parzellen, die er einzeln oder gruppenweise verkaufte bzw. verpachtete. Damit die hohen Kosten der Bohranlagen gedeckt werden konnten, taten sich meist mehrere finanzschwache Kleinunternehmer zusammen. Auf diese Weise kam es zu einer enormen Zersplitterung und zu einer ungeheuren Zahl von Besitzstreitigkeiten. Die Bindung der Erdölförderung an den Grundbesitz – und die dadurch entfallende übergreifende staatliche Koordination und Kontrolle – waren die wesentliche Ursache der ineffizienten Mineralölindustrie in Zwischenkriegspolen.[8][6]

Zweiter Weltkrieg

Galizien im heutigen Europa
Sowjetischer (links) und deutscher Öltransportzug auf dem galizischen Verladebahnhof Przemysl, 1940
Briefmarken-Ausgabe für das Generalgouvernement Motiv Bohrtürme, 1944

Entsprechend dem geheimen Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt verlief nach der deutschen Besetzung Westpolens und der sowjetischen Besetzung Ostpolens die deutsch-sowjetische Demarkationslinie durch die galizischen Erdölgebiete.[14]

Infolge des schnellen Vormarschs gelangten die Ölquellen nahezu unversehrt unter deutsche und sowjetische Kontrolle. Ribbentrop hatte während der Verhandlungen zum deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag vergeblich versucht, das gesamte galizische Ölrevier für Deutschland auszuhandeln. Vorerst fiel jedoch nur Westgalizien in deutsche Hände, mit wenig mehr als einem Viertel des 1938 in ganz Galizien erzeugten Öls (500.000 Tonnen).[15]

Auf deutscher Seite wurden in Westgalizien 24 Raffinerien und 540 kleine Erdölunternehmen, die auf einer Gesamtfläche von 20.000 Quadratmetern operierten, vereinigt und in zwei neu am 20. Oktober 1939 gegründete Unternehmen überführt, die Beskiden-Erdöl-Gewinnungsgesellschaft mbH und die Beskiden-Erdöl-Verarbeitungsgesellschaft mbH, jeweils mit Sitz in Berlin.[16][14][17]

Schon Ende Oktober/Anfang November 1939 erbohrte die neue Gewinnungsgesellschaft ergiebige Lagerstätten in Wielopole, Mokre sowie Grabownica Starzeńska und verdoppelte die gesamte Erdölproduktion in Westgalizien.[18][19] Veredelt wurde das geförderte Öl durch die neue Verarbeitungsgesellschaft. Deren wichtigste Raffineriebetriebe befanden sich in den oberschlesischen Städten Czedhowice und Trzebinia sowie in den Orten Glinik Maryampolski, Jedlicze und Limanowa, die im neu geschaffenen Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete lagen.[20]

Die Sowjetunion gliederte bereits am 4. Oktober 1939 das von ihr eroberte Gebiet offiziell in die Ukraine ein, was zur Umwandlung der ostgalizischen Ölindustrie in einen Teil der sowjetischen Planwirtschaft sowie zu weitreichenden Folgen für die Region und ihre Bewohner führte. Die 22 Monate dauernde Besetzung Ostpolens war gekennzeichnet durch Umerziehung, Kollektivierung, Verstaatlichung, begleitet von Terror, Massenerschießungen und Deportationen von Millionen Polen.[21]

Speziell in Galizien begann nach dem Abschluss des Deutsch-Sowjetischen Wirtschaftsvertrags eine intensive Zusammenarbeit. Stalin hatte bei den Verhandlungen konsequent die ostgalizischen Erdölgebiete als sowjetisches Staatsgebiet beansprucht, sich aber bereit erklärt, dortige Produktionsmengen gegen Stahl und Rüstungsgüter an Deutschland zu verkaufen. Die von sowjetischer Seite gelieferten Erdölmengen wiesen zwar erhebliche Schwankungen auf, übertrafen aber die Erwartungen der Berliner Führung.[22] Die letzten Kesselwagen aus Ostgalizien rollten noch am 22. Juni 1941 über die Demarkationslinie.[23]

Mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wurden die Gebiete Ostpolens für knapp drei Jahre von Deutschland besetzt. Bei ihrem Abzug setzten die Sowjets Ölfelder in Brand, zerstörten Pipelines und sämtliche Bohrtürme. Von den deutschen Behörden wurden die einheimischen Angestellten und Arbeiter angewiesen, unverzüglich die Arbeit wieder aufzunehmen.[24] Innerhalb eines Jahres konnte der Großteil der Anlagen wieder hergestellt werden, sodass Ende Juni 1942 bereits 90 % der Produktion wieder in Betrieb ging.[17]

Die zuvor von der Sowjetunion in Ostgalizien verstaatlichen Raffinerien gelangten zur Beskiden-Erdöl-Verarbeitungsgesellschaft mbH, aus der unter dem Dach der Kontinentale Öl AG am 13. März 1942 die Erdöl-Raffinerie Trzebinia GmbH mit Sitz in Berlin entstand. Zweck der Gesellschaft war der Betrieb von Raffinerien sowie die Verarbeitung und der Verkauf von Erdölerzeugnissen.[25] Das Kapital dieser Downstream-Gesellschaft, die mehrere Raffinerien in Oberschlesien und im Generalgouvernement betrieb, befand sich fast ausschließlich im Besitz der Kontinentale Öl AG.[16] Einer der Hauptaktionäre war die DEA Deutsche Erdöl AG, in deren Besitz sich bis zur polnischen Enteignung im Jahr 1920 die Erdölraffinerie in Trzebinia befunden hatte.[26]

Hingegen verlegte die Beskiden-Erdöl-Gewinnungsgesellschaft mbH als reine Upstream-Gesellschaft am 28. August 1942 ihren Sitz nach Lemberg und firmierte fortan als Karpaten-Öl AG.[16] Zweck der Gesellschaft war die Aufsuchung und Gewinnung von Erdöl, Erdgas und sonstigen bituminösen Stoffen in den Karpaten. Das Aktienkapital betrug 15 Millionen Reichsmark, was heute 72.137.753 Euro entspricht. Anteilseigner waren: die

Den Vorstandsvorsitz übernahm Karl Große, ursprünglich ein Bergwerksdirektor der DEA.[14] Die Karpaten-Öl AG sowie die Erdöl-Raffinerie Trzebinia GmbH nahmen massive Investitionen zum Ausbau der Förder- und Raffinerieanlagen vor. Die Bohrfelder und Verarbeitungsbetriebe erstreckten sich über knapp 400 Kilometer in West- sowie Ostgalizien und die Raffineriekapazitäten reichten aus, um jährlich mehr als 600.000 Tonnen Rohöl zu verarbeiten.[14]

Ursprünglich hatte das galizische Öl keine Bedeutung für die deutsche Kriegsführung, die sich vor allem auf die Lieferungen aus Rumänien, Zistersdorf sowie die Schwel- und Hydrierwerke stützte. Ein Teil des in Galizien produzierten Benzins ging zwar direkt an die deutschen Truppen der Ostfront, ein Großteil wurde hingegen für den Aufbau der Motorisierung der Landwirtschaft im Generalgouvernement und im Reichskommissariat Ukraine verwendet. Erst nachdem die Ölfelder im Kaukasus nicht oder nur zerstört in deutschen Besitz gelangten, entwickelte die Karpaten-Öl AG ein umfangreiches Investitionsprogramm, das zu beträchtlichen Produktionssteigerungen führte. Somit gelang ihr die Gewinnung von 1,2 Millionen Tonnen Mineralöl.[27][28]

Arbeitskräfte

In Spitzenzeiten beschäftigte die Karpaten-Öl AG nahezu 33.000 Arbeitskräfte. Ende 1943 waren davon über die Hälfte Polen, mehr als 40 Prozent Ukrainer, etwa acht Prozent Juden und unter zwei Prozent Deutsche. Nach umfangreicher Forschung des Historikers Rainer Karlsch ist der Anteil an Zwangsarbeitern, abgesehen von den jüdischen, nur schwer abzuschätzen.[14] Hierbei ist zu berücksichtigen, dass in Westgalizien nach Kriegsbeginn noch Galiziendeutsche lebten, aber auch viele andere Einwohner galiziendeutsche Dialekte sprachen oder verstanden und sich weder als Polen noch Ukrainer, sondern als Galizier betrachteten. Insbesondere die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung unterstützte eindeutig die deutschen Besatzer. Neben den Ukrainischen Nationalisten, die militärisch auf Seiten der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion kämpften, arbeiteten viele Ukrainer freiwillig in deutschen Unternehmen, übernahmen Positionen in der lokalen Verwaltung, im Bildungswesen und traten ungezwungen der Ukrainischen Hilfspolizei bei. Nicht wenige Polen und Ukrainer setzten sich später mit den abziehenden deutschen Truppen gen Westen ab.[19]

Im September 1942 begann die SS, überall in der Industrie eingesetzte Juden aus den Betrieben zu entfernen. Nur durch die Einstufung als „kriegswichtig“ konnte deren Deportation entgegengewirkt werden. Die jüdischen Arbeitskräfte erhielten in diesem Fall ein Abzeichen mit dem Buchstaben „R“ („Rüstungs-Jude“).[14] Zu den deutschen Betriebsangehörigen, die sich aktiv und erfolgreich für die Rettung von Juden einsetzten, gehörte der Leiter der Betriebsinspektion Boryslaw und spätere Generalbevollmächtigte Alfried Krupp von Bohlen und Halbachs, Berthold Beitz.[14] Ein weiteres Beispiel für Zivilcourage war die ab 1942 im Sekretariat der Geschäftsleitung der Karpaten-Öl AG beschäftigte Gertrud Steinl, die eine jüdische Mitbürgerin vor Verfolgung bewahrte und dabei ihr eigenes Leben riskierte. Sie versteckte in den letzten Kriegsjahren die Jüdin bei ihren Eltern im Sudetenland. 1979 erkannte Yad Vashem Gertrud Steinl als „Gerechte unter den Völkern“ an.[29]

Auflösung

Nach Beginn der Alliierten Luftoffensive auf die deutsche Treibstoffindustrie und dem Vormarsch der sowjetischen Truppen im Zuge der Operation Bagration in Richtung deutsche Grenze, vollzog sich ab August 1944 der geordnete Rückzug der Karpaten-Öl AG aus Galizien. Die Hauptverwaltung in Lemberg war bereits Ende März 1944 evakuiert worden. Insgesamt 1664 Eisenbahnwaggons mit Ausrüstung und Betriebsmaterial sowie 272 Kesselwagen mit Mineralölprodukten gelangten in Ausweichlager, größtenteils nach Oderberg, Langelsheim (Herzog Juliushütte) und Garßen. Der Gesamtwert der ausgelagerten Materialien wurde auf rund 21,8 Millionen Reichsmark geschätzt (heute 101.266.114 Euro). Der Hauptsitz der Gesellschaft gelangte nach Celle.[30]

Im späteren Verlauf beschlagnahmte die Rote Armee die nach Oderberg verbrachten Geräte und Materialien. Die in Langelsheim, Garßen und Celle befindlichen Vermögenswerte konfiszierte die britische Militärverwaltung.[30] Zusammen mit der Dachgesellschaft, der Kontinentale Öl AG, ging die Karpaten-Öl AG zum 1. November 1950 in Liquidation.[31] Die erdölreichen polnischen Ostgebiete annektierte die Sowjetunion und ordnete sie der Westukraine zu. Die Zwangsumsiedlung der polnischen Bevölkerung erfolgte zwischen 1944 und 1946.

Gegenwart

Aktive Tiefpumpe in Boryslaw, 2020

Auch heute existieren in der Region umfangreiche Erdgas- und Erdölreserven, von denen ein großer Teil bislang unerschlossen geblieben ist. Dementsprechend bestimmt der Erdölbergbau in der historischen Landschaft Galizien nach wie vor den industriekulturellen Alltag.[32][33]

Von polnischen Unternehmen wird in der Vorkarpaten-Region neben Bóbrka noch an mehreren anderen Standorten Erdöl und Erdgas gefördert.[34] Große Ölfeldbohrungen in der Ukraine finden unverändert in und um Boryslaw statt. 2020 waren etwa ein Viertel der Bewohner von Boryslaw – etwa 8000 Personen – in der Erdölindustrie beschäftigt. Die jährliche Förderung beträgt hier 100.000 Tonnen. Die ölführenden Schichten liegen bei 2500 Metern, größere Vorräte befinden sich in Teufen von 3000 bis 5000 Metern. Der Aufschluss unterblieb jedoch bislang mangels fehlender Investoren.[35]

Literatur

  • Rainer Karlsch: Ein vergessenes Großunternehmen. Die Geschichte der Karpaten Öl AG. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1 (2004), De Gruyter Oldenbourg, 2004, S. 96–138, ISSN 0075-2800.

Einzelnachweise

  1. Karl Hinrichsen: Briefe aus Galizien 1913. Cuvillier Verlag, 2005, S. 125.
  2. Karpaten-Öl AG, Lemberg Deutsche Digitale Bibliothek, abgerufen am 8. September Juli 2025.
  3. Datensatz Karpaten Öl Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, abgerufen am 8. September Juli 2025.
  4. Verschiedene Unterlagen der Karpathen-Öl-AG, Lemberg EHRI-Portal, abgerufen am 11. September 2025.
  5. a b c d e Siegmund Bergmann: Galizien, seine kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung. Buchdruckerei Industrie Wien, 1912, S. 93 f.
  6. a b c d Andreas Vormaier: Erdöl für Österreich-Ungarn. Ölrausch und Rohstofffluch. WM Magazin, 27. Februar 2025. Wien Museum, abgerufen am 10. September 2025.
  7. Antje Hagen: Deutsche Direktinvestitionen in Grossbritannien, 1871–1918. Franz Steiner Verlag, 1997, S. 265.
  8. a b c Robert Dressler: Die Entwicklung der galizischen Erdölindustrie. Universitat Bern, 1933, S. 50, 61 f.
  9. Der Spiegel vom 23. Dezember 1973: Weltmacht Öl Der Spiegel, abgerufen am 7. September 2025.
  10. Caroline Milow: Die ukrainische Frage 1917–1923 im Spannungsfeld der europäischen Diplomatie. Otto Harrassowitz Verlag, 2002, S. 448.
  11. Alfred Hettner (Hrsg.): Geographische Zeitschrift. Band 29. G.B. Teubner, 1923, S. 191 f.
  12. a b c d Karl Oswald Viktor Engler: Das Erdöl. Die Erdölwirtschaft 1919–1924. S. Hirzel, 1925, S. 253–264.
  13. Roman Gorecki: Polens wirtschaftliche Entwicklung. Bank Gospodarstwa Krajoweg (Landeswirtschaftsbank), 1935, S. 15.
  14. a b c d e f g Rainer Karlsch: Ein vergessenes Großunternehmen. Die Geschichte der Karpaten Öl AG. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1 (2004), Walter de Gruyter, 2004, S. 95–138.
  15. Dietrich Eichholtz: Krieg um Öl. Ein Erdölimperium als deutsches Kriegsziel (1938–1943). Leipziger Universitätsverlag, 2006, S. 19.
  16. a b c Johannes Bähr: Die Dresdner Bank in der Wirtschaft des Dritten Reichs. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2006, S. 367.
  17. a b Neues Wiener Tagblatt vom 28. Juni 1942: Die Brücke nach dem Osten, S. 3. ANNO, abgerufen am 7. September 2025.
  18. Historia Oddziału PGNiG Grupa Orlen, abgerufen am 10. September 2025.
  19. a b Franciszek Oberc, Władysława Oberc: Zeszyty Archiwum Ziemi Sanockiej. 7. Sanok–Zagórz–Lesko. 1939–1944. Fundacja Archiwum Ziemi Sanockiej, 2007, Nr. 7, Str. 15. (polnisch).
  20. Hans Jonas (Hrsg.): Ost-Europa-Markt. Zeitschrift des Wirtschaftsinstituts für die Oststaaten. Band 20. Ost-Europa-Verlag Königsberg, 1940, S. 120.
  21. Katrin Boeckh: Stalinismus in der Ukraine. Die Rekonstruktion des sowjetischen Systems nach dem Zweiten Weltkrieg. Harrassowitz Verlag, 2007, S. 63 f.
  22. Felix Rehschuh: Aufstieg zur Energiemacht. Der sowjetische Weg ins Erdölzeitalter, 1930er bis 1950er Jahre. Böhlau Köln, 2018, S. 100–101.
  23. Thomas Sandkühler: Besatzungsbürokraten. Berthold Beitz und die „Endlösung der Judenfrage“ im Distrikt Galizien, 1941–1944. In: Gerhard Hirschfeld, Tobias Jersak (Hrsg.): Karrieren im Nationalsozialismus. Funktionseliten zwischen Mitwirkung und Distanz. Campus Verlag, 2004, S. 104.
  24. Bruno W. Koppensteiner, Hermann Häusler: Das Kaukasus-Öl – Ziel der Deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. In: Geologische Bundesanstalt Wien (Hrsg.): Berichte der Geologischen Bundesanstalt. Band 140. Geologische Bundesanstalt Wien, 2021, S. 87.
  25. Erdöl Raffinerie Trzebinia GmbH, Trzebinia: Bd. 1. Bundesarchiv, abgerufen am 14. September 2025.
  26. Rainer Karlsch, Raymond G. Stokes: Faktor Öl. Die Mineralölwirtschaft in Deutschland 1859–1974. C.H.Beck, 2003, S. 80.
  27. Dieter Pohl: Deutsche Wirtschaftspolitik im besetzten Ostpolen 1941–1944. In: Jacek Andrzej Młynarczyk (Hrsg.): Polen unter deutscher und sowjetischer Besatzung 1939–1945. Fibre-Verlag Osnabrück, 2009, S. 165–166.
  28. Joachim Scholtyseck: Der Aufstieg der Quandts. Eine deutsche Unternehmerdynastie. C.H.Beck, 2011, S. 1918.
  29. Pressemitteilung vom 10. April 2019: Kultusstaatssekretärin Anna Stolz händigt Gertrud Steinl das Bundesverdienstkreuz am Bande aus Bayerische Staatskanzlei, abgerufen am 8. September 2025.
  30. a b Die Karpaten-Öl AG bei Garßen Heimatforschung im Landkreis Celle, abgerufen am 8. September 2025.
  31. Presseartikel 00024 und 00027 HWWA, abgerufen am 8. September 2025.
  32. Die Rohstoffe der Ukraine und ihre strategische Bedeutung – eine geopolitische Analyse De Gruyter Brill, abgerufen am 8. September 2025.
  33. Schostal Oleksandr: Die größte Ölfeldbohrung in der Ukraine - wo sie sich befindet. 13. Juli 2025. Informationsagentur 112.ua, abgerufen am 8. September 2025.
  34. Zu Besuch im polnischen Erdölmuseum Bóbrka erdoel-erdgas-deutschland.de, abgerufen am 29. September 2025.
  35. Michael Farrenkopf, Torsten Meyer: Authentizität und industriekulturelles Erbe. Zugänge und Beispiele. Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 2020, S. 265.

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